Zum Lokführerstreik: Massive Angriffe auf das Streikrecht müssen zurückgewiesen werden!

Es ist nicht leicht, zum
Tarifkampf der in der „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL)
zusammengeschlossenen Bahnkolleg/innen Stellung zu nehmen.

Die Situation – mehr als
günstig! Die Deutsche Bahn (DB) schreibt massive Umsatzsteigerungen und gestiegene
Profite. DB-Chef Mehdorn und seine politischen Hinterleute, die das
„Volksvermögen“ Bahn mit Unterstützung der DGB-Gewerkschaft Transnet
und ihres Chefs Hansen an Privatinvestoren verscherbeln wollen, können weder
lange Streiks noch schlechtere Zahlen brauchen, wollen sie doch die Bahn an der
Börse vorteilhaft präsentieren. Deshalb genießen die Streikaktionen der
GDLer/innen, ihre Urabstimmung, ihre Forderung große Sympathie. Das ist alles
gerecht! Das unterstützen wir.

Auch existiert eine hohe
Streikbereitschaft, die in einem fast einstimmigen Urabstimmungsergebnis für
Streik dokumentiert wird. Hier kann es eigentlich nur heißen: Voll in die
Offensive, legt die ganze Bahn lahm, bis Mehdorn klein beigibt. Das würde
dieser aus den genannten Gründen recht bald tun, denn die Streikfront steht.
Wenn das dann auch, wie die Propagandisten des Kapitals sorgen voll prophezeien,
die Bahnprivatisierung verhindern oder behindern würde – das wäre ein weiterer
wichtiger Erfolg, den wir nur begrüßen können!

Je länger aber der Vorstand
der GDL zögert, desto schwieriger ist diese Kampffront zu halten. Und dieser
Vorstand schwankt, was angesichts der geschilderten Lage unfasslich ist, aber
das Schwanken hat Gründe.

 

Bahnkolleg/innen gespalten

 

Die bisher scheinbar
erfolgreiche Kampagne der GDL ist zugleich Ergebnis und Vollzug einer massiven
Spaltung unter den organisierten Kolleg/innen der Bahn und vertieft sie, auch
und gerade wenn ein Erfolg erzielt würde. Wie schon bei den Piloten und Ärzten
im Bereich der ver.di äußert sich hier der gefährliche Frust von
Kolleg/innen, die sich jahrelang in ihren Interessen missachtet fühlen. Die
allfällige demagogische Hetze des Bahnvorstands, des Kapitals ganz allgemein
und ihnen höriger Medien kann nicht verwundern, trifft sie doch den Kern. Sie
nehmen die angeblich unverschämte und unverhältnismäßige Höhe der Lohnforderung
von bis zu 31 % ins Visier. Sie müssen das tun, aber sie haben dabei überhaupt
keine guten Karten! Allein die Nennung der Nettorealverdienste von nur rund 1.500
Euro der betroffenen Kolleg/innen lässt sofort Verständnis für die Forderung in
der Öffentlichkeit aufkommen. Solch ein Entgelt erreicht nicht einmal das
Niveau qualifizierter Facharbeiter/innen der Metallindustrie, und das bei
technisch hoch qualifizierten Kolleg/innen, die Verantwortung für hunderte
Reisende oder Millionenwerte von Transport- und Investitionsgütern in einem
hochkomplexen Transportsystem bei hohen Geschwindigkeiten tragen. Vergleichbare
qualifizierte Beschäftigte verdienen in anderen Ländern deutlich mehr, in
Frankreich bis zu 1000 Euro!

