Gedanken zum 1. Mai 2013

Der 1.Mai ist der Kampftag der Arbeiterklasse. Doch, so bedauerlich das ist, in Deutschland sieht die Realität bescheiden aus. Man kann darüber klagen, dass nur noch ein kleiner Teil der Arbeiter/innen diesen Tag als ihren Tag ansieht, an dem sie ihre Interessen und Forderungen zu Gehör bringen, an dem sie für ihre Zukunft eintreten. Es ist offensichtlich, dass die Arbeiterklasse in diesem Land kaum noch politisch in Erscheinung tritt. In Parlamenten, Gremien, Medien, überall da, wo es um Macht geht, gibt es keine Arbeiterklasse. In den Medien erscheint sie höchstens als Objekt von Mitleid („Bild hilft!“) oder von Fürsorge (Hinweise auf „Tafelläden“ und Armenspeisungen, Kochrezepte für Hartz IV).

Es ist geradezu paradox, dass die Klasse, die fast alle Reichtümer dieser Gesellschaft herstellt und auf deren Rücken alle anderen Klassen und Schichten leben, von der Macht regelrecht ausgeschlossen ist.

Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen die immer stärkere Spaltung zum Beispiel durch Leiharbeit und andere Formen prekärer Arbeit oder nach Nationalitäten oder nach Standorten oder zwischen Alt und Jung. Das Kapital hat das systematisch gefördert und willige Helfer in einigen Gewerkschaftsführern gefunden. Die fördern das Standortdenken und die Konkurrenz untereinander; die stimmten den Hartz-Gesetzen zu bzw. verhinderten effektiven Widerstand; die sind „Sozialpartner“ und halten die Arbeiterklasse an der Leine. Dieses Schauspiel werden wir jetzt wieder bei der Tarifrunde der Metaller erleben. In der Stuttgarter Zeitung vom 20.4.13 erschien ein Kommentar von Matthias Schiermeyer zur Tarifrunde. Darin heißt es:

Das Angebot der Arbeitgeber hilft der IG Metall zu mobilisieren…. Das magere Angebot der Arbeitgeber… kommt genauso wenig überraschend wie die harsche Reaktion der IG Metall darauf…. Die IG Metall nimmt einen Lösungsvorschlag wie die 2,3 Prozent von Ludwigsburg dankbar an, dient er ihr doch als Vorlage zur Mobilisierung der Beschäftigten. Nun fällt es ihr leichter, die Belegschaften zu Warnstreiks zu motivieren. Zugespitzt formuliert bedeutet das: Niedrige Arbeitgeberofferten sind die beste Werbung für die Gewerkschaft, die prinzipiell auf Protestaktionen angewiesen ist. So demonstriert sie Stärke und bindet Mitglieder an sich. Neudeutsch nennt man so etwas eine Win-Win-Situation.“ Der Kommentator der Stuttgarter Zeitung erklärt dann, dass dies beiden Seiten nutzt: Die Kapitalisten bekommen am Ende einen niedrigen Lohnabschluss – Schiermeyer tippt auf eine 3 vor dem Komma – und die Gewerkschaftsführer können mit ein paar Warnstreiks kämpferisch tun, zugleich aber die Situation unter Kontrolle halten. Diese Art von Gewerkschaftspolitik führt zur Demoralisierung der Arbeiterklasse. Das spüren wir auch am 1. Mai!

Hinzu kommt der Zusammenbruch der entarteten, ehemals sozialistischen Staaten. Dies hat zu einem Zerrbild von Sozialismus geführt, dass von der antikommunistischen Propaganda kräftig geschürt wird. Damit wird eine fortschrittliche, revolutionäre Perspektive verstellt. Solange die Kommunisten keine überzeugende Antwort geben, was zu dieser Entartung führte, was wir besser machen, aber auch, was richtig und gut war und auf was wir bauen können, fehlt den Fortgeschrittensten unter den Arbeiter/innen eine Orientierung.

Noch erbärmlicher ist allerdings der Zustand der revolutionären und kommunistischen Kräfte in diesem Land. Sie sind zersplittert. Viele nehmen gar nicht mehr aktiv am Klassenkampf teil, sondern haben sich zurückgezogen auf Erinnerungen an gute, alte Zeiten oder den Zusammenhalt durch Gedenkfeiern. Resignation, Zerfahrenheit und Passivität bestimmen das Bild. Viele klammern sich an Formeln, die auch, wenn sie noch so oft wiederholt werden, nicht helfen, weil man sich nicht der Realität zuwendet. Im gegenwärtigen Zustand kann die revolutionäre, kommunistische Bewegung der Arbeiterklasse kaum Antworten geben, weil sie gelähmt ist.

