Russland – antiimperialistische Friedensmacht oder kapitalistisch-imperialistische Großmacht?

Seit Beginn der Konflikte in der Ukraine bis zu den aktuellen bewaffneten Kämpfen haben sich unter den fortschrittlichen, revolutionären und kommunistischen Kräften in Deutschland völlig unterschiedliche Bewertungen der Politik Russlands, des Charakters des heutigen Russlands ergeben.

Keinen großen Unterschiede gibt es in der Bewertung der Aggression Deutschlands, der EU, der NATO und der USA in der Ukraine. Alle sind sich einig, dass die gegenwärtige ukrainische Regierung gewaltsam zur Macht kam, dass sie von Faschisten durchsetzt ist, dass sie die Interessen der westlichen Großmächte vertritt. Alle sind sich einig, dass Deutschland, EU, NATO und die USA auf Expansionskurs sind – und zwar zu Lasten Russlands.

Man könnte also gemeinsam gegen diese Politik auftreten, wie es auch eine ganze Reihe revolutionärer, kommunistischer Organisationen machen. Es gibt aber Stimmen, die die unterschiedliche Beurteilung Russlands zum Anlass nehmen, sich zu trennen und gegeneinander zu kämpfen.

Russland Friedensmacht?

Beispielsweise hat der Deutsche Freidenker-Verband bereits im Mai 2014 eine Erklärung veröffentlicht, in der es u.a. heißt: „Die einzige Chance zur Verteidigung des Friedens besteht in der Annäherung an Russland. Die Russische Föderation ist die Schutzmacht des Friedens in Europa… Nur an der Seite Russlands kann ein 3. Weltkrieg verhindert werden. Nur in Solidarität mit Russland kann die Friedensbewegung, gerade in Deutschland, wieder zu einem ernstzunehmenden Faktor werden.“ (S.6, PDF-Datei, http://www.freidenker.org/cms/dfv/index.php?option=com_content&view=article&id=437)

Im „Rotfuchs“, Juli 2014, schreibt auf S.7 Hermann Jacobs unter der Überschrift „Warum Russlands oligarchischer Kapitalismus nicht imperialistisch ist. Keine Restauration klassischer Art“, dass Russland „derzeit eine antifaschistische Schlacht für den Frieden schlägt…“

Auch Hans Günter Szalkiewicz, DKP, beklagt in der Zeitschrift „Theorie und Praxis“, Juni 2014, S.3: „In einem gemeinsamen Flugblatt der Kommunistischen Initiative Gera 2010, der Organisation für den Aufbau einer Kommunistischen Arbeiterpartei, der Kommunistischen Partei Deutschlands und des Revolutionären Freundschaftsbundes mit dem Titel: Willst Du den Kampf um die Ukraine bezahlen? sind die Sätze enthalten: Denn wenn die neue Großmacht Deutschland, die EU und die USA die Ukraine kontrollieren, dann stehen sie direkt vor der Grenze ihres Konkurrenten, der Großmacht Russland. Und: Der Kampf der Großmächte ist brandgefährlich. (…) Wir stehen nicht auf der Seite von Putin und Janukowitsch.
Im Aufruf zum Ostermarsch von Arbeit und Zukunft, der mit Frieden überschrieben ist, wird dieselbe Aussage in etwas abgewandelter Art verwendet: Vor unseren Augen findet ein Machtkampf statt. (…) Man ist offen gegen die Großmacht Russland vorgegangen, der unsere Sympathien ebenfalls nicht gehören.
Er behauptet, dass man Russland nicht als kapitalistisch oder imperialistisch bezeichnen könne und beruft sich unter anderem auf die Erklärung der Freidenker, dass Russland eine Friedensmacht sei.

