Deutschland rüstet auf – und ca. drei Viertel der Deutschen sind dafür. Diese hohe Zustimmung ist verständlich, denn seit Jahren sehen wir, wie Kriege weltweit zunehmen und besonders die Sorge vor einem russischen Angriff in Deutschland hoch ist und von der Regierung weiter geschürt wird. Doch die aktuelle Politik, die Verteidigungsminister Boris Pistorius bekanntermaßen als „Kriegstüchtigkeit“ bezeichnet, macht uns nicht sicherer – im Gegenteil.
Die Kriegsgefahr steigt weltweit
Niemand will Krieg – aber was tun, wenn sich die Konflikte nun einmal weltweit zuspitzen? Das ist die Frage, an der auch überzeugte Kriegsgegner in diesen Zeiten teils verzweifeln. Schließlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Kriege zunehmen und die Spannungen in allen Teilen der Welt sich verschärfen. Allein 2024 stiegen die Militärausgaben weltweit um fast 10%. Um jedoch zu verstehen, warum das so ist, muss man ein wenig weiter zurückgehen…
Bereits ein Jahr vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 beschloss die NATO ein neues Strategiepapier mit dem Titel „NATO 2030 – United for a New Era“. In diesem Papier wurde erstmals auch China – obwohl es heute militärisch noch lange nicht mit den USA mithalten kann – als konkrete Bedrohung benannt und eine neue Ära der „Systemkonkurrenz“ zwischen den NATO-Staaten auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite angekündigt. Die NATO-Staaten müssten sich auf eine Zeit einstellen, in der die „regelbasierte internationale Ordnung“ gegen neue, aufsteigende Mächte verteidigt werden müsste. Doch die „regelbasierte internationale Ordnung“, von der die NATO spricht, ist nichts anderes als die Vorherrschaft des Westens auf der Welt: Während die USA jahrzehntelang sowohl wirtschaftlich als auch militärisch die unumstrittene Weltmacht Nummer Eins waren, sahen wir in den letzten Jahren den Aufstieg neuer Mächte wie China, das allen Prognosen zufolge die Wirtschaftsleistung der USA übertreffen wird.
Zudem macht China, das auch das Bündnis BRICS (bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) anführt, dem westlichen Wirtschaftseinfluss auf der Welt durch eigene Projekte wie der „Neuen Seidenstraße“ Konkurrenz. Als Reaktion auf diese Projekte beschlossen EU und G7 eigene Wirtschaftsprojekte, um ihren eigenen Einfluss in den betreffenden Regionen zu verteidigen und auszubauen, teilweise mit so aufschlussreichen Titeln wie „Build Back Better World“.
Der bereits erfolgte Übergang von einer unipolaren Weltordnung, in der es eine klare stärkste Macht gibt, hin zu einer multipolaren Weltordnung, in der auch andere Mächte wie China oder Russland eine Rolle spielen, stellt ein Problem für die USA und den gesamten Westen dar. Nicht ohne Grund eskalieren die USA den Wirtschaftskrieg gegen China durch Zölle und nutzen jede Gelegenheit, ihren Einfluss zu zementieren (wenn nötig auch mit Krieg, wie sich im Nahen Osten immer wieder zeigt).
Genau darum werden auch immer wieder neue Ziele für die Aufrüstung der NATO-Staaten ausgegeben. China, das heute noch lange nicht mit den USA militärisch mithalten kann, zieht mit und bereitet sich durch massive Aufrüstung ebenfalls auf eine zukünftige Konfrontation vor. Die weltweite Aufrüstung geht nicht nur zu Lasten der Bevölkerungen, die dafür direkt zahlen müssen, sondern verschärft auch die Kriegsgefahr unmittelbar.
Muss sich Deutschland verteidigen?
Wir sehen, dass die weltweite Kriegsgefahr steigt und auch der Westen sich sehr konkret auf eine große Konfrontation zur Verteidigung seiner Vorherrschaft vorbereitet. Doch trotzdem bleibt die Frage bestehen: Müssen wir uns nicht gerade jetzt verteidigen können? Ist die Gefahr eines Angriffs auf Deutschland nicht heute so groß wie nie? Besonders die Gefahr eines russischen Angriffes wird immer wieder hervorgehoben, wobei auch verschiedene Aussagen im Raum stehen: Einerseits würde Russland uns ganz konkret bedrohen (Bundeswehr-Vertreter, der Bundesnachrichtendienst und Pistorius sprechen von einem möglichen Angriff im Jahr 2030), andererseits würde Russland schon in der Ukraine seine Kriegsziele immer wieder verfehlen. Was stimmt denn jetzt?