Die erste Aufgabe aller revolutionären, kommunistischen Kräfte ist es, sich dem Klassenkampf zuzuwenden und darin gemeinsam aufzutreten. Es ist klar: Eine kommunistische Partei entsteht nicht spontan aus dem Klassenkampf, aber sie kann sich nur im Klassenkampf herausbilden und entwickeln. Am grünen Tisch entsteht sie nicht.

Als zweites muss die Haltung des Zurückblickens, des Jammerns über die guten, alten Zeiten überwunden werden. „Sind wir also einmal geschlagen, so haben wir nichts anderes zu tun, als wieder von vorn anzufangen“ (Friedrich Engels, in: Karl Marx – Friedrich Engels – Werke, Band 8, „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“, S.6). Es geht nicht um das, was wir verloren haben, sondern um das, was wir gewinnen wollen: Eine andere Gesellschaft, den Sozialismus! Dazu müssen wir uns selbst bewusst sein, dass es sich tatsächlich um Klassenkampf handelt. Denn oft fehlt den revolutionären, kommunistischen Kräften die Einstellung, dass es in einem solchen Kampf um Macht, um die Machtfrage geht. Das Kapital ist sich dessen wohl bewusst und hält uns mit allen Mitteln klein! Wir verharren jedoch oft in unserer Schwäche und streiten lieber untereinander über kleine und große Fragen, statt reale Auswege aus der Isolierung und Schwäche zu suchen. Doch dazu müssen wir in den Kategorien der Macht, des Kampfes denken.

Was macht man, wenn man schwach ist und wenig Kraft hat? Sich zusammenschließen und sich auf einige wenige Punkte konzentrieren, wo der Gegner schwach ist! Diesen Weg müssen wir gehen!

Ein Beispiel dafür ist die Leiharbeit und die prekäre Arbeit insgesamt. Während wir bei den Tarifritualen derzeit noch zu schwach sind und die Arbeiterklasse noch nicht bewusst genug ist, um das zu durchbrechen und ihre Macht zu spüren, liegt die Sache bei der Frage der Leiharbeit ganz anders. Leiharbeit ist unter den Arbeiter/innen verhasst. Es gibt ein Bewusstsein, dass die Leiharbeit dazu dient, die Löhne zu drücken, die Menschen zu spalten und besonders brutal auszubeuten. Viele wissen, dass ihnen dieses Schicksal droht, wenn sie einmal ihre Arbeit verlieren. Und alle wissen, dass man von 8 Euro/Stunde und knapp 1300 Euro brutto nicht leben, keine Familie ernähren kann. Die Position des Kapitals ist in diesem Punkt zwar ökonomisch stark, aber politisch schwach. Das verlogene Argument über diese Billigarbeit würden Arbeitsplätze geschaffen, glaubt kaum noch jemand. Warum können sich also nicht alle fortschrittlichen, revolutionären, kommunistischen Kräfte einigen, in diesem einen Punkt die Arbeiterklasse zu mobilisieren, zu organisieren und das Kapital anzugreifen. Hier ist der Gegner schwach! Hier besteht zumindestens die Chance zu siegen. So kann die Arbeiterklasse ihre Kraft erfahren, mehr Klassenbewusstsein erringen.

Das gemeinsame Flugblatt von 5 revolutionären, kommunistischen Organisationen zum Thema Leiharbeit, dass wir in dieser Ausgabe von „Arbeit Zukunft“ abdrucken, ist ein Schritt in dieser Richtung. Aber er reicht nicht aus. Noch mehr müssen einbezogen und eine breite Plattform geschaffen werden. Die Initiative muss in die Klasse, in die Betriebe, in die Gewerkschaften hineingetragen werden. Es geht um Klassenkampf, es geht um Macht. Denn ohne eine Machtposition kann man nichts erreichen.

Wichtig wäre es, dass die Arbeiterklasse selber handelt. So könnten am 1.Mai Betriebe, gewerkschaftliche Vertrauensleutekörper mit Transparenten zum Verbot der Leiharbeit auftreten und so ihre Forderungen zum Ausdruck bringen. In den Gewerkschaften muss die Forderung nach einer Beendigung der Leiharbeitstarifverträge auf den Tisch. Das alles wird dauern und nur gelingen, wenn wir bewusst daran arbeiten und dies in und mit der Arbeiterklasse. Der 1.Mai 2013 kann dazu ein Auftakt sein.

ernst