Auf der anderen Seite verbreitet zum Beispiel die MLPD im Aufruf der ICOR zum Antikriegstag: „Russland verfolgt seinerseits eine expansionistische, militärisch-politische Taktik auf der Krim und in der Ostukraine und probt mit Geheimmanövern wie Wostok 2014 mit Truppenverlegung über weite Strecken die Invasion in der Ukraine.“ (http://www.mlpd.de/2014/kw33/Aufruf_ICOR_Antikriegstag_2014_RZ.pdf)

Zu dem Artikel von Jacobs im „Rotfuchs“ hat die Kommunistische Initiative (nicht zu verwechseln mit der Kommunistischen Initiative Gera 2010) eine heftige Stellungnahme veröffentlicht, in der erklärt wird: „Russland ist ein imperialistisches Land mit vollständig ausgereiftem, aggressivem und ausbeuterischen, ganz gewöhnlichem Kapitalismus.“ (http://kommunistische-initiative.de/index.php/dokumente-der-ki/doukumente/1791-erwiderung-auf-h-jacobs-keine-restauration-klassischer-art-warum-russlands-oligarchischer-kapitalismus-nicht-imperialistisch-ist)

Wie sieht die Realität aus?

Aus unserer Sicht ist völlig klar, dass das heutige Russland kapitalistisch ist. Der reichste Mann Russlands, Alischer Usmanow, hat ein Vermögen von 17,6 Milliarden US-Dollar und liegt damit auf Platz 34 der Forbes-Liste der reichsten Personen. Ihm folgt Michail Fridman mit 15,4 Mrd. US-Dollar, Leonid Michelson mit 15,4 Mrd. US-Dollar, Viktor Wechselberg mit 15,1 Mrd. US-Dollar usw. usf. Solche Reichtümer, das wissen wir als Kommunisten und das wissen auch die Arbeiter, Angestellten, das ganze Volk, stammen nicht aus ehrlicher Arbeit, sondern aus Ausbeutung und kriminellen Machenschaften. Im Falle Russlands stammen diese Vermögen vor allem aus dem privatisierten Volkseigentum. Und um es deutlich zu sagen, es handelt sich hier um Finanzkapital – ein wesentliches Kennzeichen eines imperialistischen Staates!

Genosse Hans Günter Szalkiewicz beklagt in Theorie und Praxis (S.3): „Dieser Satz vom kapitalistischen Staat wird in der DKP von oben bis unten wiederholt.“

Er sollte sagen, was Russland ist.

Er wehrt sich weiter dagegen Russland als Großmacht zu bezeichnen, die für ihre Interessen kämpft.

„Daß Russland nicht einmal auf den internationalen Kapitalsmärkten seine Interessen wahren konnte, war sehr deutlich bei der Zerschlagung des Bankensystems Zyperns erkennbar geworden, bei der erstmalig in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte die Bankeinlagen der Kunden (darunter der russischen) für die Konsolidierung requiriert worden sind.“

Schon in seiner eigenen Stellungnahme sagt er, dass Russland gekämpft habe, um „seine“ Interessen zu wahren. Wir sagen allerdings, es hat gekämpft, um die Interessen seines Finanzkapitals zu wahren. Dabei war es die unterlegene Macht, wie er beklagt. Sollen wir uns als Marxisten-Leninisten für die schwächere, unterlegene kapitalistische Großmacht einsetzen? Sollen wir weinen, wenn das russische Finanzkapital im internationalen Poker um Extraprofite durch Spekulation Verluste erleidet?

Gerade mit seinem Beispiel bestätigt er, dass es sich hier um Finanzkapital handelt, dass aktiv an der internationalen Spekulation teilnimmt.

Und Russland nicht als Großmacht anzusehen, halten wir für grotesk. Russland kann doch nicht als Klein- oder Mittelmacht unter den kapitalistischen Staaten angesehen werden. Angesichts seiner ökonomischen, politischen und militärischen Mittel ist es eine Großmacht, was ja zunächst einmal nichts über den politischen Charakter aussagt. Denn auch die sozialistische Sowjetunion war eine Großmacht. Zum Glück! Denn nur mit ihrer Stärke konnte sie den Hitlerfaschismus besiegen.

