Tarifrunden 2008: Kampfbereitschaft nutzen!

Protest zur Tarifrunde 2008, verdi StuttgartDerzeit laufen heftige Tarifauseinandersetzungen im
Einzelhandel und im öffentlichen Dienst. Weitere werden folgen. In der
Stahlindustrie gibt es einen ersten Abschluss. In allen Bereichen ist spürbar:
die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen ist gewachsen. Sie muss nun
auch genutzt werden!

 

Die Kolleginnen und
Kollegen haben die Nase voll!

Bei allen bisherigen Warnstreikaktionen und Protesten zu den
laufenden Tarifverhandlungen – ob bei Stahl, im Einzelhandel oder im
öffentlichen Dienst – gab es eine starke Beteiligung und die Stimmung der
Kolleginnen und Kollegen war voll Wut und Aggression gegen das Kapital, gegen
die ständigen Lohnverluste der zurückliegenden Jahre, für einen Lohn, von dem
man wenigstens einigermaßen leben kann. Wie der Bericht über die Aktionen im
Einzelhandel (http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/782/catid/2) zeigt,
haben die Menschen die Nase gründlich voll. Sie wollen nicht länger der Dreck
sein. Als verdi z.B. am 22.2. zu Streikaktionen in Stuttgart aufrief, stand der
gesamte kommunale Nahverkehr still. In vielen Krankhäusern konnte mit Mühe noch
der Notdienst organisiert werden. Zu einer Demonstration kamen nach
Gewerkschaftsangaben rund 12.000! Und was für eine Demonstration zog da durch
die Stuttgarter Innenstadt! Die geballte Wut und Kraft der Beschäftigten schlug
einem da entgegen. Vor dem Stuttgarter Rathaus kam es zu ohrenbetäubenden
Pfeifkonzerten und Rufen „Wir wollen mehr Geld!“ Für viele Beschäftigte ist
klar, so kann es nicht weitergehen.

 

Stahltarifabschluss:
ein kleiner Erfolg, aber nicht bis zum Ende gekämpft!

Auch in der Stahlbranche war die Kampfbereitschaft hoch.
Angesichts der rasant steigenden Profite in diesem Bereich wollten die
Kolleginnen und Kollegen, Löhne mit denen sie und ihre Familien leben können.

Der Abschluss von 200 Euro Einmalzahlung für Februar und 5,2%
über 13 Monate ist nach Jahren der Reallohnverluste ein kleiner Erfolg. Zwar
sind 5,2% bei 14 Monaten Gesamtlaufzeit des Tarifvertrages auf eine Laufzeit
von 12 Monaten umgerechnet nur ca. 4,5% brutto und damit auch nur ca. 3,5%
netto mehr. Aber das liegt wenigstens über der Inflationsrate von
voraussichtlich ca. 2,5%. 1% Reallohnsteigerung ist das erste Mal seit vielen
Jahren wieder eine, wenn auch kleine wirkliche Lohnsteigerung. Dass dies ohne
wirkliche Kampfaktionen, sozusagen „freiwillig“ von den Stahlkapitalisten
herausgerückt wurde, sagt sehr viel aus, was möglich gewesen wäre, wenn
wirklich gekämpft worden wäre.

Offensichtlich ist den Stahlkapitalisten die Stimmung in den
Betrieben nicht verborgen geblieben. Sie waren sich im Klaren darüber, dass sie
mit Niedrigabschlüssen wie in den letzten Jahren, die faktisch nach Einrechnung
der Inflation Lohnverlust bedeuteten, nicht kommen konnten. So lange sich die
Arbeiterklasse und die Angestellten dies weit gehend gefallen ließen und die
Situation auf dem Arbeitsmarkt dies ermöglichte, hatte das Kapital keinerlei
Hemmungen, die Löhne zu drücken, so tief es geht. Angesichts der
Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse und gut laufender Produktion, wo eine
Störung durch Streiks die Profite gefährden würde, sahen sich die
Stahlkapitalisten gezwungen zum ersten Mal seit langem mehr Geld
herauszurücken. Natürlich gleichen 1% Reallohnsteigerung die Lohnverluste der
zurückliegenden Jahre nicht aus. Aber immerhin führen sie zu einer kleinen
Besserung der Lage.

