Lehrstellenmarkt: Hunderttausende Bewerber bleiben wieder ohne Ausbildungsplatz

Anfang Oktober beginnt für viele junge Arbeiter die Berufsausbildung (und damit endet das offizielle Beratungsjahr). Grund genug für uns eine Zwischenbilanz zu ziehen. Im Beratungsjahr gab es 512.000 gemeldete Lehrstellen und etwa gleich viele Bewerber auf diese Stellen (Stand: Juli 2017). Dies entspricht etwa der Situation im Vorjahr. Aufgrund dieser Zahlen überbieten sich die Mainstream-Medien mit Erfolgsmeldungen:
„Chancen auf Ausbildungsplatz so gut wie nie: Wer eine Lehrstelle sucht, muss nicht mehr lange suchen. […] Die Zeiten, in denen jährlich hunderttausende Jugendliche vergeblich nach einer Lehrstelle suchten, sind damit offenkundig vorbei.“ (FAZ, 5.4.)
„Die Lehrstellen-Bilanz sieht auf dem Papier prima aus!“ (BILD, 12.08.)
Die einzigen, die da zu jammern hätten, seien die Kapitalisten, die über offen gebliebene Lehrstellen zu klagen hätten. Gegenwärtig sind noch ca. 179.000 Stellen unbesetzt. Jedes dritte Unternehmen kann demnach nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Doch paradoxerweise haben derzeit noch ca. 150.000 Bewerber keine Lehrstelle finden können. Und selbst diese Zahl ist von der Bundesagentur für Arbeit geschönt. Denn man muss weitere 172.000 Jugendliche hinzurechnen, die die Ausbildungsplatzsuche abgebrochen oder sich um Alternativen bemüht haben. Zusammen haben also ca. 320.000 Jugendliche eine Stelle gesucht, aber nicht finden können.
Auch wenn das Beratungsjahr bei Redaktionsschluss von AZ noch nicht abgeschlossen ist, ist also davon auszugehen, dass dieses Jahr wieder hunderttausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz dastehen werden! Für sie herrscht sehr wohl Ausbildungsplatzmangel. Insgesamt sind sogar 1,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren weder in Ausbildung, noch verfügen sie über irgendeine Berufsausbildung. Diese Fakten werden von den bürgerlichen Medien entweder verschwiegen oder schöngerechnet. Die Kapitalvertreter und Medien geben stattdessen den Jugendlichen selbst die Schuld an den vielen unvermittelten Stellen und daran, keinen Ausbildungsplatz zu finden. So wird beispielsweise behauptet:

Wir wollten lieber in der Uni faulenzen, als im Bau mit anzupacken…
…und überhaupt seien wir einfach zu wählerisch. Doch die Zahlen zeigen, dass es jetzt schon insgesamt genug Bewerber gäbe. An dem Trend zu akademischen Laufbahnen können die Vermittlungsschwierigkeiten jedenfalls nicht liegen, denn dann wären die Bewerberzahlen noch viel höher. Wie wir bereits in der Auswertung des „Ländermonitors berufliche Bildung 2015″ (AZ 1/2016) darlegten, ist die Anzahl der Ausbildungsplätze von 2007 bis 2013 bundesweit sogar um 12% geschrumpft. Nur weil die Anzahl der Ausbildungssuchenden, u.a. durch mehr Hochschulbesuchern, noch stärker gesunken ist, fällt der de-facto Ausbildungsplatzmangel weniger gravierend aus. Schließlich müssen wir in diesem System unsere Arbeitskraft verkaufen und uns prinzipiell nach den Käufern – also Kapitalisten – richten, nicht andersherum. Und das Kapital hat mit dem Ausbau des Niedriglohnsektors und dem Bologna-Prozess kräftig daran gearbeitet, dass ein Hochschulstudium vielen Jugendlichen als einzige – und dazu oft enttäuschte – Perspektive auf eine ordentliche Anstellung erscheint.
Wir treten daher für einen gesetzlichen Mindestlohn von wenigstens 10€/Stunde und für ein Verbot der Leiharbeit ein!
Das Hochschulstudium muss in erster Linie der Bildung des Individuums und nicht den Interessen des Arbeitsmarktes genügen!

Wir seien zu „dumm“…
Denn das Kapital klagt über das schlechte Bildungsniveau der Haupt- und Realschulabgänger. Tatsächlich gibt es in diesem Schulsystem große Mängel. Die Haupt- und Realschulen sind unterfinanziert und dienen mehr und mehr als Abstellgleis für Menschen, die den Anforderungen des Kapitals nicht genügen. Folglich will sich das Kapital auch nicht an der Beseitigung dieses Missstandes beteiligen. Weder möchte es eigenes Geld in das öffentliche Schulsystem investieren, noch möchte es Geld für Förderungen während der Berufsausbildung ausgeben, um Auszubildenden mit schlechteren Vorkenntnissen eine berufliche Laufbahn zu ermöglichen. Das würde ihren Profit schmälern. Sie behandeln uns von Anfang an als Ware, für dessen Produktion die Gesellschaft verantwortlich ist. Daher richten sie sich mit ohnmächtigen Appellen an die Regierung, das Bildungsniveau der jungen Arbeiter zu verbessern. Bezahlen sollen also vor allem wir, durch Steuererhöhungen und Sozialkürzungen. Wir sagen nein – das Kapital soll auf Kosten des Profits zur Kasse gebeten werden! Eine Korrektur der Erbschaftssteuer und die Wiedererhebung der Gewerbesteuer würden beispielsweise Milliarden Euro in die Kassen spülen, die gut im Bildungssystem angelegt wären. Eine Ausbildungsplatzgarantie muss her, um das Kapital beim Aussieben von Bewerbern nach möglichst günstiger Verwertung zu behindern!

Und schließlich: Wir bekämen zu wenig Kinder…
…doch der „demografische Wandel“ ist insbesondere in Ostdeutschland auf die massive Deindustrialisierung und das Veröden der ländlichen Regionen zurückzuführen (vgl. AZ 1/2016). Das Leben ist für junge Familien schwer und die Löhne reichen kaum zum Überleben. Schulen werden geschlossen und Infrastruktur abgebaut, weil sie sich für den kapitalistischen Staat in jedem Fall „rechnen“ müssen.
Für uns stehen jedoch die Lebensbedürfnisse der Arbeiter und Angestellten im Mittelpunkt!
Die Schulschließungen im ländlichen Gebiet müssen aufhören!
Dennoch: Selbst wenn wir einen Ausbildungsplatz erhalten, ist damit noch keineswegs gesagt, dass wir auch dort übernommen werden. Oft drohen Arbeitslosigkeit oder befristete Verträge. Aber das gilt zunehmend auch für Hochschulabsolventen, insbesondere der Geisteswissenschaften.
Dieses System bietet uns keine Zukunft!