Tunesien: Eine neue Regierung der Kontinuität

Wir haben den Genossen Adel, Vertreter der PCOT (Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens) in Frankreich, gebeten, uns die Analyse seiner Partei zur aktuellen Lage zu geben.

Die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens vom 23. Oktober letzten Jahres haben zur Bildung einer provisorischen Regierung geführt, die aus drei Parteien, die bei diesen Wahlen die meisten Stimmen bekamen, und aus Verantwortlichen des alten Regimes besteht. Die islamistische Partei „Ennahdha“, welche diese Regierung leitet, hält alle Macht in Händen; die meisten Schlüsselpositionen sind mit Ministern besetzt, die aus ihren Reihen hervorgegangen sind.

Die ersten Erklärungen der Regierungskoalition sind weit davon entfernt, die unteren Bevölkerungsschichten zu beruhigen und kündigen kaum konkrete Maßnahmen an, um auf ihre dringendsten Probleme zu reagieren. Ganz im Gegenteil, sie verlangen mehr Geduld und ein Ende der Streiks und Sit-ins; die Regierung fordert einen sozialen Waffenstillstand. Gleichzeitig setzt sie sich dafür ein, den Geschäftsleuten und den Mächten des Westens (Vereinigte Staaten, EU…)und ihren Hilfskräften in der Region (Katar usw…) zuzusichern, dass ihre Zinsen erhalten, wenn nicht gar erhöht werden.

Auf wirtschaftlicher Ebene wird das neoliberale Modell des alten Regimes durch den Premierminister Nahdhaoui Hamadi Jebali in keiner Weise in Frage gestellt. Letzterer lässt keine Gelegenheit aus (Gipfel von Davos, Treffen mit dem Präsidenten des Europarats…), um sich noch mehr den Forderungen der ausländischen Investoren und Kreditgebern zu fügen. Der Staatshaushalt 2012, vorbereitet von seinem Vorgänger Beji Caid Essebsi, den er vorgestellt hat und der soeben beschlossen wurde, wird die Verschuldung des Landes und seine Abhängigkeit vom Ausland noch verstärken.

Auf politischer Ebene haben sich in den letzten Wochen die Angriffe auf die Freiheitsrechte und gegen die Sit-ins, die Oppositionellen – darunter viele Mitglieder der PCOT – , gegen Journalisten, Hochschullehrer und Intellektuelle vervielfacht. Sie sind häufig das Werk von Pro-Ennahdha-Milizen, die völlig ungestraft agieren. Die neulich stattgefundenen Einschüchterungen der Journalisten durch die Regierung und die Nominierung von Figuren des alten Regimes an die Spitze der öffentlichen Medien zeugen vom Willen der Ennahdha, die Hand auf diesen Sektor zu legen und ihn zu unterjochen. Das Innenministerium bleibt unter der Kontrolle von Verantwortlichen für die Sicherheitskräfte der Ära Ben Ali, was bedeutet, dass die Folterknechte nicht Rechenschaft über ihre Verbrechen ablegen müssen, aber vor allem, dass die Maschinerie der Unterdrückung immer noch existiert. Die Einrichtung einer Justiz des Übergangs und die dringenden Reformen in der Verwaltung lassen auf sich warten.

Kurz nach dem Machtantritt von Ennahdha und angesichts ihrer nicht gehaltenen Versprechen ging der soziale Protest verstärkt los. Die Streiks und Sit-ins nahmen zu und manchmal reichlich gewaltsame Formen an. Sie widerspiegeln, dass die Arbeiter und unteren Volksschichten die Nase voll haben und zeigen, dass sie sich nicht mit einigen politischen Reformen zufrieden geben.

Der revolutionäre Prozess hat bei Weitem noch nicht seine Ressourcen ausgeschöpft.

Neue Erhebungen mit sozialem Charakter können nicht ausgeschlossen werden, was von den revolutionären Kräften verlangt, ihre Tätigkeit im Schoße der Massen zu entwickeln und ihren Organisationsgrad zu erhöhen. Unsere Partei, die PCOT, hat deshalb ein Dringlichkeitsprogramm zur Durchführung der Ziele der Revolution definiert, das aus 11 Punkten besteht.

Aus „La Forge“ Feb. 2012, Zeitung der PCOF (Kommunistische Arbeiterpartei Frankreichs)