Der Strommarkt und die Lüge vom „grünen“ Kapital

Artikel aus der Einheit & Kampf, Ausgabe 47

American Party of Labour (APL)

Der wichtige Übergang zu erneuerbaren Energien wurde durch die wirtschaftliche Umstrukturierung des Stromsektors, in der den Profiten Vorrang vor allem anderen eingeräumt wird, zum Scheitern verurteilt. Die sinkenden Kosten und steigenden Gewinne im Bereich der erneuerbaren Energien verleiteten einen Großteil der Medien zu der Annahme, dass die lang erwartete Marktlösung für den Klimawandel vor der Tür steht. Die verschiedenen multinationalen Unternehmen wie BP, Exxon und Shell haben neue Investitionen in grüne Energie und Kapital versprochen. Diese Versprechen waren jedoch entweder von vornherein schlichtweg falsch oder die Ölgiganten rücken angesichts der sich ändernden Marktbedingungen von ihnen ab. Derartige Geständnisse angesichts des Drucks des Marktes sind für die Energiekonzerne inzwischen zur Gewohnheit geworden. Während die vierteljährlichen und jährlichen Bewegungen des Marktes sozial und ökologisch notwendige Maßnahmen verhindern, verhindert die Marktstruktur selbst die vollständige Übernahme erneuerbarer Energien, insbesondere im Teilbereich des Strommarktes. Hier bietet der Markt nicht nur zu schwache Anreize, sondern ist ein aktives Hindernis für die vollständige Einführung der erneuerbaren Energien.

Um kurz zu erklären, wie die meisten Märkte in den Vereinigten Staaten funktionieren, müssen wir zunächst das Konzept der Grenzkosten und das Merit-Order-Prinzip verstehen. Während es verschiedene Marktmechanismen für den Stromhandel gibt, ist die Verteilung der Grenzkosten auf verschiedene Erzeuger nach dem Merit-Order-Prinzip eine immer wiederkehrende Struktur. In einem zentralisierten Markt (eine Struktur, die im größten Teil der USA angewandt wird) kalkulieren die Eigentümer ihre Angebote basierend auf den Grenzkosten ihrer Erzeuger. Grenzkosten bezeichnen die Kosten, die für die Produktion einer weiteren Energieeinheit in einem Bereich notwendig sind, in dem bereits eine laufende Produktion stattfindet. Dies kann sich einfacher vorgestellt werden als die Kosten, um den Erzeuger am Laufen zu halten, ohne dabei die Kosten für den Bau des Kraftwerks, das Hochfahren sowie den laufenden Betrieb ohne Nachfrage zu beachten. Die so kalkulierten Gebote werden an einen Netzbetreiber übermittelt. Dieser spielt die Rolle eines Regulierungsorganes, das die Gebote von den niedrigsten bis zu den höchsten Kosten ordnet und zur Stromerzeugung nutzt, bis die Nachfrage gedeckt ist. Die Kosten des Stroms werden auf den Preis der teuersten Einheit festgesetzt, die zur Deckung der Nachfrage erforderlich ist. Dies sollte in der Theorie einen Anreiz für jeden Eigentümer darstellen, seine Produkte so günstig wie möglich zu machen, um sicherzustellen, dass er mitbietet und seine Gewinne maximiert.

Dies ist eine starke Vereinfachung der Strommärkte, die in der Realität häufig externen Bedingungen wie Schwankungen in der prognostizierten Nachfrage und Ausfällen von Erzeugungseinheiten unterliegen. Zudem gibt es eine große Bandbreite in der spezifischen Struktur des Marktes. Einige Strukturen ermöglichen den bilateralen Handel zwischen zwei privaten Parteien oder die selbstständige Verteilung der Erzeuger ermöglichen. Dennoch bleibt die grundlegende „Logik“ des Marktes in allen Fällen bestehen: Die Stromkosten werden durch die teuerste Einheit bestimmt, die zur Deckung der Nachfrage erforderlich ist.

