Endlose Gier der Stahlkonzerne: Die Erpressung der Stahlarbeiter nimmt kein Ende

Erneut gibt es Schlagzeilen aus der deutschen Stahlindustrie. Während Thyssenkrupp Steel über Nacht den Abbau tausender Arbeitsplätze und den unabgesprochenen Einstieg eines Großinvestors bekannt gibt, stellt Acelormittal erneut die Modernisierung seiner Produktionsanlagen und damit auch das Fortbestehen seiner beiden Werke in Deutschland infrage. Dabei ist es erst wenige Monate her, dass Kapital, Politik und Gewerkschaftsführung gemeinsam zum neuen Stahlzeitalter in Deutschland ins Horn stießen. Wie kann das sein?

Februar 2024: Aus den Chefetagen von Acelormittal, der IG Metall und dem Wirtschaftsministerium klingen Lobeshymnen auf die Sozialpartnerschaft. Endlich verkündete Wirtschaftsminister Habeck auch die letzte milliardenschwere, staatliche Modernisierungsbeihilfe für einen deutschen Stahlkonzern, nämlich Acelormittal. Schon im Dezember 2023 konnten sich die übrigen Stahlkonzerne Stahl-Holding-Saar (SHS), Thyssenkrupp Steel (TKSE) und die Salzgitter AG über die Milliardengeschenke aus dem Wirtschaftsministerium freuen, nun ist auch der letzte Schritt geschafft. Die bald darauffolgende Genehmigung der Europäischen Kommission macht den Deal perfekt. Kaum überraschend, dass die EU-Bürokratie nicht zum Hindernis für die Interessen deutscher Konzerne wird.

Über viele Monate hinweg hatte zuvor insbesondere die IG Metall für dieses umfangreiche Subventionsprogramm von insgesamt mindestens sieben Milliarden Euro Partei ergriffen. Geplant ist die flächendeckende Umrüstung der deutschen Stahlproduktion auf Wasserstoff-Direktreduktion, als eine grundlegende Modernisierung der Produktionsanlagen in ganz Deutschland. Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, denn eine solche Wasserstoff-basierte Herstellung könnte tatsächlich CO2-neutral stattfinden, und des gemeinsames Standortinteresses haben es Gewerkschaftsführung, Politik und Kapital geschafft, zehntausende Arbeiter der Stahlindustrie im Rahmen dieses Vorhabens auf die Straße zu treiben. Die eigentliche Motivation für die Kapitalseite verbirgt sich jedoch in dem Umstand, dass das neue Herstellungsverfahren den Personalbedarf bei gleichbleibender Produktionsmenge drastisch reduziert, dadurch Rationalisierungen und die weitere Ausdehnung der Gewinnmargen bedeutet. Natürlich blieb dieses Argument den Kolleginnen und Kollegen in den Stahlbetrieben nicht unbekannt und daher antwortete man in der Tarifrunde Ende 2023 mit der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung, um Entlassungen und Personalabbau zu verhindern. Allerdings wurden die Stahlarbeiter mit dem Verhandlungsergebnis hinters Licht geführt. Nicht nur, dass die Möglichkeit zur Arbeitszeitverkürzung zwingend der Zustimmung der Kapitalseite unterliegt, es wurde auch die ausdrückliche Möglichkeit zur Arbeitszeitverlängerung um bis zu 3 Stunden pro Woche festgehalten, sollte dies betrieblich erforderlich sein.
Nicht genug also damit, dass die Arbeiter die Milliardenumsätze der Stahlkonzerne erwirtschaften. Dass von den Steuern, die sie entweder selbst zahlen oder die die Unternehmen durch die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zahlen, diese Modernisierungen bezahlt werden. Dass die Millionengewinne der Stahlkonzerne in private Taschen abfließen, ohne dass die Konzerne wenigstens für den Unterhalt ihrer Produktionsstätten aufkommen müssen. Dieses Subventionsprogramm bedeutet eben auch Rationalisierung, Stellenabbau und schärfere Ausbeutung.

