Leserbrief zu „Schnupfen im Kopf“

Genossen,

ich möchte mal meine Meinung zu der Korrespondenz „Schnupfen im Kopf“ von J. aus Halle/Saale in AZ 4/Seite 7 vom Juli 2011 sagen:

Also, dass der Kapitalismus krank macht und dass gesellschaftliche Ursachen psychischer Krankheiten heute sehr vernachlässigt werden, stimmt sicher! Aber er hätte auch erwähnen sollen, dass nach J.P. Sartre und Dr. Huber vom „Sozialistischen Patientenkollektiv“ (SPK) in einer Schrift aus den 70iger Jahren Entfremdung als allgemeines Merkmal einer kapitalistischen Gesell­schaft „krank“ macht und es gleichzeitig die anerkannten Kranken gibt, die­jenigen, die eine ungezielte Reaktion unfähig macht, Lohnarbeit zu leisten und die man dann dem Psychiater ausliefert. Demnach gibt es also „kranke“ und „krank-kranke“ Leute. (1845 schrieb Engels in „Zur Lage der arbeitenden Klasse in England“: „“…,dass in den Arbeiterwohnungen von Manchester nur eine entmenschte, degradierte, intellektuell und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperlich kränkliche Rasse sich behaglich und heimisch fühlen kann.“)

Krankheit ist relativ. Wie viele andere Krankheiten äußert sich auch die psychische in Schüben und Erschütterungen als Protest des Körpers gegen die krankmachende Gesellschaft. M.E. gilt aber auch hier das alte (bürgerliche) Sprichwort: „Jeder Mensch hat einen Vogel, einen Vogel hast auch du, darum lass auch den Vogel anderer Leute in Ruh!“ Es ist doch nicht so, dass unbe­dingt ein qualitativer Sprung erfolgt sein muss, bevor man der Klinik oder einem Psychiater mit ihren Medikamenten und deren zum Teil erheblichen Nebenwirkungen ausgesetzt wird.

Gut ist der Satz des J., „dass es notwendiger denn je ist, für eine re­volutionär demokratische Diktatur der Arbeiterklasse und des Volkes sowie für eine sozialistische, demokratische Planwirtschaft zu kämpfen.“ Denn das ist m. E. der einzige Weg, dem Lug und Betrug der hiesigen Gesellschaft zu entkommen. Sicher hat diese Losung mir als „chronisch Krankem“ beim alltäglichen Kampf ums „Überleben“ sehr geholfen.

Den am Ende des Artikels erwähnten Film „Schnupfen im Kopf – ein Leben mit Psychose“ von Gamma Bak (ihr Vater ist Professor) kann ich dagegen nicht empfehlen – dieser spielt in der „Künstlerwelt“ (nur aufs Individuum bezogen – nicht klassenkämpferisch), mit allem was dazugehört und den kann man einfachen Werktätigen gerade nicht zumuten. Empfehlen kann ich dagegen die DVD „Lebensunwert – NS-Psychiatrie und ihre Folgen am Beispiel von Paul Brune“ von Robert Krieg und Monika Nolte, dem ein Amtsarzt 1961 „asoziales Verhalten infolge Erbanlage“ bescheinigte, als dieser nach seinem zweiten Staatsexamen Lehrer werden wollte.

W. aus Münster