Deutscher Imperialismus in Afrika heute

Schaffung des Lobito-Korridors im Südwesten Afrikas, Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Namibia, zukünftige Inbetriebnahme des Medusa-Datenkabels in Nordafrika. „Es geht mir um einen neuen Aufbruch im Nord-Süd-Verhältnis – das ist es, was mir wichtig ist“, umschreibt Kanzler Scholz die strategische Wichtigkeit des afrikanischen Kontinents für Europa und Deutschland. Das deutsche Kapital mischt vielerorts in Afrika mit, finanziert mit seinen Partnern neue Infrastrukturprojekte und betrachtet, um es noch einmal mit den Worten des Kanzlers zu fassen, den benachbarten Kontinent als zentralen Baustein für die Zukunft: „Afrika ist unser Wunschpartner, wenn es darum geht, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern und gemeinsam klimaneutral zu werden“. Die offiziellen Konzepte und Strategien sind zahlreich und sparen nicht an schönen Worten und Moral. Ob Marshall-Plan, EPAs, Afrika-Pakt, Afrika-Konzept der Bundesregierung, Afrikapolitische Leitlinien oder die jüngste Afrika-Strategie des Bundesministeriums für Zusammenarbeit (BMZ): sie alle haben viele Allgemeinplätze wie „Entwicklungszusammenarbeit“ oder „sozial-ökologische Transformation“ auf Lager und trotzdem drücken sie das gestiegene Bedürfnis des deutschen Imperialismus aus, gen Süden zu expandieren.

Vergangenheitsbewältigung
Über Afrika als Absatz- und Investitionsmarkt deutschen Kapitals wird für gewöhnlich wenig in der herrschenden deutschen Politik gesprochen. Zu sehr liegt der Verdacht vor, europäisches Engagement sei meist eine Fortführung der Durchsetzung kolonialer Interessen. Die Erinnerung an die Kolonialzeit stellt einen störenden, die Politik imperialistischer Staaten wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland hindernden Faktor dar. Für das deutsche Kapital ist daher (bzw. jedoch) die jüngste Ansammlung von Afrika-Strategien ein doppeltes Spiel der Vergangenheitsbewältigung.

Die damaligen Expeditionen des Deutschen Reiches in Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika oder Togo erwiesen sich bis auf letztgenannte Kolonie als ökonomisch unrentabel. An Massakern wurde trotzdem nicht gespart. Zu unerfahren war der junge imperialistische Staat in seiner Kolonialpolitik, zu schwach war eine gesamt-imperialistische Strategie ausgearbeitet, die dem deutschen Imperialismus als solchen neue Luft (in Form von Märkten) zum Atmen verschafft hätte. Doch der Verlust der Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg an die alliierten Siegermächte wirkte seither wie ein Phantomschmerz nach. Das unvollendete Projekt des deutschen Kolonialismus drängte nachfolgende Generationen politischer Entscheidungsträger zur Wiederaufnahme einer Afrika-Strategie. So markiert auch der Artikel 3 der Römischen Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 ein essentielles Interesse an den „überseeischen Länder[n] und Hoheitsgebiete[n], um (…) die wirtschaftliche und soziale Entwicklung durch gemeinsame Bemühungen zu fördern“. Der europäische und mit ihm der deutsche Imperialismus haben den Anspruch, über Afrika zu herrschen, nie aus den Augen verloren. Das Selbstverständnis, über das Schicksal der afrikanischen Völker und Staaten zu bestimmten, ist zentraler Baustein der EU-Außenpolitik.

Gleichzeitig kämpfen neben Deutschland, auch seine westeuropäischen Verbündeten mit der Schmach einer vergangenen barbarischen Kolonialpolitik. Allen voran Frankreich spürt den Widerstand gegen seine imperialistische Politik in den früheren Kolonien des heutigen Westafrikas. Immer heftiger entlädt sich der Widerstand gegen die französische Bevormundung im Erstarken oppositioneller Gruppierungen und in Putschen wie in Mali, Burkina Faso oder im Niger. Die Verdrängung französischen Einflusses durch Russland, dessen Unterstützung sich die lokalen herrschenden Klassen in den entsprechenden Ländern zusichern, markiert eine neue Phase des Konkurrenzkampfes imperialistischer Staaten in Afrika. Das deutsche Kapital versucht mit seinen französischen und anderen europäischen Verbündeten die alten Laster abzustreifen, sein Image aufzupolieren, das Bild eines „Wunschpartners“ für die afrikanischen Staaten abzugeben. Die Vergangenheitsbewältigung stellt somit auch die Bewältigung heutiger und zukünftiger Hindernisse für das deutsche und für das mit ihm verbündete Kapital dar.

