Ein Schritt voran!

Kongress der Gewerkschaftslinken in
Stuttgart 

Rund 350 Gewerkschafter/innen nahmen am 14.
und 15. Januar 2005 am 6. bundesweiten Treffen der Gewerkschaftslinken im Gewerkschaftshaus
in Stuttgart teil. Mit dem Motto „Gewerkschaftspolitik jenseits von Standort-
und Wettbewerbsfähigkeit“ machten die Veranstalter, die Initiative für die
Vernetzung der Gewerkschaftslinken, Zielsetzung und Standort der Veranstaltung
klar: Eine Kraft zu schaffen gegen Neoliberalismus, Co-Management in den
Gewerkschaften. Ein hoher Anspruch!

Immerhin konnte ein Schritt in diese
Richtung gemacht werden, wenn auch Vorbehalte bleiben.

In mehreren Referaten wurden internationale
Erfahrungen vorgestellt:

Am Freitagabend untersuchte Dr. Heiner
Köhnen vom internationalen Netzwerk TIE die „Gründe für den Niedergang der
amerikanischen Automobilarbeiter-Gewerkschaft“ Speziell im Vergleich mit der
CAW, der Kanadischen Automobilarbeitergewerkschaft, die unter dem Motto des
„movement unionism“ (etwa: bewegungsorientierte Gewerkschaftsarbeit) einen
kämpferischeren , phantasievolleren und erfolgreicheren Kurs einschlug, machte
Köhnen deutlich , dass der Niedergang US-Automobilarbeiter-Gewerkschaft UAW.
mit einer Politik der Konzessionen begann und unaufhaltsam voranschritt, so
dass sie heute keine ernsthafte Rolle mehr spielen kann

Eine echte Überraschung für viele war
Vortrag eines Kollegen vom Hamburger Hafen, der ein funktionierendes Beispiel
international gemeinsamen und erfolgreichen Kampfes bekannt machte: Den Kampf
der Hafenarbeiterbranche der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF
bzw. ihres europäischen Teils ETF: Mit koordinierten Aktionen in zahllosen
Häfen in ganz Europa waren diese Kolleg/innen in der Lage, die geplante EU-Seehäfen-Richtlinie
„port-package“, die zur Deregulierung der Arbeitsbedingungen der Seehäfen
dienen sollte, zu verhindern.

Hier war nicht nur die Tatsache des Erfolgs
interessant, sondern auch die detaillierte Schilderung, welche auf den ersten
Blick „unüberwindlichen Schwierigkeiten“ gemeistert werden mussten und
gemeistert wurden, um diesen Kampf zu bestehen. Angefangen von der Sprachenproblematik
über vollständig unterschiedliche Strukturen und Rechtslagen in den einzelnen
Ländern bis hin zu einer Spaltung in zwei Dachverbände(neben der der ITF agiert
auch noch das IDWC – International Dockworkers Council).Der Referent stellte
eine Erfahrung heraus: „ Wir lernten, interrnational nicht mehr darüber zu
sprechen, was nicht geht, sondern darüber, was geht! Jeder ernsthafte Beitrag
wurde positiv angenommen, unterschiedliche Leistungsfähigkeit der einzelnen
Mitgliedsverbände akzeptiert. Wir fragen nicht mehr, wer die bessere
Gewerkschaft ist, sondern was jeder ehrlich beitragen kann.“

Es wurde eine funktionsfähiges Info-Netz geschaffen
und ein handlungsfähiges Leitungsgremium. Dessen Leistungsfähigkeit illustrierte
ein weiteres Beispiel internationalen Kampfes im letzten Jahr: Um die Besatzung
eines Schiffes im Hafen von Dubai zu zwingen, die Entladung des Schiffes nicht
von den Hafenarbeitern durchführen zu lassen, sondern ohne Qualifikation dafür selbst
durchzuführen, ließen die Schiffseigner im Dubaier Hafen Söldner
aufmarschieren, um die bereitstehenden Hafenarbeiter fernzuhalten. Dies konnte sofort
von Kollegen an die ITF weitergemeldet werden. Diese drohte unverzüglich(!) den
zuständigen Reedern an, dass das Schiff in keinem Hafen mehr bedient werden
würde. Dieser Schritt hatte Erfolg!

Dieses Beispiel war ermutigend für die
Kongressteilnehmer/innen. Es zeigt aber noch ein weiteres, heute zentrales
Problem: Dass die EU (im Fall der geplanten Seehäfen-Richtlinie) längst ein
praktisches Problem für die Gewerkschaftbewegung darstellt, was sich leider auf
dem Stuttgarter Treffen überhaupt nicht angemessen widergespiegelt hat!

