Bauernproteste: Wofür kämpfen die Bauern?

Vor den Feiertagen erregten massive Proteste von Bauern in vielen Städten Aufmerksamkeit. Mit tausenden Traktoren wurden in vielen Regionen Straßen blockiert und Staus herbeigeführt und auch am 8. Januar 2024 ist ein „Generalstreik“ geplant. Im Gegensatz zu den Aktionen der Letzten Generation stießen die Proteste der Bauern eher auf Verständnis. Bei einer Umfrage des Spiegel waren 70% dafür, dass die Bundesregierung die Streichung von Steuersubventionen für die Bauern zurücknimmt. Woher kommt diese Sympathie für die finanziellen Nöte der Bauern und wie stehen Bauern und Arbeiterklasse zueinander?

Zur Lage der Bauern
Die Zahl der Agrarbetriebe vom Klein- bis zum Großbauern ist innerhalb von 12 Jahren um über 40.000 und rund 13,5% gesunken. Am stärksten war die Abnahme bei den Kleinbauern mit einer Fläche von unter 5 ha. Hier gab fast ein Drittel in diesem Zeitraum auf. Bei allen Betrieben bis 100 ha verschwanden rund 20%. Nur bei den Großbauern über 100 ha gab es einen Zuwachs von rund 5.000 um ca. 15%. Gab es 1950 noch ca. 2 Millionen Bauernhöfe, so waren es 2022 noch knapp 259.000, das heißt etwas mehr als ein Achtel ist geblieben, der Rest ist verschwunden. Grundlage war der fortschreitende Prozess der Mechanisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft. Damit hat sich die soziale Zusammensetzung der Bauernschaft radikal verändert. Grundsätzlich sind Bauern selbstständige Produzenten. Sie stellen eine eigene Klasse dar, die ihre Produktionsmittel besitzt. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen ihnen.
Da gibt es die Kleinbauern, die praktisch als Familienbetrieb produzieren und nur gelegentlich Saisonarbeitskräfte beschäftigen. Wie die Zahlen zeigen, nimmt dieser Teil der Bauernschaft am stärksten ab. Oft leiden sie am stärksten unter dem Druck des Kapitals. Sie können sich die notwendige moderne Maschinerie nur mit Bankkrediten anschaffen. Ihre Höfe gehören oft faktisch über eingetragene Grundbuchschulden den Banken. Beim Verkauf ihrer Produkte sind sie mangels Marktmacht ebenfalls unter Druck. Sie müssen ihre Erzeugnisse an die großen Handelsketten wie EDEKA, REWE, LIDL, ALDI verkaufen, und ihre Preise werden massiv gedrückt. Viele von ihnen kämpfen daher ums Überleben. Den Banken und Konzernen ist das recht. Da sie formal „selbständig“ sind, gelten für sie keine gesetzlichen Arbeitszeiten oder sonstige Schutzrechte. Um zu überleben, arbeiten viele Kleinbauern weit über 40 Stunden in der Woche, verzichten auf Urlaub. Sie beuten sich selbst im Dienste der Banken und Konzerne aus. Und es kommt wenig dabei heraus: Aktuell verdient ein Landwirt netto zwischen 1930 und 2720 Euro monatlich. Rechnet man das auf die geleisteten Arbeitsstunden, dann liegen vor allem Kleinbauern weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Dabei sind die Schulden, die auf ihren Höfen lasten, trotz aller Schufterei in den letzten zehn Jahren um 50% gestiegen. Sie befinden sich in einem Strudel nach unten. Kleinbauern stehen der Arbeiterklasse am nächsten. Sie haben das Kapital in Form der Banken und Lebensmittelkonzerne als direkten Gegner. Allerdings sind sie oftmals auch Arbeitgeber z.B. von Saisonarbeits- oder Hilfskräften. Und hier müssen sie aufgrund des hohen ökonomischen Drucks, der auf ihnen lastet, oft die miesesten Löhne und Arbeitsbedingungen bieten. Damit ist ihr Bewusstsein auch anders – sie schwanken zwischen dem Bewusstsein eines Chefs und dem eines Werktätigen. In ihrem Kampf gegen das Kapital und seine Regierung müssen sie unterstützt werden, denn ihr Kampf ist gerecht. Auch wenn es um die Dieselbesteuerung geht, ist dies für viele Bauern keine ökologische Frage, sondern eine Überlebensfrage. Die Regierung und das Kapital lassen ihnen auch keine Alternative. E-Traktoren gibt es noch nicht. Sie wären auch zu teuer und gerade für Kleinbauern nicht bezahlbar; es sei denn mit einem Bankkredit, den sie aber wegen hoher Schulden meist nicht mehr bekommen. Sie sind in einer Zwickmühle und kämpfen ums Überleben. Wenn die Regierung jetzt fast eine Milliarde Euro bei ihnen einsparen will, dann hilft das nicht der Umwelt. Denn die alten Traktoren werden zwangsläufig weiter genutzt werden, sie werden für die Bauern nur teurer. Damit werden sie noch weiter nach unten gedrückt. Wollte der Staat die Bauern entlasten und die Umwelt schützen, dann würde er den Bauern für geringes Entgelt modernste Maschinen- und Traktorenstationen zur Verfügung stellen, wo sie moderne, umweltfreundlichere Maschinen ausleihen könnten. Er müsste also Geld in die Hand nehmen, statt den Bauern Geld wegzunehmen. Die Bauern hätten dann nicht so teure Investitionen und weniger Schulden bei den Banken. Doch gerade das ist gegen die Interessen des Kapitals und ihres Staates!
Bei den Mittelbauern ist die Lage ähnlich wie bei den Kleinbauern. Sie sind unter starkem Druck bei den Preisen ihrer Produkte, bei der Verschuldung bei den Banken. Sie haben mehr Beschäftigte und sind damit selbst Unternehmer, obwohl sie objektiv auch direkt dem Kapital in Form der Banken und Handelskonzerne gegenüberstehen. Auch bei ihnen müssen wir ihren Kampf gegen die Banken und Konzerne unterstützen, zugleich aber ihre rückschrittlichen Ansichten als „Arbeitgeber“ zurückweisen.
Die Großbauern haben sich in Deutschland zu Agrarkapitalisten entwickelt. Sie leben von der Ausbeutung anderer. Viele industrielle Agrarbetriebe gehören direkt kapitalistischen Investoren und werden wie jede normale Fabrik geführt. Diese Betriebe erhalten oft auch die meisten Subventionen vom deutschen Staat und der EU. Hier stehen wir auf Seite der Agrararbeiter, die in diesen Betrieben ausgebeutet werden. Wir setzen uns für deren gewerkschaftliche Organisierung ein. Sie sind Teil der Arbeiterklasse, während die Besitzer dieser Agrarfabriken Kapitalisten sind.