Neue Phase der Konkurrenz
Hierbei hat der deutsche Imperialismus allen Grund, die vor ihm liegenden Hindernisse für eine „erfolgreiche“ Afrika-Strategie aus dem Weg zu räumen. Er hinkt dem derzeitigen Verteilungskampf weit hinterher und seine Wahrnehmung als westlicher Staat mit scheinbar zivilisatorischem Anspruch seitens der lokalen afrikanischen Herrschenden wird immer noch kritisch gesehen: „Sprechen wir mit China, bekommen wir einen Flughafen; sprechen wir mit Deutschland, bekommen wir einen Vortrag“, fasst WHO-Direktorin Ngozi Okonjo-Iweala den Unterschied der Wahrnehmung ausländischen Kapitals zusammen. Pekings Durchdringung des afrikanischen Kontinentes als Teil seiner Infrastrukturinitiative Neue Seidenstraße sichert dem chinesischen Imperialismus unter anderem wichtige Rohstoffe für die Hochtechnologie-Industrie. So werden vier Fünftel des geförderten Kobalt aus dem Kongo nach China exportiert. Peking konnte in den letzten Jahren seinen Zugriff auf die strategisch wichtigen Ressourcen unvermindert ausbauen.

Darauf reagiert der EU-Imperialismus, und mit ihm insbesondere der deutsche Imperialismus, mit einer eigenen Initiative namens Global Gateway, um nicht zuletzt dem chinesischen Vormarsch Einhalt zu gebieten. Global Gateway (welche auch den Afrika-Pakt umfasst) ist neben der Neuen Seidenstraße und dem US-amerikanischen Pendant Build Back Better World eine der drei großen imperialistischen Strategievorhaben. Von den aktuell zugedachten 300 Milliarden Euro für Global Gateway wurden 150 Milliarden für Infrastrukturprojekte in Afrika eingeplant. Da die Initiative den Anspruch einer Neupositionierung des EU- und deutschen Imperialismus in der Welt hat, macht sich die zentrale Bedeutung des afrikanischen Kontinents für das deutsche Kapital allein schon numerisch bemerkbar. So sind auch die in den letzten Jahren ausgehandelten sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) zwischen der EU und mehreren afrikanischen Regionen (u.a. ECOWAS, SADC, EAC, ESA) ein erster Schritt gewesen, die afrikanischen Märkte nicht nur für deutsche Waren (Hähnchenfleisch), sondern auch für deutsches Kapital zu öffnen.

Von den 87 Projekten des Global Gateway sind mit 44 sogar mehr als die Hälfte Projekte, die in Afrika umgesetzt werden sollen. Der Kongo darf sich so beispielsweise nicht nur mit der chinesischen „Gunst“ begnügen, sondern gleich mehrere bedeutende imperialistische Akteure mit offenen Armen empfangen. Ein neuer Rohstoffkorridor (der sogenannte Lobito-Korridor*, einer von zwölf für die EU strategisch wichtigen Rohstoffstraßen Afrikas) wird vom zentralafrikanischen Land aus, über Sambia nach Angola verlaufen, um einen erleichterten Zugang zu den Rohstoffen des Kongos und des Nordwesten Sambias von der angolanischen Küste aus zu ermöglichen. Die gesamte, damit zusammenhängende und von den drei beteiligten Ländern dringend benötigte Infrastruktur (Flughäfen, Wasserstraßen, Häfen, Schienen) ist ausschließlich für die erleichterte Ausbeutung der Rohstoffe gedacht.

Grün, Grüner, Imperialismus
Ähnlich wie der Kniefall Willy Brandts die Demut und moralische Integrität des deutschen Kapitals gegenüber dem Osten demonstrieren sollte, begleitet Bundespräsident Steinmeier die Reise des Kanzlers quer durch Afrika, um Ländern wie Tansania zu „versichern, dass wir Deutsche mit Ihnen nach Antworten suchen werden auf die offenen Fragen, die Ihnen keine Ruhe lassen“. Die deutsche Kolonialgeschichte soll als Teil der Vergangenheitsbewältigung verziehen werden, damit die heutige und zukünftige deutsche Investitionsgeschichte endlich ihre moralische Unvoreingenommenheit erhalten kann. Denn schließlich verspricht die deutsche Politik ihren afrikanischen Partnern endlich eine Strategie auf Augenhöhe, die beiderseitig Wohlstand, Entwicklung und Klimaneutralität fördern soll. Ganz in der Tradition der Römischen Verträge!

