Volksbewegung auf den Fildern! Keine zweite Starbahn für den Flughafen!

Ein Flugzeug donnert ueber die Demonstration gegen die zweite Startbahn StuttgartDie „Schutzgemeinschaft Filder“ (SGF) rief zur
Protestdemonstration und tausende kamen. Die SGF hat einen großen Ruf in der
Filderregion, weil sie stets aufs Neue den Widerstand organisiert hat gegen den
„Flächenfraß“, gegen den ständigen Ausbau der Flughafen und der Fildermesse,
Projekte, die schon hunderte Hektar wertvollen Ackerbodens geraubt und die
Anwohner um den Schlaf und Lebensqualität gebracht haben.

Ungefähr 15.000 Menschen nahmen am 12.04.2008 an den
Protestmärschen gegen die Pläne für eine zweite Startbahn des Stuttgarter
Flughafens teil. Zur Abschlusskundgebung auf dem durch die Ausbaupläne in
seiner Existenz bedrohten Hagbrunnenhof bei Scharnhausen zogen die Menschen aus
vier Richtungen: Von Filderstadt Bernhausen, von Neuhausen auf den Fildern, von
Stuttgart-Plieningen und von Scharnhausen.

Flughafenchef Fundel und seine Leute wollen die schon
jetzt nur noch schwer erträglichen Flugbewegungen mehr als verdoppeln, zum Nutzen
des kapitalistischen Profitunternehmens „Flughafen Stuttgart“, der Reise- und
Billigtouristik-Unternehmen, der Flugzeugindustrie, der Erdölmultis, der Banken
und der Immobilienspekulation.

Würden diese Pläne verwirklicht, würde die Lebensqualität
von Hunderttausenden noch weiter sinken. Aber deren Interessen scheren Fundel
und seine Unterstützter offensichtlich einen Dreck! Er will weiterhin keinerlei
Rücksicht nehmen auf die Anwohner in den Fildergemeinden und -städte sowie auf
die umgebende Landwirtschaft.

Eine Menschenschlange auf den FildernSo war die Beteiligung breit und lebendig: Ganze Familien,
Vereine, nach den umliegenden Orten und Gemeinden organisierte Menschen,
Bauern, Radler, Alte und sehr viele Junge zogen in ständig anwachsenden,
kilometerlangen Zügen über die Ackerwege der Filderebene rund um den Flughafen,
unablässig von den startenden und landenden Flugzeugen beschallt und
überflogen. Fahnen, ungezählte Transparente und bunte, fantasievolle Schilder
mit Parolen gegen den Ausbau wurden mitgeführt. Bauern hatten mit Protestparolen
verzierte Traktoren und Anhänger an den Demorouten aufgestellt. Am Zielort
umlagerten tausende die den Hof umgebenden Gebäude und Scheunen, im
eigentlichen Innenhof fand die Kundgebung statt, wurde aber mit großen
Lautsprechern nach außen zu denen übertragen, die keinen Platz mehr drinnen
fanden.

Auf dem als Rednertribüne hergerichteten Anhänger drängten
sich Vertreter aus den umliegenden Gemeindparlamenten, darunter Landräte,
Bürgermeister der umliegenden Städte und Landtagsabgeordnete. Selbst die Landtagsfaktionsvorsitzenden
der Grünen, der SPD und der FDP sprachen. Allerdings boykottierten die CDU mit
dem Stuttgarter OB Schuster und seinem ersten Bürgermeister Föll sowie der
gesamten Landtagsfraktion die Veranstaltung, was Buh-Rufe und Hohngelächter bei
den Teilnehmern hervorrief.

In seiner kämpferischen Rede betonte der Vorsitzende der
SGF, Steffen Siegel, dass diese Massenkundgebung der Beginn einer Volksbewegung
sei, die den Verantwortlichen des Flughafens sowie der Fildermesse und der
Landesregierung ein für alle Mal klarmachen müsse, dass die Zeit der Umwelt-
und Klimazerstörenden Investitionen vorbei sein müsse, dass es keine weitere
Zerstörung der Filderlandschaft, keine weitere Förderung der Billigflieger,
keine Subventionen des Flugverkehrs, keine aberwitzigen Geröllaufschüttungen
für die geplante Piste, keine Einschränkung der jetzt schon massiv gestörten
Nachtruhe für die Anwohner geben dürfte. Er machte die ungeheuerlichen
Dimensionen allein der vorbereitenden Maßnahmen des Ausbaus in lebendigen
Ausführungen deutlich: Dass Millionen Kubikmeter Füllmaterial zur Aufschüttung
der zusätzlichen Bahn mit ebenso vielen Lastwagenfuhren über die Filder
herangekarrt werden müssten, dass Schutt, Geröll und was auch immer für
minderwertiges Material meterhoch über die fruchtbaren Böden aufgehäuft werden
müssten und ähnlicher Wahnsinn. Der Hof, auf dem die Kundgebung statt finde,
sei in seiner Existenz akut gefährdet. Und er forderte ungeachtet der sich
anbiedernden Prominenz die Demonstrant/innen auf, weiter zu mobilisieren, den
Druck zu verstärken, weitere Aktion in der Zukunft noch machtvoller zu
gestalten, indem Nachbarn, Verwandte, Kollegen überzeugt und gewonnen werden.