Was in der Hetzpropaganda
niedergebügelt wird, ist die Tatsache, dass die Lokführer eine qualitativ
andere Eingruppierung tariflich festgeschrieben haben wollen, nicht einfach ein
31%ige Lohnerhöhung. Eine festgeschriebene Beschreibung ihrer Tätigkeit, die
das festhält, was sie tatsächlich tun und wofür sie Verantwortung tragen. Das
ist – jede Kollegin, jeder Kollege, der mit Eingruppierungsfragen zu tun hat,
wird das sofort verstehen – mehr als berechtigt! Stets will das Kapital in
Eingruppierungsverhandlungen die fragliche Tätigkeit so niedrig, so primitiv
wie irgend möglich erscheinen lassen, um das Entgelt herab zu drücken; und hat
oft Erfolg mit dieser Strategie. So hat sich in Bereichen besser qualifizierter
Arbeitskräfte ein massiver Frust aufgebaut Die Transnet-Organisation muss sich
fragen lassen, ebenso wie die anderen Gewerkschaften, nicht zuletzt die
IG-Metall (ERA-Umsetzung!!), ob sie diese Interessen angemessen berücksichtigt!

Dieser Frust wurde und wird
von Leuten wie dem GDL-Chef Schell zur Spaltung und zur gezielten Schaffung
eines eigenen Machtclaims ausgenutzt, wozu eben auch mal gehört, die Fähigkeit
zu eigenen Kampfaktionen zu demonstrieren.

Die Spaltung unter den
Bahn-Kolleg/innen ist bitter. GDL-Chef Schell hat den GDL-eigenen Tarifvertrag
mit der DB zum strategischen Ziel erklärt, womit diese Spaltung, die ja schon
ohne die GDL existiert und durch die Tarifgemeinschaft der DGB-Eisenbahner/innengewerkschaft
Transnet und der GDBA notdürftig gemildert wird, weiter vertieft und auch
formell deutlich würde.

Zweifel an den Motiven
der GDL-Führung unter CDU-Mitglied Schell sind angebracht. Nach der
erfolgreichen Urabstimmung ging die massive juristisch-gerichtliche
Auseinandersetzung um den Streik in die Vollen. Sie führte beim GDL-Vorstand
nicht zu einer Mobilisierung der streikbereiten Kräfte, sondern lediglich zu
einer legalistisch begründeten Kurzstreikaktion bei einigen S-Bahnen und Güterzügen.
Danach gaben Schell und der GDL Vorstand dem massiven Druck des Bahnchefs
Mehdorn in Medien und vor allen möglichen Gerichten nach und willigten in eine
Schlichtung ein. Das sprach dem hohen Urabstimmungsergebnis Hohn. Schell
versteht dieses offenbar nur als Spielchip in einem Pokerspiel, in dem auch
seine Kolleg/innen zum Spielmaterial degradiert werden.

Noch viel
bezeichnender aber ist die personelle Seite dieses Deals. Zu Schlichtern wurden
– man staune! – zwei CDU-Veteranen ernannt: der Ex- Generalsekretär und später
durch persönliche Korruptionsaffären aus dem Amt gejagte sächsische
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sowie der gleichfalls ehemalige
Generalsekretär und Neu-„Attaccie“ Heiner Geisler, ein offensichtlich
zu jedem denkbaren Rollenwechsel fähiger Joker und Spezial-Agent der CDU. Man
kann davon ausgehen: die ganze Auseinandersetzung zahlt sich in fast jedem Fall
für die Frontpartei der deutschen Reaktion, die CDU aus. Sie verfolgt hier
offensichtlich strategische Ziel bei der Spaltung der eh schon geschwächten
Gewerkschaften.

Der einzige Weg aus
diesem für die Kollegen verhängnisvollen Weg kann nur die unverzügliche
Umsetzung des Urabstimmungsbeschlusses, der unverzügliche Vollstreik sein, der
bei allen berechtigten Bedenken breitest Solidarität benötigt. Wir fordern die
Umsetzung des Urabstimmungsbeschlusses und die breite Unterstützung durch alle
anderen Gewerkschaften. Diese Solidarität ist auch der einzig mögliche Weg, die
Beendigung dieser strategischen Spaltung vorzubereiten!

 

Existenzielle Angriffe auf
das Streikrecht!

