Presseerklärung: Kollateralschäden billigend in Kauf genommen! Praxisgebühr und Zuzahlungen führen zur massiven Ausgrenzung aus der Gesundheitsversorgung!

Seit dem 1. Januar 2004 müssen Sozialhilfe- und
Arbeitslosengeld- Hilfebezieher wie alle anderen Versicherten der gesetzlichen
Krankenkassen für ihre Gesundheit tief in die Tasche greifen. Doch die
zusätzlichen Kosten, die durch Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten und
medizinischen Hilfsmittel entstehen, werden in Zukunft BezieherInnen von Hilfe
zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter, Menschen mit geringem Einkommen,
Bezieher von Arbeitslosengeld- wie Hilfe und auch in Zukunft Alg II-Bezieher
davor abschrecken, im Bedarfsfall medizinische Leistungen in Anspruch zu
nehmen. Betroffen ist eine Bevölkerungsgruppe, die bereits jetzt unter einem
erheblich schlechteren Gesundheitszustand zu leiden hat, wie u. a. eine
wissenschaftliche Studie der Universität Marburg belegt und deren
Lebenserwartung einer Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover
zufolge etwa sieben Jahre kürzer ist als die ihrer wohlhabenderen
MitbürgerInnen. Durch die im Zuge der Gesundheitsreform vorgenommene Neufassung
des § 1 Abs.1 Satz 2 Regelsatzverordnung im Sozialhilferecht müssen nunmehr
auch die Kosten bei Krankheit von den Regelsätzen bestritten werden.

Bis zu einer „Belastungsgrenze“, die auf einen Jahresbeitrag
in Höhe von 2% des Einkommens (bei chronisch Kranken in Dauerbehandlung ist es
1%) festgesetzt wurde, müssen sich Leistungsberechtigte die medizinische
Versorgung faktisch vom Munde absparen. Trotz dieser zusätzlichen Belastung
wurden die Regelsätze der Sozialhilfe wie der Unterhaltsanspruch beim
Arbeitslosengeld wie -hilfe, die für Sicherung des täglichen Bedarfes zum Leben
ausreichen sollen, nicht angehoben. Das führt praktisch zu einer Senkung der
Unterstützung um den vorgenannten Betrag.

Die seit über 10 Jahren schleichende Aushöhlung des
Bedarfsdeckungsprinzips, das als ein Mindeststandard unseres Systems der
sozialen Sicherung angesehen werden muss, wird nun mit Nachdruck fortgesetzt. Ob
das Vorgehen des Gesetzgebers jedoch mit dem verfassungsrechtlich garantierten
Sozialstaatsgebot zu vereinbaren ist, und gesetzlichen Anforderungen an die
Bemessung des staatlich definierten Existenzminimums genügt, werden die
zuständigen Gerichte zu prüfen haben. Noch wird die Sicherung einer Existenz,
die der Würde des Menschen entspricht, in § 1 des Sozialhilferechts postuliert.
Das Leistungsniveau kann demzufolge nicht willkürlich durch die
Kollateralschäden des „Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung herabgesetzt“ werden.

Zu berücksichtigen ist, dass künftige Alg II-Bezieher
weniger erhalten als heutige Sozialhilfeempfänger.

Darüber hinaus werden kranke Sozialhilfe- bzw.
Grundsicherungsberechtigte- wie Alg II-Bezieher, Arbeitslosengeld wie
–Hilfeempfänger in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten und Bedarfsunterdeckung
gedrängt. Da die Belastungsgrenze wie vor erst einmal erreicht sein muss, bevor
der Sozialhilfeträger oder die Agentur für Arbeit die Krankheitskosten
übernimmt, ist es unerheblich in welch kurzem Zeitraum diese Kosten entstehen.
Für chronisch oder akut erkrankte Betroffene bedeutet das entweder neben ihrer
Krankheit mit einem Einkommen auszukommen, das unterhalb des Existenzminimums
liegt, oder auf die Behandlung und notwendige Medikament zu verzichten. Wenn am
Monatsende das Geld knapp wird, werden diese Leistungsberechtigte zwischen
einer Mahlzeit für die Familie oder dem Arztbesuch zu entscheiden haben.
Untersuchungen belegen es: In Schweden hat die Einführung einer Praxisgebühr
dazu geführt, dass besonders die Menschen mit geringem Einkommen seltener zum
Arzt gehen.

Zusätzliche Belastungen am Rande des Existenzminimums führen
zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgungssituation von
einkommensschwachen MitbürgerInnen, die im Zuge der sog. Reformpolitik der
Bundesregierung zudem von massiven Leistungskürzungen/Entrechtung und Prekarisierung
betroffen sind und künftig sein werden.

Settele, Kontaktperson von „faxen dicke“,
ArbeitslosenKombinat für Selbsthilfe und Gegenwehr, eine Arbeitsloseninitiative
in Augsburg, die Interessengemeinschaft Erwerbsloser rät Sozialhilfe- wie
Grundsicherungsberechtigte, Arbeitslosengeld wie Arbeitslosenhilfeempfänger und
künftige Alg II-Bezieher sich gegen diese Ausgrenzung zur Wehr zu setzen.

Krankheitskosten können als einmalige Leistungen beim
zuständigen Amt beantragt werden. Ein Musterantrag dafür kann bei Herbert
Settele, Brückenstr. 25 ½, 86153 Augsburg, gegen Voreinsendung von Briefmarken
in Höhe von 3,– ¤ für Porti und Kopierkosten angefordert werden.

Bei der Ablehnung dieses Antrages durch das Amt und einem
erfolglosem Widerspruch führt der Weg in die nächste Instanz. Dann müssen die
Gerichte über die Rechtmäßigkeit dieser Leistungskürzungen durch die Hintertür
befinden. Nur durch die Courage der Betroffenen können die Schäden der
Gesundheitsreform gemindert werden.

Settele hofft nur, dass bei Anrufung des Sozialgerichts der
Antrag noch keiner Gebührenpflicht beim Sozialgericht unterliegt, da hier eine
Änderung beabsichtigt ist.