Namibia (das frühere Deutsch-Südwestafrika) steht exemplarisch für die Neuausrichtung des deutschen Imperialismus. Im Zuge ihrer Kolonialpolitik führte der deutsche Imperialismus zwischen 1904 und 1908 Genozide an den Völkern der Ovaherero und Nama durch. Die letzte Bundesregierung wollte mit einem symbolischen Wert von 1,1 Milliarden Euro Buße gegenüber den Angehörigen verrichten. Noch lächerlicher wirkt das ganze Vorgehen, wenn man bedenkt, dass die 1,1 Milliarden auf 30 Jahre gestreckt werden sollen. Die symbolische Geste des deutschen Imperialismus als Teil seiner Vergangenheitsbewältigung soll schließlich demonstrieren, dass Gedenken und wirtschaftliches „Denken“ zusammengehen können.

Denn Deutschland möchte die namibische Wirtschaft völlig neu ausrichten. Aus der ehemaligen Kolonie soll der wohl zukünftig wichtigste Wasserstofflieferant werden. Mit fast zehnmal so viel Volumen wie die „Entschädigungszahlung“ soll das Vorhabens ausgestattet werden. Tiefseehäfen sollen gebaut werden, damit jährlich bis zu 300.000 Tonnen an „grünem Wasserstoff“ in Form von Ammoniak verschifft werden können. Deutsche Konzerne wie RWE wollen sich dabei ein Drittel des produzierten Wasserstoffes unter den Nagel reißen, ein entsprechendes Terminal als Abnehmer in Brunsbüttel soll bis 2026 fertiggestellt werden.

Gelobt wird das im Rahmen der Global Gateway geplante Wasserstoff-Projekt, da es neue Arbeitsplätze in der früheren Kolonie schaffen, Namibia industrialisieren und auf den Weg in eine klimaneutrale Zukunft bringen würde. Unterschlagen wird gerne, dass die namibische Wirtschaft letztlich als erweiterter Rohstofflieferant für den deutschen Imperialismus hinhalten, der Zweck der namibischen Wirtschaft im Mästen des hungrigen deutschen Kapitals verankert werden soll. Wie viel am Ende für eine eigenständige Entwicklung der namibischen Wirtschaft übrig bleibt, ist mehr als fragwürdig. „Grün“ ist an dem Vorhaben auch nichts wirklich. Denn für den Aufbau von Wasserstoff-Infrastrukturen werden im namibischen Nationalpark Tsau Khaeb Solar- und Windanlagen erforderlich, die zum verstärkten Pflanzensterben im südwestafrikanischen Land führen könnten. Die Lebensgrundlage der dort lebenden Völker wird so für die Zukunftsfähigkeit deutschen Kapitals geopfert.

Neupositionierung des deutschen Imperialismus
Das deutsche Kapital musste im Zuge des Ukrainekriegs den Widerspruch zwischen Westbindung und Zugang zu billigem russischen Erdgas auflösen. Der widerwillige Stopp von Nord Stream 2 markierte eine neue Phase der imperialistischen Konkurrenz. Auch wenn die EU sogar mehr Flüssiggas aus Russland importiert als noch vor dem Krieg, so steht für das deutsche Kapital und mit ihm zusammen für die Politik an erster Stelle die Diversifizierung der Energiequellen, um Abhängigkeiten von imperialistischen Konkurrenten (namentlich Moskau, Washington und Peking) zu verringern. Die geplanten Vorhaben in Afrika — der Zugang zu kritischen Rohstoffen und der Ausbau von alternativen Energiequellen — ist ein zentraler Baustein in der Neuaufstellung des deutschen Imperialismus.

Die für den imperialistischen Kapitalismus eigentümliche Eigenschaft, die heimische soziale Infrastruktur vollends aufgrund fehlender Profitaussichten zu vernachlässigen und lieber im Ausland auf die Jagd nach gewinnbringenden Projekten Ausschau zu halten, lässt sich besonders gut an der Klimapolitik der Bundesregierung veranschaulichen. Der Ausbau der erneuerbaren Energie verläuft für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland lachhaft langsam und soll im kommenden Jahr sogar noch durch eine Erhöhung der CO2-Steuer auf Kosten der unteren und mittleren Einkommen teilfinanziert werden. Damit dem deutschen Kapital seine Profitbedingungen erhalten werden, sollen afrikanische Länder für die Klimapolitik bezahlen: in Form von „grünen“ Rohstofflieferungen und steigender Armut und Flucht. Die Afrika-Strategie der Bundesregierung soll die Fäulnis des imperialistischen Systems verlangsamen, seinem Hunger nach Profiten und Wettbewerbsfähigkeit neue Räume des Raubes schaffen.