Insgesamt fiel auf, dass das Klima auf dem
Stuttgarter Treffen sehr ernsthaft und konzentriert war. Die Stimmung war solidarisch.

Die Abschlusserklärung wurde nicht mehr
sorgfältig diskutiert, auch die geplanten Arbeitsgruppen konnten ihre
Ergebnisse aus Zeitmangel nicht mehr zur Diskussion stellen. So wurde der
Arbeitsausschuss per Akklamation beauftragt, den Entwurf der Abschlusserklärung
fertig zu stellen. Wichtige Punkte desEntwurfs:

Die Gewerkschaftlinke solidarisiert sich
mit der Anti-Hartz-Bewegung. Weg mit Hartz IV!

Sie betont, dass Widerstand möglich ist und
würdigt die großen Kampfaktionen des letzten Jahres bei DaimlerChrysler(einschließlich
der Besetzung der B 10 durch Mettinger Kolleg/innen), bei Opel und anderswo.

Sie fordert die Verteidigung der
Flächentarifverträge.

Sie tritt, bewusst gegen den Mainstraem, ein
für weitere Arbeitszeitverkürzung: 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und
Personalausgleich.

Sie fordert einen Mindestlohn von 10 Euro
pro Stunde!

Es gibt bemerkenswerte Töne bei der scharfen
Kritik an Co-Management- und Blockadepolitik der Gewerkschaftsvorstände:

Gegen die katastrophale Politik des
Stillhaltens der Gewerkschaftsvorstände organisieren sich derzeit Strömungen…,
die versuchen eine klassenkämpferische Alternative zu entwickeln. Es braucht
die gemeinsame Organisierung aller kämpferischen Kräfte in den Gewerkschaften,
um genug Druck für einen Kurswechsel aufzubauen – was langfristig auch
personelle Alternativen bedeuten muss
!“(nach dem Text des Entwurfes)

Der Kongress ruft auf, überall Gruppen aufzubauen
und mit den Kolleg/innen der Basis Veranstaltungen und Diskussionen
durchzuführen.

Ein weiterer Kongress soll möglichst bald
dazu stattfinden, „eine Plattform zu entwickeln und Strukturen aufzubauen,
um kämpfende Belegschaften solidarisch zu unterstützen, aktive Gruppen  vor Ort zu … stärken, öffentlich Position zu
ergreifen, … eine politische Alternative gegen Unterwerfung und Anpassung an
dieses System, eine Alternative zum Kapitalismus, seiner Ausbeutung und seinen
Krisen zu entwickeln
.“

Das sind in jeder Hinsicht bemerkenswerte
Äußerungen

In der Abschlussrede sagte der Stuttgarter
ver.di – Geschäftsführer Bernd Riexinger zu, dass der Arbeitsausschuss auch die
EU-Frage noch in die Erklärung einarbeiten werde. Zu offenkundig war angesichts
der auf dem Kongress diskutierten Fragen, dass die Gewerkschaftslinke hier noch
völlig unterbelichtet ist. Dies umso mehr, als von Rednerinnen aus dem Bereich
öffentlicher Dienst bereits auf eine weitere EU-Richtlinie verwiesen wurde, die
so genannte Bolkestein-Richtlinie, die die völlige Deregulierung und Privatisierung
öffentlicher Dienstleistungen bezweckt und die Beschäftigten dieser Bereiche
massiv bedroht. Trotz eines heftigen Redebeitrags, der unter Beifall die
Unterstützung einer Volksabstimmung über und die Ablehnung der EU-Verfassung
forderte, blieb dies Thema in völlig unangemessener Weise außen vor.

Auch eine Stellungnahme zur zunehmenden
faschistischen Gefahr, auf die eine Rednerin gleich am ersten Abend zu Recht mit
drastischen Worten hingewiesen hatte, unterblieb.

Das sind Fehler, die sich rächen könnten,
wenn sie nicht behoben werden!
Wer denn, wenn nicht
die kämpferischen Kräfte in den Gewerkschaften, soll diese Fragen aufgreifen.
Ihre Relevanz für die Gewerkschaftsarbeit liegt offen auf dem Tisch!

Trotzdem muss dieser Kongress als
Fortschritt gewertet werden. Er stellte sich dringenden Frage der Organisierung
der notwendigen Opposition. Gelöst sind sie noch lange nicht. Die Debatte ist
aber eröffnet. Dies ist ein Schritt voran. Weitere, viel schwierigere müssen
folgen. ARBEIT-ZUKUNFT wird diesen Prozess kritisch und solidarisch mittragen! ft