„Wir brauchen keine Startbahn für noch mehr Billigflieger
sondern eine Startbahn für die Jugend in eine lebenswerte Zukunft!“ war eine
der zu hörenden Ausrufe.

SPD und Grüne unterstützten mehr oder weniger deutlich die
Forderung nach dem Ende der Ausbaupläne. Ulrich Noll, Fraktionsvorsitzender der
FDP im Stuttgarter Landtag, sprach sich gegen den Ausbau aus, sprach aber nur
für sich. Immerhin.

Nach einem eindrucksvollen Protesttag zogen Tausende
wieder zurück in ihre Ausgangsorte.

Genossen von Arbeit-Zukunft verbreiteten ein
Solidaritätsflugblatt in großer Auflage sowie die Zeitung, was auf starkes
Interesse stieß. Alles wurde restlos verteilt.

ft

 

Kommentar

 

Es war ein beeindruckender Protest und ein lebendiger
Beweis, dass die Menschen ihre Interessen kämpferisch in die eigenen Hände
nehmen. Kommunal- und Landtagswahlen ziehen 2009 in Baden Württemberg herauf,
und die vom arroganten und offensichtlich abgehobenen Management der beiden
Landesfirmen „Flughafen Stuttgart“ und „Fildermesse“ provokativ ausgeplauderten
Pläne haben erneute Unruhe gestiftet. Das kommt den Chefs der Landesregierung
äußerst ungelegen! Dass aber die CDU die Veranstaltung boykottierte, macht
deutlich, was auf die Menschen zukommt. Will sie sich schon in der Anfangsfase
gegen den Protest stellen, macht sie nur zu deutlich, dass sie bei allem
Lavieren ihrer unter Druck stehenden Landräte und Kommunalpolitiker hinter
diesen Plänen steht, dass sie wie immer für Beton und Profit steht. Auch die
Aussagen der SPD (Fraktionschef Drexler) und der FDP (Fraktionschef Noll) sind
nicht wirklich vertrauenswürdig. Drexler laviert, spielt die Affäre um den
Stuttgarter Flughafen gegen andere, genauso rücksichtslose Flughafenprojekte in
Friedrichshafen oder Söllingen aus. Das ist der Grund, warum die SPD von der
Landesregierung Oettinger ein so genanntes „Flugverkehrskonzept“ fordert. Wie
ernst es Ulrich Noll mit seinem Nein angesichts der Neoliberalen seiner Partei,
der FDP, ist, wird er erst noch beweisen müssen.

Abschlusskundgebung auf dem HagbrunnenhofDie alles beherrschende Frage in den Köpfen der Massen,
die hier protestierten, stets und ständig in den Diskussionen gehört und
geäußert, war die: Bringt dieser Protest etwas, bewirken wir etwas? Die
allgemeine Antwort darauf, dass gar nichts zu tun auch gar nichts bringe,
reicht in der Tat nicht aus. Der Protest kommt an seine Schranke, wenn er sich
auf „Friedlichkeit“ und „Sachlichkeit“ reduzieren lässt. Die Geduld und
Friedfertigkeit der Menschen sind ein hohes Gut, aber alles andere als
friedfertig und geduldig sind die Vertreter des Kapitals: Sie sind es, die
stets und ständig den Unfrieden fortschreiben mit ihrem Handeln zum Nutzen des
Profits. Sie drücken, aggressiv gegen Mensch und Umwelt, ihre Profitpläne und
Gewinnprojekte durch und erfreuen sich bisher stets der Förderung der Politik,
die ihnen alle Gewaltmittel und den Steuersack zur Verfügung stellt.

Wir müssen deshalb, darauf hat Steffen Siegel von der
„Schutzgemeinschaft Filder“ richtig hingewiesen, die Protest noch viel
mächtiger machen. Die Belegschaften der Industriebetriebe, die
Gewerkschafter/innen, die Gewerkschaften – sie müssen mitmachen und helfen. Aber
wie in Rostock-Heiligendamm, wie bei zahllosen Aktionen gegen die
Globalisierung und bei ungezählten selbständigen Streiks in den Betrieben
stellt sich ab einem bestimmten Punkt unausweichlich die Frage nach dem
Übergang zu militanten Formen des Widerstands. Das einzige Kernkraftwerk,
dessen Bau verhindert wurde, hätte auch in Baden Württemberg stehen sollen, in
Wyhl am Kaiserstuhl. Es wurde verhindert, weil das Volk, die Weinbauern, die
Handwerker, die „ganz normalen Bürger des Breisgaus und der Kaiserstuhldörfer“
die Grenze der Legalität überschritten und den Bauplatz besetzten. Wir glauben,
dass wir die „Schutzgemeinschaft Filder“ daran nicht erinnern brauchen. Unsere
Zeitung und ihre Freunde und Unterstützer stehen auch und gerade dann
solidarisch zu diesem Kampf.

ft

 

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Stichwort: Filder (hochdt: Felder)

 

Name der Landschaft unmittelbar im Süden Stuttgarts. Die
Filder sind eine Hochebene, hier liegen etliche Gemeinden des Kreises
Esslingen. Wichtige, aus mehreren ursprünglichen Dörfern zusammengelegte
ländliche Städte sind Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt, Ostfildern,
Neuhausen a.d. Fildern. u. a.. Ursprünglich landwirtschaftlich geprägt auf
teilweise unbestritten hochwertigem Lößboden, der zu den besten Böden
Deutschlands gehört. Berühmt: das „Filderkraut“, eine regionale, durch die
charakteristische spitze Form gekennzeichnete wertvolle Weißkohlart, die den
anspruchsvollen Boden braucht.

