Arbeitslöhne rutschen in den Kelle

Mehrfach machten in den letzten Wochen und Monaten Meldungen die Runde, dass die Löhne in Deutschland rapide sinken. Zum einen wurde klar, dass die Reallöhne beständig sinken. Zum anderen wurde bekannt, dass Deutschland bei der Entwicklung der Löhne innerhalb Europas zum Schlusslicht geworden ist. Während beispielsweise in Irland die Reallöhne von 2003 bis 2008 um fast 24% stiegen, sanken sie im gleichen Zeitraum in Deutschland um ca. 11%! Damit im Zusammenhang sank die Lohnquote von 68% in 2000 auf nur noch 61% in 2008. Mittlerweile müssen über 1,2 Millionen Menschen in Deutschland für einen Stundenlohn unter 3,50 Euro arbeiten. 2,2 Millionen liegen unter 6 Euro pro Stunde!

Und es ist jetzt bereits klar, dass dieser Prozess, der noch in Zeiten des Aufschwungs stattfand, in Zeiten der Krise verschärft weiter gehen wird. Arbeitgeberpräsident Hundt forderte bereits „angesichts der Krise“ Lohnverzicht und eine Absenkung der Tariflöhne in den kommenden Tarifverhandlungen.

Doch zumeist läuft der Prozess der Lohnsenkungen eher still und schleichend ab als öffentlich und mit Getöse.

Eigentlich geht die Propaganda der Unternehmer aber auch die betriebliche Realität ständig um Lohnsenkungen – nicht um Lohnsteigerungen. Ständig laufen Kostensenkungsprogramme, die in der Regel Lohnsenkung und/oder Mehrarbeit bzw. Verdichtung der Arbeit bedeuten. Mal werden ein paar Pausenminuten weggekürzt – ohne Lohnausgleich. An anderer Stelle müssen auf einmal drei Kolleg/innen die Arbeit machen, die zuvor vier erledigt haben. Die Mehrarbeit steigt um ein Drittel, die Löhne bleiben gleich. Real ist das bereits eine Lohnsenkung um 25%.

Der Druck in den Betrieben ist permanent und ohne Pause. Jeder Anlass ist willkommen, um Lohnzugeständnisse einzufordern. Bei Opel werden Millionen Lohneinbußen gefordert und gegeben, angeblich „zur Rettung der Arbeitsplätze“. Tatsächlich wird das eingesparte Kapital genutzt, um bessere Maschinen mit noch mehr Ausstoß anzuschaffen und an anderen Standorten Tausende zu entlassen. Der Druck auf die verbleibenden Beschäftigten steigt dabei automatisch mit. Denn dann stehen qualifizierte Arbeitslose bereit, um für weniger Lohn zu arbeiten.

Für die Arbeiter und Angestellten ist es an der Zeit, sich wieder bewusst zu werden, dass sie Lohnsklaven sind, die vom Verkauf der einzigen Ware leben, die sie besitzen: ihrer Arbeitskraft! Beim Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft befinden sie sich auf einem Arbeitsmarkt, der genau so brutal und mitleidlos in seinen Mechanismen funktioniert wie jeder andere Markt. Und da führt eine Erhöhung des Warenangebots beispielsweise zu einem sinkenden Preis. Wenn also durch Rationalisierung und Fortschritte der Produktion ständig weniger Arbeitskraft benötigt wird und entsprechend viele Menschen arbeitslos werden, dann fällt der Preis für diese Ware, also der Lohn bzw. das Gehalt.

Ebenso klar ist, dass kein Unternehmer eine Ware kauft, die ihm keinen Nutzen bringt. Er kauft also die Ware Arbeitskraft nur dann ein, wenn sie ihm auch Profit bringt. Würde er anders handeln, so würde er nach den Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Marktes schnell Pleite gehen.

Arbeiter bzw. Angestellte und Unternehmer können also keine „gemeinsamen Interessen“ haben. Das ist ein Propagandamärchen, um Menschen dazu zu bringen, freiwillig auf Lohn zu verzichten.

