Über die Israel-Politik der Bundesregierung

Antisemitismus-Vorwurf, rassistische Hetze und bedingungslose Solidarität

Beinahe zwei Monate dauert der Krieg in Palästina schon an. Während des Schreibens dieses Artikels folgte die Eilmeldung: Es soll eine mindestens vier Tage andauernde Waffenruhe geben. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 07.Oktober 2023 und den darauf folgenden schier unaufhörlichen Bombardierungen Israels auf Gaza sollen erstmals die Waffen schweigen. Kurzfristige Erleichterung kommt auf, doch ist ungewiss, wie es danach – sollte der Austausch von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen tatsächlich zustande kommen – weitergeht. Angesichts der Äußerungen Netanyahus, der unverblümt verlauten ließ, dass Israel nach dem Krieg eine allumfassende Sicherheitsrolle in Gaza einnehmen werde, kann davon ausgegangen werden, dass diese Waffenruhe nicht von Dauer sein wird. Zudem bedeutet Waffenruhe eben auch nicht Waffenstillstand. In Europa und weltweit gehen Menschen gegen die Bombardierungen und gegen die Bodeninvasion in Gaza auf die Straße. Allein in London demonstrierten 300.000 Menschen für einen sofortigen Waffenstillstand. Auch hier in Deutschland gibt es reichlich Kritik und Protest gegen den Krieg in Palästina. Doch werden Demonstrationen zu dem Thema verboten, die Presse schweigt sich über die israelischen Verbrechen aus und jedwede Kritik an der israelischen Regierung und ihrem Krieg wird als „antisemitisch“ diffamiert. Warum ist das so?

Wer sich in den letzten Jahren zu Israel-kritisch äußert, bekommt den Vorwurf an den Kopf geschleudert, ein Antisemit zu sein. Dabei ist es nicht nur egal, um welche Kritik es sich handelt. Ob es Kritik an der Siedlungspolitik in der Westbank oder Kritik an der Unterdrückung von Palästinenser/innen innerhalb des israelischen Staatsgebietes ist. Ob es Kritik am Militarismus in Israel oder Kritik am rechtsextremen, nationalistischen und antidemokratischen Kurs der Netanjahu-Regierung ist. Jede Kritik ist antisemitisch und das auch völlig unabhängig davon, wer sie äußert. Heute ist es längst „normal“, dass auch Jüd/innen, die sich kritisch zum Israelischen Staat, der Regierung oder dem Krieg äußern, einfach unterstellt werden kann, dass sie Antisemiten seien, dass sie also Jüd/innen hassen würden. Ob es sich dabei um politisch-fortschrittliche oder orthodoxe Jüd/innen handelt, ist einerlei. Wer Israel kritisiert, ist Antisemit. Niemand kann vor diesem Vorwurf sicher sein und so musste zum Beispiel auch die Holocaust-Überlebende und Antifaschistin Esther Bejarano diese völlig willkürliche Diffamierung über sich ergehen lassen.

Dieser Vorwurf wird durch das Narrativ begründet, dass der israelische Staat alle Jüd/innen vertreten würde und sein Handeln dem Zweck dienen würde, jüdisches Leben zu schützen. Jede Kritik an Israel richtete sich demnach gegen alle Jüd/innen und ihren Schutz.

Doch die israelische Regierung spricht weder für alle Jüdinnen und Juden noch für alle Israelis. Dies zeigte sich in diesem Jahr zum Beispiel in der massiven Protestbewegung gegen die geplante Justizreform Netanjahus, die die Gleichschaltung des Obersten Gerichtes bedeutet hätte. Gegen diese antidemokratische Aushebelung der Justiz sind Hunderttausende auf die Straße gegangen. Und auch die Umfrage eines israelischen Fernsehsenders beweist eindeutig, dass das israelische Volk und seine Regierung mitnichten eine Einheit bilden. In dieser Umfrage sprachen sich 76% der Befragten für den Rücktritt des Premierministers Netanjahus aus.

Die Regierung Netanjahus handelte und handelt nicht im Interesse der Israelis, besonders nicht der palästinensischen Israelis, die unter starken Repressionen leiden. Darunter fallen wahllose Verhaftungen und die Vertreibung aus ihren Wohnhäusern im Zuge der zunehmenden Siedlungspolitik. Der israelische Staat ist ein kapitalistischer Staat, der statt der Interessen des gesamten Volkes in erster Linie die Interessen der besitzenden und herrschenden Klasse vertritt. Nicht nur aufgrund der fehlenden Rückendeckung für Netanjahu lässt sich die Behauptung, dass Israel die Vertretung aller Jüd/innen wäre, entschieden zurückweisen.

