In den letzten Wochen gab es große Proteste, vor allem in L.A., und die Regierung setzte sogar das Militär gegen die Demonstranten ein. Was hat die Proteste ursprünglich ausgelöst? (Stimmt es, dass es sich um eine direkte Verteidigung gegen Abschiebungen und ICE-Operationen handelte?)
Die Proteste begannen als legale Beobachtung und Protest gegen ICE-Razzien in Los Angeles, die die ICE-Agenten mit Dutzenden von Verhaftungen eskalierten. Unter den Verhafteten befand sich auch der Gewerkschaftsführer David Huerta von der großen Gewerkschaft SEIU California, die über 700.000 Arbeitnehmer vertritt. Huerta und andere wurden bei den Verhaftungen schwer verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Am darauffolgenden Tag wuchsen die Proteste gegen die Präsenz von ICE, und Trump reagierte mit einem unverhältnismäßig aggressiven und militarisierten Einsatz. Was als Verteidigung gegen die aggressiven Abschiebungen des Trump-Regimes begann, hat sich inzwischen zu einer breiteren Bewegung gegen die zunehmende Militarisierung der Strafverfolgung und die Machtübernahme durch den Präsidenten entwickelt. Wenn die Regierung auf friedliche Proteste des Volkes mit dem Einsatz des Militärs zur „Aufrechterhaltung der Ordnung“ reagiert, folgt sie einem bekannten Muster der Unterdrückung. Die Kapitalisten halten das für ein Zeichen der Stärke, aber in Wirklichkeit ist es ein Zeichen von Schwäche und Angst. Diese Proteste sind zu einer Antwort auf das größere System der Ungerechtigkeit geworden, die die demokratische Maske jeden Tag mehr und mehr abreißt.
Wie ist die Situation der Einwanderer in den USA heute und vor allem seit dem erneuten Amtsantritt von Trump?
Die Lage ist sehr angespannt. Viele Einwanderer haben Angst, dass sie oder ihre Familien ohne Vorwarnung von der Straße geholt und abgeschoben werden könnten, in vielen Fällen in ein Land, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen haben; oder, noch schlimmer, in das gewinnorientierte Konzentrationslager, das das Trump-Regime mit der Regierung von El Salvador vereinbart hat. Einwandererfamilien haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken, weil sie befürchten, von ihnen durch die ICE-Kontrollen getrennt zu werden. Selbst Besuche in medizinischen Einrichtungen sind gefährlich, da die ICE die Befugnis erhalten hat, Patienten festzunehmen. Menschen werden direkt vor Gerichtssälen für Einwanderungsanhörungen verhaftet. Internationale Studenten bereiten sich darauf vor, dass ihnen die Wiedereinreise in die USA verweigert wird, wenn sie ihre Familie zu Hause besuchen wollen, und werden von amerikanischen Universitäten angewiesen, von Protesten oder politischen Äußerungen abzusehen. Wanderarbeiter werden von ihren Arbeitgebern zunehmend damit bedroht, dass sie dem ICE gemeldet werden, wenn sie eine bessere Behandlung, faire Löhne oder die Einhaltung der Arbeitsgesetze fordern.
Der Terror richtet sich nicht nur gegen Einwanderer, sondern auch gegen deren Familienangehörige, von denen viele US-Bürger sind. In einem Fall wurde ein vierjähriges Kind, das die US-Staatsbürgerschaft besitzt und wegen metastasierendem Krebs behandelt wurde, abgeschoben, ohne dass es Zugang zu den notwendigen Medikamenten oder zu einer Konsultation mit seinem Arzt hatte.
Es gab inzwischen Tausende von ICE-Razzien im ganzen Land, die in der Regel von maskierten Agenten ohne Ausweis durchgeführt wurden, die in Zivil erschienen, um Menschen zu entführen. ICE-Razzien finden jetzt offen, öffentlich und ohne Scham statt. Die Trump-Regierung hat weitreichende Maßnahmen eingeführt, um Menschen ohne Gerichtsverhandlung verschwinden zu lassen und abzuschieben, und sie versucht, das verfassungsmäßige Recht auf Staatsbürgerschaft durch Geburt zurückzudrängen, die Neuansiedlung von Flüchtlingen und Asyl vollständig auszusetzen und terroristische strafrechtliche Sanktionen für den Status von Menschen ohne Papiere einzuführen. Bald wird dies mit der vollständigen Kriminalisierung von innerstaatlichem Protest einhergehen, wie es für bürgerliche Diktaturen üblich ist. Wir sehen dies an dem Versuch, den Widerstand gegen den Völkermord in Gaza zu kriminalisieren.
Was waren die Forderungen der Demonstranten und wer ging auf die Straße?
Die Proteste, sowohl in Los Angeles als auch landesweit, fordern ein Ende der Massenabschiebungen – ja, aller Abschiebungen -, die vollständige Abschaffung der ICE und des DHS (Department of Homeland Security, Anm. d. Übers.), den Rückruf der militarisierten Kräfte, einschließlich der Nationalgarde und der Marines, Schutz für Flüchtlinge und für alle Menschen in geschützten Einrichtungen und die sofortige Freilassung aller Personen, die bei ICE-Razzien festgenommen wurden. Die Menschen fordern kommunale Verteidigungsorganisationen zum Schutz von Migranten, die Wiedereinführung der Wege zur Staatsbürgerschaft, die von diesem Regime ausgehöhlt wurden, und die Beendigung der Zusammenarbeit der lokalen und bundesstaatlichen Regierungen mit dem ICE und anderen Bundesbehörden, die Einwanderungsbeschränkungen durchsetzen.