Das Kapital braucht billige Lebensmittel
Nicht nur die Ausplünderung der Bauern durch Banken und Handelskonzerne nützt dem Kapital. Durch die weitgehende Abhängigkeit vieler Bauern kann das Kapital ihnen vorschreiben, was und wie sie produzieren. Denn das Kapital hat ein direktes Interesse daran, dass die Bauern so günstig wie möglich und ohne Berücksichtigung der Qualität der Lebensmittel produzieren. Eine artgerechte Tierhaltung, eine schonende Bewirtschaftung der Äcker oder ein ökologischer Anbau würde unmittelbar zu Preissteigerung bei Lebensmitteln führen, da ihre Erzeugung beziehungsweise Herstellung dadurch teurer werden würde. Doch das hätte wiederum Konsequenzen für das Kapital insgesamt, da infolge höherer Lebensmittelpreise die Lebenshaltungskosten der Arbeiter steigen würden, was seinerseits den Anstieg der Löhne bedeuten müsste. Billig hergestellte Lebensmittel erlauben niedrige Löhne. Daher profitiert das gesamte Kapital von der Ausbeutung und Zwangslage der Bauern. Auch die Regierung hat kein Interesse, daran etwas zu ändern. Denn bessere Bedingungen für die Bauern, mehr Qualität bei den Lebensmitteln würde bedeuten, dass man das Bürgergeld, die neue Sozialhilfe, und die Löhne erhöhen müsste.

