Man konnte drauf warten! Nun ist es passiert: Rentnerinnen und Rentner müssten auch ihren „Beitrag“ zur Corona-Krise leisten! So zwei hochtrabende „Spezialisten“ der deutschen Sozialpolitik einhellig.
Zunächst waren ja die Banken und Monopole im Gespräch wegen ihres Beitrags: Sie fordern Milliarden und Abermilliarden aus der Steuerkasse, damit ihre Spitzenmanager und Aktionäre nicht mangels Boni und Dividenden elendiglich hungers sterben müssen. Sie brauchen für den Erhalt von Arbeitsplätzen Kurzarbeitergeld aus der Staats- bzw. Sozialkasse, fleißig von Millionen Kolleginnen und Kollegen gefüllt.
Wenig wird darüber gesprochen, dass das alles genau die Kolleginnen und Kollegen später werden bezahlen müssen – mit Sozialkürzungen, Beitrags- und Steuerhöhungen, Sonderabgaben („Soli“), einem noch schlechteren Gesundheits- und Bildungswesen als wir es jetzt schon haben etc. etc. Aber: Beinahe wurden dabei die Rentnerinnen und Rentner „übersehen“!
Junge-Union-Chef Tilmann Kuban – ausgewiesener Fachmann für´s Alter!
Das fiel soeben Tilmann Kuban auf, dem Vorsitzenden der Jungen Union, der CDU/CSU-„Jugend“-Organisation. Dieser Verein war ja schon immer absolutes Kompetenzzentrum für Probleme, die ältere Menschen verursachen. Schon Kubans Vor-Vorgänger Philipp Mißfelder machte sich legandär unbeliebt mit seiner Forderung „Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen.“ Früher seien die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen.
Klar, dass Mißfelder mit dieser Äußerung einen nachvollziehbaren Shitstorm auf sich zog! Nun gut, Mißfelder verschied 2015 mit 36 Jahren, wurde somit nicht so alt.
Unweigerlich fällt einem da bei Boris Palmer eine große geistige Nähe auf, derzeit grüner OB von Tübingen. Er knüpfte direkt an Mißfelder an mit der Äußerung im im Sat.1-Interview zu den Corona-Maßnahmen: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären“. Da er sich gerade wegen solcher Sprüche eventuell endgültig mit den um ihr soziales Mäntelchen bangenden Grünen überwirft, tut sich in Unionskreisen sicherlich eine neue politische Heimat für ihn auf.
Da kann nun Kuban nicht zurückstehen. Freilich drückte er sich bei Bild.de im Vergleich zu den beiden „Vordenkern“ noch schein-diplomatisch aus:
„Der Staat rettet die Wirtschaft in der schweren Corona-Zeit mit Milliarden, die Staatsverschuldung wächst. Die Zeche werden vor allem die Jüngeren zahlen. Auch die Rentner müssen ihren Teil dazu beitragen. Dass wir danach wieder … neue Rentenleistungen schaffen, anstatt uns Gedanken zu machen, wie wir Schulden wieder zurückzahlen.“
Ja, die Jugend muss stets gegen die „Alten“ aufgehetzt werden, als ob die Jungen nicht schon übermorgen selbst alt würden. Und eben, dieses alte Volks, das einfach nicht rechtzeitig ableben will, ist ein ernstes Problem beim Bedienen der Forderungen des großen Kapitals, das ja die Billionen-Kredite mit Zins und Tilgung, auf Euro und Cent zurückgezahlt haben will, wie Kuban diensteifrig mahnt.
Genauer wurde Kuban dann leider nicht. Das übernimmt dafür ein anderer Fahrensmann in den Abgründen der Berliner Sozialpolitik, der Herr Professor Bert Rürup, ehedem tätig als Berater von Gerhard Schröder, als der noch Kanzler war.
Professor Rürup, ein berüchtigter alter Bekannter!
Wir erinnern an Rürups aufopferungsvolle Bemühungen um die Privatisierung der Altersrenten („Rürup-Rente“). Aber dafür wurde er belohnt mit den sicherlich wohldotierten Posten als „Chefökonom des Handelsblatts“ und als „Präsident des Handelsblatt Research Institute“, eines kapital-freundlichen „Thinktanks“. Im nämlichen Blatt handelte Rürup das Thema dann etwas genauer ab, wenngleich ein Fachmann wie er die unangenehmen Details doch lieber hinter verschlossenen Türen bei Angela Merkel diskutieren möchte.
Rürups Botschaft ist einfach:
- Koppelt doch endlich die Rentenhöhe von der Lohnentwicklung ab!
- Hört endlich auf mit dieser Garantie, dass Renten nicht sinken dürften. Wieso darf das Rentenniveau nicht sinken, wenn doch das Lohnniveau sinken kann?