Wie wirkt sich dies auf die erneuerbaren Energien aus? Das Hauptmerkmal der erneuerbaren Energien – soweit es den Markt betrifft – sind ihre Grenzkosten von nahezu Null. Das bedeutet, dass ein Verkäufer in einen Markt eintreten kann, der von nicht erneuerbaren Energieträgern bedient wird, und dabei wie ein Bandit abkassieren kann, indem er die Energie praktisch zum Nulltarif produziert, sobald das Kraftwerk zur Nutzung erneuerbarer Energien gebaut ist, aber die Kosten bezahlt bekommt, die für die Produktion mit Kohle oder Erdgas nötig wären. Das ist den Energiekonzernen der Welt nicht entgangen – daher die ständigen Versprechungen und gelegentlichen tatsächlichen Investitionen in erneuerbare Ressourcen. Warum also haben uns unsere mutigen Unternehmer noch nicht in die grüne Zukunft geführt? Auch das liegt an der Struktur des Marktes. Wenn die erneuerbaren Energien auf den Markt kommen, werden sie die Erdgas- und Kohlekraftwerke langsam „überbieten“ und aus dem Markt drängen, wodurch der Strompreis sinkt. Die Gewinne der Kraftwerke für erneuerbare Energien werden proportional zu ihrem Anteil an der gesamten Stromerzeugung sinken, bis sich die Grenzkosten der erneuerbaren Energien von annähernd Null im Preis widerspiegeln und jegliche Gewinnchancen vollständig zunichte gemacht werden. In Wirklichkeit wird der Markt diesen Punkt nie erreichen, da die prognostizierte Rendite für den Bau einer Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien ebenfalls sinken und eine weitere Investition verhindern wird. Dies ist der Kern des Problems der Selbstkannibalisierung. Wie Marx im Manifest sagte:

„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“

Können wir dann ernsthaft erwarten, dass die Eigentümer von Kraftwerken ihren eigenen Markt sabotieren, auch um des Planeten willen? Sie werden genug Solaranlagen und Windkraftwerke bauen, um ihren Gewinn zu kassieren, und für den Rest weiterhin Kohlendioxid und Methan ausstoßen.

Das Ausmaß dieses Problems ist unter Wirtschaftswissenschaftlern umstritten. Der maximale Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, der erreicht werden könnte, ohne dass die Investitionen ins Negative kippen, wird mit 80% angesetzt. Diese Berechnung zur Verlangsamung des Klimawandels beruht zum einen auf der wirtschaftlichen Absurdität, dass irgendein Kapitalist in ein „Null-Profit“-Projekt investieren würde, und zum anderen auf der politischen Absurdität einer Kohlenstoffsteuer (CO2-Steuer), die selbst vom ehemaligen Exxon-Lobbyisten Keith McCoy als Ablenkungsmanöver der Gaskonzerne zugegeben wurde (neben einer ganzen Reihe anderer Verbrechen, Lügen und Bestechungsgeldern, die begangen und verteilt wurden). Wie für den politischen Diskurs typisch, sind alle potenziellen Lösungen „Anreize“ wie die bereits erwähnte Kohlenstoffsteuer, aber selbst weitere „Anreize“ scheinen unwahrscheinlich, da sie zunächst einmal ein Regierungsorgan erfordern würden, das sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat. Jüngste Entwicklungen wie die Genehmigung der Förderung der „Willow-Ölreserven“ in Alaskas North Slope und die Absetzung des ehemaligen Vorsitzenden der Federal Energy Regulatory Commission, Richard Glick, wegen seines Wunsches, die Notwendigkeit und Umweltauswirkungen von Erdgasprojekten gründlicher zu prüfen, fanden unter der Demokratischen Partei statt, die weithin als der „grünere“ der beiden amerikanischen Blöcke gilt. Was auch immer die Demokraten von sich selbst glauben oder andere von ihnen glauben machen wollen, ihre Handlungen zeigen, dass sie so weitermachen wollen wie bisher und nicht daran interessiert sind, proaktive, drastische oder tatsächlich notwendige Schritte zur Bekämpfung des Klimawandels zu unternehmen. Und selbst wenn sie diese Schritte machen wollten, dann würden alle von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen mit Händen und Füßen bekämpft werden, zunächst von den Anbietern aller Formen von elektrischer Energie, um entweder selbst auf dem Markt zu bleiben oder um sicherzustellen, dass ihre Gewinne so hoch wie möglich bleiben, und dann von der Gas- und Öl-Lobby, um zu verhindern, dass einer der größten Märkte für ihr Produkt austrocknet.