Außerdem Getreideanbau und Gemüsekulturen im großen Stil,
auch wieder starke Pferdezucht und -wirtschaft mit zahlreichen Reitställen
(auch Standort der berüchtigten Stuttgarter „Rauhreiter“, einer der letzten
berittenen Polizeieinheiten der Republik, die sich immer wieder durch brutale
Angriffe auf antifaschistische Demonstrationen „auszeichnen“)

Seit Jahrzehnten sind die Fildern auch stark
industrialisiert. Namhafte Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie wie
BOSCH-Elektrowerkzeuge (ca. 1300 Beschäftigte), Fenster- und
Türtechnikhersteller ROTO-Frank-AG (ca. 850), beide in Leinfelden,
THYSSEN-Aufzugbau in Neuhausen a.d. Fildern (ca. 600), mehrere Werke des
amerikanischen Modine-Konzerns, Euchner-Elektronik,
Putzmeister-Spezialfahrzeugbau (Flüssigbeton-Pumpen) in Aich und etliche
andere: Eine traditionelle Hochburg der IG Metall. Die Filderhalle in
Leinfelden-Echterdingen schrieb verschiedentlich Tarifgeschichte, weil hier
oftmals wichtige Tarifabschlüsse des relativ kampfstarken Tarifbezirks
Württemberg ausgehandelt wurden, nicht selten begleitet von lautstarken
Demonstration der umliegenden Metaller/innen.

Die Fildern sind aber auch der Standort des Flughafens
„Stuttgart Echterdingen“, der sich wie ein Krebsgeschwür und gegen den
ständigen Widerstand der Anwohner immer weiter ausdehnt, unterstützt von der CDU/FDP-Landesregierung
(auch Hauptbesitzer!), die notfalls die entsprechenden Enteignungsgesetze durch
den Landtag Baden-Württembergs peitscht. Ursprünglich von den Nazis errichtet,
war er als Regionalflugplatz geplant, was auch noch 1979 Ministerpräsident
Späth bestätigte. Doch dann wurde er Schlag auf Schlag zu einem internationalen
Flughafen mit transatlantischen Direktflügen ausgebaut. Flughafenchef Fundel
treibt diesen Kurs mit Billigfluglinien und Massentourismus in aggressiver,
teils provokativer Form voran. Schon jetzt ist an manchen Tagen der Fluglärm
schwer erträglich!

Verschärft wurde diese Situation durch den Bau der neuen
Stuttgarter Messe, einem kapitalistischen Prestigeprojekt gigantomanischen
Zuschnitts, die in den letzten Jahren direkt neben den Flughafen gesetzt wurde,
ebenfalls gegen den massiven Widerstand der „Filderer“. Sie wurde vor wenigen
Wochen fertig, kostete rund eine Milliarde Euro und beim Bau mindestens drei
Menschenleben, doch schon fordert die Messeleitung weitere Flächen für eine
Erweiterung. Langsam kommt Thomas Münzers altes Wort zu erneuten Ehren: „Die
Herren machen das selbst, dass ihnen der gemeine Mann feind wird“.

Beide Objekte liegen mitten in dem erwähnten
Landwirtschaftsgebiet. Durch die neuen Flughafenerweiterungspläne gehen der
Bevölkerung und der Landwirtschaft nach den immensen Flächenvernichtungen durch
die Startbahnverlängerung 1996 (ca. 200 ha) und die neue Messe 2004 (ca. 120
ha), weitere rund 150 Hektar bester, fruchtbarster Böden und Grünflächen
verloren. Diese Flächen spielen auch für das Kleinklima und die Naherholung
eine wichtige Rolle. Sie würden in großen Teilen sogar mit minderwertigem
Material meterhoch (bei der Nordvariante am ummittelbaren Ortsrand von
Scharnhausen bis zu 10 Meter hoch!!) aufgefüllt. Würde die Nordvariante gebaut,
würde der Hagbrunnenhof, auf dem die Abschlusskundgebung der Demo am 12.4. 2008
mit ca. 15000 Teilnehmern stattfand, unter Schuttmassen verschwinden.

Den Widerstand auf den Fildern koordiniert seit Jahren die
„Schutzgemeinschaft Filder“, die auch das erneute Aufflammen der Volksbewegung
in diesen Wochen organisiert hat. Er findet Widerhall und Unterstützung auch in
zahlreichen kommunalen Gremien!

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