Berichte von den Aktionen 6 Monate nach dem Terroranschlag in Hanau

Gedenkdemonstration am 22.8.20 in Hanau verboten

Eine für den 22.8.20 geplante Gedenkdemonstration in Hanau wurde spät am Vorabend durch den Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) verboten – wegen steigender Corona-Infektionen. Wir verurteilen dieses Verbot. Während Corona-Leugner zu zigtausenden ohne Mundschutz und Abstände unbehelligt demonstrieren und ihre angebliche „Unterdrückung“ bejammern dürfen, wird eine Gedenkveranstaltung gegen Naziterror, die ein ausgearbeitetes Hygienekonzept hatte, mit fadenscheiniger Begründung verboten.

Polizei Hamburg verhindert Demo in Gedenken an die Opfer von Hanau

Am 19.8. war es genau sechs Monate her, dass ein rechter Attentäter in Hanau neun Menschen ums Leben brachte. In ganz Deutschland fanden Demonstrationen gegen rechten Terror und zum Gedenken an die Opfer statt. In den Monaten nach dem Anschlag in Hanau kamen immer mehr Informationen ans Tageslicht, die auch in diesem Fall ein „Versagen“ der Behörden in Bezug auf den Täter zeigen. Beispielsweise besaß dieser eine Waffenerlaubnis, die 2019 verlängert wurde. Hätten die Behörden einen Hintergrundcheck gemacht, hätten sie von Strafverfahren gegen Tobias R., unter anderem aufgrund von Brandstiftung, gewusst, die seine Eignung in Frage gestellt hätten. Der Täter hatte außerdem wenige Monate vor der Tat einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschickt, in dem er Klage gegen eine angebliche Geheimorganisation, die ihn überwachen würde, erhob und eindeutig rechte Motive äußerte. Auch kurz vor der Tat wäre es möglich gewesen, ihn zu stoppen. In einem Interview mit der taz. sagt Çetin Gültekin, Bruder des Ermorderten Gökhan Gültekin:

In den letzten Tagen vor der Tat hat Tobias Rathjen, der Mörder meines Bruders, ein Bekennerschreiben und ein Hassvideo im Internet hochgeladen. Der Generalbundesanwalt (GBA) Peter Frank hat bei einer Befragung im Hessischen Landtag bestätigt, dass die Hanauer Staatsanwaltschaft und der GBA im November 2019 Post von Rathjen bekommen haben. Darin hat er seine rechtsextremen Ansichten offengelegt. Ohne Folgen.“

Der bundesweite Aufruf zu den Gedenkdemonstrationen von der „Initiative 19. Februar“ fordert explizit Aufklärung der Vorgeschichte des Attentats sowie den Rücktritt von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).

Der Anschlag von Hanau reiht sich in die vielen Fälle rechten Terrors ein, in denen der Staat eine zumindest fragwürdige Rolle einnimmt. Während wir in den letzten Jahren am Beispiel des NSU gesehen haben, dass der Verfassungsschutz teilweise sogar den Aufbau von rechten Strukturen fördert und organisierte, mordende Nazis wissentlich durchs Land reisen ließ ist es kein Wunder, dass der Wille des Staates zur Prävention und Aufklärung rechten Terrors grundlegend in Frage gestellt wird. In Hamburg gab es am 19.8. eine weitere Bestätigung für diesen Vorwurf.

Die Gedenkdemonstration sollte abends von der S-Bahn-Station Veddel aus durch den Stadtteil Wilhelmsburg zum Stübenplatz laufen. Von Anfang an jedoch sperrte die Polizei die Straße zu spät ab, ließ den Zug nicht loslaufen, pochte auf korrekte Aufstellung und zählte penibel die Teilnehmer. Laut den Beamten waren statt den angemeldeten 500 Teilnehmern 800 vor Ort, was Grund genug war, den Zug stundenlang aufzuhalten. Nach mehrfachem Durchzählen und Diskussionen über das weitere Verfahren musste die Versammlung schließlich aufgrund der Uneinsichtigkeit der Polizei aufgelöst werden –offiziell aufgrund der nicht eingehaltenen Auflagen zum Infektionsschutz. Im Kontrast dazu hatten am Samstag zuvor in Hamburg laut Polizei knapp 1.000 Menschen an einer Querdenker-Demo teilgenommen – ohne Mundschutz und Abstand. Besonders weil die Teilnehmer der Hanau-Gedenkdemo zuallermeist Masken trugen und auf die Abstände und Blockanordnungen achteten, wurde das Unverständnis für das Handeln der Polizei vor Ort immer lauter. Auch das lange Festhalten der Masse auf dem Bahnhofsplatz machte das Abstand halten erheblich schwieriger, als es bei einem Lauf der Fall gewesen wäre. Während ein Teil der Demonstranten sich über Umwege auf einen spontanen Lauf zum angedachten Zielort begab, blieb ein anderer stehen, bis die Versammlung offiziell aufgelöst wurde. Trotz allem pilgerten viele Teilnehmer auch nach Auflösung zum Stübenplatz, wo die Straße blockiert und Sprechchöre laut wurden. Vor Ort wurde eine spontane Kundgebung angemeldet, die überraschenderweise zugelassen wurde, Redebeiträge wurden gehalten und, obwohl es schon fast 22:00 war, waren die meisten Teilnehmer noch bis zum Schluss vor Ort.

