Amtsgericht Stuttgart: Zweimal voll auf Repression gebürstet!

Skandal I.: Krasses politisches Urteil am Stuttgarter Amtsgericht!

Am Donnerstag, 08.November 2018, konnte man das skandalöse Gerichtsverfahren gegen Antonietta Ferri vor dem Amtsgericht Stuttgart miterleben. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, sie habe als Versammlungsleiterin gegen Auflagen für zwei Protestkundgebungen gegen Erdogans Kriegsverbrechen in Afrin verstoßen.

Symbolbild: Afrin-Soli Stuttgart

Besonders übel:

Im ersten Fall war Antonietta Ferri mutig als Versammlungsleiterin eingesprungen, weil die eigentlich dafür vorgesehene Person von der Polizei zurückgewiesen worden war.

Die Anklage läuft im Wesentlichen darauf hinaus, „die Beschallung“, also die Lautsprecheranlage nicht unter Einhaltung der als Auflage geforderten Pausen betrieben zu haben. Sie hätte die Lautsprecheranlage wegen der angeblich unzumutbaren Lärmbelastungen durch die Kundgebung auf 10 Minuten begrenzen sollen, dann 10 Minuten Pause – egal ob da eine Rede gehalten oder Musik gespielt werde. Eine Polizeizeugin hatte sich nicht entblödet, penibel eine Liste über die „Verstöße“ zu schreiben.

Slapstickreif war die Situation, als Richterin Schmidt die Auflagen-Begründung verlas: Zum Schutz der Passanten und nahe der Kundgebung arbeitenden Menschen seien die erlaubten 85 dB (etwa der Lärm an einer Hauptverkehrsstraße) nur 10-minutenweise zumutbar. Doch die Verlesung ging unter im Dröhnen einer genau in dem Moment im Gerichtsgebäude losratternden Schlagbohrmaschine: Minimum 95 bis 100 dB! Die Richterin musste die Verhandlung unterbrechen und sich um Ruhe kümmern.Wer schützt eigentlich die hier arbeitenden Menschen und die Bauarbeiter, die mit so einer Hilti arbeiten? Immerhin: Arbeiter sind eben doch mächtig und kriegen sogar eine Gerichtsverhandlung gestoppt!

Juristisch ist solch eine Auflage äußerst fragwürdig. Greift sie doch – wie Rechtsanwalt Wolfram Treiber in seiner Verteidigung deutlich ausführte – gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Dazu stützte er sich ausführlich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Er bezeichnete die gesamten Auflagen des Stuttgarter Ordnungsamtes als rechtswidrig und berichtete, dass in vergleichbaren Städten für ähnlich Aktionen keine Auflagen mehr erteilt würden. Er wollte wissen, ob das Gericht von der Angeklagten verlange, einem Redner, der durch das Grundrechte der Redefreiheit, der freien Meinungsäußerung geschützt sei, nach 10 Minuten das Wort abzuschneiden.

Um all das scherte sich Amtsrichterin Schmidt nicht weiter. Ungerührt verurteilte sie Ferri zu 30 Tagessätzen á 30 Euro, also 900,- Euro Strafe, ersatzweise, wenn sie nicht zahlt oder zahlen kann, zu 30 Tage Gefängnis! Für eine Lächerlichkeit!! Buchstäblich für nichts!

Ein skandalöses Einschüchterungsurteil!

Der Staatsanwalt hatte sogar 45 Tagessätze á 40 Euro gefordert!!! Also 1800 Euro, ersatzweise 45 Tage Gefängnis!

Rechtsanwalt Treiber hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Solidarität ist weiter gefragt!!

Skandal II.: Räumungsklage unter Hochsicherheitsbedingungen

8 Tage später musste Antonietta Ferri erneut vorm Stuttgarter Amtsgericht, vor Amtsrichterin Petra Strifler-Sapper erscheinen, da ihr Vermieter gegen sie und ihre Familie eine Räumungsklage angestrengt hatte. Mieterin Ferri akzeptiert die Kündigung nicht! Eigentlich sollte diese Verhandlung schon eine Woche früher stattfinden und zwar im Anschluss an eine Verhandlung gegen Aktivist/innen im Zusammenhang mit der Wohnungsbesetzung in der Stuttgarter Wilhelm-Raabe-Straße 4.