Dass die Stahlkapitalisten eine Reallohnsteigerung
akzeptieren mussten, um Kampfaktionen und Streiks zu verhindern, ist zunächst
einmal gut. Dass sich allerdings die IG Metall darauf eingelassen hat, einen
solchen Abschluss im Schnelldurchgang ohne einen größeren Kampf zu akzeptieren,
ist ausgesprochen schlecht. Sie hat damit versäumt, die gegenwärtige günstige
Situation für die Arbeiter und Angestellten zu nutzen, um nach den kräftigen
Reallohnsenkungen der letzten Jahren nun wenigstens einen kleinen Ausgleich zu
erkämpfen.

„Während der Phase
sinkender Marktpreise, ebenso wie während der Phasen der Krise und der
Stagnation, ist der Arbeiter, falls er nicht überhaupt aufs Pflaster geworfen
wird, einer Herabsetzung des Arbeitslohns gewärtig. Um nicht der Geprellte zu
sein, muss er, selbst während eines solchen Sinkens der Marktpreise, mit dem
Kapitalisten darüber markten, in welchem proportionellen Ausmaß eine
Lohnsenkung notwendig geworden sei…

Es ist der Gipfel des
Widersinns, zu verlangen, er solle, während sein Arbeitslohn notwendigerweise
durch die ungünstigen Phasen des Zyklus beeinträchtigt wird, darauf verzichten,
sich während der Prosperitätsphase schadlos zu halten…“

Auf Basis des
gegenwärtigen Systems ist die Arbeit
bloß
eine Ware wie die andern.
(Anmerkung der Red.: Marx hat später
klargestellt, dass nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft eine Ware ist und
dementsprechend einen Wert besitzt) Sie
muss daher dieselben Fluktuationen durchmachen, um einen ihrem Wert
entsprechenden Durchschnittspreis zu erzielen. Es wäre absurd, sie einerseits
als Ware zu behandeln und andrerseits zu verlangen, sie solle von den die
Warenpreise regelnden Gesetzen ausgenommen werden. Der Sklave erhält eine ständige
und fixe Menge zum Lebensunterhalt; der Lohnarbeiter erhält sie nicht. Er muss
versuchen, sich in dem einen Fall eine Lohnsteigerung zu sichern, schon um in
dem andern wenigstens für die Lohnsenkung entschädigt zu sein. Wollte er sich
damit bescheiden, den Willen, die Machtsprüche des Kapitalisten als ein
dauerndes ökonomisches Gesetz über sich ergehn zu lassen, so würde ihm alles
Elend des Sklaven ohne die gesicherte Existenz des Sklaven zuteil.“

(Karl Marx, Lohn, Preis, Profit, 1865, MEW Bd. 16, S. 146)

Wie Recht doch Karl Marx hat! Und wie klar und deutlich
seine Ausführungen die Lage der Arbeiter und Angestellten auch noch nach 143
Jahren darlegen!

Doch einige Führer der IG Metall wollen davon nichts wissen.
In der Stahlbranche beteiligten sie sich an einem Ruck-Zuck-Verfahren und kamen
damit den Interessen der Stahlkapitalisten nach „Ruhe im Stall“ entgegen. Dafür
erhielten sie rund 1% Reallohnsteigerung! Wie gesagt ein Fortschritt. Aber wie
viel mehr hätte mit einem entschlossenen Kampf erreicht werden können? Vor
allem, wo die Kampfbereitschaft deutlich zum Ausdruck kam.

Es ist bezeichnend, dass heute oftmals
Gewerkschaftsführungen Kämpfe steuern, steuern im Interesse der
„Sozialpartnerschaft“, d.h. im Interesse der Klassenzusammenarbeit mit den Unternehmern.
Dann haben sie natürlich kein Interesse daran, die Kampfkraft der Kolleginnen
und Kollegen zu fördern und zu entfalten, sondern sie schrecken genauso wie das
Kapital vor einer solchen Auseinandersetzung zurück.

