Frankreich: Die Stärkung der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung steht auf der Tagesordnung

Nein zu den 64 Jahren! Diese Parole, die sich über fünf Monate lang in der Gesellschaft durchgesetzt hat, markierte die tiefe Ablehnung der Massen, zwei weitere Jahre zu arbeiten, selbst in den kleinsten Städten. Diese Ablehnung ging weit über die zwei/drei Millionen und mehr Demonstranten hinaus, die bei den von der „Intersyndicale“ 1) aufgerufenen Mobilisierungen dabei waren. Umfragen über Umfragen zeigten eine sehr breite Ablehnung dieser Reform durch die Gesamtheit der Beschäftigten.

Es war diese Ablehnung der Rente mit 64, die den Zusammenschluss der Gewerkschaften zustande brachte. Und die vereinigte Intersyndikale, die die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu aufrief, vom 19. Januar bis zum 6. Juni gegen diese Reform zu mobilisieren, hat die Massen in ihrer Opposition gegen diese x-te Rentenreform bestärkt. Die Intersyndicale hat ihre Legitimität dadurch gewonnen, dass sie standhaft geblieben ist und bis zum Schluss im Großen und Ganzen auf ihrem Nein zur Rente mit 64 beharrte. Keines ihrer Mitglieder hat das Schiff verlassen.

Auch wenn Macron und seine Regierung die Reform erfolgreich durch das Parlament gebracht haben, behalten die Arbeiterinnen und Arbeiter ein insgesamt positives Bild von dieser Intersyndicale. Daher die tausendfachen Beitritte zu CGT, CFDT, FO oder Solidaires 2) …

Aber wie wir in unserem Artikel in La Forge vom Mai über „Die Bedeutung und die Grenzen der Intersyndikale“ schrieben, „…hat sie auch gezeigt, dass diese gewerkschaftsübergreifende Einheit, die die massive Ablehnung der abhängig Beschäftigten widerspiegelt, eine Einheit der reformistischen Organisationen (und nicht nur der CFDT) ist, dass sie nicht weiter gehen wollten; sie wollten auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vereint bleiben“. Alle, einschließlich der CGT, wollten in erster Linie diesen gemeinsamen Rahmen beibehalten und bewahren.

Auf den ersten Blick sollte die gewerkschaftsübergreifende Zusammenarbeit fortgesetzt werden und es finden Gespräche über eine gemeinsame Plattform von Forderungen zu den Themen Löhne, Arbeitsbedingungen, Gesundheit am Arbeitsplatz, soziale Demokratie, Gleichstellung von Frauen und Männern, Umwelt usw. statt. Diese gemeinsame Plattform wird, wenn der Prozess der Erarbeitung mit der CFDT zu Ende gebracht wird, bestenfalls eher einem gemeinsamen Grundstock, einem „Minimalsockel“ zu diesen verschiedenen Forderungsthemen ähneln. Diese minimale Einheit kann helfen… aber nur minimal, denn die Arbeitgeber haben nicht die Absicht – und hatten sie auch nie -, etwas zuzugestehen, was ihre Profite schmälern würde. Die Definition gemeinsamer Forderungen kann zwar helfen, Menschen zusammenzubringen, aber letztlich ist – wie jeder weiß und wie der Kampf gegen die Rentenreform gerade gezeigt hat – auf der Grundlage einer objektiven Analyse der Situation der Wille zur Konfrontation entscheidend.

In den Betrieben haben sich, zumindest in der letzten Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Lohnfrage, Gewerkschaften (nicht immer dieselben), obwohl sie den Gewerkschaftsverbänden angehören, die Mitglieder der Intersyndicale sind, sehr oft an die Positionen der Bosse gegen die Interessen der Beschäftigten angepasst.

Am 20. März traten die „Vertbaudet“-Arbeiterinnen 3) im Auslieferungslager von Marquette-lez-Lille (Departement 59) in den Streik, weil die Gewerkschaften FO und CFTC des Unternehmens gerade mit der Geschäftsleitung eine Vereinbarung mit 0% Lohnerhöhung unterzeichnet hatten!

Wenn die Intersyndicale bis zu einem gewissen Grad eine positive Rolle in der Bewegung gegen die Rente mit 64 gespielt hat, dann deshalb, weil Millionen von Beschäftigten ab dem 19. Januar massiv reagiert haben, indem sie demonstriert und/oder gestreikt haben. Bei Vertbaudet spielte die CGT diese positive Rolle, weil die weiblichen Beschäftigten entschlossen in den Streik traten. Die im Rahmen der Bewegung gegen die Rentenreform gesammelten Erfahrungen und das erneuerte Vertrauen vieler Aktivisten und Gewerkschafter in die Fähigkeit der Massenbewegung – auch wenn „wir nicht gewonnen haben“ – werden angesichts der Verschärfung der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit zweifellos neue Perspektiven für die Entwicklung des Klassenkampfes eröffnen.

Das Bewusstsein, der Protest und die Wut gegen die kapitalistische Ausbeutung sind aus dieser Bewegung gegen die Rente mit 64 gestärkt hervorgegangen, ebenso wie das Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Dieser Protest muss genährt, verankert und organisiert werden, insbesondere im Rahmen der Gewerkschaftsarbeit, sei es bei der Ausarbeitung von Forderungen, beim Aufbau des Kräfteverhältnisses oder in der Ausbildung… auf der Ebene der Gewerkschaften und der Betriebsgruppen wie auch der Orts- oder Departementsverbände.

Anmerkungen:

1) Intersyndicale: informeller Zusammenschluss verschiedener Gewerkschaftsverbände zu einem bestimmten Zweck (hier: Kampf gegen die Rente mit 64)

2) CGT, CFDT, FO, Solidaires: französische Gewerkschaftsverbände, die sich an der genannten Intersyndicale beteiligt haben.

3) Vertbaudet: Vertbaudet Group International ist ein Versandhandel für Babyartikel und Zubehör für junge Mütter mit Sitz in Nordfrankreich. 2023 war der erste Streik seit 60 Jahren für höhere Löhne infolge der Inflation.

(Artikel aus La Forge vom Juli/August 2023)