In Deutschland werden derzeit zehntausende Stellen abgebaut. Gleichzeitig ist immer wieder vom Fachkräftemangel die Rede. Das Streichen von Arbeitsplätzen während ausgebildete Arbeiter doch gerade so dringend benötigt werden, scheint im ersten Moment einen Widerspruch darzustellen. Doch in Wirklichkeit sind Stellenabbau und Fachkräftemangel zwei Seiten derselben Medaille und folgen einer wirtschaftlichen Entwicklung, welche die Arbeiterklasse in doppelter Weise belastet.
In den vergangenen zwölf Monaten folgt eine Ankündigung tausende Stellen abzubauen der Nächsten. Bereits in der Ausgabe vom August 2024 haben wir über die lange Liste von Industrieunternehmen, welche den Abbau von Stellen ankündigten, berichtet. Einige der extremsten Fälle darunter wie ZF (14.000 Stellen), Bosch (10.000 Stellen), Thyssenkrupp (11.000) Stellen) die Deutsche Bahn (30.000 Stellen) oder Volkswagen (35.000 Stellen) sorgen zusammen schon für den Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen. Die Liste ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Auch 2025 setzt sich diese Entwicklung fort. Anfang des Jahres kündigten Continental (3.000 Stellen), die Deutsche Post (8.000 Stellen) und Siemens (6.000 Stellen) weitere Stellenstreichungen an. Das Ganze geht einher mit einer von Jahr zu Jahr steigenden Zahl von Arbeitslosen, welche im März 2025 einen Stand von 2,98 Mio. erreicht hat. Grund für das Verhalten der deutschen Konzerne, ist die immer schärfer werdende internationale Konkurrenz – zu chinesischen Unternehmen genauso wie zu US-amerikanischen. Um nicht an Marktanteilen zu verlieren und ihre Profitraten (also das Verhältnis von eingesetztem Kapital und Gewinn) hoch zu halten, sind sie zu einer kontinuierlichen Modernisierung der Produktionsmittel gezwungen. Ziel dieser Modernisierung ist dann auch eine Rationalisierung etwa durch die Automatisierung der Produktion oder Outsourcing und folglich Stellenabbau.
Aber wie passt dieser Stellenabbau zusammen mit einem seit Jahren herrschenden Fachkräftemangel? Die Branche, die am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen ist, ist das Gesundheitswesen. Hier waren 2024 in ganz Deutschland über 47.400 Stellen unbesetzt. Folge davon ist der katastrophale Zustand der Krankenhäuser, in denen das verbleibende Personal hoffnungslos überlastet ist. Die extrem hohe Arbeitsbelastung führt wiederum dazu, dass viele Kolleginnen und Kollegen etwa in der Pflege den Beruf aufgeben und sich das Problem so immer weiter verstärkt. Für die Patienten wird dies zu einem stetig wachsenden gesundheitlichen Risiko. Am zweitstärksten vom Fachkräftemangel betroffen, ist die Baubranche. Auch hier sind über 42.000 Stellen nicht besetzt (vor allem in der Bauelektrik und Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik). Und auch in der Sozialarbeit- und pädagogik, sowie der öffentlichen Verwaltung fehlen sehr viele Fachkräfte. Die Politik und die Unternehmen reagieren auf diese Situation nicht damit, für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu sorgen, damit mehr Menschen gerne in diesen Berufen arbeiten wollen. Im Gegenteil: Die letzten Verhandlungsergebnisse bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst weichen die Regelung zur Maximalarbeitszeit sogar noch weiter auf und sehen eine „freiwillige“ Wochenarbeitszeit von bis zu 42 Stunden vor, während die Löhne stagnieren. Um die freien Stellen dennoch zu besetzten, setzt man stattdessen auf billige Arbeitskräfte aus dem Ausland. In der Pflege nimmt der Anteil an ausländischen Arbeitern immer mehr zu. Unterstützt wird dies durch Anwerbevereinbarungen, welche die Bundesregierung mit verschiedenen Ländern abgeschlossen hat. Auch auf dem Bau spielen Subunterhemer eine immer größere Rolle, die Arbeiter, von denen ein großer Teil aus Osteuropa kommt, unter extrem schlechten Bedingungen auf deutschen Baustellen arbeiten lassen. Auf diese Weise können die Unternehmen nicht nur die Löhne gering halten, sondern sie sparen sich auch noch die Kosten für die Ausbildung von Fachkräften in Deutschland. Es ist also gar nicht das Ziel der Politik, die in der Industrie wegfallenden Stellen durch Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen und Löhnen in Branchen des Fachkräftemangels zu ersetzten.
Besonders paradox ist, dass auch in der Industrie selbst über einen Fachkräftemangel geklagt wird, obwohl eben hier ja zehntausenden Arbeitern eine Entlassung droht. Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer hatten knapp die Hälfte der Unternehmen im Bereich Maschinenbau und der Herstellung elektrischer Ausrüstung Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzten. Doch die Ausbildungsplätze, die benötigt würden, um diese Lücken zu füllen, werden immer weniger angeboten. Und so sinkt die Zahl der Azubis deutschlandweit von Jahr zu Jahr. Stattdessen wird die Berufsqualifikation zunehmend an die Hochschulen verlegt und so auch die Kosten dafür vergesellschaftet. Und auch hier ist das Anwerben ausländischer Fachkräfte für die Unternehmen ein Mittel, Ausbildungskosten zu senken und ihre Profite zu sichern.
Wir müssen also auf der einen Seite dem Fachkräftemangel mit Forderungen nach Ausbildungsplätzen, mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen begegnen – sowohl für deutsche wie auch ausländische Arbeiter. Nur so kann sich die Situation von den Kolleginnen und Kollegen verbessern, die gegen eine krasse Überbelastung etwa in der Pflege oder auch Bereichen der Industrie kämpfen. Auf der anderen Seite müssen wir uns dem Stellenabbau entgegenstellen und stattdessen eine Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich fordern.