Diskussion ums Kohlekraftwerk in Kiel

Wie schon am 11. Februar berichtet, haben die Stadtwerke
Kiel ihre Entscheidung über das neue Kohlekraftwerk im Stadtteil Dietrichsdorf
für drei Jahre vertagt. Die vielen Kielerinnen und Kieler, die sich in den
letzten Monaten gegen dieses Mammutprojekt engagiert haben – mit 800 Megawatt
(MW) soll es mehr als doppelt so groß wie das alte Gemeinschaftskraftwerk an
gleicher Stelle werden – haben allen Grund zur Freude über diesen Teilerfolg.
Einiges spricht dafür, dass die Zeit für die Kohlegegner arbeiten wird.
Zumindest, wenn sie jetzt nicht nachlassen.

 

Denn allzu dürftig sind die Argumente der Kraftwerksbauer.
Das zeigt auch ein Blick in das Gutachten, das im Auftrag der Stadtwerke
geschrieben wurde. Mit keinem Wort ist dort zum Beispiel von den Schwermetallen
wie Quecksilber, Blei und Cadmium die Rede, die das Kohlekraftwerk in großer
Menge emittieren würde. Auch Arsen und Feinstaub kommen in dem Gutachten nicht
vor, obwohl es vorgibt, eine Umweltbilanz für verschiedene Kraftwerksvarianten
aufzustellen. Das erstaunt um so mehr, als zu den Autoren auch das Berliner Büro
des Öko-Instituts gehörte.

 

Wenig Öko

Entsprechend kritisiert denn auch die Bürgerinitiative „Umweltfreundliche
Energieversorgung für die Region Kiel“ in einem Brief an das Institut deren
Arbeit: „Abgesehen von ein paar unserer Meinung nach potenziell positiven Ansätze
sehen wir das Gutachten massiv von Überlegungen hinsichtlich Dividende, Preise,
Rendite usw. dominiert. Ökologische Aspekte können wir leider so gut wie gar
nicht sehen.“

In der Tat nehmen wirtschaftliche Überlegungen den größten
Raum des Gutachtens ein. Besonders interessant ist, dass eine Rendite von zwei
bis vier Prozent als „nicht ausreichend“ bezeichnet wird. Eine Fernwärmeversorgung
auf Erdgasbasis – mit deutlichem Abstand die Variante, die am wenigsten
Treibhausgase bedeuten würde – sei „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Für die
von den Gutachtern letztlich – mit der Einschränkung einer drei bis fünfjährigen
Bedenkzeit – empfohlenen Kohlekraftwerke von 360 bzw. 800 MW Leistung wird eine
Kapitalrendite von 6,7 Prozent bzw. 9,2 Prozent erwartet. Das hält man
offensichtlich für angemessen.

Dabei wird allerdings nur eine relativ mäßige Steigerung des
Kohlepreises in den nächsten Jahrzehnten angesetzt. Wie realistisch das ist,
bleibt fraglich. Immerhin gibt es auf dem Weltmarkt inzwischen Anzeichen, dass
auch der Kohlepreis kräftig anziehen könnte. China, der weltweit größte
Verbraucher, der zugleich in seinen Bergwerken einer der größten Produzenten
ist, wurde 2007 zum ersten Mal zum Nettokohleimporteur. Auch über die Kosten
der irrwitzigen Technologie zur CO2-Abscheidung und -Einlagerung, auf die die
Stadtwerke nun nach eigenen Aussagen warten wollen, machen sich die Gutachter
keine Gedanken.

 

Wenig Fantasie

Die Bürgerinitiative hat angekündigt, weiter arbeiten und
unter anderem eine öffentliche Debatte über das Gutachten organisieren zu
wollen. Das ist gut und sehr wichtig, aber man sollte dabei nicht in die Falle
tappen und sich zu sehr an ihm abzuarbeiten. Die Gutachter haben nämlich
auffallend wenig Fantasie gezeigt. Offenbar waren sie –  sicherlich auch durch die Vorgaben des
Auftraggebers – zu sehr auf eine „Großlösung“ fixiert. Die Antwort für Kiels
Klimazukunft wird hingegen eher kleinteilig sein, wenn sie denn wirklich
umweltverträglich ausfallen soll. Dazu gehört unter anderem die Förderung von
Solarkollektoren für Heizung und Warmwasser. Hinzu können dezentrale
Heizkraftwerke kommen, die Wärme und Strom gleichzeitig produzieren. Idealer
Weise würden die mit Biogas betrieben, das aus der Vergärung von
landwirtschaftlichen Abfällen gewonnen werden kann. Allerdings reicht das
entsprechende Potenzial im Kieler Umland beim derzeitigen Stand der Technik
vermutlich nur für einen Teil des Bedarfs. Deshalb wäre es Zeit, dass auch neue
Wege beschritten wären. Vermutlich ließe sich in Kiel gut die Erdwärme aus
einigen hundert Metern Tiefe nutzen, um ins Fernwärmenetz eingespeist zu
werden. Eine andere Möglichkeit könnte – aber hier gibt es auf jeden Fall noch
Entwicklungs- und Forschungsbedarf – die Druckluftspeicherung sein.

