Pharmastandort Marburg
Schon im vergangenen Jahrhundert waren die Marburger Behringwerke ein wichtiger Standort für die biomedizinische Produktion und Forschung. 1929 durch die IG Farben übernommen, beteiligte sie sich im deutschen Faschismus an medizinischen Versuchen im KZ Buchenwald und erhielt und erweiterte so den Standort mit verschiedenen Fusionen und Aufspaltungen. Am Marburger Standort Behringwerke haben sich diverse große Pharmaunternehmen angesiedelt, darunter BionTech, CSL, Siemens (Medizintechnik) und GSK. Der Standort wirbt mit den niedrigen Gewerbesteuerkosten und moderatem Lohnniveau am Standort. Die Stadt Marburg fördert den Standort kontinuierlich mit finanziellen Mitteln. Zur Ansiedelung des Pandemiegewinners BionTech 2021, senkte die Stadt auf deren Bitte die Gewerbesteuer weiter, sodass dem Unternehmen effektiv fast 90 Millionen Euro geschenkt wurden – zusätzlich zu den 375 Millionen der Bundesregierung und den Einnahmen aus dem Verkauf des patentierten Impfstoffs. Für Forschung und Entwicklung erhalten die Unternehmen am Standort auch weiterhin staatliche Subventionen in Milliardenhöhe. Jetzt drohen die Unternehmen, die sich am Standort Behringwerke angesiedelt haben, mit massivem Stellenabbau.
Billige Arbeitskraft? Liefert die Politik!
Mit der Expansion des Standorts seit 2005 wurden mangels Fachkräfte häufig un- oder umgelernte Mitarbeiter für die Produktion eingestellt. Durch den erhöhten Bedarf an spezialisierten Kräften hat die Stadt Marburg und das Land Hessen in den letzten Jahren geliefert: 2023 wurde an der Marburger Universität ein Masterstudiengang ins Leben gerufen, dessen enge Kooperation mit den Unternehmen, dem Marburger Pharmastandort neue Arbeitskräfte liefern soll. An der Uni Marburg forschen Studierende in mindestens zwei Projekten für die Unternehmen. Auch verfassen Studierende ihre Abschlussarbeiten für die Unternehmen, machen während ihres Studiums einen Nebenjob oder absolvieren dort ihre Pflichtpraktika. In den passenden Studienfächern werden Partner aus der biotechnologischen Industrie als Dozierende eingeladen und die Universität holte die Gründer von BionTech in den Aufsichtsrat der Uni. Für Ausbildungsberufe, die der Pharmastandort benötigt, wurde der Berufsschulstandort für die Ausbildung zum Pharmakant erst kürzlich von Frankfurt nach Marburg verlegt. Während der Corona-Pandemie konnten die Konzerne unzählige Werksstudenten und Nebenjobber in der Produktion anstellen, die den Schichtbetrieb am Laufen hielten.
Situation im Betrieb
Die Pharmakonzerne machten in den vergangenen Jahren Milliardengewinne und produzieren und verkaufen Impfstoffe und Medikamente, auf die viele Menschen angewiesen sind. Um jetzt ihre Profite zu retten, setzen die Konzerne auf den Abbau von Arbeitsplätzen. Schon zu Beginn des Jahres kündigte BionTech an, bis 2027 etwa die Hälfte der 670 Vollzeitbeschäftigten zu entlassen. Die ersten Arbeitsplätze wurden bereits jetzt durch das Auslaufen befristeter Verträge abgebaut, was vor allem Teilzeitbeschäftigte trifft. Jetzt zieht auch CSL Behring nach und kündigt an, das erst vor drei Jahren errichtete Forschungszentrum zu schließen und damit 500 Stellen zu streichen. Insbesondere Forschung ist ein kostenintensiver Faktor für die Unternehmen, der durch gemeinsame Projekte und Abschlussarbeiten an öffentlich finanzierte Universitäten ausgelagert werden kann. CSL will vor allem die Arbeitsplätze in der Produktion erhalten. Auch bei GSK, einer der größten Pharmakonzerne weltweit, kündigt sich der Stellenabbau an. Mitarbeiter berichten, dass die Produktionsanlagen bereits vor einiger Zeit verkauft wurden. Ein Kollege aus dem Betrieb beklagt, dass er seit Monaten auf der Arbeit keine Betätigung finde. Das Klima sei angespannt und es herrsche Angst vor dem Stellenverlust – insbesondere unter den Mitarbeitern ohne berufliche Ausbildung, die seit Jahren im Unternehmen tätig sind. Insgesamt sollen weitere 850 Arbeitsplätze wegfallen. Insbesondere die Auszubildenenplätze wurden an vorderster Front bereits seit einigen Jahren gestrichen. Die derzeitigen Azubis können nicht von einer Übernahme ausgehen. Der Stellenabbau am Standort erhöht den Druck auf alle Beschäftigten der Unternehmen am Standort. Entlassenen Mitarbeitern bei BionTech wurde von Unternehmensseite bereits nahegelegt, keine Presseanfragen zu beantworten. Bei der Betriebsversammlung bei CSL waren alle 3000 Mitarbeiter anwesend oder zugeschaltet. In Marburg prägt die Pharmaindustrie als Arbeitgeber, aber auch als einflussreicher Geldgeber das Stadtbild, sodass die Pläne der Pharmaindustrie bereits einen großen Teil der Bevölkerung erreicht haben und viele unter Ihnen selbst davon betroffen sind.
Unsere Gesundheit, ihre Profite
Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass es den Unternehmen nicht um die Gesundheit der Menschheit geht, sondern nur um die eigenen Profite. Die Unternehmen sparen in den Bereichen, die wenig Profit bringen oder Investitionen benötigen. Das bedeutet, dass bestimmte Medikamente oder Impfstoffe künstlich verknappt und teurer werden und dass Forschung zu beispielsweise Krebserkrankungen eingestellt wird. Die Spekulation mit der Gesundheit geht auf Kosten der Arbeiter – obwohl die Unternehmen durch ihre Produktion immer noch Umsätze in Milliardenhöhe machen. Ein ehemaliger Mitarbeiter wortwörtlich: „Ein paar Chemikalien und Geliermittel kosten im Einkauf so viel wie meine Stelle aufs ganze Jahr.“