Die Löhne steigen immerhin ein wenig, die Renten folgen ihnen nach – so was lässt sich doch ändern!
Und diese Rentengarantie? Profi Rürup kennt die verquasten Phrasen, die harmlos klingen, aber die soziale Grausamkeit vertuschen sollen. Er fordert Rentengesetz-Verschärfungen zum Schaden der Rentnerinnen und Rentner! Bei ihm klingt das so: Schon heute stehe es „dem Gesetzgeber … frei, eine mutmaßlich ungewollte Begünstigung der Rentner ebenso zu korrigieren, wie Schwächen bei der in Sache überfälligen Grundrente zu beseitigen“
Sein Parade-Argument ist so simpel wie perfide:
Macht´s doch wie „die Österreicher“, die passen die Renten jährlich nur nach der Inflationsrate an. Mit der Lohnentwicklung habe das dort nichts zu tun. Rürup wörtlich im Handelsblatt:
„In Österreich orientieren sich die Rentenanpassungen nicht an der Entwicklung der Löhne, sondern an der der Verbraucherpreise. Diese Inflationsindexierung sichert die Kaufkraft jeder Rente auf Dauer, beteiligt die Bezieher aber nicht an Reallohnsteigerungen als Folge des Produktivitätswachstums.“ (https://app.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/kommentar-rentner-muessen-an-den-wirtschaftlichen-kosten-der-coronakrise-beteiligt-werden/25787868.html)
Dumm nur – und das verschweigt der gelehrte Herr Professor perfiderweise und sicher bewusst: Das Rentenniveau in Österreich ist deutlich höher als im Niedriglohn- und Niedrigrenten-Paradies des deutschen Imperialismus! Bei den weit verbreiteten deutschen Niedrig-Renten ist die Koppelung an Produktivitäts- und Lohnentwicklung die einzige Chance, ein bisschen Renten-Plus zu bekommen. Würde auch diese Verbindung gekappt, wird das Rentenniveau immer weiter absacken. Das tut es in Österreich übrigens auch, nur ist das Rentenniveau dort insgesamt eben viel höher. Das ist auch deshalb bemerkenswert, da Österreich ein ähnliches Lohnniveau hat wie Deutschland. In Zahlen:
- Deutschland kommt auf eine vergleichsweise niedrige Netto-Quote (Nettorente im Vergleich zum letzten Lohn-Netto) von 50,5 Prozent für einen Durchschnittsverdiener mit einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren.
- Österreichische Rentner kommen auf 91,8 Prozent (!!).
- Der Durchschnitt von 28 EU-Ländern wird von der OECD beim durchschnittlichen Renteneintrittsalter von 65,9 Jahren (Männer) und 65,5 (Frauen) mit 70,6 Prozent für Männer und 70,4 für Frauen angegeben.
- Deutsche Rentner/innen liegen also auch im Vergleich zum EU-Durchschnitt tief unten.
Das heißt, in Österreich bekommen Rentner laut OECD im Durchschnitt mehr als 90 Prozent des letzten Netto-Lohns, den sie vor der Rente erhielten. In Deutschland haben Rentner im Durchschnitt nur noch etwa 50 Prozent dessen zur Verfügung, was sie direkt vorher netto verdient haben. (Vgl.: https://correctiv.org/faktencheck/gesellschaft/2019/09/12/ja-das-rentenniveau-in-deutschland-ist-niedriger-als-in-oesterreich/ )
Für Frauen sind die Aussichten noch trüber. Die OECD stellt 2019 fest: Deutsche Frauen sind heute von der OECD-weit größten Geschlechter-Rentenlücke betroffen (46%). Da das geschlechtsspezifische Lohngefälle über dem OECD-Durchschnitt liegt (also viel schlechter als der OECD-Schnitt ist!) und viele Frauen in Deutschland Teilzeit arbeiten, dürften zukünftige Rentenansprüche von Frauen im Vergleich zu Männern niedrig bleiben.
(Quelle: OECD. Pensions at a Glance 2019 / Wie schneidet Deutschland ab? https://www.oecd.org/publications/oecd-pensions-at-a-glance-19991363.htm, dort unter „Country specific findings“ „Germany Deutsch“ anklicken. Dort auch viele andere wichtige Daten zum Thema!)
Unter diesen Umständen ist der Vorschlag von Bert Rürup eine Niederträchtigkeit, die darauf abzielt, das Rentenniveau noch tiefer abzusenken als es jetzt schon ist. Derweil die Cheffinnen und Chefs des Kapitals darum feilschen, ihre fetten Profite in Form ihrer Boni, Dividenden und Aktienoptionen unbeschadet durch den „Corona-Schock“ zu bringen.