Was ist dann die Lösung? Wenn der Markt ein Problem darstellt, dann besteht die einfachste Lösung darin, den Markt abzuschaffen. Dies ist keine so drastische oder künstliche Maßnahme, wie es vielleicht den Anschein hat, denn das (private oder öffentliche) Monopol war bereits die wichtigste Art der Stromverteilung in der ganzen Welt. In Mexiko, den USA und einem großen Teil Kontinentaleuropas gab es vertikal organisierte, streng regulierte kommunale Monopole und Versorgungsunternehmen, während das Vereinigte Königreich, Australien und Chile sowie der größte Teil Südamerikas verstaatlichte Netze hatten. Chile ist ein Land von besonderem Interesse, weil dort die Markt- und Privatisierungswelle begann, die im Anschluss alle zuvor genannten Länder überrollte. Nachdem Augusto Pinochet 1973 die sozialdemokratische Allende-Regierung gestürzt hatte, begann Chile mit Hilfe des Vereinigten Königreichs und der USA ein Projekt zur Massenprivatisierung von Unternehmen, die sich zuvor in staatlichem Besitz befunden hatten. Beraten wurden sie von den „Chicago Boys“, einer Gruppe neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler, die an der Universität von Chicago unter Milton Friedman ausgebildet wurden. Zu den privatisierten Industrien gehörte auch die Stromerzeugung und -übertragung, die mit dem Elektrizitätsgesetz von 1982 umgehend auf den Markt gebracht wurde. Der Markt entwickelte sich schnell zu einem oligarchischen Monopol, bei dem sehr große Privatunternehmen entstanden, die  Veränderungen der Vorschriften, die zu ihren Ungunsten wären, verhinderten, ganz zu schweigen von Stromausfällen und starken Preisschwankungen. Für den Rest der Welt und die mit dem Projekt betrauten Wirtschaftswissenschaftler war das Hauptziel, mit der Stromerzeugung Geld zu verdienen, jedoch erreicht worden, und andere Länder folgten diesem Beispiel bald. Das Vereinigte Königreich und Australien haben ihre Stromerzeugung im Laufe der 1990er Jahre vollständig privatisiert, ebenso wie große Teile der USA, obwohl dieser Prozess angesichts der dezentralen Verwaltung der Versorgungsunternehmen in diesem Land unvollständig war und ist.

Trotz der begrenzten Lehren, die aus dem chilenischen Experiment gezogen wurden, waren diese Marktmaßnahmen damals wie heute keineswegs sauber oder sanft. Die Verlagerung des Stromnetzes in die Hände privater Unternehmen ist eine riskante Angelegenheit, da diese Unternehmen Strom nicht als das für das Funktionieren der modernen Gesellschaft notwendige Allgemeingut betrachten, was es ist, sondern als eine Profitquelle, die es auszubeuten gilt. Ein immer wiederkehrendes Thema ist die Entstehung von „Marktmacht“, bei der Privatunternehmen mit großen Marktanteilen Angebot und Nachfrage beeinflussen, enorme Höchstpreise verursachen und riesige Gewinne einfahren können. Trotz der fast zwanzigjährigen Marktschaffung und -regulierung kam es in der kalifornischen Energiekrise zu einer solchen Ausnutzung der Marktmacht, als das Unternehmen Enron seine Kraftwerke so koordinierte, dass sie während der Spitzennachfrage abgeschaltet wurden. Dies führte zwar zu Stromausfällen, ermöglichte es dem Unternehmen aber dennoch, Prämien für die weiterhin gelieferte Energie zu kassieren. Die gleichen Praktiken hatte Enron auch in Kanada angewandt, allerdings mit weniger katastrophalen Ergebnissen.

In der Gegenwart sind die Strompreise im Vereinigten Königreich und in Texas als Reaktion auf verschiedene politische und umweltpolitische Bedingungen in die Höhe geschnellt. Im Winter 2022-2023 stiegen die Strompreise im Vereinigten Königreich bis an die Obergrenzen, ebenso wie in Texas in den Jahren 2021-2022, und die Stromversorger waren nur allzu bereit, diese Preise zu verlangen, die in keinster Weise die Zahlungsfähigkeit der Menschen oder gar der meisten Unternehmen widerspiegelten. Dies machte entweder eine Senkung der Preisobergrenze (im Falle des Vereinigten Königreichs) oder eine Welle von Krediten für Unternehmen zur Deckung der Stromkosten (im Falle von Texas) erforderlich. Und der Spaß ist noch nicht vorbei: In diesem Sommer verdoppelten sich die texanischen Energiepreise während einer prognostizierten Hitzewelle, und die Investoren wurden gern auf die Aktien verwiesen, mit denen sie am besten von dieser Wendung des Schicksals profitieren können. Dies wird wahrscheinlich ein wiederkehrendes Thema im nächsten Jahrzehnt sein – die Energiehändler profitieren von der Klimakrise, an deren Entstehung sie maßgeblich beteiligt waren.

