40 Stunden bei Siemens! Der IG Metall-Vorstand setzt die 35 Stunden Woche aufs Spiel!

Die
Resolution des Vertrauensleutekörpers von Porsche war ein Protestschrei, der
Empörung und zugleich ungläubiges Entsetzen vereint: „Was für ein Verrat?!“ Der
folgende knappe Text lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
(Nachlesen: http://labournet.de/diskussion/arbeitsalltag/az/porsche.pdf)

Er
ist zahlreichen Kolleg/innen in der gesamten Gewerkschaftsbewegung aus dem
Herzen geschrieen!

Dem
IG Metall-Vorstand kann man nur sagen: Einmal erpresst, immer erpresst. Auf
massiven Druck des Siemens-Managements hat er einem Ergänzungstarifvertrag für
die 4000 Beschäftigten der mit der Verlagerung nach Ungarn bedrohten Standorte
Kamp-Lintfort und Bocholt zugestimmt. Dieser sieht eine Verlängerung der
Arbeitszeit auf durchschnittlich 40 Wochenstunden ohne Lohnausgleich vor.
Außerdem werden Weihnachts- und Urlaubsgeld abgeschafft und durch eine so
genannte »erfolgsabhängige Jahreszahlung« ersetzt, die offenbar an die
Erfüllung einer Standort-Zielvereinbarung geknüpft ist.

Während
in mehreren Standorten des Siemenskonzerns IG-Metall-Mitglieder mit Aktionen in
Betrieben und auf der Straße noch versuchten, dem ständigen Druck der
Unternehmerverbände in Richtung Verlängerung der Arbeitszeit gewerkschaftliche
Solidarität und Kampfkraft entgegenzusetzen, fädelte der Gesamtbetriebsrat von
Siemens in Koordination mit IGM-Vize Berthold Huber den Abschluss bei Siemens
ein. Es bleibt Huber folglich nur noch übrig, ihn schön zu reden: Der
Ergänzungstarif zeige, „dass es Alternativen gebe zum phantasielosen Stellenabbau
und zu Verlagerung von Arbeitsplätzen im Ausland“. Eine Arbeitszeitverlängerung
in anderen „Problemfällen“ schließt Huber schon nicht mehr aus. Der
Siemens-Chef Heinrich von Pierer droht nämlich schon öffentlich: „Ich bin
zuversichtlich, dass wir weitere lokale Bündnisse für Arbeit abschließen
können“.

IG-Metall-Chef
Jürgen Peters nannte den Abschluss eine „bittere Pille“, einen „Einzelfall“. Er
behauptete, dass er nicht auf andere Fälle übertragbar wäre. Im Einklang mit
dem Siemens-Gesamtbetriebsrat sagte er, dies sei kein „vorbildliches Bündnis
für Arbeit“.

Er
ist zu Recht kleinlaut. Der Abschluss gibt dem Kapital und seinen
Standort-Theorien erstmals offiziell Recht! Wie dann überhaupt der Angriff von
Staat und Kapital auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und
Angestellten pariert werden soll, darauf bleiben die Gewerkschaftsbosse die
Antwort schuldig.

 

Dieser Abschluss wird
Folgen haben!

 

Wie
die Porsche-Kolleg/innen zu Recht in Ihrem Protest feststellen, werden dieser
Abschluss und die abzusehenden Folgen zu weiterem Vertrauensverlust in die
DGB-Gewerkschaften führen. An den Kommentaren seitens der „Männer der
Wirtschaft“ und der „Männer der Politik“ sind sie schon zu erahnen: Sie sind
verständlicherweise entzückt. Arbeitgeberpräsident Hundt, Wirtschaftsminister
Clement et tutti quanti ließen kein Mikrofon aus, um ihre Befriedigung zum
Ausdruck zu bringen. Zynisch Siemenschef Heinrich von Pierer, der selbst von
„Einzelfällen“ flötete. Auch Gesamtmetallchef Kannegießer verteidigte
heuchlerisch den Flächentarifvertrag, beide sichtlich bemüht, der
Mitgliedschaft der Gewerkschaften Sand in die Augen zu streuen. Sie können das
ohne Scheu tun. Denn Ihre Botschaft an die Kapitalisten- und
Manager-Kolleg/innen ist einfach. Schafft hunderte, ja Tausende Einzelfälle!

 

Der Roll-Back hat
begonnen!

