DIE LINKE: „Hoffnung“ organisieren?

Spätestens mit der letzten Bundestagwahl hat sich die Partei DIE LINKE erneut als politisch relevante Kraft in Deutschland gesetzt. Zu ihren Wahlerfolgen gehören 8,8 Prozent der Zweitstimmen, 6 Direktmandate und die meisten Stimmen unter jungen Wählern. Seit Anfang des Jahres sind mindestens 50 Tausend Menschen beigetreten und die Zahl der Mitglieder ist auf über 110 Tausend gestiegen. Der Chemnitzer Parteitag am 9. und 10. Mai unter dem Motto „Die Hoffnung organisieren“ war der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, in der sich die Partei als die Alternative zur herrschenden Politik darstellen und zur Adresse für den Widerstand gegen diese etablieren möchte. Aber wird sie das leisten können?

Ein politisches Vakuum

Erinnern wir uns: Wovon war der Wahlkampf zu den vorgezogenen Bundestagswahl geprägt? Rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Propaganda über einen angeblich bevorstehenden Angriff durch Russland, damit verbunden eine Notwendigkeit für Aufrüstung und Militarisierung, die nationalistische Erzählung der Sicherung der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit, dafür Forderungen nach Subventionen und Steuererleichterungen für die Konzerne und Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Seinen konkreten Ausdruck hat das im Regierungsprogramm der CDU/CSU und SPD gefunden. Weder die Parteien der ehemaligen Ampelkoalition, die massiv an Vertrauen verloren haben, noch das Bündnis Sahra Wagenknecht haben den Boden dieser etablierten Politik ernsthaft verlassen – auch wenn sich letzteres immerhin gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung positioniert hat. Einzig die AfD hat es geschafft, sich als angebliche Opposition zur etablierten Politik darzustellen. Doch auf der „linken“ Seite gibt es ein politisches Vakuum, in dem sich ein progressiv gestimmter Teil der Bevölkerung wiederfinden und dass DIE LINKE nun füllen möchte. Dies drückt sich insbesondere darin aus, dass über eine Million ehemalige SPD- und Grüne-Wähler für DIE LINKE gestimmt haben. Nicht zuletzt auch, weil sie im Unterschied zu den etablierten Parteien mit sozialen, antifaschistischen und friedenspolitischen Themen in der Öffentlichkeit aufgefallen ist. Und es funktioniert – so scheint zumindest die Stimmung des Parteitages in Chemnitz.

 Was wurde beschlossen?

So wurde sich durch die Annahme von Anträgen und unter Berufung auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegen Krieg, Aufrüstung und Militarisierung und für eine Stärkung der Friedensbewegung positioniert. Sowie ein Antrag, in dem die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus in Abgrenzung zur IHRA-Definition angenommen und der Kampf gegen den Antisemitismus als Teil eines größeren Kampfes gegen jede Form von Diskriminierung aufgefasst wird – wichtig, um den Vorwurf des Antisemitismus durch rechte Kräfte den Boden zu entziehen. Damit hat die Partei in wichtigen Fragen der aktuellen Politik ihre bisher wechselhafte Positionierung überwunden – zumindest auf Papier. Doch dass der letztgenannte Antrag mit „nur“ 213 gegen 181 Delegiertenstimmen durchgesetzt werden konnte, weist jetzt schon darauf hin, dass die Diskussion darüber in der Partei nicht so schnell erledigt sein wird. Und was das Ganze abseits von Willensbekundungen konkret heißt, wird die Praxis zeigen. Einen Hinweis gibt aber bereits ein Beschluss des Parteivorstandes, in dem sich von einem Mitglied des Vorstandes, Ulrike Eifler, öffentlich distanziert worden ist, weil sie in einem Social-Media-Beitrag ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekundet hat. Wie verbindlich die Beschlüsse des Parteitages wirklich sein werden, wenn es ans „Eingemachte“ geht, zeigt auch die Abstimmung über einen Vorschlag für den Austritt der Partei aus den Landesregierungen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Weil deren Vertreter im Bundesrat für das Aufrüstungs- und Infrastrukturpaket gestimmt hatten, gab es bereits vorher schon Widerstand innerhalb der Parteibasis. Auf dem Parteitag haben jedoch immerhin 219 gegen 179 Delegierte gegen den Vorschlag gestimmt, aus diesen Landesregierungen auszutreten.

DIE LINKE als „organisierende Klassenpartei“?