 

Keineswegs zufällig geraten
bei dem Medienspektakel die skandalösen Angriffe auf das in Deutschland sowieso
schon massiv eingeschränkte Streikrecht fast schon an den Rand der öffentlichen
Aufmerksamkeit! Auf Antrag des DB-Vorstands wurden die Streiks vom Nürnberger
Arbeitgericht in einer einstweiligen Anordnung praktisch für illegal erklärt.
Auch andere Arbeitsgerichte erließen Streikverbote!

Aber die Nürnberger
Verbotsbegründung ist geeignet, das gesamte Streikrecht in Frage zu stellen:
In gespielter Naivität führt das Gericht die zu erwartenden massiven
wirtschaftlichen Schäden als Begründung ins Feld. Das reichte für ein Verbot
aller größeren Streiks, wenn so etwas rechtskräftig würde! Denn anders als
durch den massiven wirtschaftlichen Schaden, den ein Streik anrichtet, wirkt
dieser gar nicht! Das zu verbieten, hieße den Streik zu verbieten.

Es ist bezeichnend, wie
Transnet-Chef Hansen, der die Aktionen der GDL bis dahin hasserfüllt als
Angriff auf seine Machtposition offen bekämpfte, und der mit ähnlichen
Problemen (Piloten, Ärzte) konfrontierte Verdi-Chef Bsirske an dieser Stelle
der Auseinandersetzung sich mühsam zu halbherzigen Protesterklärungen
aufrafften. Denn das können sie sich nicht nachsagen lassen: Dass sie einen
solchen Angriff aus Organisationskonkurrenzgründen verpennt hätten. Nein, sie,
offizielle Verwalter des kastrierten deutschen Streikrechts, dürfen sich dieses
schartige Schwert nicht auch noch aus der Hand schlagen lassen.

Hier entsteht eine für alle
Angehörigen der Arbeiter/innenklasse, für Arbeiter/innen und Angestellte, aber
auch für Erwerbslose und Rentner/innen in Deutschland sehr ernste Situation!!
Die Einkommen bzw. Einkommensniveaus aller dieser Gruppen hängen von der Kampf-
und Streikfähigkeit der Gewerkschaft maßgeblich ab!

Die Hauptverhandlung über
den Nürnberger Spruch, gegen den die GDL pflichtgemäß Widerspruch einlegte, ist
auf den 27. August 2007 – nach dem Redaktionsschluß dieser Ausgabe von „Arbeit
Zukunft“ – festgesetzt worden.

DB-Vorstand und GDL
Vorstand haben sich darauf geeinigt, die Aktionen bis zu diesem Termin
auszusetzen. Das Nürnberger Arbeitsgericht wird dieses unverständliche
Nachgeben der GDL
ganz gewiss nicht als Widerlegung seiner Begründung
werten, sondern als halbes Schuldeingeständnis!

Alle Unternehmerverbände
sowie die Rechtsabteilungen der großen Konzerne und Banken werden aufmerksam
die neuen Chancen verfolgen, die diese Auseinandersetzung ihnen zuspielt. Jeder
Erfolg der Bahn ist ein Erfolg für das gesamte Kapital! Jeder Erfolg der
Kapitalargumentation ist eine existenzielle Herausforderung für jeden
einzelnen Kollegen, jede Kollegin, für alle Werktätigen und alle Erwerbslosen!
Wenn das Nürnberger Arbeitsgericht auch nur halbwegs bei seinem Spruch bleibt,
können wir uns warm anziehen, auch wenn die Auseinandersetzung sich durch alle Instanzen
noch eine Weile hinzieht. Man kann jetzt schon annehmen, dass das Kapital bzw.
seine Vertreter/innen immer häufiger gerichtlich gegen Streiks vorgehen werden
und so auf alle Fälle das Netz an Streikverbotsgründen enger ziehen wollen, so
eng wie möglich! Wir werden gegen Gerichtsprüche und -urteile unser Streikrecht
durchsetzen müssen. Und wann kommen die bürgerlich kapitalistischen Parteien im
Bundestag mit Gesetzentwürfen?