Auch hier in Deutschland ist es heuchlerisch, sich den Schutz jüdischen Lebens durch gegenwärtige Demonstrationsverbote auf die Fahne zu schreiben. Die Argumentation, jüdisches Leben zu schützen, ist eine leere Hülle. Antisemitismus war und ist ein Problem, das nicht erst durch den jetzigen Krieg entstanden oder in den letzten Jahren „importiert“ worden ist. Dies beweist die deutsche Geschichte. Die große Mehrheit der antisemitischen Vorfälle (über 80%) gehen von Rechtsextremen und Faschist/innen aus. Doch bleiben die großen medialen Debatten über den Kampf gegen Antisemitismus aus, solange die Täter keine schwarzen Haare haben. Wenn zum Beispiel ein Deutscher in Halle versucht, bewaffnet mit vier Schusswaffen, Handgranaten und Molotowcocktails, eine Synagoge zu stürmen, zwei Menschen tötet und viele weitere verletzt, dann bleibt die Debatte über Antisemitismus in Deutschland aus.

Auch vor dem Krieg wurde jüdisches Leben weder geschützt noch ausreichend gefördert.

Denn der Schutz jüdischen Lebens heißt eben nicht, einfach nur Synagogen unter Polizeischutz zu stellen und bedingungslos an der Seite Israels zu stehen, sondern vielmehr, kulturelle Programme der Völker zu fördern und den Faschismus aktiv zu bekämpfen. Dies wurde und wird nicht getan. Stattdessen werden Demonstrationen verboten und davon gesprochen, dass Antisemitismus besonders auf Versammlungen auftrete, die nicht nur ein Ende der israelischen Bombardements, sondern auch das Ende der Unterdrückung Palästinas fordern. Antisemitismus manifestiere sich angeblich im Schwenken der palästinensischen Flagge oder in Solidaritätsbekundungen. Das ist eine Verhöhnung des existierenden Antisemitismus innerhalb Deutschlands und dass man Antisemitismus heute an der vermeintlichen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ablesen können soll, ist nichts als rassistische Hetze! Der vermeintliche Schutz jüdischen Lebens dient der Bundesregierung als ein Deckmantel, um Rassismus zu schüren und Repressionen zu legitimieren. Im gleichen Atemzug wird das Asylrecht beschnitten, der Bundeskanzler plant Abschiebungen im “großen Stil” und unsere demokratischen Grundrechte, wie etwa das Versammlungsrecht oder die Meinungsfreiheit, werden umfassend und rigoros eingeschränkt.

Sowohl Israel als auch Deutschland sprechen von dem Recht auf Selbstverteidigung und Existenzrecht. Doch mit „Selbstverteidigung“ ist die wahllose Bombardierung Gazas und die Ermordung von 15.000 Menschen in keinerlei Weise zu legitimieren! Jeglicher Versuch in diese Richtung muss als Propaganda entlarvt werden. Jedes Volk hat das Recht auf einen eigenen Staat, auch das palästinensische. Die Pläne der israelischen Regierung, nach dem Krieg eine Sicherheitsrolle in Gaza einzunehmen, negieren die Selbstverwaltung und Existenz eines palästinensischen Staates.

Mit der bedingungslosen Solidarität Deutschlands misst die deutsche Regierung mit zweierlei Maß, denn auf der einen Seite betont sie ständig das Existenzrecht Israels, während sie gleichzeitig die Politik der israelischen Regierung vollumfänglich mitträgt, die einem freien und selbstständigen Palästina jede Existenz verweigert. Das ist scheinheilig.

Anstatt Antisemitismus und Rassismus zu schüren, indem die Ampelregierung nicht nur die israelische Regierung mit allen Jüd/innen, sondern auch die Kritik an Israels Krieg mit der Unterstützung der Hamas gleichsetzt, wird Deutschland seiner Verantwortung aus den Verbrechen des Holocausts nicht gerecht. Gerade vor seinem geschichtlichen Hintergrund müsste Deutschland das Vorgehen der israelischen Regierung aufs Schärfste verurteilen, einen sofortigen Waffenstillstand sowie eine Ende der Unterdrückung der Palästinenser:innen fordern. Die völlig falsch ausgelegte Verantwortung aus dem Holocaust resultiert derzeit in einem Genozid am palästinensischen Volk unter dem Vorwand des Schutzes jüdischen Lebens. Hierzulande müsste Antisemitismus tatsächlich bekämpft werden, doch tut der Staat dies absichtlich nicht. Denn sowohl die israelische als auch die deutsche Regierung handeln nicht im Interesse der gesamten Bevölkerung, sondern im Interesse des Kapitals, das von Spaltung, Unterdrückung und Hetze profitiert. Israel wird mutmaßlich versuchen, Gaza zu besetzen, das palästinensische Volk noch stärker zu unterdrücken und sein Staatsgebiet weiter auszudehnen. In Deutschland nutzt die Regierung den Krieg um Rassismus und Antisemitismus zu schüren, weitere Repression gegen fortschrittliche Kräfte zu rechtfertigen und die Arbeiterklasse zu spalten.

Dem müssen wir uns entgegenstellen und uns an die Seite aller Arbeiter/innen und aller unterdrückten Völker stellen. Die Verantwortung aus dem Holocaust ist es, die Instrumentalisierung des Antisemitismus aufzudecken und die dahinterstehenden Interessen zu entlarven.