Stuttgart, 22.2.19: Fridays for future-Demonstration


Schon seit Wochen gibt es auch in Stuttgart Fridays for future-Demonstrationen mit teilweise bis zu eintausend Teilnehmer/innen. Am 22. Februar 2019 war es wieder so weit.

Ab 11 Uhr sammelten sich vor dem Stuttgarter Rathaus langsam mehrere hundert Schüler/innen, viele mit selbst gemalten Pappschildern. Die Stimmung war ernst und fröhlich zugleich, eine widersprüchliche Mischung, aber passend zum Thema und zum Engagement. Denn einerseits ist es ernst, es geht um den Erhalt einer lebenswerten Zukunft. Andererseits bringen diese Aktionen Schwung und frischen Wind. Die Jugendlichen mischen richtig etwas in unserem Land auf und bringen die herrschende Klasse mächtig unter Druck. Sie können also zurecht fröhlich sein und ihre ersten Erfolge genießen. Wir verteilten ein kleines Flugblatt umwelt-a5-druck2, in dem das Profitsystem angeprangert wurde, das von fast allen Jugendlichen genommen und gelesen wurde. Über 200 Flugis gingen weg.

Doch rasch zeigte sich, dass es auch heftige Widersprüche unter den Teilnehmenden gibt. So versuchten die Organisatoren das Verteilen von Flugblättern zu verbieten. Uns wurde erklärt, politische Parteien dürften nicht ihren selbst organisierten Protest für ihre Zwecke ausnutzen. Als wir sagten, die Schüler/innen, die so bewusst protestieren, könnten auch selbst bewusst entscheiden, ob sie ein Flugblatt lesen wollten, wurde einfach weggewischt. Einer der Organisatoren verstieg sich so weit, das Verteilverbot als „demokratisch“ hinzustellen. Wir verteilten einfach weiter und die Antwort der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen war eindeutig: Sie griffen interessiert zu. Ja, und fünf Minuten nach diesem Versuch uns das Verteilen zu verbieten, weil keine politischen Organisationen das ausnutzen sollten, sprach am Mikrophon ein Vertreter der Linkspartei, Tom Adler, für die Ratshausfraktionsgemeinschaft der Linken/SÖS-plus. Für uns war das OK. Denn er hat konkret über Stuttgarter Probleme beim Umweltschutz und die Blockadehaltung der Ratsmehrheit gesprochen, die durch den Schülerprotest etwas ins Wanken geraten ist. Aber damit wurde zugleich eindeutig, dass man sehr wohl „politische Organisationen“ zulässt, aber eben nur die, die einem in den Kram passen. Es ging hier also nicht um „Demokratie“, sondern um eine „gelenkte Demokratie“, bei der man den Protest der Schüler/innen gern auf das Akzeptable beschränken will. Sie sollen sich um die kleinen Alltagsfragen kümmern, aber nicht die herrschende Gesellschaftsordnung in Frage stellen. Schüler/innen einer anthroposophischen Schule forderten in ihrem Beitrag, alle sollten Vegetarier werden und weniger Schuhe und Kleidung kaufen. So könne man wirksam das Klima retten.


Das entsprach aber durchaus nicht der Stimmung bei der Mehrheit. Denn kurz darauf erklärte ein Schüler, dass es natürlich richtig sei, dass jeder etwas persönlich tun könne und solle, aber das sei nicht alles. Er griff das herrschende kapitalistische Profitsystem offen und heftig an und erhielt dafür massiven Beifall. Am Ende skandierte er „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ und die übergroße Mehrheit riefen die Parole mit. Allerdings sah man auch einzelne, die das nicht wollten. Im Hintergrund schienen ein paar „Großeltern for future“ zu wirken. Als ein kämpferischer Kollege am Mikrophon über die Notwendigkeit des Zusammenschlusses mit streikenden und kämpfenden Arbeiter/innen sprach und am Ende unter viel Beifall ebenfalls „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ rief, hörte man diese empört ausrufen: „So einen Dogmatiker darf man doch nicht reden lassen“. Sie eilten dann zu den Schüler/innen, die offiziell die Leitung inne hatten, um diese entsprechend zu beeinflussen.

Es wundert uns nicht, dass ausgerechnet die, die die laut tönen, man solle die Aktionen der Schüler/innen nicht ausnutzen, diese ausnutzen, um sie in eine bestimmte politische Richtung zu lenken – hin zu Reformismus und Klein-klein. Es wundert uns auch nicht, dass es in einer solchen Bewegung zu solchen Widersprüchen kommt. Das entspricht den gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Position unerschrocken zu vertreten und sich der Diskussion mit den Jugendlichen zu stellen. Sie wollen aktiv voran. Sie suchen einen Weg, eine lebenswerte Welt für Mensch und Natur zu erhalten. Das ist gut. Und sie werden dabei auch selbst erleben, wie dieses System im Interesse des Profits wirksame Maßnahmen sabotiert und mit Schaumschlägerei und bunten Seifenblasen abzulenken versucht. Das können auch die Hintermänner der „gelenkten Demokratie“ nicht verhindern.