In der Stellungnahme der Kommunistischen Initiative wird mit konkreten Fakten dargelegt, dass das heutige Russland kapitalistisch und imperialistisch ist. Wir zitieren diese Ausführungen deshalb weitgehend:

„Um zu beantworten, ob Russland imperialistisch ist oder wie H. Jacobs meint es einen noch nicht ausgereiften Kapitalismus hat, sollen wir jetzt überprüfen, ob die russische Ökonomie in der Weltwirtschaft als imperialistischer Konkurrent eintritt.
1. Ohne Zweifel existieren die russischen Monopole. Die Konzentration der Produktion war in der Sowjetunion sehr weit entwickelt und wurde natürlich übernommen. Das heutige Russland hat nicht hunderte Jahre gebraucht, um Monopole entstehen zu lassen – sie hat die bereits stark konzentrierte sozialistische Wirtschaft geerbt und ihr wieder Privateigentum an Produktionsmitteln übergestülpt.
In der Forbes-Liste der größten Monopole der Welt stehen 28 russische Monopole, darunter auf Platz 4: Gasprom, Platz 69: Lukoil, Platz 72: Rosneft, Platz 91: Sberbank.
Der russische Staat hat großen Anteil an diesen Monopolen, an Gaspromaktien hält er eine Majorität von 50% + 1. Der Rest gehört jedoch privaten Personen und ausländischen Investoren.
Nach ökonomischen Studien ist die russische Wirtschaft hochkonzentriert, in vielen Branchen höher als in den USA und der BRD. So beträgt z.B. der Anteil der 10. größten Monopole am BIP (Bruttoinlandsprodukt) für Russland 2006 28,9%, in den USA nur 14,1%.
Stark monopolisiert sind die meisten Branchen der Wirtschaft, vor allem die Energieversorgung, der Maschinenbau, Transport, aber auch die Lebensmittelproduktion.
In Russland haben wir es also mit monopolistischem, stark konzentriertem Kapital zu tun, klassische Anzeichen des staatsmonopolistischen Kapitalismus.
2. Die Sberbank steht in der Forbes-Liste auf Platz 91 als eine der größten Banken der Welt. Entscheidende Rollen spielen aber auch die WTB-Bank, die Alfa-Bank, sowie die Töchter-Banken der westlichen Länder, wie z.B. der Raffeisenbank.
Es existieren große Banken, die praktisch mit einem Monopol in enger Verbindung stehen bzw. dem Monopol selbst angehören. Dies wären die Gasprom-Bank, Promsvjas-Bank, Uralsib.
Die Verschmelzung des Banken- und Industriekapitals zum Finanzkapital ist also längst vollzogen. Die Finanziers in Russland stehen nicht, wie es in früheren Stadien des Kapitalismus der Fall war, abgesondert da und vergeben Kredite an die Industrie-Magnate. Nein, diese Teilung existiert schon lange nicht mehr, die Magnaten verfügen selbst über Banken. Nicht umsonst werden sie als Oligarchen bezeichnet.
So z. B. der Finanzoligarch Michail Prochorov. Er war von 1993-1998 Vorsitzender der Aufsicht der ONEKSIM-Bank, 2000-2001 Vorsitzender der ROSBank, gleichzeitig 2001-2008 war er Hauptaktionär und Generaldirektor von Norilski Nickel, ergreift also Profit aus der Gewinnung des Nickels. Fast alle russischen Oligarchen weisen eine ähnliche Biografie auf, die Verschmelzung des Industrie- und Bankkapitals ist vollendet, die Finanzoligarchie ist als 2. Kennzeichen des Imperialismus entstanden.
3. Kapitalexport. Exportiert Russland Kapital? Gewiss tut es das. In den 90er Jahren fand zunächst eine unkontrollierte Flucht des an sich gerissenen Kapitals gen Westen statt. Die neu entstandenen Kapitalisten strebten danach, ihre geraubten Schätze in westlichen Banken zu sichern.
Aber heute, schon seit den 2000er Jahren ist dieser Kapitalfluss nach Westen relativ klein geworden (ca. 5 – 8% des Auslandsumsatzes pro Jahr). Das Volumen der direkten Investitionen der russischen Monopole im Ausland ist enorm gewachsen und betrug 2011 362,1 Mrd. Dollar, das sind 30% des BIP des Landes und 18-Mal mehr als im Jahr 2000. Es geht um neue Industrie-Ressourcen, in die russische Kapitalisten im Ausland investieren, das heißt benutzen, um Riesenprofite in Ländern mit billigeren Arbeitskräften und Ressourcen als in Russland selbst zu erzielen.“

