Am 16. und 17. Mai kamen rund 100 Delegierte der IG BAU aus den verschiedenen Regionen Deutschlands in Frankfurt am Main zusammen, um über die künftigen Forderungen der Gewerkschaft in den Verhandlungen zum 13. Monatsgehalt und der Wegezeitenentschädigung abzustimmen.
Die Tarifregelungen im Bauhauptgewerbe sind keineswegs übersichtlich, geschweige denn einheitlich. Hier wird in 30 verschiedene Tarifverträge unterteilt. Der wichtigste Unterschied in diesem Fall ist jedoch die Unterteilung in Baugewerbe und Bauindustrie. Die Gewerkschaft verhandelt im Bauhauptgewerbe nämlich immer mit zwei Arbeitgeberverbänden. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie verhandelt hierbei für die großen und mittelständigen Bauunternehmen und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe für die Handwerksfirmen, die in der Regel sehr klein sind.
Circa 80% der Firmen im Bauhauptgewerbe haben unter zehn Angestellten und lediglich zwei bis drei Prozent der Firmen über 50 Angestellte. Jedoch wird ein Drittel des Umsatzes von den großen Firmen erwirtschaftet (0,4% der Betriebe stellen 14% der Beschäftigten und 21% des Umsatzes).
45% der Beschäftigten haben ein Anrecht auf tarifliche Zahlungen doch die meisten bekommen niedrigere Löhne als ihnen zustehen.
In den jetzigen Verhandlungen wird es nicht um Lohn oder Gehalt gehen, sondern um das 13. Monatseinkommen (Weihnachtsgeld) und die Wegezeiten-Entschädigung.
Beim 13. Monatseinkommen ist die Situation so, dass noch kein ganzes Monatsgehalt ausgezahlt wird. Stattdessen wird über eine bestimmte Anzahl an Stunden eines Monatsgehaltes verhandelt, die in den verschiedenen Bundesländern und auch zwischen Handwerk und Industrie recht unterschiedlich ist.
Außerdem war in diesem Fall auch die Frage, ob der alte Vertrag gekündigt (nur in diesem Fall darf für die Forderungen gestreikt werden), oder ob eine Verbesserung des alten Vertrages angestrebt wird. Vor einigen Jahren wurde der Vertrag im Handwerk gekündigt und die Gewerkschaft konnte keinen besseren Tarif verhandeln, seitdem werden im Handwerk nur circa die Hälfte der Stunden ausgezahlt wie in der Industrie. Mit diesem verheerenden Verlust wird immer noch Angst unter den Kollegen geschürt, die bestehenden Verträge zu kündigen.
Bei der Wegezeitenentschädigung handelt es sich um einen Betrag der jedem Bauarbeiter täglich zusteht, wenn er mehr als acht Stunden aufgrund der Arbeit außer Haus ist. Je nachdem wie viele Kilometer er von der Baustelle entfernt wohnt. Dabei wird in drei Stufen unterschieden. Bei einer Entfernung bis zu 50 km werden sieben Euro pro Tag gezahlt, zwischen 51 km und 75 km acht Euro und ab 76 km neun Euro (Stand 2024).
So überlegten die Gewerkschafter zunächst in den einzelnen Bezirksgruppen, ob die bestehenden Tarifverträge gekündigt werden sollen und/oder welche Verbesserungen der Verträge sie fordern wollen. Diese Ergebnisse wurden dann in Fachgruppentreffen der zwölf Regionen zusammengetragen und zu einer Forderung der Region gebündelt. Auf diesen Treffen wurden im selben Zuge auch Delegierte in die Bundestarifkommission gewählt, die dort die Forderungen vortragen sollten und auch in den weiteren Wahlen stimmberechtigt sind.
Die Delegierten wurden zum 16. Mai alle nach Frankfurt, in ein, nahe an den Gewerkschaftsräumen gelegenes Hotel eingeladen. Zur Vorbereitung auf die Veranstaltung am nächsten Tag wurden vier Workshops zu den Themen Grundlagen von Tarifvertragen, Tarifrecht, Grundlagen im Baugewerbe und Spielregeln am Verhandlungstisch veranstaltet.
