Robert Kurz im DGB- Haus München: Hartz IV und die staatliche Notstandsverordnung in der Krise

Korrespondenz: Robert Kurz, der vielen als Autor des
„Schwarzbuch des Kapitalismus“ und auch als Mitherausgeber des Magazins „Exit“
bekannt ist, referierte am 22.03.07 im DGB- Haus München über Hartz IV. Doch
wer explizit zum Vortrag gekommen war, um über Hartz IV konkrete Ausführungen
zu hören, was der Titel der Veranstaltung ja nahe legte, wurde sicherlich
enttäuscht. Robert Kurz stellte dies auch gleich zu Beginn seines Referates
fest, -sein Vortrag werde sich eigentlich wenig mit Hartz IV befassen, „darüber
sei bereits genug verfasst worden“, so der Referent. Kurz versteht sich selbst
als Theoretiker und Analyst des Kapitalismus, weniger als politischer
Praktiker. Berechtigten Anlass zur Kritik fordert Kurz seit Jahren mit seinen
Thesen über die Negation der Arbeiterklasse heraus [1].

Das Referat befasste sich jedoch nicht mit diesen Thesen und
wie gesagt auch nicht konkreter mit Hartz IV wie eigentlich angekündigt.
Vielmehr befasste sich das Referat von Robert Kurz mit den größeren Zusammenhängen
der Arbeitslosigkeit und einer Analyse dies betreffend des gegenwärtigen
internationalen Kapitalismus. Eine Thematik also, auf die sich Kurz durchaus
versteht und die er interessant darzustellen vermochte.

Sein Vortrag war in sechs Punkte gegliedert: 1. Tatsachen,
2. Ursachen, 3. Folgen, 4.Folgen für den Staat, 5. Ideologische
Interpretationen, 6. Gegenwehr.

Zum Punkt eins führte Kurz aus, dass wir uns längst in einer
strukturellen Arbeitslosigkeit befinden. Vorbilder in Sachen
Beschäftigungspolitik, die von den letzten Bundesregierungen und vom Kapital im
allgemeinen propagiert wurden, also die Niederlande oder Neuseeland sind
demaskiert, die Probleme mit der Arbeitslosigkeit auch in diesen Ländern
offensichtlich.

Die Arbeitslosigkeit ist ein weltweites Problem des
Kapitalismus! Das Kapital kann die Arbeitslosigkeit nur mehr manipulieren,
Statistiken frisieren oder wie in den USA überdecken durch den
militärisch-industriellen Komplex, der noch viele Menschen dort beschäftigt,
und durch eine hohe Gefangenenquote. In Deutschland wie anderswo wird das
Spektrum der Unterbeschäftigung wie Teilzeitarbeit, Leiharbeit etc. genutzt,
die Arbeitslosenquote niedrig zu halten bzw. niedrig erscheinen zu lassen.

Im Punkt zwei (Ursachen) räumte Kurz mit Erklärungsversuchen
des Kapitals und linken Moralisten auf, die Ursachen der Arbeitslosigkeit seien
nur Hausgemacht durch Managerfehler etc. und ließen sich durch einige
Korrekturen schon wieder beseitigen.

Kurz ging auf den historischen Entwicklungsgang der ersten
zur zweiten und dritten industrellen Revolution ein, die zur strukturellen
Arbeitslosigkeit führte. Die Entwicklung nach dem I. Weltkrieg zur zweiten
industriellen Revolution wurde u.a. mit dem „Fordismus“ dargestellt. – Die
Rationalisierung wie vor allem in der Autoindustrie. Henry Ford nahm hierzu
Schlachthöfe im damaligen Chicago als Vorbild für den Produktionsprozess in der
Autoindustrie. Zeitweise wurden hierdurch immer wieder mehr Lohnarbeiter in den
Produktionsprozess miteingebunden. Der Gastarbeiter- und Frauenanteil in der
Produktion stiegen beispielsweise an. Der „Fordismus“ führte jedoch auch zu
einer Verbilligung der Waren. Autos, Waschmaschinen etc. wurden weniger Wert.
Das Auto zunächst als Luxusartikel nur für die Reichen wurde für immer mehr
Arbeiter erschwinglich und ging in den Massenkonsum ein. Es kam zu einer
Expansion und Explosion des Massenkonsums. Dabei konnten die Waren in immer
kürzerer Zeit  hergestellt werden.