Einerseits hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine gezeigt, dass der Kreml seine imperialistischen Interessen auch mit Gewalt verteidigt – gerade in der Ukraine, denn diese ist von besonderer Bedeutung. Seit dem Zerfall der Sowjetunion verliert Russland zahlreiche Einflussgebiete – die NATO-Osterweiterungen um Estland Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Nordmazedonien, Slowenien, Albanien und Montenegro sind nur Anzeichen dafür, wie der westliche Block immer weiter an die russischen Grenzen rückte. Als dann auch noch die Ukraine durch das EU-Assoziierungsabkommen drohte, auch als Wirtschaftsraum für den Kreml verlorenzugehen und der NATO-Beitritt der Ukraine ins Spiel kam, sah Russland seine Einflussgebiete so empfindlich bedroht, dass es in die Ukraine einmarschierte. Dieser Angriff ist nicht zu entschuldigen oder zu verteidigen, aber er ist erklärbar so wie auch die verschiedensten NATO-Kriege von Jugoslawien bis Libyen erklärbar sind: Indem man einen Blick auf die imperialistischen Interessen der verschiedenen Mächte wirft. Dass auf Russlands Seite ein klares imperialistisches Interesse vorliegt, ist klar: Verteidigung von Einflusszonen, die durch den Westen (USA und EU) immer weiter in Frage gestellt wurden.
Was für uns jedoch immer die andere Hälfte des Bildes sein muss: Auch dem Westen geht es um imperialistische Interessen. Gerade Deutschland war stark beteiligt an dem Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine und versucht, seinen Einfluss nach Osten massiv auszubauen und damit auch russische Einflussgebiete streitig zu machen. Deutschland, die EU und die NATO-Staaten verfolgen keine Politik der Deeskalation und der Nicht-Einmischung, im Gegenteil. Sie haben den Angriff auf die Ukraine zum Anlass genommen, Russland so sehr zu schädigen wie möglich. Dies dient auch dem größeren Plan, Russland und China zu schwächen, wobei die USA immer mehr auf eine Aufgabenteilung bestehen, in der Europa sich Russland vornehmen soll, damit die USA sich auf den Indo-Pazifik konzentrieren können. Neben handfesten eigenen Wirtschaftsinteressen in der Ukraine (die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung betont den Wert der ukrainischen Rohstoffe in einem Papier von August 2024: „Die Bedeutung des existenziellen Abwehrkampfes der Ukraine im russischen Invasionskrieg geht weit über völkerrechtliche und militärische Aspekte hinaus. Geografisch und aufgrund ihres enormen Rohstoffreichtums ist die Ukraine im Osten Europas von geopolitischer Relevanz. Zugleich stellt sie eine potenzielle geoökonomische Rohstoffbasis für eine Reihe strategischer Schlüsselindustrien Westeuropas dar“) geht es also auch um die größere „Systemkonkurrenz“, die im NATO-2030-Papier offen benannt wird und auf dem Rücken der Ukraine ausgetragen wird. Und auch die Aufrüstung Deutschlands und die immer stärkere Beteiligung an der Stärkung der Ostflanke der NATO wird zwar heute unter dem Vorwand der Verteidigung gegen Russland vorangetrieben (was durch den Ukraine-Krieg auch glaubwürdiger geworden ist), ist jedoch Teil des größeren Planes der NATO, Russland und China langfristig zu schwächen. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland dem aggressivsten Kriegsbündnis der Geschichte angehört, welches die weltweiten Spannungen nicht deeskaliert, sondern aus imperialistischen Motiven immer weiter vorantreibt, ist die Erzählung von Verteidigung eine Farce. Doch sie wird von zahlreichen Personen der Öffentlichkeit, von Militär-Experten über Politiker und Journalisten immer weiter vorangetrieben und damit Angst in der Bevölkerung erzeugt, die dann zu höherer Zustimmung zu Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“ führt. Schließlich gibt es in Deutschland eine lange Tradition der Friedensbewegung, die als Konsequenz aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg die Aufrüstung und Kriegsbeteiligung Deutschlands bekämpfte. Angesichts dieser weit verbreiteten Haltung in der Bevölkerung ist es umso wichtiger, die aktuelle Kriegspolitik ideologisch zu rechtfertigen, was auch die massive Kriegspropaganda erklärt, die uns von allen Seiten beschallt. Dass die Aufrüstung Deutschland jedoch nicht sicherer macht, sondern das Leben der allermeisten Menschen sogar konkret bedroht, zeigt sich, wenn man einen genaueren Blick auf die Militarisierungsprojekte wirft.