Über diesen Zustand jammern, hilft allerdings nicht weiter.
Er muss verändert werden. Das geht nur, indem die Kolleginnen und Kollegen, die
mit so etwas unzufrieden sind, selber aktiv werden und gegen eine solche
Gewerkschaftspolitik mobilisieren.

Bei ver.di sind die Bedingungen erfreulicherweise etwas
besser. Ver.di hat in zurückliegenden Kämpfen bereits die Kolleginnen und
Kollegen einbezogen, harte Streiks geführt und die Abschlüsse schließlich dann
durch eine Urabstimmung legitimieren lassen. In den diesjährigen Tarifkämpfen
hat es sich bei ver.di so entwickelt, dass nun die Beschäftigten des
Einzelhandels und des öffentlichen Dienstes zwar mit unterschiedlichen
Forderungen für ihren jeweiligen Bereich, aber trotzdem in Solidarität vereint
kämpfen. Das ist positiv. Es sollte in der gewerkschaftlichen Arbeit zur
Normalität werden, dass man über den eigenen Tellerrand hinaus sieht und sich
um andere Branchen, andere Gewerkschaften, andere Betriebe kümmert. Wer keine
Solidarität übt, steht irgendwann allein da.

Die guten Ausgangsbedingungen, die große Kampfbereitschaft
der Kolleginnen und Kollegen, die gestiegene Wut durch den jahrelangen Lohnraub
können und müssen nun genutzt werden. Möglichst rasch muss es zu Urabstimmung
und Streik kommen. Ziel muss eine Reallohnerhöhung sein, die sich sehen lassen
kann.

Entscheiden ist jedoch letztlich nicht die Ziffer hinter dem
Komma, sondern vor allem, dass die Arbeiter und Angestellten wie auch die
Aktiven in der Gewerkschaft wieder kämpfen lernen und Selbstbewusstsein
entwickeln. Das wäre eine gute Basis für die Zukunft und für die nötigen
Veränderungen in der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung.

 

Auf ewig Ware Arbeitskraft?

Die Tarifkämpfe sind wichtig. Sie zeigen aber auch die
Grenzen eines solchen gewerkschaftlichen Kampfes. Denn tatsächlich ändern sie
das kapitalistische System nicht grundsätzlich, sondern gehören eben dazu, wenn
die Arbeiterklasse nicht völlig untergehen will. Marx sagte bereits 1865:

„Ich glaube
nachgewiesen zu haben, dass ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen
Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, dass in 99 Fällen von 100
ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung
des gegebnen Werts der Arbeit
(Arbeitskraft; siehe Anmerkung oben) sind und dass die Notwendigkeit, mit dem
Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst
als Ware feilbieten zu müssen. Würden sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen
mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der
Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen.

Gleichzeitig, und ganz
unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die
Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht
überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, dass sie gegen Wirkungen kämpft,
nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; dass sie zwar die
Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert;…

3. Gewerkschaften tun
gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des
Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen
unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie
sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden
Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre
organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung
der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“

(Karl Marx, Lohn, Preis, Profit, 1865, MEW Bd. 16, S.
151-152)

Die Erfahrungen der zurückliegenden Jahre bestätigen dies
knallhart. Tarifrunden und Kämpfe gegen Arbeitszeitverlängerung, gegen
Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, gegen Entlassungen sind
Abwehrkämpfe, um noch Schlimmeres zu verhüten. Das Kapital greift ständig an
und kennt keine Grenze nach unten. Diese Abwehrkämpfe sind daher bitter nötig.
Noch bitterer nötig ist aber der Kampf um eine andere Gesellschaft, in der
Menschen keine Ware Arbeitskraft mehr sind und in der nicht mehr der Profit
einer kleinen Gruppe der Maßstab für die ganze Gesellschaft ist. Deshalb geben
die Tarifrunden auch Anlass über eine Alternative, über den Sozialismus
nachzudenken und diese Alternative wieder unter den Arbeitern und Angestellten
zu verbreiten.

dm