Womit wir bei den Ereignissen der letzten Tage und Wochen angekommen wären. Die deutschen Stahlkonzerne haben sich nicht von den Milliardenzugeständnissen und den liebestrunkenen Anbetungen des Industriestandortes Deutschland beeindrucken lassen. Der Kurs steht weiter auf maximaler Rendite, auf maximalem Kapitalertrag. Der Einstieg des tschechischen Milliardärs Kretinsky ist ein makelloses Beispiel dafür. Die Tagesschau meldet dazu: „Energie-Experte Felix Christian Matthes vom Freiburger Öko Institut sieht in Kretinsky einen typischen Vertreter sogenannter „tail end“-Investoren: „Die gehen in niedergehende Branchen, holen raus, was noch da ist und überlassen die entstehenden Kosten dem Staat.“ Besonders attraktiv seien Unternehmen mit hohen Rückstellungen. Kretinsky habe mit seinem Engagement im ostdeutschen Braunkohlerevier ein sehr ähnliches Verhalten an den Tag gelegt. „Er investiert in Kohlekraftwerke und lässt sich deren Stilllegung teuer bezahlen,“ sagt Matthes und warnt: „Die Alarmglocken müssten schrillen, sobald verschachtelte Firmenkonstrukte aufgesetzt werden, über die dann Finanzmittel abfließen könnten.““ (30.04.2024)

Den nur wenige Wochen vorher angekündigten Abbau von tausenden Arbeitsplätzen, muss man als Teil der Strategie des Kapitals begreifen. Denn damit setzt Thyssenkrupp seine Erpressungstaktik fort, die auf der Androhung der Produktionsverlagerung basiert. Man wolle die Produktionskapazitäten in Deutschland um etwa zwei Millionen Tonnen Stahl im Jahr reduzieren, was über 17% der jetzigen Jahresleistung entspricht. Jedoch ermöglicht bereits die geplante Modernisierung der Produktionsstätten die Vernichtung tausender Arbeitsplätze. Dass das Unternehmen diese Entlassungen nun also unter dem Deckmantel der Produktionsverlagerung verkauft, ist eine klare Täuschung, die durch das unverhüllte Vorgehen des Konkurrenten Acelormittal völlig entblößt wird.

Denn am 17. Mai verkündet das Unternehmen, dass es seinerseits die Umrüstung zur grünen Stahlproduktion auf Eis legt. Und zwar solange, bis feststehe, dass man sicher mit weiteren milliardenschweren Subventionen im Rahmen des „Industriestrompreises“ (o.a. „Brückenstrompreis“) rechnen könne. Viel plumper und dreister hätte man diesen Erpressungsversuch wohl kaum durchführen können. Nachdem Acelormittal also im Dezember 2023 erst 1,3 Milliarden Euro für den Produktionsumbau zugesichert bekommen hat, knüpft der Konzern diesen Umbau nun an die Bedingung weiterer staatlicher Gelder und fordert „wettbewerbsfähige Energiepreise“ von der Bundesregierung. Und dabei spart das Kapital nicht an Bescheidenheit, denn nach dem Vorschlag des Wirtschaftsministeriums wird der Industriestrompreis den Steuerzahler 30 Milliarden Euro kosten. Das ist fast das Doppelte des aktuellen Bundesgesundheitsbudgets. Ansonsten drohe die Verlagerung.
Vor diesem Hintergrund muss völlig klar sein, dass Thyssenkrupp seinerseits in die gleiche Kerbe schlägt, wenn man dort vor dem Hintergrund der „Wettbewerbsfähigkeit“ die Reduzierung der Produktionskapazitäten in Deutschland androht. Es handelt sich in beiden Fällen um nichts anderes als den erneuten, noch unverschämteren Versuch, die Arbeiter in Deutschland um weitere Milliarden zu betrügen. Denn jetzt schon zahlt die Arbeiterklasse mit harten Sparmaßnahmen, vor allem im sozialen Bereich, für die Bezuschussung der Industrie überall in Deutschland. Was ein praktischer Umstand für die Stahlkonzerne, dass man bereits seit Monaten gemeinsam mit dem Sozialpartner, in Gestalt der IG-Metall-Führung, Hals über Kopf im Kampf für den Industriestrompreis steckt. Ein nützlicher Schulterschluss also. Außer für die Arbeiter natürlich.