Ziel des Bildungssystems: Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung

Das bei „unserem“ Bildungssystem einiges im Argen liegt, pfeifen so ziemlich sämtliche Medienspatzen von sämtlichen Dächern. Die Schulklassen sind zu groß, es gibt zu wenige Lehrer, die Schulen und Universitäten haben zu wenig Geld, die Gebäude sind marode… Die Liste ist noch lange nicht vollständig. Wir nennen nur noch einen Punkt, der auch immer wieder zugegeben wird: die soziale Herkunft ist entscheidend für den Bildungsweg, und das „erstaunlicherweise“ seit Jahrhunderten.
Will man die Qualität eines Bildungssystems beurteilen, so braucht man dazu natürlich Kriterien. Da müssen wir zunächst einmal einräumen, dass Deutschland zu den zehn wirtschaftlich und politisch führenden Staaten zählt – mit diesem Bildungssystem! Wir sind außerdem der Auffassung, dass das Bildungssystem dazu beitragen soll (und es auch tut), das bestehende Gesellschaftssystem zu erhalten – und das ist nun mal der Kapitalismus. Dass an den Schulen und Universitäten Wissen aus bürgerlicher Sicht vermittelt wird, ist auch kein Geheimnis – auch hierauf soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Ziel der Ausbildung ist angeblich der „mündige Bürger“. Dass das aber nur vorgeschoben ist, wird schon daran klar, dass der erfolgreich erwachsen gewordene Mensch für unmündig erklärt wird, wenn es um politische Entscheidungen geht – da soll er jemanden wählen, der das angeblich besser kann als er.
Wir lassen es einmal bei der Erwähnung dieser Mängel im Bildungssystem und beleuchten die Angelegenheit einmal von einigen anderen Seiten. Das kann hier nur ein Anfang sein, der hoffentlich zu weiteren Diskussionen, Untersuchungen und Aktivitäten anregt.
Die Biologen unterscheiden drei Methoden, mit denen Tiere (inklusive Mensch) auf ihre Umwelt reagieren (wobei dieser Begriff ungenau ist, denn es sind nicht nur Reaktionen): Reflex, Instinkt und Intelligenz. Reflex und Instinkt laufen im Unbewussten ab, Intelligenz bewusst. Denkvermögen ist außer beim Menschen auch bei einer Anzahl von Tierarten nachgewiesen, doch der Mensch ist die einzige Tierart, bei der das Denkvermögen überwiegt. Das macht ihn zum Menschen.
Diese drei Möglichkeiten kann man in gewissem Sinne in unserem Schulsystem wiederfinden. Bei der Beurteilung von Schülerleistungen gibt es die „Anforderungsbereiche 1 bis 3″; darunter kann sich so manche(r) Leserin wohl nicht viel vorstellen. Früher war das etwas konkreter formuliert: Reproduktion (Nachweis von Sachwissen), Reorganisation (Anwendung von Sachwissen) und Problemlösung. Man könnte vielleicht auch sagen: Kennen, Können und Verstehen.
Von zahlreichen mit dem Menschen zusammenlebenden Tieren wissen wir, dass sie von uns sehr viel lernen können. Sie kennen die Bedeutung zahlreiche Zeichen und Signale und können zahlreiche damit in Verbindung stehende Handlungen ausführen, das Wissen also anwenden. Beim dritten Merkmal, dem Verstehen, sind die Menschen ihnen allerdings überlegen.
