ZDF Neo-Magazin Royale – wie man Verschwörungstheoretikern etwas entgegensetzt

Am Freitag, den 6. November hatte das „ZDF Magazin Royale“ mit Jan Böhmermann Premiere – statt auf ZDFneo belegt der Moderator ab jetzt einen Platz im ZDF-Hauptprogramm. Die erste Sendung widmet sich Verschwörungsideologien, schlägt hierbei aber einen interessanten Weg ein, der sich stark von dem sonstigen Umgang in den bürgerlichen Medien unterscheidet.

Böhmermann startet in die Sendung mit einem satirischen Dialog mit einer alten ZDF-Figur, der sprechenden Puppe Spencer, die jetzt einen Moderator mimt, der an Verschwörungen glaubt und sich gegen die „Elite“ stellt. Während der Einstieg in die Sendung als ein wenig holprig empfunden werden kann, kommt Böhmermann jedoch nach etwa zehn Minuten zum Hauptteil seiner Sendung. Er widmet sich den Kanälen auf dem Messenger Telegram von Verschwörungsideologen wie Michael Wendler oder Xavier Naidoo, in denen hunderttausende jeden Tag mit Nachrichten zugetextet werden, die die Corona-Lüge entlarven wollen. Anstatt sich jedoch einfach darüber lustig zu machen behauptet Böhmermann, dem etwas entgegensetzen zu wollen. Er möchte die eigentliche Verschwörung aufdecken. Zu diesem Zweck hat er bereits Tage vor der Sendung selbst einen Telegram-Kanal eröffnet, dessen Zweck bis zu diesem Punkt unklar war, der sich aber stark an die unseriösen Kanäle von Wendler und Co anlehnt. In der Sendung kommt er dann darauf zurück, welche Verschwörung er aufdecken möchte: die der Superreichen. Von Bill Gates, Hauptfeind der Verschwörungstheorien rund um Corona, über Jeff Bezos kommt Böhmermann schnell auf die deutschen Figuren zurück, die Teil der „Verschwörung“ der Superreichen sind.

Wie erwartet kommt er hier komplett ohne antisemitische Erklärungsvorwände oder Falschinformationen aus, denn er deckt einfach auf, wie sich die Reichen während der Pandemie bereichert haben. Dieter Schwarz beispielsweise, LIDL-Gründer mit einem Vermögen von 40 Milliarden Euro, welches seit Beginn der Pandemie noch mal um 300 Millionen gewachsen ist. Oder auch Aktionär Heinz Hermann Thiele, der während des Kurstiefs von Lufthansa mal eben 12% des Unternehmens gekauft hat. Das Kapital der Superreichen vermehrt sich ganz ohne Zutun. Doch was noch viel wichtiger für Böhmermanns Punkt ist: „(…) Reiche sorgen dafür, dass der Staat macht, was sie wollen, nicht umgekehrt.“ Die BMW-Erben Klatten und Quandt beispielsweise, die schwindelerregende Summen an Regierungsparteien spenden und sich während der Pandemie 760 Millionen Euro Dividende auszahlten, während 30.000 Beschäftigte in Kurzarbeit mussten, die aus Sozialversicherungsbeiträgen bezahlt wird. Aber Böhmermann bleibt hier nicht stehen, er geht auch auf die Ursprünge dieses Reichtums ein, welche im Dritten Reich liegen. „Sieben der elf reichsten Familien Deutschlands sind unter anderem deshalb so reich, weil sie zwischen 1933 und 45 mit den Nazis zusammengearbeitet haben“. So zum Beispiel die oben genannte Quandt-Familie, die „(…) ein Konzentrationslager direkt an ihrem Firmengelände (…)“ hatte. Böhmermann bringt es auf den Punkt: „Wenn es also überhaupt so etwas gibt wie eine geheime Elite, dann sind das bei uns in Deutschland nicht ‚die Juden‘, sondern diejenigen, die von der mörderischen Ausbeutung jüdischen Lebens profitiert haben“.

Den Einfluss der Reichen in Deutschland macht Böhmermann noch an anderen Beispielen fest. So gibt es in Coburg, der Heimatstadt des Milliardärs Michael Stoschek, eine Straße, die nach dessen Großvater und Wehrwirtschaftsführer im Dritten Reich, Max Brose, benannt ist. Durch die Abhängigkeit von Stoscheks Vermögen lenkte die Stadt ein, als er diesen Wunsch äußerte. Ähnlich wie seine Tochter, die Milliardärin Julia Stoschek, die in Berlin eine Galerie betreibt und bei einer Mieterhöhung für ihre Räumlichkeiten auf 2,78€ pro Quadratmeter drohte, die Stadt zu verlassen, bis der Kultursenator eine Abmachung mit ihr traf. „Warum lesen wir einfachen Leute so selten was über den Stoschek-Style, dieses schlechte Benehmen der Familie Stoschek, in der Bild-Zeitung oder wenigstens in der Welt am Sonntag?“. Auch wenn er die Frage nicht beantwortet, sondern nur auf Stoscheks Wikipedia-Artikel verweist, ist die Antwort klar: die Milliardärin hat einen gemeinsamen Sohn mit einem der Großaktionäre von Axel Springer.

Die wahre Verschwörung ist also: Es gibt gar keine Verschwörung. Es braucht gar keine Verschwörung, es geht auch so alles zugunsten weniger und für den Rest den Bach runter.“ schlussfolgert Jan Böhmermann. Natürlich geht er bei 30 Minuten Sendezeit sowie den Beschränkungen, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen nun mal immer noch mit sich bringt, nicht noch weiter in die Tiefe. Zum Beispiel dazu, zu sagen, woher der Reichtum dieser wenigen kommt – nämlich aus der Arbeit der restlichen Bevölkerung. Denn wir sind es, die den Wert schaffen, der sich vom deutschen Kapital angeeignet wird. Trotzdem sehen wir, dass Jan Böhmermann die Grenzen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens immer wieder ausreizt und in diesem Fall auch ein Beispiel dafür liefert, wie man Verschwörungsmythen etwas entgegensetzen kann. In großen Teilen der bürgerlichen Medien wird auf antisemitische oder faschistische Verschwörungstheoretiker anders eingegangen: entweder man nimmt sie als ernstzunehmende Gesprächspartner wahr und bietet ihnen somit auch noch eine Plattform, oder man macht sich ganz einfach über sie lustig. Dass jedoch die Verschwörungstheoretiker, wie Jan Böhmermann es benennt, „Symptome und Warnzeichen eines größeren Problems“ sind, dass die immer offener zu Tage tretenden Widersprüche im System eben bestehen und sich zuspitzen, darüber wird meist geschwiegen. Das sieht man auch, wenn man sich die Reaktionen auf die Sendung anschaut, beispielsweise im Spiegel-Online, wo Christian Buß Böhmermann „riskanten Relativismus“ vorwirft. (Spiegel Online, Welche dunkle Macht ist in Jan Böhmermann gefahren?, 7.11.2020). Das Kapital, das für Armut, Ausbeutung, Krieg und Faschismus verantwortlich ist, als mindestens genau so ein großes Problem wie die Verschwörungstheoretiker darzustellen, soll Relativismus sein. Die Prioritäten scheinen klar gesetzt. Umso wichtiger ist es, die Stimmen, die über diese Verschwörungstheorien nicht nur lachen (das ist dann nämlich Relativierung), sondern ihnen wirklich etwas entgegensetzen, laut werden zu lassen. Denn wenn man ihnen inhaltlich nichts entgegensetzt, stärkt man am Ende nur die Verschwörungstheoretiker selbst.