Rückzug der US-Truppen: Der Irak ist weniger „frei“ und instabiler denn je

Die Operation „Freiheit für den Irak“, der 2. Golfkrieg, begann vor fast zehn Jahren, am 19. März 2003, als George Bush die Invasion des Landes vom Zaun bricht, um die vermeintlichen „Massenvernichtungswaffen“ zu zerstören, die das Regime von Saddam Hussein angeblich besaß.
Die von den USA befehligte Koalition umfasste 49 Länder, aber es haben sich vor allem 150 000 US-Soldaten und 40 000 britische Soldaten vor Ort beteiligt.
Auf dem Höhepunkt der Besetzung (Dezember 2007) zählte die amerikanische Armee bis zu        170 000 Personen im Irak. Ihr progressiver Rückzug begann ab 2008. Im Herbst 2010 hatten die USA noch 39 000 Soldaten im Irak. Sie hofften, ein ständiges Kontingent von einigen zehntausend Soldaten behalten zu können, aber mangels der Aufrechterhaltung ihrer strafrechtlichen Immunität haben sie eine Kompanie von Marines von etwa 160 Mann zurückgelassen, die mit dem Schutz der amerikanischen Botschaft in Bagdad (der größten und am besten militärisch gesicherten der Welt) beauftragt sind. Außer diesen Soldaten in Uniform bleiben natürlich Tausende von „Contractors“, Söldnern von privaten militärischen Gesellschaften, die in den Irak Waffen geliefert haben und die weiterhin amerikanische Firmen und die Waffenlieferungen an die irakische Armee bewachen.
Alles in diesem Krieg hat unerhörte Ausmaße angenommen: die Lüge, die ihn rechtfertigte; die von den USA aufgebrachten Summen (die 1 000 Milliarden erreichen, wenn man die Kosten der militärischen Operationen, die Kosten der Besetzung, die der Hilfe für den irakischen Marionettenstaat und die der Versorgung und der Pensionen für die Verwundeten und Veteranen zusammenzählt); die Zahl der Opfer der Besetzung, seit 2003: 20 000 irakische Soldaten und Polizisten, 19 000 Aufständische und mehr als 100 000 Zivilisten sowie 4 487 US-Soldaten und 2 097 Zivilangestellte und im Auftrag der US-Regierung Handelnde. Etwa 32 000 amerikanische Soldaten wurden in den Kämpfen verwundet.
Dieser schmutzige Krieg hat die öffentliche Meinung der USA grundlegend geprägt und zur politischen Isolierung des US-Imperialismus beigetragen. Die Antikriegsbewegung erfuhr eine Wiederbelebung und eine Verbreitung, die an die großen Protestbewegungen gegen den Vietnamkrieg erinnerte. Obama hat von der Zurückweisung dieser Politik reichlich profitiert. Wenn er den Rückzug der US-Truppen mit Vorrang betreibt, dann, um sie nach Afghanistan zu schicken, wo der US-Imperialismus und seine Alliierten eine immer offenkundigere Niederlage erleiden.

Ein Land, das vom Bürgerkrieg zerrissen ist.

Derweil lässt der amerikanische Imperialismus nach seinem militärischen Rückzug ein Chaos zurück. Der Irak ist heute ein völlig zerstörtes und tief gespaltenes Land. Auch wenn das Erdöl wieder in Strömen fließt, lebt ein großer Teil der Bevölkerung in völliger Armut. Der irakische Staat ist eine Fiktion mit korrupten oder nicht existierenden Institutionen. So hat angesichts fehlender Übereinkunft der Fraktionen das Land seit zwei Jahren weder einen Innenminister noch einen Verteidigungsminister. Das Land ist durch den Bürgerkrieg zerrissen. Jeden Tag gibt es mörderische Attentate, welche die Liste der Opfer verlängern. Die Kurdenfrage ist nicht gelöst, weder im Irak noch mit den iranischen und türkischen Nachbarn, die weiterhin Operationen gegen die kurdischen Separatisten auf irakischem Territorium durchführen…
Dieser imperialistische Krieg um die Kontrolle über das Erdöl der Region lässt ein Chaos und eine Instabilität ohnegleichen hinter sich. Er hat alle internen und regionalen  Spannungen eines Landes verschärft, das mit Syrien 600 km und mit dem Iran fast 1 500 km Grenze teilt.
Kurz, dieser Rückzug ist ein erzwungener Rückzug unter dem Zwang der Krise und den Kosten dieses Krieges, der zusammen mit dem Afghanistankrieg geführt wurde und dem Druck einer öffentlichen Meinung, die in ihrer Mehrheit wollte, dass „die Boys nach Hause kommen“.

Der Krieg um die Kontrolle über die Region ist noch nicht beendet.

Man müsste eher von einem „Rückzug – Wiederbesetzung“ der US-Truppen in der Region sprechen. Tatsächlich ist der US-Imperialismus besorgt über den Einfluss des Iran auf die „schiitische“ irakische Regierung von El Maliki, der die zeitlich unbegrenzte Eröffnung einer Militärbasis auf dem Gebiet ablehnt. Saudi-Arabien und die arabischen Regierungen am Golf sind beunruhigt über den amerikanischen Rückzug aus dem Irak, denn sie fürchten, dass der iranische Rivale seinen Einfluss auf die ganze Region ausdehnt.
Verhandlungen über ein neuerliches Engagement der US-Streitkräfte in der Region scheinen zwischen der amerikanischen Regierung und dem Golf-Kooperationsrat (Saudi-Arabien, Kuweit, Vereinigte arabische Emirate, Bahrein, Katar, Oman…) stattzufinden, dessen Truppen anlässlich der Demonstrationen in Bahrein eingeschritten sind, um eine Bewegung zu unterdrücken, die der Sympathie mit dem Iran beschuldigt wird. Zu dieser Zeit haben die westlichen Regierungen  kein Wort  zu diesen Massakern zu sagen gewusst, während sie dazu aufriefen, in Libyen zu intervenieren und Gaddafi zu jagen. Letztendlich ist es der „iranische Feind“, der unter anderem beschuldigt wird, das syrische Regime zu unterstützen, das sich aufrechterhält, indem es seine Politik der barbarischen Unterdrückung jedes Widerstands verfolgt. Endlich gibt es noch die Drohungen der israelischen Militärintervention gegen den Iran….
Anders gesagt, der militärische Rückzug der US-Truppen aus dem Irak bedeutet nicht ihren Rückzug aus der Region. Für das irakische Volk ist der Irak weniger „frei“ denn je. Und für die Völker der Region ist die Situation immer instabiler und explosiver.

Aus „La Forge“, Zeitung der PCOF (Kommunistische Arbeiterpartei Frankreichs), Januar 2012