So wie das Kapital gelernt
hat, mit der Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche profitabel
zurechtzukommen (ohne sich mit ihr abzufinden!), so wie es jetzt die so
genannte Tarifautonomie zu seinen Gunsten einsetzen will (Mehdorn: Es gibt nur
einen Tarifvertrag bei der Bahn!), so fängt es inzwischen an, die
eingeschliffene „Warnstreiktaktik“ deutscher Gewerkschaften gegen
diese, gegen deren Millionen Mitglieder zu wenden: Es verwandelt möglichst
diese symbolischen Aktionen in das Maximum dessen, was erlaubt ist, und das
eigentlich Wesentliche, den Vollstreik, in ein Delikt, das wegen der aus ihm
folgenden Schäden verboten gehört!

Schon meldet sich, wie auch
nicht anders zu erwarten, Arbeitgeber-Chef Hundt mit dem nächsten Angriff zu
Wort: Er beruft sich auf Mehdorns Argument gegen einen eigenen
Lokführertarifvertrag und zugleich damit gegen einen eigenen Lokführerstreik,
es gebe bereits einen gültigen Tarifvertrag bei der Bahn, dieser sei mit 4,5%
Loherhöhung außerdem sehr gut ausgefallen, diesen hätte die GDL gefälligst zu
akzeptieren. Hundt greift dies auf und verlangt ein offizielles
Streikverbot(!!!) in allen Unternehmen, in denen bereits ein Tarifvertrag
bestünde. Welcher erfahrene Kollege denkt da nicht an die Schwindeltarifverträge
mit solchen Schwindelgewerkschaft wie der „Christlichen(!!) Metall
Gewerkschaft“ (CGM),
die in manchen Unternehmen abgeschlossen wurden?
Oder bei Siemens mit der UAB, deren Chef derzeit wegen Korruption in U-Haft
sitzt? Schnell mit irgendwelchen hergelaufenen Verrätern einen Tarifvertrag
abschließen und in dem Unternehmen herrscht Streikverbot: tolle Vision des
Herrn Hundt. Durch solche Rechnungen können nur alle Kolleg/innen gemeinsam
einen Strich machen. Immer stärker wird der Grundsatz in der Praxis gefordert
sein, dass eine wirksame Gewerkschaft nur die Mitglieder selbst, ihr aktive
Kampfbereitschaft, ihr Mut und ihre Solidarität
sein kann. Es gibt keinen
„Dienstleister“ Gewerkschaft, der irgendwo fern der betrieblichen
Praxis irgendwas für irgendwelche Kolleg/innen „herausholt“. Wenn wir
das nicht lernen, werden Hundt, Mehdorn und das ganze Kapital uns sonst noch
die Reste unseres Streikrechts aus der Hand schlagen.

 

Konsequenzen ziehen!

 

– Es gibt nur einen Weg aus
dieser Situation des Angriffs seitens des Kapitals. Das Streikrecht kann nur
durch Streik
verteidigt werden. Es kann nur durch seine offensive Ausübung
verteidigt und geschützt werden.

– Der Lokomotivführerstreik
muss gemäß der Urabstimmung offensiv umgesetzt werden. Das leider übliche
Schachern des GDL-Vorstandes in Hinterzimmern und sein Hinauszögern des Kampfes
muss durch die GDL.Mitglieder selbst beendet werden! Lasst Euch nicht von der
CDU-Riege an Eurer Spitze verschaukeln!

– In den nächsten
Tarifrunden aller Gewerkschaften muss sofort nach dem Scheitern von
Verhandlungen die Urabstimmung und der sofortige Vollstreik her. Alle
Mitglieder müssen raus, sie müssen ihre wirkliche Macht wieder erkennen lernen,
die sie nur im massiven Streik haben!

– Und es müssen politische
Streikaktionen ins Auge gefasst und in den Gewerkschaften diskutiert und
vorbereitet werden. Das muss auch dann geschehen, wenn es längere Zeit dauert.
Wir brauchen einen Generalstreik unter der Hauptlosung:

 

Für das uneingeschränkte
Streikrecht!

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