Neben weiteren Beschlüssen verwendete der Parteitag einen großen Teil der Zeit darauf, ihre Erneuerung als Partei zu diskutieren. So hält der Parteitag in seinem Leitantrag „Wir sind die Hoffnung“ u.a. zwar fest: „Als Partei nehmen wir eine zentrale Rolle im Protest gegen Aufrüstung, Sozialabbau, Klimazerstörung und Rechtsruck ein.“ Und formuliert dafür eine Stoßrichtung: „Die Linke muss eine organisierende Klassenpartei werden, die die vielfältige Mehrheit der Menschen anspricht und an ihrer Seite für ihre Interessen eintritt.“ Um diese Ziele zu erreichen, wurden auch konkrete Maßnahmen benannt: So wurde ein Beschluss darüber gefällt, eine personelle Quote für Arbeiter in bestimmten Gremien und Wahllisten zu entwickeln. Weitere Maßnahmen wie die Deckelung von Gehältern und die Beschränkung der Amtszeiten sollen den Charakter der Partei prägen. Auch das Konzept des „Organizing“ nimmt eine prominente Stelle im Leitantrag ein. Natürlich ist es wichtig darüber zu sprechen, wie gute Gewerkschaftsarbeit zu machen ist oder die Zahl der Arbeiter in den eigenen Reihen zu erhöhen – diese Maßnahmen jedoch selbst als ein Programm für eine sog. „Klassenpartei“ auszugeben, reduziert diese auf eine technische Angelegenheit. Die tatsächliche Aufgabe einer Partei der Arbeiterklasse wäre schließlich nicht nur, die Arbeiterklasse zu erreichen, sondern auch ihre Kämpfe gegen die Angriffe der herrschenden Klasse zu organisieren und zu führen. Doch um sich dies überhaupt ernsthaft vorzunehmen, ist ein anderer Trend in der Partei viel zu stark: Der Wille zum Regieren.

Der Spielraum des Sozialreformismus wird kleiner

In einer Situation, in der die deutsche herrschende Klasse die Angriffe verschärft, muss klar sein, dass jeglichen Forderungen der Linkspartei von Vornherein klare Grenzen gesetzt sind. Und wie eng diese Grenzen sind, dass zeigte zuletzt die Wahl des Bundeskanzlers im Bundestag: Während der Kandidat Merz beim ersten Wahlgang nur 310 von notwendigen 316 Stimmen erhalten hat, wurde eine zweite Wahlrunde nötig. Eine herbe Schlappe, bedenkt man, welche Mission sich die nun neue Bundesregierung gegeben hat, Deutschland wieder zum Status einer Großmacht zu führen. Und auf diesem Weg zur Großmacht gibt es Maßnahmen, die es umzusetzen gilt – ob es der Partei DIE LINKE gefällt oder nicht. Dass diese jedoch dazu bereit ist, ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ nachzukommen, zeigt nicht nur ihr Abstimmungsverhalten zu dem Aufrüstungs- und Infrastrukturpaket im Bundesrat. Sondern auch, wie sie sich bemühte, so schnell wie möglich einen zweiten Wahlgang noch am selben Tag durchzuführen und sich dafür von der CDU loben zu lassen. Diese Tatsache zeigt, wie eng der Spielraum ist, innerhalb dessen die herrschende Klasse in Deutschland dazu bereit ist, Widerstand gegen ihre Pläne zu dulden – und wie wenig DIE LINKE dazu gewillt ist, ihr dabei ein Bein zu stellen. Sowohl mit der Zustimmung zum Infrastrukturpaket im Bundesrat als auch mit diesem Verhalten rund um die Kanzlerwahl hat die Partei einmal mehr gezeigt, dass sie bereit ist, Steigbügelhalter selbst für die CDU zu sein, gegen die sie vor der Wahl noch „auf die Barrikaden“ gehen wollte. Alle Pläne, eine „Klassenpartei“ zu sein, lösen sich in Luft auf mit der Bereitschaft, „staatspolitische Verantwortung“ zu tragen, wenn diese Verantwortung eine Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse bedeutet.

Mit dieser Voraussicht kann der Parteitag auch als ein „links blinken“ vor dem „rechts abbiegen“ gewertet werden. Schließlich setzen zehntausende Mitglieder Hoffnung in eine ernsthafte Oppositions- und Klassenpartei, deren Enttäuschung jedoch vorprogrammiert ist. Dabei sollte die (auch bereits vorhandene) Enttäuschung über dieses Verhalten der Parteiführung oder Parlamentsfraktionen jedoch nicht zu Resignation unter denjenigen führen, die mit der ehrlichen Absicht einer Veränderung Teil der Partei geworden sind. Vielmehr sollte sie dafür genutzt werden, eine realistische Einschätzung darüber zu gewinnen, wo die Grenzen des Sozialreformismus liegen – nämlich dort, wo die herrschende Klasse sie setzt. Da darf man sich keine falschen Hoffnungen machen und sich politisch nicht in die Irre führen lassen.