Nicht nur im deutschen Bildungssystem können wir eine eindeutige Entwicklung beobachten: es wird immer mehr Gewicht gelegt auf das Kennen und Können, d..h. auf Sachwissen und seine Anwendung, und immer weniger Gewicht auf die Problemlösung – die beherrschten Menschen werden von den Herrschenden in Richtung Tier zurückgedrängt. Das zeigt sich in den Bachelor-Studiengängen, das zeigt sich beim G8-Abitur, das zeigt sich bei der Benotung von Leistungen: gab es früher bei Klassenarbeiten von insgesamt 15 möglichen Punkten für den problemlösenden Teil immerhin 6 Punkte, sind es heute nur noch 3 Punkte. Das zeigt sich bei Bildungstests und Quiz-Shows. Da wimmelt es von „Bildungs“-Fragen wie „Wer spielte die Hauptrolle im Film X?“ – „Wer schrieb den Song Y?“ In einer Wetten-dass-Sendung trat vor einigen Monaten ein damals 23jähriger Student auf, der kannte sämtliche Bundesliga-Ergebnisse der letzten 10 Jahre und die jeweiligen Torschützen. Die Belohnung für den Studenten mit dem Fußball als Gehirn (übrigens, der Fußball ist innen hohl): Er bekam nicht nur einen Fernsehauftritt, sondern noch 50.000 € Belohnung. Den sollt Ihr Euch zum Vorbild nehmen, sonst werdet Ihr nie Millionär!
Es wird immer deutlicher: gerade der Fähigkeitsbereich, der den Menschen von den anderen Tieren deutlich unterscheidet, wird im Bildungssystem immer weiter herunter gefahren. Dazu gibt es in den Medien die passenden „Dokumentations-Sendungen“. Vor einiger Zeit lief ein zweiteiliger Beitrag mit dem Titel „Die Macht des Unbewussten“. In ihm wurde nachzuweisen versucht, dass wir Entscheidungen nicht mit Hilfe unseres Gehirns treffen, sondern dass diese Entscheidungen schon vorher von unseren Hormonen usw. getroffen werden, vom „Unbewussten“ also. Nun ist es allerdings so, dass auch die anderen Tierarten Reflexe und Instinkte haben, „unbewusstes“ also, und natürlich auch Enzyme, Hormone usw. – wieso wirken die dann bei ihnen auf das Gehirn nicht auch wie beim Menschen?
Das bisher Absurdeste (uns bekannte) ist der Dokumentarfilm „Kluge Pflanzen“. Wir werden nun dem Niveau dieses Filmes folgen und Dir, liebe(r) Leser(in) beweisen (!!!!), dass ein Bierdeckel klug ist. Wir hoffen, Du hast gerade einen zur Hand. Nimm den (oder Ähnliches) doch einmal in die Hand, hebe ihn hoch und lasse ihn los – sieh’ste, der Bierdeckel ist so klug, der kennt sogar die Gesetze der Schwerkraft!
Uns ist – zugegebenermaßen – der gerade Gaul ein bisschen durchgegangen, das Thema ist viel zu ernst. Das Bildungsniveau der deutschen Bevölkerung wird nicht nur durch finanzielle Einsparungen, nicht nur durch das Unterjubeln der bürgerlichen Ideologie immer weiter heruntergeschraubt. Wir wollen hier vor allem dazu anregen, die oben angedeutete Entwicklung aufmerksam zu beobachten und zu entlarven, und natürlich dazu, ihr entgegen zu treten, denn ihr Ziel ist nichts anderes als eine bildungsmäßig unmündige Bevölkerung zur Aufrechterhaltung der christlich-abendländischen Leidkultur, der „freien Marktwirtschaft“ usw., sprich des Kapitalismus: der weiteren Ausbeutung der arbeitenden Menschen (übrigens nicht nur in Deutschland).
Noch etwas zum hoffentlich nur vorläufigen Schluss: die Menschheit lebt seit mindestens 150 Jahren im Zeitalter der materialistischen Wissenschaften wie den Naturwissenschaften. „Unser“ Bildungssystem beruht aber – wie schon seit Jahrhunderten – auf den idealistischen Geisteswissenschaften. Naturwissenschaftliche, materialistische Fächer werden an den Schulen allenfalls als Nebenfächer (heute sagt man dezent „nichtschriftliche“ Fächer) unterrichtet, wenn überhaupt. Und nicht selten werden sie geisteswissenschaftlich beeinflusst unterrichtet. Das reicht den Kapitalisten, mehr brauchen wir nicht zu wissen, denn das würde für sie gefährlich!


