Stuttgart: Über 5000 bei Bildungsstreikdemonstration

Am 21.11.09 nachmittags startete am Stuttgarter Hauptbahnhof eine große und lebendige Demonstration von Schülern und Studenten. Hauptforderungen waren eine kostenlose Bildung für alle, mehr Mitspracherecht der Studierenden an den Unis, Schluss mit Bevormundung und Gängelung durch den Bologna-Prozess, für ein allseitige Bildung an Schule und Universität, gegen die Unterwerfung der Bildungsinhalte unter die Profitinteressen des Kapitals. Mit der Uni Stuttgart sind inzwischen in 75 Universitäten besetzt und bestreikt. An vielen Orten wie auch in Stuttgart schließen sich Schüler/innen an.

Wenn man bedenkt, dass bereits die 68er-Bewegung für diese Ziele streikte, demonstrierte, Unis besetzte, dass damals die Herrschenden teilweise „Verständnis“ heuchelten und „Reformen“ versprachen, so macht die deutlich, wie hartnäckig die Herrschenden in Deutschland jeden Fortschritt in der Bildung verweigern und sogar stattdessen, das Bildungswesen immer weiter ausbluten und zerschlagen. Die Liste ist lang:

– Das 8-jährige Abitur…
– Studiengebühren…
– Nicht-Besetzung Tausender Lehrerstellen…
– Voranschreitende Zersplitterung von Bildung und Ausbildung und Erhalt des reaktionären Föderalismus…
– Aufrechterhaltung des drei-gliedrigen Schulsystems und damit der sozialen Spaltung…
– Kürzungen an Schulen und Hochschulen…
– Investitionen gezielt in Eliteeinrichtungen und gleichzeitige Amputierung der öffentlichen Unis…
– Verschulung durch die Einführung von Bachelor und Master mit weiterer sozialer Spaltung…
– Orientierung der Unis an Kapitalinteressen durch den Bologna-Prozess…
– ua.

Erfreulich an den Protesten in Stuttgart wie auch in anderen Städten ist, dass viele Studenten gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge nicht ausblenden, sondern sehen, wie sich das Kapital nicht nur Schulen und Unis Untertan macht, sondern die ganze Gesellschaft unter der Knute des Kapitals steht. So gab es auf der Demo Aufrufe und Transparente gegen den Krieg in Afghanistan und Auslandseinsätze der Bundeswehr ebenso wie Parolen „Streik in Uni und Schule, Streik in der Fabrik!“ In den Redebeiträgen wurde immer wieder auf die Macht des Kapitals eingegangen. Einzelne Redner forderten eine andere Gesellschaft oder meinte, dass man weiter gehen müsse, wenn man mit den jetzigen Kampfaktionen die Ziele nicht erreichen. Immer wieder wurde durch die Demo-Leitung erklärt, dass Faschisten und Burschenschaftler hier nichts zu suchen hätten, da sie mit dem Kampf für Freiheit und soziale Gerechtigkeit nichts zu tun hätten. Ebenso wurde angeprangert, dass nun nach Beginn der Proteste Grüne und SPD versuchten, sich anzuhängen, obwohl sie Jahre lang in der Bundesregierung genau für die derzeitige Lage verantwortlich waren und die Interessen des Kapitals durchgesetzt hätten.

Die Stimmung auf der Demo war ausgesprochen gut und kämpferisch. Hier war die Kraft und der Schwung der Jugend zu spüren.

Die Taktik der Polizei hatte, wie in letzter Zeit schon öfter zu beobachten, ein Doppelgesicht. Einerseits verhielt sich die Polizei großzügig, vermied Konflikte. Andererseits suchte sie immer wieder etwas abseits von der Masse der Demonstranten mit Provokationen eine Eskalation herbeizuführen. So stürmten sofort, als der Zug nur Halt vor der Zentrale der CDU Baden-Württemberg machte, ein großer Trupp schwer gepanzerter und ausgerüsteter Polizei herbei, schubste und drängelte. Doch die Student/innen und Schüler/innen reagierten recht klug auf diese Versuche, dem Polizeiknüppel freien Lauf zu lassen. Sie hielten die Hände hoch und riefen gemeinsam: „Wir sind friedlich, was seid ihr!“ Zugleich verteidigten sie ihre Position und drängten die Polizei sogar zurück. Als die Demo die Theodor-Heuss-Straße kreuzte, die Hauptverkehrsader in der Stuttgarter Innenstadt, blieb der Zug stehen und die Kreuzung blockiert.

Sofort wurde die Demo von der Polizei für aufgelöst erklärt und massiv Nachschub an Truppen herangekarrt. In der Stuttgarter Innenstadt regierte das Blaulicht und das Martinshorn. Immer wieder versuchte die Polizei zu provozieren und die Blockierer zu attackieren. Dazu wurde die berüchtigte Reiterstaffel der Polizei eingesetzt, die ohne Rücksicht in die Menge zu reiten versuchte. Doch auch hier verstanden es einzelne, die sich wohl mit Pferden auskannten, diese so zu irritieren, dass die Angriffe scheiterten. Die bewährte Taktik, Hände hoch, zusammen bleiben, Parolen rufen und auf die Polizei zugehen, wirkte auch hier wieder. Mit einzelnen Festnahmen heizte die Polizei die Stimmung kräftig an. Doch da hatte sie nicht mit der Solidarität gerechnet. Der gesamte Block wälzte sich nun auf die Polizei zu. Völlig verdutzt leistete die hoch gerüstete Polizei zunächst Widerstand, wurde dann aber geradezu von der Masse weg geschwemmt und überflutet. Die Polizeireiter versuchten fluchtartig, dem Chaos zu entkommen. In Panik wendeten Einsatzfahrzeuge und Busse, um sich vor der langsam vorrückenden Menge in Sicherheit zu bringen. Zwar hörte man von überall her Martinshörner mit anrückendem Nachschub. Doch der kam so langsam an, dass die vorrückenden Demonstranten, die laut die Freilassung der Inhaftierten forderten, nicht mehr zu bremsen waren. Die Reihen der Polizei gerieten ins Wanken und zogen sich allmählich immer rascher zurück. Zwar kamen die Inhaftierten nicht frei, doch die Schüler/innen und Student/innen spürten sowohl die Staatsgewalt, die gegen sie stand, wie auch ihre Kraft, wenn sie zusammenhalten und solidarisch sind.

Die Kampfaktionen werden weitergehen. Am nächsten Samstag wird in Stuttgart eine Demo gegen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr stattfinden, die von einem breiten Bündnis getragen wird, in dem auch viele Jugendliche mitwirken. Die Schüler/innen und Student/innen kündigten an, dabei mitzumachen.

Positiv war auch, dass an der Demo viele ältere Menschen teilnahmen und auch einige Gewerkschaften wie ver.di und IG Metall ihre Unterstützung zeigten.

„Arbeit Zukunft“ wurden wir Ruck zuck los. Wir werden die Aktionen weiter nach Kräften unterstützen.

ernst