Die Fakten sind erdrückend und klar. Und Kapital muss sich vermehren – durch Ausbeutung der lebendigen Arbeitskraft. Wollen wir russischen Arbeiter/innen und Gewerkschafter/innen die Solidarität verweigern, weil sie angeblich die „Friedensmacht Russland“ schwächen würden, wenn sie streiken, um Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und um Gewerkschaftsrechte zu kämpfen beginnen und es dabei mit Putins Knüppelgarden oder Schlimmerem zu tun bekommen?

Im Stadium des Imperialismus, der Monopole kommt hinzu der Kapitalexport und die Ausplünderung anderer Länder. Nirgendwo anders als in den ehemals sozialistischen Staaten ist so deutlich geworden, dass Kapital nicht durch ehrliche Arbeit, Sparsamkeit und Fleiß entsteht, sondern durch Raub und Ausplünderung. Beim Übergang zum offenen, ungeschminkten Kapitalismus haben die verschiedenen Oligarchengruppen, die alle dem revisionistischen Herrschaftskreis entsprangen, gierig das privatisierte Staatseigentum an sich gerissen.

Man fragt sich, woher die Verwirrung vieler Linker kommt, die nun auf einmal das kapitalistisch-imperialistische Russland als „Friedensmacht“ sehen?

In der Defensive

Es ist offensichtlich, dass sich Russland mit der Einführung des offenen Kapitalismus in der Defensive befand. Stück um Stück entrissen die kapitalistischen Konkurrenten ihm seine Einflussgebiete und machen das weiter so. Die gesamten osteuropäischen Staaten fielen praktisch auf einen Schlag der EU und der NATO zu. Deutschland erlebte einen rasanten Zuwachs an Macht. Dort, wo die Einverleibung nicht freiwillig klappte, halfen die USA, EU, NATO und Deutschland mit allen Mitteln, wirtschaftlich, politisch und wenn nötig militärisch nach. Kriege wie in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak und aktuell in Libyen, Syrien und der Ukraine sind Teil dieser Neuaufteilung der Einflusszonen. Russland als Großmacht wurde in diesem Prozess dramatisch geschwächt.

Tatsächlich war die herrschende Klasse in Russland zunächst einmal damit beschäftigt, sich möglichst viel Reichtum und Macht zu sichern. Jeder kämpfte gegen jeden. Die Neureichen waren bereit, alles zu kaufen und zu verkaufen. Korruption, Bestechung, Prostitution, Drogen – alles erblühte. Das Land steckte für eine längere Periode im Chaos des Raubens und des Verteilens der Beute. Das führte dazu, dass der Staat verfiel und das Militär erheblich geschwächt wurde. Korrupte Militärangehörige, die an dem allgemeinen Beutemachen teilhaben wollten, verkauften Waffen und Ausrüstung. In dieser Ära der Aufteilung der Beute war die herrschende Klasse so sehr mit sich beschäftigt, dass sie nach außen nur defensiv agieren konnte und zusehen musste, wie die USA, NATO, EU und Deutschland aggressiv expandierten.

Niemand will behaupten, dass mit dem Wechsel von Jelzin zu Putin nichts Wesentliches geschehen sei. Mit der Ablösung Jelzins durch Putin endete vielmehr diese erste Phase. Das russische Kapital wollte nun den Raub konsolidieren und weitere Rückschritte an Einfluss und Macht verhindern.