Was bedeutet der Einsatz von Militär gegen die Proteste im größeren Zusammenhang?
Er signalisiert sicherlich die Bereitschaft, ja sogar den Eifer der Trump-Administration, US-Truppen auf US-Boden gegen US-Bürger einzusetzen, ein Akt, der absolut verfassungswidrig ist. Dieser Akt zeigt vielleicht mehr als jeder andere, dass die Faschisierung des politischen Lebens in den USA immer schneller voranschreitet.
Das Trump-Regime greift das vom bürgerlich-liberalen Staat gewährte legale Recht auf Protest offen an und erkennt, dass seine Aktionen direkt von der Arbeiterklasse zu spüren sind, die sich immer gegen Unterdrückung wehren wird. Die Maßnahmen der ICE sind bei einer bereits agitierten Arbeiterklasse zutiefst unpopulär, und die Regierung erkennt, dass dies ein Thema sein könnte, das eine starke, gut koordinierte Protestbewegung auslöst. Die wachsende Volksbewegung ist eine echte Bedrohung für das Trump-Regime und für eine bereits in der Krise befindliche imperialistische Macht, die verzweifelt versucht, diese Kraft in ihren Anfängen zu unterdrücken.
Der Einsatz von Militär stellt eine klare Eskalation der Bourgeoisie dar, ein Zeichen der Panik, dass eine Massenmobilisierung so schnell geschehen konnte, geschürt durch die Illusion, dass die herrschende Klasse jeden schlagen könnte, den sie will, und dass niemand jemals zurückschlagen würde. Der Staat behandelt alle Proteste als Bedrohung der nationalen Sicherheit, der mit Gewalt begegnet werden muss, und nicht als Ausdruck der Demokratie, der sie sind. Zusätzlich zum Einsatz der Nationalgarde und der Marineinfanterie sprechen die Gouverneure der Bundesstaaten davon, die Demonstranten zu überfahren, und die Sheriffs davon, die Demonstranten zu töten. Die Kapitalisten versuchen, eine Botschaft zu senden: Es geht nicht mehr nur um Einwanderung – es geht darum, wer das Recht hat, das Land zu regieren.
Am 14. Juni gab es im ganzen Land große Proteste gegen Trump. Wie entwickelt sich die Anti-Trump-Bewegung? Was sind die Perspektiven?
Obwohl die Demonstrationen am 14. Juni größtenteils von liberal-progressiven Organisationen organisiert wurden und ihre Forderungen oft nicht die Volksbewegung widerspiegeln, haben sie gezeigt, wie sehr die arbeitenden, ausgebeuteten und marginalisierten Menschen in den Vereinigten Staaten den Trumpschen Faschismus ablehnen. Bei diesen Protesten war auch ein organisches und spontanes Element vorhanden, das den Willen der Massen repräsentierte, sich wirklich gegen die Politik des Trump-Regimes zu wehren und eine Bewegung mit erreichbaren Forderungen aufzubauen.
Die allgemeine Stimmung richtete sich gegen Trump als Einzelperson und nicht als Symbol des Systems und der Klasse, für die er steht. Der Hauptslogan des Protests lautete „No Kings“ (Keine Könige) als Antwort auf sein Selbstbild als eine Art Monarch. In der Führung dieser Proteste fehlten Klassenanalyse und Solidarität völlig.
In den Städten der USA gab es am 14. Juni weitere Proteste, zu denen die liberalen Organisationen nicht aufgerufen hatten. Sie zogen kleinere, aber militantere Menschen an, die bereit waren, mit der Polizei und den Politikern auf Konfrontationskurs zu gehen, und die die liberale Sichtweise auf die Themen des Tages ablehnten. Diese Proteste sind diejenigen, die mit der Niederschlagung durch die Ordnungskräfte und der Brutalität der Polizei konfrontiert sind, und sie sind diejenigen mit Forderungen nach revolutionäreren Zielen. Während die liberalen Mainstream-Veranstaltungen des 14. Juni dazu aufriefen, Trump abzusetzen, für die Demokratische Partei zu stimmen und liberale bürgerliche Politiker zu unterstützen, hat die Volksbewegung ein Ende der Besetzung Palästinas, die Abschaffung der ICE und die Bildung von antifaschistischen und kommunalen Verteidigungsorganisationen gefordert.
Es muss gesagt werden, dass dies eine nationale Bewegung ist. Zehntausende haben gleichzeitig in Dutzenden von Städten demonstriert. Dies ist keine einmalige Explosion, sondern eine schwelende Wut, die sich seit Trumps Amtsantritt aufgebaut hat. Seine zweite Amtszeit war eine Übung für die Kapitalisten, um zu sehen, womit sie durchkommen, um zu versuchen, so weit wie möglich zu gehen und um zu sehen, wie hart die Menschen zurückschlagen werden.
In den letzten Jahren hat sich die Anti-Trump-Stimmung auf breiter Front verstärkt. Gewerkschaften, politische Parteien, Klima-Aktivisten, Bürgerrechtsgruppen, Migrantenrechtsgruppen, Studenten und einfache Arbeiter wehren sich gegen die amerikanische Entwicklung hin zum Autoritarismus und den Einsatz von Gewalt, Überwachung und unseriösen Klagen zur Unterdrückung abweichender Meinungen.
Alles ist noch in Bewegung, noch „im Spiel“, so dass die Gesamtwirksamkeit dieser Proteste zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer zu beurteilen ist. Der Zorn und die Wut der Menschen nehmen jedoch zu. Was auch immer geschieht, die Arbeiterklasse wird nicht leise in die Nacht gehen.