Bertolt Brecht:

Lob des Lernens

1. Lerne das Einfachste!
Für die, deren Zeit gekommen ist,
Ist es nie zu spät!
Lerne das Abc, es genügt nicht,
Aber Lerne es! Lass es dich nicht verdrießen!
Fang an! Du musst alles wissen!
Du musst die Führung übernehmen.

2. Lerne, Mann im Asyl!
Lerne, Mann im Gefängnis!
Lerne, Frau in der Küche!
Lerne, Sechzigjährige!
Du musst die Führung übernehmen.

3. Suche die Schule auf, Obdachloser!
Verschaffe dir Wissen, Frierender!
Hungriger, greif nach dem Buch:
Es ist eine Waffe.
Du musst die Führung übernehmen

4. Scheue dich nicht zu fragen, Genosse!
Lass dir nichts einreden, sieh selber nach!
Was du nicht selber weißt, weißt du nicht.
Prüfe die Rechnung – du musst sie bezahlen.
Lege den Finger auf jeden Posten,
Frage: Wie kommt er hierher?
Du musst die Führung übernehmen.

 

Leserbrief

Antwort auf den zur Diskussion gestellten Artikel
„Ziel des Bildungssystems: Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung“

Einleitend möchte ich zunächst meine grundsätzliche Übereinstimmung mit der Hauptthese des Artikels – Erhaltung des Kapitalismus als Zweck des Bildungssystems – bekräftigen: Schulbildung als Bestandteil der nationalen Kultur gehört zum Überbau eines jeden Gesellschaftssystems. Da die BRD als Staat auf kapitalistischer Grundlage basiert, kann das Bildungssystem nicht losgelöst von ihr betrachtet werden. Der Staat bzw. die Herrschaft über das Bildungssystem dient der Kapitalistenklasse zur Durchsetzung ihrer Macht.
Die Kapitalisten brauchen gut ausgebildete Fachkräfte, die einen größtmöglichen Profit für ihr Unternehmen erwirtschaften. Diese Arbeiter benötigen dazu Fachwissen, d.h. Sachkenntnisse, die zur unmittelbaren Anwendung einer bestimmten Tätigkeit erforderlich sind (physikalische Gesetze etc.). Weiteres (philosophisches) Wissen, beispielsweise über den eigentlichen Charakter von Lohnarbeit, hingegen dient nicht der Profitmaximierung – ja, gefährdet sie sogar. Folglich ist es nicht im Interesse des hiesigen Systems, einen umfassend gebildeten Menschen zu erziehen. Da es jedoch immer eine einflussreiche intellektuelle Klasse gibt, die die fortschrittlichen, kritischen Wissenschaften verteidigt, findet ein beständiger Kampf zwischen einer forcierten „Volksverdummung“ (der Verfasser nennt hier einige gute Beispiele aus dem Fernsehen) und einem Versuch des Erhalts von umfassender Bildung statt. Letzterer wird gleichzeitig von den Kapitalisten bis zu einem gewissen Grad genutzt, um den Schein zu waren – wie es ihren Interessen gerade dienlich erscheint. Es ist also nicht ganz so einfach, wie es der Verfasser des Textes näher auszuführen sucht.
Es wäre kein realistisches Ziel des Bildungssystems, „unmündige Bürger“ (was ist das überhaupt für eine nicht-klassenmäßige Bezeichnung?!), die „christlich-abendländische Leitkultur“ und die kapitalistische Marktwirtschaft gleichzeitig zu reproduzieren. Natürlich ist es der Wunsch der Konservativen vom Schlage der CSU, aber es entspricht nicht der tatsächlichen Entwicklung; es ist ein hoffnungsloses Unterfangen! Der internationale Weltkapitalismus, die Globalisierung, schafft diese „Leitkultur“ gesetzmäßig mehr und mehr ab, weil nationale Grenzen, Kulturen, Sprachen und andere Besonderheiten ihm ein Hindernis darstellen.
Wir Marxisten-Leninisten erkennen diese (widersprüchliche) Entwicklung nüchtern an und stemmen uns eben nicht dagegen, da wir wissen: Alles ist Teil eines welthistorischen Prozesses, der unweigerlich in eine sozialistische Revolution mündet!
Auch der Drang fortschrittlicher Wissenschaftler nach der notwendigerweise auszuweitenden Internationalisierung ihres Arbeitsfeldes wird letztlich zum (Mit-)Totengräber des Imperialismus, welcher auch ihnen durch sein kriegerisches Gebaren hinderlich ist.
Wir arbeiten durch revolutionäre Aufklärung in diesen Prozess hinein, aber versuchen nicht Illusionen über eine Art „klassenunabhängiges“ Bildungssystem innerhalb unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems zu verbreiten!
