Lampedusa in Hamburg

Bericht über die Demo am 2.11.2013:

 

Wie 68 !!

Heute war die Großdemo in Hamburg. Mein Freund und ich standen am Rande des Hachmannplatzes und warteten, dass es losging. Als wir uns umschauten, wunderten wir uns, in was für eine Gruppe wir geraten waren: Nur junge Leute um uns herum!

Wir gingen dann an den Anfang des Zuges, um diesen an uns vorbeiziehen zu lassen. Wir freuten uns, mit soo vielen Menschen hatten wir nicht gerechnet!

Wieviel waren es? Vielleicht 8.000? Und wir waren vorhin nicht in eine Jugendgruppe geraten – etwa 90 Prozent der Vorbeiziehenden waren „junge Leute“! Wir schauten uns an und dachten das gleiche: WIE 1968! Wir mussten genau hinschauen, um ab und zu einen Graukopf entdecken!

Wir sahen kaum Partei- oder Organisationsfahnen, stattdessen viele, wohl hunderte selbstgemachte große und kleine Transparente und Plakate:

„In Hamburg sagt man Moin,

Regugees welcome!“

„Bleibt bei uns!

Laßt uns nicht allein mit diesem Senat“

Während sonst bei linken Demos manchmal auch noch SPD- oder Juso-Fahnen getragen wurden, fehlten diese diesmal völlig. Das wäre angesichts der Politik des SPD-Senats dann doch zu unpassend gewesen.

Aber es gab viele rote ver.di-Fahnen. Wir nahmen auch eine. Mein Freund: Dass ich nochmal eine ver.di-Fahne tragen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Aber wir trugen sie für die Hauptamtlichen von ver.di, die sich für die Aufnahme der Lampedusa-Flüchtlinge in ver.di eingesetzt hatten, für Agnes Schreieder, Peter Bremme und Emilija Mitrovic. Der Kollege Bremme hatte dafür sogar eine Ermahnung erhalten. Die Aufnahme der Flüchtlinge in die Gewerkschaft war nicht nur ein symbolischer sondern ein politischer Akt. Er sollte zeigen: Wir haben eine humane und keine bürokratische Haltung gegenüber den Flüchtlingen und wir sind mit der Politik des Senats nicht einverstanden. Damit stehen die Aufrechten aus ver.di ziemlich allein da, außer von der GEW kam aus den anderen Gewerkschaften wie IGM, IG BCE oder IG BAU keine Unterstützung.

Warum waren so viele junge Menschen für die Lampedusa-Flüchtlinge auf die Straße gegangen? Weil sie noch Empathie haben für Menschen in Not, weil sie sehen, dass es ein Leichtes wäre für Olaf Scholz und den SPD-Senat, nach § 23 des Aufenthaltsrechts eine Genehmigung zu erteilen und sie die von Senator Neumann durchgeführte Jagd auf die Flüchtlinge zur Feststellung der Personalien empört.

Während hinter uns ohrenbetäubend getrommelt wurde und skandiert:

„No border, no nation – stop deportation“

hofften wir: Wenn diese 8.000 Menschen (oder noch mehr?) sich für ihre ausländischen Mitmenschen in Not einsetzen, dann ist das vielleicht ein „Potential“ das auch bei anderem Wahnsinn und Unrecht in dieser Gesellschaft auf die Straße geht?!

Auf jeden Fall war diese zweite Großdemo innerhalb weniger Tage ein Signal an die Scholz-Regierung: Wir sind da, wir passen auf, wir stehen auf der Seite der Lampedusa Flüchtlinge. Sie war ein Solidaritäts-Signal an die Flüchtlinge selbst, das vielleicht ihren Mut und ihre Durchhaltekraft bestärkt. Und es war ein Danke-Signal an die Gewerkschafts-Hauptamtlichen von ver.di und GEW, das ihnen den Rücken stärken sollte gegen senatshörige Bürokraten in den Apparaten.

Ein kleiner Wermutstropfen fiel in den erfreulichen Nachmittag: Viele der Demonstranten fragten sich: Warum mussten wir über eine Stunde warten, ehe der Demo-Zug begann? (DW)

Bericht von: http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusahh_wegner.pdf

 

Empathie und Nachdenken statt Polizeigewalt und Abschiebung

Eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Internationaler Jugendverbände (AGIJ) zu den Libyschen Flüchtlingen in Hamburg

Die Lampedusa-Gruppe hat sich entschieden, ihre Daten vorerst nicht preiszugeben – aus Angst, bald aus Deutschland abgeschoben zu werden. Die AGIJ fordert den Senat auf, nicht wieder in das Handlungsmuster der vergangenen Wochen zurückzufallen. Wir sprechen uns für ein Bleiberecht der Flüchtlinge sowie ein Überdenken und Ändern der Politik aus, d.h. eine Lösung, die den offiziellen Werten dieser Gesellschaft entspricht.