Dass es den Unternehmern gelungen ist, in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern eine Talfahrt der Löhne durchzusetzen, liegt zum einen an den gnadenlosen Gesetzen des Marktes, zum anderen aber auch am Zustand der Arbeiterbewegung.

Wenn Gewerkschaftsführer an der Ausarbeitung der Hartz-Gesetze mitgearbeitet haben, dann haben sie damit die Konkurrenz unter der Ware Arbeitskraft massiv verschärft. Ein-Euro-Jobs werden inzwischen in vielen Bereichen genutzt, um tariflich Beschäftigte zu entlassen. So kritisierten Gewerkschafter, dass in der hessischen Landehauptstadt Wiesbaden rund 500 Arbeitsplätze vernichtet wurden, um sie durch Ein-Euro-Jobber zu ersetzen. Das geschah im Bereich Gartenbau und Landschaftspflege, bei Hausmeisterdiensten für Schulen, in der Altenpflege usw. Es ist klar, dass der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern in diesen Bereichen, den Druck auf tariflich Beschäftigte erhöht, Reallohnsenkungen hinzunehmen, um ihren Arbeitsplatz „zu retten“.

Genauso führt es zu Lohnsenkungen, wenn immer wieder Verantwortliche in den Gewerkschaften „zur Rettung des Betriebes“ Kostensenkungsplänen zustimmen und daran mitarbeiten – oft unter Aushebelung von Tarifverträgen. Damit baut man selber die Schutzzäune ab, die von der Arbeiterbewegung mühsam erkämpft wurden.

Schlimm ist es auch, wenn selbst Tarifverträge mit allen möglichen Öffnungsklauseln gespickt sind, wie jüngst bei der IG Metall geschehen. Auch damit wird die Konkurrenz nur verschärft und nichts „gerettet“. Fordert ein Betrieb, der tatsächlich wirtschaftlich schlecht dasteht, im Rahmen solcher Öffnungsklauseln eine Lohnsenkung und erhält sie, dann sind auch die Betriebe, die gut dastehen, gezwungen für sich dasselbe einzufordern, denn sonst wären sie auf einmal gefährdet. Denn der eben noch marode Konkurrent kann dank Lohnsenkung auf einmal billiger als sie produzieren. Solche Öffnungsklauseln kennen also nur eine Richtung: nach unten!

Leider ist das Bewusstsein für diese objektiven Gesetze der Konkurrenz und des Marktes innerhalb der Arbeiter und Angestellten schwach. Viele folgen den süßen Parolen der Zusammenarbeit. Das macht es Gewerkschaftsführern, die ihr Wohl und Wehe in der Kungelei mit dem Kapital suchen, noch leicht. Auch Passivität und Resignation verschaffen solchen Kräften genug Spielraum, um ihre verheerende Linie durchzusetzen. Dagegen ist Aufklärung nötig. Dagegen ist auch Aktivität und Widerstand in den Gewerkschaften nötig.

Denn die Arbeiterklasse hat nur dann eine Chance gegen die ständige Tendenz zur Lohnsenkung, wenn sie stark ist, wenn sie zusammensteht. Nur durch kollektive Verträge kann sie ein paar Schutzzäune errichten, die die schlimmsten Angriffe des Kapitals abwehren. Als einzelner hat ein Arbeiter oder Angestellter gegenüber dem Kapital keinerlei Macht. Das muss die Mindestlinie für jede gewerkschaftliche Arbeit sein!

Darüber hinaus muss die Frage auf den Tisch, warum und wozu überhaupt dieses ganze System der Lohnsklaverei gut ist? Für den Profit! Aber nicht für die Arbeiter und Angestellten! Die Frage muss auf den Tisch, warum überhaupt eine Gesellschaft auf der Ausbeutung von Millionen, weltweit sogar Milliarden Menschen durch einen kleinen Kreis von Reichen und Superreichen da ist? Denn solange Menschen ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen, um zu leben, solange es Ausbeutung gibt, wird es auch den Druck des Marktes zu Lohnsenkung, mehr Arbeitshetze usw. geben. Wer also nicht nur kurzfristig einzelne Angriffe des Kapitals abwehren oder abschwächen will, der muss dieses System abschaffen und ein neues erkämpfen!