Um diese zu erklären, muss ein wenig ausgeholt werden: Mit
zunehmendem Anteil des Windes an der Stromproduktion gibt es ein Problem. Im
vergangenen Jahr fiel in Schleswig-Holstein zum Beispiel so viel Windstrom an,
dass theoretisch 40 Prozent des Verbrauchs damit hätte abgedeckt werden können.
Nun richtet sich aber das Wetter nicht nach dem Strombedarf. Mal ist mehr
Windstrom da, als gerade verbraucht werden kann, oder es herrscht in weiten
Teilen des Landes Flaute, wenn der Bedarf hoch ist. Bisher funktioniert das
nur, weil der Windstrom ggf. in südlichere Bundesländer exportiert werden kann
und weil im Notfall andere Kraftwerke einspringen.

Genau das ist übrigens auch der Grund, weshalb die
Kohlelobby und ihr Sprachrohr in der Landesregierung, Wirtschaftsminister
Austermann, ihre Großkraftwerke für unverzichtbar im Falle des Ausbaus der
Windenergie hinstellen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang in dem oben
beschriebenen Gutachten Interessantes zu lesen: „Für drei Fälle mit geringeren
Verfügbarkeiten wurde die Wirtschaftlichkeitsberechnung durchgeführt. Bei einer
Auslastung von 6000 (Stunden im Jahr) wird nur noch ein geringer Kapitalwert
erwirtschaftet, ein noch stärkeres Absinken würde zu negativen Renditen führen.
Dies zeigt, dass Großkraftwerke die in das Verbundnetz einspeisen, sichere
Randbedingungen für einen kontinuierlichen Betrieb benötigen um wirtschaftlich
zu sein.“ Das Jahr hat 8760 Stunden im Jahr. Oder mit anderen Worten: Die
Kohlekraftwerke müssen möglichst rund um die Uhr laufen, um den erhofften
Profit abzuwerfen. Davon, dass sie nur als Lückenbüßer für die Windenergie
gebaut werden, kann überhaupt nicht die Rede sein.

 

Wenig Speicher

Die Antwort auf das Problem der Verteilung des Windstrom
muss also woanders liegen. Diskutiert werden verschiedene Varianten, die
vermutlich in Kombination zur Anwendung kommen müssten. Dazu gehört die großflächige
Vernetzung der Anlagen, da es im Umfeld von einigen hundert Kilometer immer
irgendwo weht. Ein anderer Baustein sind verschiedene Speicheroptionen. Eine
davon würde sich vermutlich im Kieler Umland anbieten: In Norddeutschland gibt
es überall unterirdische Salzstöcke. Schon heute ist es gängige Praxis, in
diesen mittels Wasser Kavernen auszuspülen, um darin Erdgas zu speichern. Im
Prinzip kann man auch mit überschüssigen Strom Druckluft in solche Hohlräume
pressen. Bei Bedarf wird diese dann abgelassen, treibt eine Turbine an, mit der
dann wieder Strom erzeugt wird. In der Nähe von Bremen gibt es bereits ein
derartiges Kraftwerk.

Der Haken an der Geschichte: Es geht etwa die Hälfte der
Energie verloren, denn bei der Kompression erhitzt sich die Luft stark und muss
gekühlt werden. Das System macht letztendlich nur Sinn, wenn die Wärme
gespeichert und genutzt werden kann. Eine Verbindung mit einem Fernwärmenetz wäre
eventuell sinnvoll.

Derlei Optionen müssten dringend in Kiel öffentlich
diskutiert und vielleicht in einen langfristigen Energieplan für die Region
zusammengeführt werden, wie von einigen bereits vorgeschlagen. Solche Fragen
allein unter dem Gesichtspunkt der Renditeerwartung der MVV an die Stadtwerke
zu diskutieren ist jedenfalls geradezu steinzeitlich. Der laufende
Kommunalwahlkampf sollte unbedingt genutzt werden, um den Lokalpolitikern
entsprechend auf die Füße zu treten. Dabei darf ruhig ab und zu erwähnt werden,
dass eine klimafreundlich und zukunftsfähige Energieversorgung auch
hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft (viel mehr, als ein Kohlekraftwerk) und
die technologische Entwicklung der Region fördern würde.

Wolfgang Pomrehn,

Vorabveröffentlichung aus LinkX – Sozialistische Zeitung für Kiel  Ausg. 04/08

 

Literaturempfehlung:

Wolfgang Pomrehn

„Heiße Zeiten – Wie der Klimawandel gestoppt werden
kann“

Neue Kleine Bibliothek 122, 236  Seiten

EUR 16,90    ISBN 978-3-89438-371-8

Erscheinungstermin: August 2007

Heiße Zeiten - Wie der Klimawandel gestoppt werden kann