Vielmehr aber möchte ich auf den Schlussgedanken des Autors zu sprechen kommen. Hier wird behauptet, dass „naturwissenschaftliche, materialistische Fächer […] allenfalls als Nebenfächer unterrichtet [werden]“.
Ich selbst ging noch vor wenigen Monaten auf ein humanistisches Gymnasium in Bayern. Dies bedeutet, dass ich eine schwerpunktmäßige Ausbildung mit der Sprachenfolge Englisch-Latein-Altgriechisch erhielt. Dennoch war es mir in den letzten zwei Jahren vor dem Abitur nicht vergönnt, alle naturwissenschaftlichen Fächer abzuwählen. Ich musste mindestens eines – entweder Biologie, Chemie oder Physik – weiter nehmen. Mathematik sowieso. Um das Abitur, die sog. „Allgemeine Hochschulreife“ zu erhalten, ist eine Mindestleistung in jenen Fächern zu erreichen, was nicht nur mir alles andere als „leicht“ fiel. Wenn also schon an einem Zweig mit sprachlich-humanistischem Schwerpunkt derart viel Wert auf Naturwissenschaften gelegt wird, ist es hanebüchener Unsinn, Gegenteiliges zu behaupten. Unabhängig davon sind keineswegs nur naturwissenschaftliche Fächer materialistisch; Geographie, Geschichte, Wirtschaft&Recht, Sprachenlehre und auch Kunst/Musik sind es selbstverständlich ebenso. Religion/Ethik nimmt ohnehin kaum ein Schüler ernst. Philosophie gab es lediglich als Ergänzungsmöglichkeit für die Erreichung der erforderlichen Punktezahl. Ich halte den Begriff „Geisteswissenschaften“ ohnehin für irreführend; gleichzusetzen mit Idealismus sind jene jedenfalls nicht. Richtig ist, dass die bürgerliche Ideologie idealistisch ist. Diese ist aber Grundlage aller Fächer! Naturwissenschaften werden also nicht „geisteswissenschaftlich beeinflusst“ unterrichtet, sondern wenn, dann auf Basis bürgerlicher Ideologie. Solche Begrifflichkeiten dürfen keinesfalls vermischt werden!
Im Übrigen sind es mitnichten die „Geisteswissenschaften“, die primär der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung dienen. Ich selbst fand gerade dort Raum für kritisches Gedankengut.
Es scheint eine Ironie, dass ausgerechnet der Geschichtsunterricht – natürlich mit bürgerlicher Färbung und gerade dadurch z.T. derart selbst-entlarvend – mich persönlich für den Marxismus begeistert hat.
Bezeichnenderweise kommen in jüngster Zeit vermehrt von der Industrie Forderungen, die nach einer weiteren Aufwertung der sog. „MINt-Fächer“ (Mathe-Informatik-Naturwissenschaften) wie auch des Englischen schreien, verbunden mit der Zurückdrängung v.a. sog. „toter Sprachen“!
Englisch, Informatik etc. sind eben besser verwertbar im kapitalistischen Produktionsprozess als alte Sprachen und Gedanken der Antike, die womöglich auch noch kritisches Denken befördern!
Im Fach Altgriechisch lernt man nicht nur Schrift und Sprache einer bedeutenden Hochkultur sondern bekommt auch die Ideen und Erkenntnisse herausragender (früh-)materialistischer Philosophen, wie beispielsweise von Demokrit, vermittelt. Erkenntnisse, die auch zur Grundlage unserer heutigen marxistisch-leninistischen Wissenschaft gehören!
Naturwissenschaftliche Fächer sind nicht per se „wichtiger“ als andere. Jedem Schüler sollte die Möglichkeit gegeben werden, individuell nach seinen Talenten und Interessen einen Fächerschwerpunkt zu wählen.
Unsere Forderung (auch für einen zukünftigen Sozialismus) kann daher nicht lauten:
Mehr Naturwissenschaften an den Schulen!
Sondern: Demokratisierung der Schule! Keine Einmischung vonseiten der Industrie!
Als ehemaliger Schüler kann ich es nicht ausstehen, wenn irgendwelche „erfahrenen Pädagogen“, ob bürgerlich oder „marxistisch“, meinen, einen mündigen (da der Autor dieses Wort gerne nutzt) Jugendlichen (das ist mit 17/18-Jahren gewiss der Fall) zu bestimmten Fächern überhaupt noch verpflichten zu müssen!
Fazit: Materialist bin ich auch geworden, ohne je eine große Begeisterung für chemische Formeln entwickelt zu haben!

A.N.