Friedrich Engels sagte: „Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.“ (Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. MEW 19, S.222, 1880)

Der Staat hat daher die Aufgabe, die Gesamtinteressen des Kapitals auch gegen einzelne Kapitalisten durchzusetzen. Das hat Putin getan. Er hat Oligarchen, die das Land völlig ausverkaufen wollten, entmachtet. Er hat den Staat gestärkt und wieder zu einer funktionierenden Maschine aufgebaut und vor allem das Militär wieder gestärkt und einsatzfähig gemacht. Das ist im Interesse des gesamten russischen Kapitals, das nicht ewig weiter auf der Verliererstraße bleiben wollte.

So gestärkt greift die Großmacht Russland wieder zunehmend in den Kampf um die Neuaufteilung der Welt ein. Dabei ist sie vorerst noch defensiv, weil sie in den Jahren zuvor viel Einfluss verloren hat. Doch dass Russland wieder stärker geworden ist, kann man recht eindrucksvoll in Syrien sehen, wo es zwar defensiv, aber entschieden die Pläne des US-Imperialismus zerschlagen hat. Auch bei der Krim hat Russland deutlich gemacht, dass mit ihm auch militärisch wieder zu rechnen ist. USA, NATO, EU und Deutschland klagten und jammerten zwar, wagten aber nicht, direkt gegen den Anschluss der Krim an Russland vorzugehen.

Viele Menschen, die eine Wut über die Kriege des US-Imperialismus oder die neuen militärischen Abenteuer der Bundeswehr haben, freuten sich, dass hier endlich einmal jemand deren Vormarsch stoppte.

Hinzu kommt, dass Russland, aus der Defensive agierend, alte Verbindungen zu Staaten wie Kuba, Venezuela, Iran, Korea nutzt. Zum einen hat es hier zumeist offene Absatzmärkte und kann ohne Schikanen und Sanktionen Handel treiben, also den Profit der herrschenden Klasse mehren. Zum anderen unterstützt Russland diese gezwungenermaßen in ihrem Widerstand gegen den US-Imperialismus. In seiner noch vorhandenen Schwäche braucht es diese Staaten als Partner gegen den Konkurrenten USA.

Für viele erscheint das, was normale imperialistische Taktik ist, als ein Zeichen von Fortschritt. Dass es darum nicht geht, zeigt ein Zitat von Putin, das in dem Beitrag der Kommunistischen Initiative enthalten ist: „Präsident Putin bezeichnete die Oktoberrevolution als einen Verrat an den nationalen Interessen. Er behauptet zudem das damalige Russland habe alles getan, um Europa dazu zu bringen, den Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn friedlich und blutlos zu regeln. Russland wurde jedoch nicht gehört. Es musste die Herausforderung annehmen und das slawische Brudervolk in Schutz nehmen.

Es geht also offen um die nationalen Interessen eines bürgerlich-kapitalistischen Staates – nicht um Fortschritt.

Objektiv nutzen diese Widersprüche unter den um Einflusszonen konkurrierenden Mächten an verschiedenen Stellen Ländern in ihrem Kampf gegen den US-Imperialismus, wenn sie sich mit Russland verbünden. Objektiv nutzen diese Widersprüche auch den in der Ukraine brutal verfolgten fortschrittlichen, revolutionären und kommunistischen Kräften, die so wenigstens eine sichere Zuflucht finden. Objektiv nutzen diese Widersprüche einem Demokraten und Antiimperialisten wie Edgar Snowden, der derzeit in Russland Zuflucht gefunden hat. Auch Lenin nutzte diese imperialistischen Widersprüche, als er in der Schweiz im Exil lebte oder durch das Deutsche Reich und über Finnland nach Russland fuhr, um die Führung der Partei und der Revolution zu übernehmen.