Keine Perspektive
Im jetzigen ökonomischen System gibt es für die Mehrheit der Bauern keine Perspektive für ein vernünftiges Wirtschaften im Einklang mit der Natur. Der ökonomische Druck, der auf den meisten lastet, ist so groß, dass sie in der Regel ums Überleben kämpfen. Ständig müssen sie Angst haben, dass ihre Existenz vernichtet, ihr Hof von der Bank zwangsversteigert und von einem Agrarkonzern aufgekauft wird. Das führt auch zu der Radikalität der Bauernproteste. Ein Hindernis ist dabei ihr Bewusstsein als Kleinunternehmer. Tatsächlich würde nur eine grundlegende Änderung unseres ökonomischen Systems der Mehrheit der Bauern helfen. Statt Einzelwirtschaft ist eine Kollektivierung notwendig. Als Kollektiv haben Bauern mehr Macht. Zugleich sind die Investitionen effektiver, die Kosten niedriger, die Arbeitsbedingungen besser.

Merkwürdig still – die Gewerkschaftsführer
Angesichts der aktuellen Bauernproteste sind die Führungen der Gewerkschaften merkwürdig still. Solidarität? Fehlanzeige! Das hat eine lange Tradition sozialdemokratischer Politik und der Politik der Klassenzusammenarbeit. So wie oft gewerkschaftliche Kämpfe vereinzelt und getrennt geführt werden, so vermeiden Kapital-treue Gewerkschaftsführer auch Solidarität zwischen Arbeitern und Bauern. Das könnte ja gefährlich werden. Die könnten ja ihre Kraft spüren und sich aus der sozialdemokratischen Bevormundung lösen. Und sie sollen nicht merken, dass sie gemeinsame Interessen und gemeinsame Gegner haben. Eher werden die Bauern sogar noch wegen ihrer angeblichen „Privilegien“ kritisiert und gegenseitiger Neid geschürt. Was sind das für „Steuerprivilegien“, die viele Bauern gerade noch auf Sozialhilfeniveau halten?

Bauern und Arbeiter gemeinsam!
Die Bauernfrage ist ein Teil des Kampfes gegen dieses unmenschliche System. Die kleinen und mittleren Bauern haben die gleichen Interessen wie die Arbeiter, die unteren und mittleren Angestellten, die Rentner, die Jugend. Sie wollen eine intakte Natur und Umweltschutz. Sie wollen qualitativ hochwertige Lebensmittel. Sie wollen gemeinsam eine Gesellschaft, wo sie in Ruhe und Sicherheit leben können und ihre Existenz gesichert ist. Diese gemeinsamen Interessen richten sich gegen die großen Konzerne und die Banken, die in ihrem Streben nach Höchstprofit billige Lebensmittel für die arbeitenden Menschen brauchen und dabei keine Rücksicht auf Mensch und Natur nehmen. Die Bauernfrage ist eine Klassenfrage. Kleine und mittlere Bauern sind Bündnispartner der Arbeiter sowie der unteren und mittleren Angestellten in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus! Da aber hier nichts automatisch „funktioniert“, da gerade die Bauern immer wieder das Ziel der Pro-Kapital-Propaganda der bürgerlichen Parteien, speziell der AfD, der CDU und der FDP sind, müssen Arbeiterinnen, Arbeiter, Angestellte und deren Organisation den aktiven Kampf gegen den Einfluss dieser Kräfte der Reaktion um dieses Bündnis führen. Auch die weitverbreitete Ignoranz vieler Linker gegenüber den Interessen der kleinen und mittleren Bauern muss ein Ende haben. Arbeiter, Angestellte und Bauern – gemeinsam gegen das Kapital!