Der Weckruf der CSU

Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern gibt der rückwärtsgewandten Politik in den Volksparteien nochmal einen Aufschwung. Die CSU, die kleinste der drei GroKo-Parteien, gibt dabei die lautesten Töne von sich und versucht sich als Volksversteherin zu profilieren.
Die Landtagswahl ist nach Generalsekretär Scheuer ein »klarer Auftrag«. Die Menschen seien zwar solidarisch, aber »nicht bereit, dass wir uns nach denen richten, die zu uns kommen«, während wir, so Fraktionschef Kreuzer, nur so viele Menschen aufnehmen können, »wie die Menschen in diesem Land wollen.« Das alles machen sie daran fest, dass rund 20% der Wähler Mecklenburg-Vorpommerns die Alternative für Deutschland gewählt haben. Für die CSU Anlass genug, um bundesweiten Zuspruch für ihre eigentlich schon zur Regel gewordene Haltung zu proklamieren und ein Positionspapier zu verabschieden, womit sie ihre Schwesterpartei zurechtweisen will.
Dabei fordern sie unter dem Leitsatz »Deutschland muss Deutschland bleiben« einerseits ein »Einwanderungsbegrenzungsgesetz«, das die Zahl der aufgenommenen Geflüchteten trotz fallender Tendenz auf jährlich 200 000 begrenzen soll, andererseits die Aufnahme der »Leitkultur« in die Verfassung, mit der Leitkultur als »Gegenteil von Multikulti«. Denn die Sorge ist, so Markus Blume, »dass hier unsere Rechtsordnung vielleicht gar nicht mehr gilt, […] dass Werte, die uns wichtig sind, ich nenne mal Gleichberechtigung von Mann und Frau, hinterfragt werden.«
Wie scheinheilig diese Aussage ist, zeigt schon ein Bericht der bayrischen Polizei vom Oktoberfest 2015, auf dem es unter vielen anderen Straftaten zu einem sexuellen Übergriff durch einen 20-jährigen Deutschen kam. Hier sprach der Polizeibericht von einem »spaßig gemeinten Griff unter den Rock« einer Frau durch einen »kecken Burschen«. Dieser Bericht zeigt auf, wie viel hinter der gelobten Leitkultur, Rechtsordnung und Gleichberechtigung von Mann und Frau steckt; nämlich gar nichts.
Auch wenn es ironisch, ja sogar belustigend ist, dass diese Forderungen aus Bayern kommen, ändert das nichts daran, dass ein zunehmender Rechtsruck zur Realität geworden ist. Die AfD zieht in immer mehr Landtage ein und das trotz einer massenfeindlichen Linie, wenig Argumenten und viel Gepöbel. Sie schafft es, den etablierten Parteien die Wähler abzuwerben, auf die sie sich stets verlassen haben. Deshalb vertiefen sich auch die Gräben zwischen CDU, CSU und SPD.
Obwohl die Sozialdemokraten die vermeintlich Linken in der Koalition sind, steigt auch Parteichef Gabriel auf die Stimmungsmache der AfD ein. Während sich Gabriel noch im August 2015 sicher war, dass wir das schaffen und er mit aller Kraft betonte, dass er gegen eine Obergrenze sei, reicht es ihm genau ein Jahr später nicht mehr, wenn ständig »wir schaffen das« gesagt wird und er versteht plötzlich die angebliche Notwendigkeit, eine Obergrenze zu haben. Nebenher drängt die CSU ihre rückständigen Ideen auf die Bundesebene und sogar Donald Trump nutzt diese Lage und erzählt von einem in der Kriminalität versunkenen Deutschland.
Schauen wir uns gewissenhaft um; wessen Leben hat sich während der Flüchtlingskrise schlagartig aufgrund von Geflüchteten verschlechtert? Richtig, keiner von uns leidet Hunger. Und die Verschlechterungen, die wir zu spüren bekommen, sind das Resultat von Maßnahmen wie der Agenda 2010 oder der Schuldenbremse. Doch in der aktuellen politischen Debatte geht es so wenig wie noch nie um Argumente. Der Berliner AfD-Spitzenkandidat Pazderski fasste den Grund dafür zusammen: »Das, was man fühlt, ist Realität.«
Und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn die gesamte Debatte wird ausschließlich von Gefühlen geleitet, allen voran dem Gefühl, Deutschland sei seit der Ankunft der Geflüchteten zu einem anderen Land geworden; die guten Tage seien Vergangenheit geworden. Obwohl es uns noch verhältnismäßig gut geht, geht eine Unruhe durch die Reihen. Eine Unzufriedenheit macht sich breit.