Nahezu parallel zu den Unglücken vor Lampedusa Anfang Oktober, bei denen eine Vielzahl von Personen ums Leben kam, führte der SPD-Senat Polizeikontrollen, Razzien und Gewahrsamnahmen gegenüber jenen Menschen durch, die es vor einigen Monaten lebendig vom afrikanischen Kontinent nach Hamburg schafften. Doch nicht nur die Flüchtlinge selbst waren und sind betroffen, da der Senat in einigen Hamburger Gebieten tendenziell alle Personen „schwarzer“ Hautfarbe den Überprüfungen unterwarf. Zudem erfolgte eine Drohung an diejenigen, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden waren und sind: Innensenator Neumann sprach von „Beihilfe zu Straftaten“ gegenüber denjenigen Personen, die aus humanitären Gründen den Flüchtlingen eine Unterkunft gewähren.

Der Senat pocht in der offiziellen Version auf Recht und Ordnung und spricht von „fairen Einzelfallprüfungen“. Im Rahmen von Dublin II und der Erfahrungen aus der Vergangenheit kann sich jedoch jeder ein Bild machen, wie jenes tausendfach erprobte Verfahren aussieht, das SPD-Sprecher Arno Münster in einer Pressemitteilung erwähnte: Für viele bedeutet es früher oder später die Abschiebung.

Sicherlich kann der Senat nicht die Dublin-Verordnung kippen, er kann auch nicht einfach die Gesetze ändern. Wir fordern jedoch von ihm, sich nicht mehr dahinter zu verstecken und alle erdenklichen Spielräume für einen Verbleib der Flüchtlinge in Deutschland auszunutzen. Bis Ende August befanden sich allein 716.000 syrische Flüchtlinge im Libanon, 515.000 Flüchtlinge in Jordanien, 460.000 in der Türkei, im Irak 168.000 und in Ägypten 110.000. Es wäre wahrlich keine Überforderung, wenn Hamburg als eine der reichsten Metropolregionen Europas in einer Zeit unvorstellbarer Flüchtlingswellen wenigstens vorübergehend 300 notleidende Menschen aufnehmen würde.

Diese Maßnahmen sollen sich aber nicht nur auf die Menschen aus Libyen beziehen. Wir wollen, dass Hamburg für alle, unabhängig von Herkunftsland und Hautfarbe, ein möglicher Zufluchts- und Wohnort sein kann.

Gerade in Zeiten, wo die geltenden Gesetze in ihrer strikten Auslegung die humanistischen ideellen Fundamente pervertieren, sollten zudem Personen und Gruppen, die sich dieser menschenverachtenden Praxis entgegenstellen, in Ruhe gelassen und nicht kriminalisiert werden.

Des Weiteren verlangen wir vom Senat sowie allen politischen Repräsentanten in Hamburg und bundesweit, die Meinung eines großen Teils der Gesellschaft zu respektieren und die Debatte über die deutsche sowie europäische Migrationspolitik intensiv in den legislativen und exekutiven Institutionen zu führen. Sie sollen sich dafür einsetzen, dass das scheinheilige Bedauern aufhört und die gängige inhumane Praxis gestoppt wird.

Wir akzeptieren zudem nicht Vorschläge, die die EU-Grenzkontrollen noch stärker ausweiten wollen. Denn es handelt sich um jene Grenzkontrollen, die schon heute für die vielen Unglücke mitverantwortlich sind, indem sie die Routen nach Europa immer gefährlicher machen. Das Problem ist nicht an der EU-Grenze zu lösen!

Vielmehr sollte daran gedacht werde, dass es auch europäische Waffen sind (7 der 12 weltgrößten Waffenexporteure sind EU-Staaten), die in zahlreichen Kriegen, Konflikten und dem Niederschlagen der protestierenden Bevölkerungen eingesetzt werden. Es sollte daran erinnert werden, dass es die wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Kalküle von zahlreichen Akteuren aus Europa sind, die zu den Hungersnöten auf dem afrikanischen Kontinent beitragen. Und zugleich sollte nicht vergessen werden, dass vor allem die Politiker aus Deutschland die derzeitigen Regelungen der europäischen Asylpolitik befördert haben und am stärksten an ihnen festhalten.

Um es noch einmal zu wiederholen: der Senat kann nicht die Ursachen des Problems beseitigen. Er kann jedoch hier in Hamburg die Grenzen des Status Quo auf humanistische Weise ausloten und ein Zeichen dafür setzen, dass dieser Zustand schnellstens zu ändern ist.

 

Die AGIJ

Hamburg, 01. November 2013