Am morgen des 17. Mai wurden zunächst einige Reden gehalten in denen unter anderem das 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur gelobt wurde, da es der Baubranche Arbeit schaffe. Des Weiteren wurde man auch nicht müde den Tarifabschluss der letzten Lohn- und Gehaltrunde zu lobpreisen, jedoch dürfe man nicht übersehen, wie viel man dort unter großen Mühen erkämpfen konnte und das sowas nochmal zu erreichen ja höchst unwahrscheinlich sei. Ein weiterer Punkt, der immer wieder betont wurde, war die Wichtigkeit von Kompromissen für unsere Demokratie und wie sehr das gerade bei Tarifverträgen zum Vorschein kommt.
Im Anschluss trugen dann die 12 Regionen und die Jugend ihre Forderungen nacheinander am Rednerpult vor. Häufig genannt wurden beim 13. Monatsgehalt der Angleich von Ost und West aber auch der Angleich von Handwerk und Industrie. Auch eine Erhöhung auf ein ganzes Monatsgehalt forderte eine Mehrheit der Regionen. Es gab jedoch auch einige, wenige Stimmen, die die „horrenden“ Zahlen der anderen Regionen nicht verstehen konnten, denn man dürfe ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.
Fast alle forderten keine Kündigung der bestehenden Verträge.
Im Anschluss stellte die Konferenzleitung einen Vorschlag an die Verhandlungskommission, aus den gesammelten Forderungen vor.
Sehr kompromissbereit stand dort als gemeinsame Forderung, die Verträge nicht zu kündigen und stattdessen „bessere/höhere“ Einigungen zu erzielen. Alle gesagten Vorschläge lägen zusätzlich als Möglichkeiten im „Werkzeugkasten“ der Verhandlungskommission.
Dieser Vorschlag stand somit zur Diskussion. Jeder der Teilnehmer konnte ans Rednerpult gehen und seine Kritik äußern.
Zunächst äußerten sich mehrere Stimmen dazu, dass dies die absoluten Minimalvorstellungen seien, alles Andere sei ja wohl eine Verschlechterung.
Dies löste bei ein paar Kollegen und vielen Hauptamtlichen eine Welle der Empörung aus.
Es sei ja toll, dass so viele junge Leute (unter 35 Jahren) mitdiskutieren würden, doch die Erfahrung würde das Gegenteil beweisen. Man habe ja außerdem alle Vorschläge im „Werkzeugkasten“. Eine konkrete Forderung würde den Handlungsspielraum nehmen. Hohe Forderungen bedeuteten nicht gleich hohe Abschlüsse.
Daraufhin trauten sich auch einige erfahrenere Kollegen ans Rednerpult und konterten, dass sie um solche Forderungen zu beschließen auch hätten zuhause bleiben können, und da sie als Vertreter ihrer Kollegen anwesend seien, bräuchten sie auch konkrete Forderungen, um diese zu mobilisieren.
Nach einiger weiterer Diskussion stellte die Konferenzleitung einen überarbeiteten Vorschlag vor:
- Keine (Teil-)Kündigung der jeweiligen Tarifverträge, Verhandlungen im ungekündigten Zustand.
- Angleichung des 13. Monatseinkommens für Handwerk und Industrie bundesweit auf 100% in den nächsten Jahren.
- Strukturelle und inhaltliche Verbesserung der Wegezeitentschädigung und Verpflegungszuschüsse.
- Alle weiteren Themen der Regionalen Tarifkonferenzen kommen in den Werkzeugkasten (Material- und Inhaltssammlung) der Verhandlungskommission.
Dieser Vorschlag wurde in einer Abstimmung mit deutlicher Mehrheit angenommen. Es wurden zwar konkretere Forderungen mit aufgenommen, jedoch bleibt es durch Formulierungen wie „in den nächsten Jahren“ sehr schwammig.
Im nächsten Programmpunkt schlug die Konferenzleitung eine Verhandlungskommission aus jeweils einem delegierten Ehrenamtler aus jeder Region und sechs Hauptamtlichen vor. Hierfür wurde jede Person einzeln vorgestellt und ihre Qualifikationen für diese Position hervorgehoben. Dieser Vorschlag stand wieder zur Diskussion, jedoch gab es bis auf eine Anmerkung, warum denn dieses Mal die Jugend nicht vertreten sei, keine Debatte.
Nach einer einstimmigen Wahl der vorgeschlagenen Verhandlungskommission gab es noch eine Abschlussrede. In ihr wurde hoch gelobt, wie viele „junge“ Leute teilgenommen hätten und sich vor allem auch in den Diskussionen beteiligten und wie wichtig so eine Diskussionskultur für unsere Demokratie sei. Damit endete die Veranstaltung pünktlich zum Mittagessen im Hotel.