STICHWORT „VERTEIDIGUNG“
Einerseits sehen wir, durch einen Blick in die Geschichte, dass Verteidigung ein sehr dehnbarer Begriff ist: Nach dem Kalten Krieg, in dem die NATO ihre Legitimation angeblich aus der „Verteidigung“ gegen den Warschauer Pakt zog, löste sie sich keineswegs auf, sondern vergrößerte sich und änderte ihre Strategie. Auch für die Bundeswehr bedeutete das, dass Verteidigung ab jetzt nicht nur an den eigenen Grenzen stattfinden sollte: „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ (Verteidigungspolitische Richtlinien von 1992) wurde zu einem Ziel der deutschen Sicherheitspolitik – passend zu der Entwicklung der NATO, die fortan auf der ganzen Welt sogenannte „out-of-area“-Einsätze durchführte. Stichwort: „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“, wie es der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck 2004 in Bezug auf den Krieg in Afghanistan formulierte. Das Stichwort der Verteidigung wird seit Jahrzehnten für so ziemlich jeden Krieg bemüht – heute bezeichnet Israel den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Iran als „präventive“ Verteidigung und den genozidalen Krieg gegen Gaza als Selbstverteidigung.
Was ist geplant?
Eine Übersicht über die geplanten Aufrüstungsprojekte zu behalten ist bei dem Tempo, mit dem sie angekündigt werden, gar nicht so einfach. Ein paar Vorhaben im Überblick:
Ein besonders kritisches Vorhaben ist die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Diese wurde von der alten Bundesregierung ohne Diskussion in den Parteien oder Bundestag beschlossen – kein Raum für Zweifler. Bis 2026 werden also US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert. Voraussetzung für diese Stationierung war der Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag im Jahr 2019, mit dem USA und Russland sich zum Verzicht auf nukleare Raketen mit Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern erklärten. Die Mittelstreckenraketen, die jetzt in Deutschland stationiert werden (und Deutschland im Ernstfall zu einem direkten Kriegsziel machen würden) fallen genau in diese Kategorie. Im Gegensatz zu den schon existierenden see- und luftgestützten Waffen sind die landgestützten Waffensysteme schneller und somit „ideal, um auch solche russischen Hochwertziele auszuschalten, die gezielt geschützt werden“ (so die regierungsberatende „Stiftung Sicherheit und Politik“). Der Oberst a. D. Wolfgang Richter, der die Stationierung öffentlich kritisiert, betont, dass sie darum vor allem als Erstschlagwaffen Sinn ergeben. Zudem unterstehen die Waffensysteme vollständig dem Kommando der USA und somit auch dem Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte – dem Präsidenten. In Zukunft entscheidet also Donald Trump persönlich, ob eine Rakete von Deutschland aus nach Moskau losfliegen soll – ca. acht Minuten würde es dauern, bis diese dann dort einschlägt. Angesichts dieser Tatsachen ist nicht verwunderlich, dass kein anderes Land in Europa bisher bereit für die Stationierung dieser Raketen war – denn Deutschland macht sich zum Hauptschauplatz eines eventuellen Krieges und auch zur direkten Zielscheibe.