(Vgl. auch:

https://www.arbeit-zukunft.de/2018/04/29/kaempferisch-demo-gegen-wohnungsnot-leerstand-fuer-erschwinglichen-wohnraum/

https://www.arbeit-zukunft.de/2018/05/29/raeumung-besetzter-wohnungen-in-stuttgart-polizei-und-justiz-vollstrecken-gewaltsam-spekulanten-interessen/

http://www.beobachternews.de/2018/05/02/sie-kamen-um-zu-bleiben/ )

Darum war breit zu Solidarität, Prozessunterstützung und -beobachtung aufgerufen worden. Weil Antonietta als solidarische Aktivistin bekannt ist, auch noch zur Solidarität mit Antoniettas Wohnungsprozess! Offensichtlich machten diese Soli-Aufrufe das Gericht so nervös, dass es beide Verhandlungen aus „Sicherheitsgründen“ verschob. Die Verhandlung um Antoniettas Räumungsklage um eine Woche, die in Sachen Wilhelm-Raabe-Straße um zwei Wochen.

Richterin dreht hohl!

Obwohl eine Räumungsklage vor einem Amtsgericht normalerweise Routine ist, erließ die Richterin eigens eine „Sitzungspolizeiliche Verfügung gemäß § 176 Gerichtsverfahrensgesetz“ für die Verhandlung: massive „Sicherungs“maßnahmen! Angeblich sei sonst die Sicherheit der Verhandlung nicht gewährleistet.

Denen, die in der Verhandlung Antonietta den Rücken stärken wollten, bot sich ein Bild, als ginge es um Schwerverbrecher oder Gewaltkriminelle: Der Zugang zum Gerichtssaal war abgeriegelt von vielen bewaffneten Polizisten und uniformierten SGS-Beamten (Sicherheitsdienst für Gerichte und Staatsanwaltschaften, im Volksmund Justizwachtmeister). Auch im Gerichtssaal hielten sich mindestens je 4 SGS-Beamte und Polizisten auf, letztere ausdrücklich laut der Verfügung bewaffnet!

Am schmalen Zugang fürs Publikum verlangte Polizei den Ausweis, der sofort fotokopiert wurde. Namenslisten der Zuschauer und Fotokopien der Ausweise mussten laut der Verfügung dem Gericht „übergeben“ werden. Sämtliche Taschen und Gegenstände aus Jacken und Hosentaschen mussten an die Beamte/innen ausgehändigt und in Schließfächern (Schränke eigens herbeigeschafft!) weggeschlossen werden. Dann wurden alle Zuhörer/innen von Polizei nochmal von oben bis unten abgetastet. Kameras, Handys, „Tonaufzeichnungsgeräte“ – alles musste abgeliefert werden.

Eine entwürdigende Schikane, von abgrundtiefer Angst und wildem Misstrauen getrieben! Natürlich protestierten Antonietta Ferri und ihr Anwalt gegen diese Maßnahmen. Aber die Richterin nahm nichts zurück. Arrogant wies sie bei Eröffnung der Verhandlung darauf hin, dass sie keine Kommentare aus dem Publikum zu hören wünsche. Trotz alledem: Ca. 30 Zuschauer/innen hatten sich nicht einschüchtern lassen und folgten besonders kritisch und aufmerksam der Verhandlung.

Zunächst probierte die Richterin, der Beklagten Ferri und ihrem Anwalt das Wort abzuschneiden. Irgendwann wurde sie sich aber anscheinend der Tatsache bewusst, wie öffentlich trotz all ihrer Maßnahmen sie verhandelte, und ließ die Wortbeiträge ziemlich uneingeschränkt zu, nicht ohne zu betonen, dass das eigentlich nicht „normal“ sei für ein Wohnungsverfahren. Die eigentliche Verhandlung lief dann recht unspektakulär ab. Die Abweisung der Räumungsklage dürfte, wenn die Richterin alle Fakten korrekt bewerten würde, eigentlich nicht chancenlos sein. Das Gericht kam aber an diesem Tag nicht zum Abschluss. Es wird einen Nachfolgetermin geben. Man darf gespannt sein, ob es erneut solche Einschüchterungsmaßnahmen gibt.

Im Anschluss – als die Zuschauer/innen ihre Sachen schließlich zurück hatten –  versuchte ein Polizist, einem von ihnen sogar das Fotografieren der an einer Glastür ausgehängten Polizeiverfügung zu verbieten: Fotografieren sei im ganzen Gebäude verboten.

Die Verfügung durfte nicht fotografiert werden.

Solidarität mit den Aktivist/innen der Wilhelm-Raabe-Straße!

Am Mittwoch, 21. November 2018 muss man wohl mit ähnlich drastischen Maßnahmen rechnen. Da findet dann die Verhandlung in Sachen Wilhelm-Raabe-Str. 4 statt. Auch hier sind Solidarität und aufmerksame Prozessbeobachtung nötig. Los geht´s um 12:30 Uhr im Stuttgarter Amtsgericht, Haufstraße 5. Haltestelle Neckartor (Linien U1, U2, U4, U9 und U 14).