Anderseits wurde die Ware Arbeitskraft durch die immer
schneller werdende Produktion zunehmend überflüssiger. Die dritte industrielle
Revolution führte schließlich zur 
weiteren Rationalisierung, Kapitalexport und Globalisierung. Der
Einbruch der Massenarbeitslosigkeit war nunmehr größer als bisher. Wenngleich
sich der Kapitalexport schon im 19.Jhd. herausbildete, der Weltmarkt schon zu
den Anfängen des Kapitalismus im 16.Jhd. vorhanden, erhielt dies nunmehr durch
die heutige Globalisierung eine andere Qualität. Durch die dritte industrielle
Revolution durch die Mikroelektronik wurden riesige Konzerne transnational
zerlegt. Die Forschung z.B. in die USA transferiert, die Steuervorteile z.B.
der Kaimann-Inseln genutzt, die Softwareentwicklung und Computerbearbeitung in
Indien erledigt und schließlich auch das globale Kostengefälle der Produktion
genutzt, daher die Produktion nach Osteuropa, Indien und China etc. verlegt. In
China wurden Sonderwirtschaftszonen mit Arbeitssklaven zur Herstellung von
Produktionskomponenten eingerichtet. Die transnationalen Konzerne die in China
fertigen lassen beliefern sodann wieder ihre „Heimat- bzw. Ausgangsländer“ wie
EU und USA mit Waren.

Im Punkt drei über die Folgen wies Robert Kurz u.a. darauf
hin, dass diese oben aufgeführte Entwicklung auf einen globalen
Minderheitskapitalismus hinausläuft. Was heißt, dass immer mehr Menschen aus
dem Produktionsprozess fallen, ausgelöst von der dritten industriellen
Revolution und Globalisierung. Die Arbeit als Substanz des Mehrwerts wird zum
Problem, die Probleme des Kapitals im Allgemeinen werden zugespitzt. Es kommt
zur zunehmenden Flucht in die Finanzspekulation und damit zur größer werdenden
Finanzblase! Daher es wird immer unrentabler Geld in die Produktion und in
menschliche Arbeitskraft zu investieren.

Punkt vier, Folgen für den Staat: Der Staat als Funktionär
für das Kapital, abstrakte Allgemeinheit des Kapitals nach Marx schöpft durch
die Massenarbeitslosigkeit immer weniger Steuereinnahmen ab. Die Verschuldung
nimmt zu, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen werden zunehmend marode und
werden bei Gewinnaussicht privatisiert.

„Hartz IV ist nur der bisherige Höhepunkt“ und so Kurz
weiter, „noch nicht das Ende der 
Fahnenstange“.

In Punkt fünf, ging Robert Kurz auf die ideologischen
Interpretationen einer verkürzten Kapitalismuskritik von einem Teil der Linken
ein. Freilich scheint für Robert Kurz das Spektrum der politischen Linken sehr
groß zu sein, wenn er darauf hinweist, dass ein Teil der Linken moralische
Defizite für die Krise verantwortlich macht. Er meint damit diejenigen, ohne
diese konkret zu benennen, die so Kurz, Ursache und Wirkung auf den Kopf
stellen und die Finanzblase für die Krise des Kapitalismus verantwortlich
machen, anstatt die Ursachen in der Produktion selbst zu suchen! Finanzblasen
sind an der Basis, also in der realen Produktion verursacht, weswegen Geld
keine reale Grundlage hat, daher nicht mehr die verausgabte Arbeitskraft
repräsentiert. Robert Kurz kritisierte hierbei auch die Gewerkschaften, die nur
noch die Kernbelegschaften in die Globalisierung retten wolle, für die ausgesonderten
hätte diese nur noch moralische Entwürfe zur Hand. Der Dammbruch sei deshalb
nicht verwunderlich, da man bei den Gewerkschaften keine effektiven
Gegenkonzepte entwickle.

Die Dienstleistungsgesellschaft, vom Kapital propagiert,
läuft nun unter den Titel „Prekarisierung“- 
selbst akademisch ausgebildete Menschen müssen sich nunmehr wie
selbstverständlich als Dienstleister in diversen Berufen anbieten.
Frauenbildung, in den siebziger Jahren noch gefördert und z.T. subventioniert
wird entwertet. Frauen sollen nun managen, dass die Familie mit möglichst wenig
Geld auskommt.

Der sechste und letzten Punkt Gegenwehr, hätte von Kurz auch
fast gleich eingespart werden können. „Ich bin mittlerweile hilflos, habe keine
Lust mehr auf eine Latschdemo mehr, in der man seine Hilflosigkeit nur mehr
vorführt“, so Kurz anmerkend. Die Anregung jedoch, dass flächendeckende Streiks
angestrebt werden sollten und darüber hinaus das Transportwesen, seine
Anfälligkeit, ins Auge gefasst werden sollte, ist einerseits richtig,
anderseits, mit dem von Kurz verbreiteten Pessimismus jedoch nicht
nachvollziehbar. In der sich dem Vortrag anschließenden Diskussion wurden noch
sehr unterschiedliche Themen wie Tauschringe und Kooperativen, Chinas Ökonomie
und Venezuelas Kurs angesprochen und mit einigen Anmerkungen und Meinungen
darüber wurde der Vortrag beendet.

ab