Ein zentrales Ziel ist zudem seit einigen Jahren, Deutschland zum Drehkreuz für eventuelle NATO-Manöver in Richtung Osten zu machen. Dafür finden immer wieder Militärübungen in Deutschland statt – im Juni 2025 zum Beispiel das „Joint Cooperation“-Manöver der NATO. In Niedersachsen wird mit 300 NATO-Soldaten gemeinsam mit zivilen Organisationen geprobt, wie man im Ernstfall die Ostflanke verteidigen würde. Statt wie bisher eine internationale Krisen-Mission zu simulieren, wird das polnisch-litauische Grenzgebiet simuliert. Das Großmanöver „Baltops“ (Baltic Operations) ging im Juni erst zu Ende, wobei von Rostock aus ca. 9000 Soldaten im Seeraum die Zusammenarbeit verschiedener NATO-Truppen übten. Im September folgt das „Red Storm Bravo“-Manöver in Hamburg, in dem besonders im Hafen die Truppenverlegung nach Osten mit 500 Soldaten geübt werden soll. Solche und ähnliche Szenarien sind auch im geheimen „Operationsplan Deutschland“ der Bundeswehr ausformuliert, in denen es genau darum geht, wie Deutschland im Fall eines Krieges bestmöglich als Drehscheibe für Ausrüstung, Munition, Soldaten und vieles mehr funktionieren kann. In die Planung werden nicht nur Bundeswehr, sondern auch zahlreiche zivile Organisationen und Unternehmen eingeplant. Auch für den Fall, dass es Protest gegen den Krieg aus der Bevölkerung geben sollte, wird geplant. So wurde in Berlin dieses Jahr die sogenannte Heimatschutzdivision aufgestellt, die genau diese Aufgaben übernehmen soll: „Die Polizeien werden im Spannungsfall schon alle Hände voll zu tun haben, weil nicht sicher ist, dass die Bevölkerung friedlich bleibt. Es kann zu Ausschreitungen kommen. Dementsprechend wird bei Übungen regelmäßig auch das Vorgehen gegen streikende Arbeiter und Demonstranten trainiert – auch in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden“, so der stellvertretende Abteilungsleiter im Innenministerium.
Im April diesen Jahres wurde zudem eine Brigade der Bundeswehr in Litauen stationiert – eine neue Qualität der Präsenz im Ausland. Bis zu 5.000 Soldaten sollen bis 2027 dauerhaft in Litauen stationiert bleiben, um die Ostflanke der NATO zu stärken. Es sind unter anderem solche Projekte, die dazu führen, dass immer höherer Personalbedarf bei der Bundeswehr besteht. Pistorius betitelte die Zahl an fehlenden Soldaten zuletzt bei 60.000 – eine riesige Zahl, die perspektivisch wohl nur durch eine neue Wehrpflicht zu erreichen ist. Zudem ist die direkte Hochrüstung der Bundeswehr ein konkretes Vorhaben, für das enorme Summen nötig sind. So wurden direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die 100-Milliarden-Sondervermögen bereitgestellt, die jedoch schon nach kurzer Zeit nicht mehr ausreichen. Das 500-Milliarden-Paket für Verteidigung und Infrastruktur soll hier aushelfen, zudem wurde die Schuldenbremse für Verteidigung ausgesetzt, um unbegrenzte Ausgaben möglich zu machen. Im Rahmen des NATO-Gipfel im Juni wurde sich für die Mitgliedsstaaten zudem auf ein neues Ziel geeinigt: 5% des BIP für Rüstung. In Deutschland würde das fast die Hälfte des gesamten Haushaltes bedeuten.
Welche Rolle spielen Waffenlieferungen?
Für die Aufrüstung spielen Waffenlieferungen eine wichtige Rolle. Zwar geht es bei Waffenlieferungen erstmal nicht direkt um die Ausrüstung der Bundeswehr. Doch Waffenlieferungen haben auch die Funktion, die heimische Industrie profitabel zu halten und ohne große Finanzierung durch den Staat laufen zu lassen, um sie selbst in Anspruch nehmen zu können, wenn es nötig wird. Der Waffenexport ist somit nicht nur ein riesiges Geschäft, sondern stärkt auch die eigene Kriegswirtschaft unmittelbar.
Kein Ende in Sicht
Schon der kurze Überblick über aktuelle Aufrüstungsvorhaben zeigt, wie massiv Geld und Ressourcen in Gang gesetzt werden, um Deutschland zu stärken. Doch als Verteidigung kann diese Aufrüstung kaum verstanden werden – vielmehr wird Deutschland zu einem zentralen Bestandteil des übergeordneten Plans der NATO, wie ein Krieg gegen Russland gewonnen werden kann.