Sollten wir auch nicht um unser Leben fürchten müssen, haben wir kein gutes Gefühl, wenn wir in die Zukunft sehen. Täglich erreichen uns die Meldungen von Terroranschlägen, Hungertoten und Umweltzerstörung. Besonders wir, die Arbeiter und die Jugendlichen, die sich mit harter Arbeit täglich über die Runden bringen müssen, wissen oder ahnen, dass unsere Arbeit in Zukunft nicht mehr für die Erhaltung unserer Lebensstandards reichen wird. Wir sind besorgt.
Genau diese Besorgnis greifen die Organisationen vom Schlag der AfD oder der CSU mit ihrem „Weckruf“ auf, wenn sie Illusionen schaffen, dass uns die Abwehr von Flüchtlingen, Errichtung von Mauern und der Ausverkauf unserer Sozialdienste eine lebenswerte Zukunft ermöglichen wird. Ja, sie sind tollpatschig, ja, sie treten oft ins Fettnäpfchen und ja, sie sind politisch untragbar, aber trotz all dem sehen einige Menschen in einer Partei wie der AfD ihre Kämpfer für eine bessere Zukunft. Sie fühlen sich repräsentiert.
Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse ableiten und die Fehler aufzeigen, die die deutsche Linke in ihrer Entwicklung gemacht hat. Sie hat sich in Formalitäten verloren und versucht ständig zu reden, statt mehr zu handeln. Doch zeigten es die rhetorisch unvollkommenen, aber begeisternden Reden des Arbeiterführers Ernst Thälmann, dass die Menschen sich nicht mit Fehlern aufhalten, wenn sich jemand für sie einsetzt – oder sie es zumindest glauben, wie es bei der AfD der Fall ist.
Die Linken haben sich selbst von den Massen abgesondert, indem sie in vielerlei Hinsicht zu spießbürgerlichem Verständnis gegriffen haben. Sei es das *Gendersternchen oder das Pochen auf Liebe (siehe Wahlplakate der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern): Mit weder noch lässt sich die Miete zahlen. Diese Dinge geben keinen Halt im Leben. Dass Arbeiter »Geringverdiener« und »sozial Schwache« genannt werden, verleiht erst recht kein Selbstbewusstsein.
»Wo bleibt der Stolz?«, fragt Nils Markwardt in der Freitag. Diese Frage ist zentral wichtig. Denn nach ihm waren kommunistische und sozialdemokratische Parteien seiner Zeit nicht nur Vertreter der Arbeitermassen, sondern auch Bildner proletarischer Identität. Seien es die rote Fahne, der goldene Stern oder die Internationale, die Arbeiterorganisationen gaben den Arbeitern etwas zurück, was ihnen im Alltag verloren ging: Ihre Würde. Deshalb hatten sie auch die Massen hinter sich. Daran muss die Linke auch denken, wenn sie nostalgisch in den Hochzeiten der Arbeiterbewegung schwelgt.
Für seine Partei sagt CSU-Wirtschaftsminister Söder, dass sie diesen Weckruf ernst nähmen und sagten: „Neues Vertrauen gibt es am Ende, ja, aber nur mit einer neuen Politik.“ Damit leitet seine Partei eine neue Runde der sozialen Demagogie ein, mit der sie nun versuchen werden, die Massen für sich zu gewinnen.
Diese neue Politik muss aber von der linken Bewegung in Deutschland kommen, indem sie den Arbeitern in Deutschland in ihrer Sprache und im gemeinsamen Kampf verständlich klarmachen, dass sie nicht die Geringverdiener und sozial Schwachen sind, sondern eine mächtige Klasse, die dazu in der Lage ist, mit Krieg und Ausbeutung Schluss zu machen. Dafür muss sie ihren Ton ändern und sich noch weiter in Betrieb und Stadtteil verankern. Insbesondere muss sie konsequent aufzeigen, dass die Ursachen der verbreiteten Unzufriedenheit in unserer Wirtschaftsordnung liegen und die Grenzen zwischen Ihnen, der Arbeiterklasse, und der Klasse der Reichen verläuft – und nicht zwischen den Völkern, wovon die rückwärtsgewandten Kräfte sie überzeugen möchten.