Das Recht auf Gedenken und Protest ließen sich die Menschen nicht nehmen – trotz des skandalösen Verhaltens der Polizei. In der Presseerklärung der Initiatoren heißt es von einem Vertreter der DIDF:

Wir wollten unsere Trauer und unsere Wut über die Toten von Hanau zum Ausdruck bringen. Der respektlose Versuch der Polizei, eine maßgeblich von migrantischen Organisationen getragene Gedenkdemonstration zu verhindern, ist eine Schande.“

Wir haben in Hamburg wieder einmal deutlich gesehen, dass der Staat im Kampf gegen Rassismus, rechten Terror und für Aufklärung und Gedenken nicht auf unserer Seite steht. Der Staat wird uns nicht helfen – viel mehr müssen wir, um konsequent gegen rechten Terror vorzugehen, den Staat selbst bekämpfen! Umso wichtiger bleibt es auch, antifaschistischen Protest laut werden zu lassen, den Opfern rechten Terrors zu gedenken und gegen den Rassismus und Faschismus in allen Strukturen zu kämpfen! Hanau war kein Einzelfall! Kein Vergeben, kein Vergessen!

Gemeinsames Gedenken zum 19. Februar 2020 in Frankfurt

In Frankfurt versammelten sich am Abend des 19. August 2020 auf dem zentral gelegenen Opernplatz etwa 600 Demonstrantinnen und Demonstranten, um gemeinsam der Terroropfer von Hanau zu gedenken.

So wie die Tat politisch war, so ist auch das Gedenken politisch.

Alle Rednerinnen und Redner forderten Gerechtigkeit für die Opfer und deren Angehörige. Und sie sprachen von ihrer Frustration über den Unwillen der Regierenden, wirklich etwas ändern zu wollen, von schleppenden Ermittlungsverfahren und davon, dass die Opfer von der Politik alleine gelassen werden.

Peter Beuth muss zurücktreten!“

lautete folgerichtig die Forderung einer Rednerin an den hessischen Innenminister, an die Regierungskoalition aus CDU und Grünen.

Peter Beuth reiht Skandal an Skandal, durch die der braune Faden von Polizeigewalt, Fremdenhass und Faschismus läuft. Und doch hält Ministerpräsident Volker Bouffier und der Koalitionspartner, Bündnis 90 Die Grünen, in wahrer Nibelungentreue zu Minister Beuth. So ist es auch zu erklären, dass die hessischen Grünen – immerhin die Erfinder des Multikulti – in auffälliger Distanz zu den antirassistischen Demonstrationen bleiben.

Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“

Auch sprachen Rednerinnen und Redner davon, dass sich in der Öffentlichkeit auch nach den Taten vom 19. Februar nur wenig geändert hat. Noch immer dürfen Rechte, Faschisten und Nazis ihre menschenfeindliche Propaganda verbreiten.

Die Morde von Hanau fanden 17 Tage nach dem politischen Skandal von Erfurt statt, als sich Thomas Kemmerich von der FDP mithilfe der AfD unter der Führung des notorischen Nazis Björn Höcke zum Ministerpräsident wählen ließ. Als dieser Skandal unter massiven öffentlichen Druck am 4. März ein Ende fand, waren Mercedes, Ferhat, Sedat, Gökhan, Hamza, Kaloyan, Vili, Said und Fatih bereits tot.

Sagt ihre Namen!“

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nessar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sind aus den Herzen ihrer Angehörigen gerissen worden; sie hinterlassen im Kreise ihrer Freundinnen und Freunde, ihrer Bekannten eine Leere, die nicht gefüllt werden kann. Und solange Politik und Gesellschaft aus den Morden vom 19. Februar keine Schlüsse und Konsequenzen ziehen wollen, wird der 19. Februar 2020 ein Tag der Schande bleiben.