Doch das führte nicht dazu, dass Lenin die Schweiz oder Deutschland als Friedensmächte ansah. Er wusste genau, dass diese zeitweiligen „Verbündeten“ morgen bereits Gegner sein konnten. So geschah es ja auch, als das Deutsche Reich die Schwäche des revolutionären Russlands ausnutzte, um große Gebiete an sich zu reißen. Lenin sah diese Dinge nüchtern, als Materialist, aufgrund der Analyse des Imperialismus.

Auch wir müssen die Widersprüche und die Entwicklung des Imperialismus, auch des russischen, nüchtern analysieren. Und Revolutionäre müssen diese Widersprüche, wo es möglich ist, ausnutzen. Das geschieht aber nicht durch Illusionen in den friedlichen Charakter Russlands oder gar Vorstellungen von einem nicht völlig kapitalistischen oder imperialistischen Russland.

Wir halten das Finanzkapital nicht für „friedensfähig“ – auch das russische nicht. Es ist gezwungen nach Höchstprofit zu streben und zwar nicht einfach aus Gier, sondern aus den Zwängen der Kapitalverwertung heraus. Daher können wir Russland nicht als „Friedensmacht“ betrachten. Allerdings werden wir derzeit – außer einer Distanzierung – nicht gegen Russland agitieren. Der Grund dafür ist für uns von prinzipieller Bedeutung: Unser Angriff richtet sich gegen die eigene herrschende Klasse. Unsere Solidarität gehört allen Menschen, die von den imperialistischen Kriegen um die Neuaufteilung der Welt bedroht werden. Unser Kampf gilt unserer Regierung und deren imperialistischen Bündnissen, der EU und der NATO, die diese Kriege führen.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Egal wie wir zu Russland stehen: Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Über die Entwicklung Russlands wird die russische Arbeiterklasse und das Volk letztendlich entscheiden. Unsere Politik findet hier in unserem Land statt. Wenn wir etwas gegen den Krieg unternehmen wollen, dann müssen wir in unserem Land gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr, gegen die deutschen Waffenexporte mobilisieren. Wir müssen die maßgeblich von Berlin vorangetriebene Politik des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen entlarven und zurückweisen, die eben genau der Weg ist, dieses Land fest an den „westlichen Imperialismus“, an die USA, speziell an die Nato, die EU und an den deutschen Imperialismus zu binden.

Dazu ist eine breite Front nötig, in der alle einen Platz haben müssen, die gegen Krieg kämpfen – egal ob als Pazifisten, Idealisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kommunisten. Die Frage, wie man zu Russland steht, ist dabei zweitrangig und untergeordnet. Sie ist allein eine Frage der Analyse, vor allem für die Kommunisten, damit diese ohne Illusionen ihre Politik bestimmen können. Wir sind bereit, diese Diskussion sachlich unter Genossen weiter zu führen. Wer die Frage Russlands jetzt zu einer Grundfrage der Einheit macht, der verhindert eine Einheit. Wer jetzt meint, man müsse jeden vor die Alternative stellen, ob er für oder gegen Russland sei, der muss sich bewusst sein, dass er damit eine ausgesprochen kleine Antikriegsbewegung anstrebt.

Wir brauchen das Gegenteil! Wir brauchen eine größtmögliche Antikriegsfront. Das ist die Aufgabe aller fortschrittlichen, revolutionären und kommunistischen Kräfte in unserem Land. Hier kann jeder zeigen, was er kann und zum Erfolg beitragen. Sektiererische Diskussionen schaden!

In diesem Sinn haben wir auch den Beitrag der Kommunistischen Initiative, der viele sachliche Aspekte korrekt darlegt, bedauert. Ihr Ton macht deutlich: Mit einem, der in der Russlandfrage anders denkt, meint sie nicht an einem Tisch sitzen oder gar etwas gemeinsam machen zu können. Wir sehen das anders. Alle die gegen Krieg, Auslandseinsätze, Waffenexporte sind, müssen an einem Tisch sitzen – egal ob sie für oder gegen Russland sind – und gemeinsam in den vielfältigsten Aktionen die Menschen in diesem Land aufrütteln, mobilisieren und Proteste auf breitester Grundlage organisieren.