„Zug der Erinnerung“ braucht Hilfe

Mit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendjähr’ge Reich. Die Unmenschen regierten, und die Welt sah zu und schwieg. Und wieder hieß es: ’Räder müssen rollen für den Sieg!‘ Und es begann das dunkelste Kapitel der Nation, das dunkelste des Flügelrades: Die Deportation. In Güterwaggons eingeschlossen, eingepfercht wie Vieh, verhungert und verzweifelt, nackt und frierend standen sie, hilflose Frau’n und Männer, Greise und Kinder sogar, auf der bittren Reise, deren Ziel das Todeslager war.“

Mit diesen eindringlichen Worten beschrieb Reinhard Mey in seiner „Eisenbahnballade“ einen besonderen Teil des finstersten und schändlichsten Kapitels imperialistischer Menschenfeindlichkeit, das die deutsche und Weltgeschichte kennt – einen Teil, dessen Aufarbeitung von der Deutschen Bahn, dem Nachfolgeunternehmen der „Reichsbahn“, und ihren Eigentümern, der BRD, dem Nachfolgestaat des „Dritten Reiches“, anscheinend um jeden Preis

sabotiert und verhindert werden soll.

Gegen den Strom zeitgenössischer Nazi-Geschichtsverdrängung stellt sich die Bürgerinitiative Zug der Erinnerung e.V. Sie arbeitet seit Monaten für das Gedenken an die Kinderdeportationen in das Konzentrationslager Sobibór vor 70 Jahren. „Diese ’Reichsbahn-Transporte“, erläuterte Vorstandssprecher Hans-Rüdiger Minow, „kamen aus den besetzten Niederlanden und gingen nach Ostpolen. Die Massentransporte mit tausenden Kindern in hunderten Waggons führten durch Deutschland“.

Welche Folgen eine solche konsequent antifaschistische Aufklärungsarbeit mit sich bringen kann, führte Minow anschließend aus: „Wir müssten das Gedenken absagen, würden wir uns auf öffentliche Förderer verlassen oder auf die Unterstützung privater Unternehmen. Die DB AG zahlt die uns entzogenen Gelder aus ’Trassen-‘ und ’Stationsgebühren‘ nicht zurück. Auf uns kommen neue ’Trassen-‘ und ’Stationsgebühren‘ in fünfstelliger Höhe zu“. Eine Förderung des Sobibór-Gedenkens im Mai und Juni hat die „Bundesstiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ nach Angaben der Website des „Zuges der Erinnerung“ abgelehnt.

Eine neue Dimension der Dreistigkeit der Bahn und des Staates wurde offenbar, als Minow Ende Mai informieren musste, „dass ein Opfer der NS-Deportationen vor dem Landgericht Frankfurt a.M. abgewiesen worden ist.

Der Mann lebt hochbetagt und unter ärmlichen Verhältnissen in der Ukraine. Wegen seiner Verschleppung mit der ’Reichsbahn’ nach Deutschland wollte er von der Deutschen Bahn AG ein Schmerzensgeld erhalten. Zu einer Hauptverhandlung ist es erst gar nicht gekommen. Das Gericht hat dem Überlebenden das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen. Prozesskostenhilfe wird ihm nicht zugestanden“.

Und jüngst, am 4. Juni, sperrte die Polizei jenes Staates, dessen Kanzlerin noch im Januar dieses Jahres erklärte: „Wir stellen uns unserer Geschichte, wir vertuschen nichts, wir verdrängen nichts“, den „Zug der Erinnerung“ auf dem zentralen Berliner Bahnhof Friedrichstraße unter dem fadenscheinigen Vorwand, es bestehe „Terrorgefahr“. „Die Sperrung des zentralen Bahnhofs bringt Tausende weitere Berliner um die Gelegenheit, der Deportierten zu gedenken. Sollte dies die Absicht dieser Provokation sein, dann ist sie gelungen“, kommentierte der Vorstandssprecher des „Zuges der Erinnerung“.

Die Antwort auf derartige Repressalien gegenüber Antifaschisten und Verhöhnungen von Opfern des Faschismus kann nur sein, die Kampagne „Zug der Erinnerung“ weiterzutragen. Um die Ehrung der Sobibór-Opfer finanziell ermöglichen zu können, setzt die private Bürgerinitiative auf die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit und hat eine Spendenkampagne gestartet („1000 x 40 Euro“; Spendenkonto: Kreissparkasse Köln – BLZ 370 502 99 – Konto 0352 550 392 Der Verein ist gemeinnützig. Spenden sind steuerlich absetzbar), um den Betrag, den die DB AG dem „Zug der Erinnerung“ ausdrücklich entziehen wollte, zusammenzutragen.