Warum also hat sich der größte Teil der kapitalistischen Welt für diese Marktform entschieden, wo sie doch so leicht zu missbrauchen ist? Während ein Großteil dieses Prozesses sich außerhalb des Blickfelds der Öffentlichkeit abspielte, wird typischerweise behauptet, dass Märkte tendenziell die Effizienz steigern und die Kosten insgesamt senken, natürlich abzüglich einiger Fälle von offensichtlicher Preistreiberei. In den USA hat sich diese Behauptung als falsch erwiesen, denn die Verbraucherpreise sind gestiegen, der Wohlstand der Kunden ist gesunken, und alle Effizienzgewinne fließen direkt in die Taschen der Erzeuger. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das besetzte Gebiet Puerto Rico, dessen Stromnetz kürzlich in private Hände überging. Anstatt ihren Auftrag zur Modernisierung und Instandhaltung des (zugegebenermaßen veralteten und nicht funktionierenden) Netzes ernst zu nehmen, hat sich das Unternehmen dafür entschieden, weiterhin Gewinne zu erzielen, während sich die Ausfälle verschlimmern. Der wahre Grund für die Einführung von Märkten und Deregulierung ist die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Dies sagt auch Paul Joskow, ein führender Analyst des amerikanischen Elektrizitätsmarktes, der am Vorabend der weit verbreiteten Deregulierung und Marktöffnung über die betroffenen Parteien sprach, die auf die Märkte drängen:

„[Die Reformbemühungen] wurden von großen Industriekunden angeführt, die an niedrigeren Strompreisen interessiert sind, sowie von unabhängigen Energieversorgern und neuen Stromvermarktern, die profitieren können, wenn ihnen die Reformen erlauben, direkt an Endverbraucher zu den vorherrschenden Marktpreisen im Großhandel zu verkaufen…“

Das Ziel all dieser Maßnahmen war nicht Effizienz oder Preissenkung. Es ging darum, Milliarden von Dollar an Einnahmen freizusetzen, um Gewinne zu erzielen, die zu höheren Kosten für Mensch und Umwelt erzielt wurden, als wir uns leisten können. Der Markt kann uns nicht retten. Wir werden nicht „natürlich“ eine Marktlösung für die Klimakrise finden, weder im Energiesektor noch irgendwo sonst. Diese Infrastruktur ist ein soziales Gut, ein Produkt, das der gesamten Gesellschaft dienen muss, nicht dem Sparschwein einiger weniger Unternehmen. Wie Stalin in „Über dialektischen und historischen Materialismus“ (S.25) schreibt:

 

„Ein Beispiel der Nichtübereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte, ein Beispiel des Konflikts zwischen ihnen sind die Wirtschaftskrisen in den kapitalistischen Ländern, wo das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln sich in schreiender Nichtübereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Charakter des Produktionsprozesses, mit dem Charakter der Produktivkräfte befindet. Ergebnis dieser Nichtübereinstimmung sind die Wirtschaftskrisen, die zur Zerstörung von Produktivkräften führen, wobei eben diese Nichtübereinstimmung die ökonomische Grundlage der sozialen Revolution darstellt, deren Bestimmung es ist, die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse zu zerstören und neue, dem Charakter der Produktivkräfte entsprechende, hervorzubringen.“

Die Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom muss den privaten Unternehmen entzogen und in die Hände der Arbeiterklasse und eines sozialistischen Staates gelegt werden. Die Verstaatlichung unter kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen wird dazu führen, dass die elektrischen Systeme immer noch nach dem Wertgesetz betrieben werden, und wird nur als ein kleines Pflaster für die allgemeinen Widersprüche des Kapitalismus dienen. Um das Problem wirklich zu lösen, muss ein neues Wirtschaftsmodell aufgebaut werden, das die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.