 

Aus
dem IG-Metall Bezirk Bayern weiß die Redaktion aus zuverlässiger Quelle, dass
über 100 Anfragen von Betrieben an die IG Metall vorliegen, die Arbeitszeit
auszuweiten! Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass das nur in Bayern so ist.

 

Wir
sehen uns in unserer Einschätzung bestätigt, die wir anlässlich der Analyse des
Falles der Textilfirma Schlafhorst-Autocoro aus dem Saurer – Konzern (Vgl.
Arbeit Zukunft 5/2003: „Das Kapital wir immer dreister…“ und „Das ist ein
Testlauf für die Angriffe auf Betriebsräte und Tarifautonomie!“  http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/72
) veröffentlichten:

„Der
Augenblick des Roll-Back scheint gekommen“

Das
Kapital beginnt jetzt tatsächlich, die Ernte seiner jahrzehntelangen Strategie
in Sachen Arbeitszeit einzufahren. Auf Grund des so genannten
Leber-Kompromisses von 1984 zur Einführung der 35-Stundenwoche sind heute
zehntausende Betriebe bzw. Belegschaften in zehntausende Arbeitszeitmodelle
gespalten und zersplittert. Keiner weiß, wie der Nachbarbetrieb seine
Arbeitszeit organisiert und geregelt hat: Hier Langzeitkonten, dort Flexi-Regelungen,
da reine 7-Stundentage, wieder woanders Freischichtenregelungen und und und… In
der Arbeitszeit blickt keiner mehr durch. Nur eine Tendenz ist absolut
eindeutig: Immer mehr Flexibilität. Die 40-Stundenwoche ist mindestens
phasenweise, z.B in Auftrags-Hochphasen, längst wieder betriebliche Realität.

Nun
wird immer deutlicher, dass das Kapital dabei ist, dieses für sie günstige
Chaos so zu nutzen, dass das Roll Back auf die 40 Stundenwoche ins Laufen
kommt.

 

Mit
dem Abschluss bei Siemens ist nicht ein beliebiger Puzzlestein in dieses Mosaik
eingefügt worden. Es wurde ein strategischer Erfolg erzielt:

Siemens
ist nicht irgendeine Klitsche, sondern eine finanziell gesunde, bärenstarke
Kerntruppe des Kapitals, ein Turm in der Schlacht. Heinrich von Pierer ist
einer der Feldmarschälle des deutschen Kapitals, nicht irgendein Hauptmann
eines untergeordneten Bataillons.

In
schöner Offenheit wurden in diesem Fall alle Verschleierungsphrasen von „Hilfe
in Härtefällen“, „Notfall“, „Rettungsaktion für einen Not leidenden Betrieb“
etc. fortgelassen. Die IG Metall wurde gezwungen, einem reinen Kostenkalkül
nachzugeben, einer nackten Forderung nach mehr Profit für ein hochprofitables
Unternehmen nachzugeben. Damit ist politisch-strategisch jede Begründung für
einen Widerstand in einem schlechter aufgestellten Unternehmen, selbst wenn es
noch nicht einmal in Not ist, sondern beispielsweise für das Kapital
unbefriedigende, vergleichsweise niedrige Profite erzielt, öffentlich in Frage
gestellt.

 

Dem
Kapital ist es gelungen, eine auf seinem Marsch vorwärts in die Vergangenheit
weit voraus liegenden Stützpunkt zu erobern.

 

Die Folgen sind
eindeutig!

 

So
sind z.B. die unter großen Anstrengungen von den Kolleg/innen des Bosch-Konzerns
zurückgeschlagenen Versuche ihrer Bosse zur Wiedereinführung der
40-Stundenwoche in den Werken Leinfelden und Sebnitz sicherlich in Kürze wieder
auf dem Tisch.

 

Was
wird aus den „Teilerfolgen der Saurer-Kollegen“ (http://www.arbeit-zukunft.de/index.php/item/159)?
Alles ist in Frage gestellt!

 

Unter
gewaltigem Druck des Daimler-Chrysler-Vorstandes stehen die Kollegen des
Hauptwerkes in Sindelfingen. Auch dort wir die Einführung der 40 Stundenwoche
verlangt einschließlich weiterer Zugeständnisse! Und hier geht es schon wieder
um eine strategische Position!

 

Der
verdienstvollen Resolution der Delegiertenkonferenz der IG-Metall Stuttgart vom
26.96.2004 (http://www.arbeit.zukunft.de/index.php/item/163
) ist nichts hinzuzufügen:

„Wir
finden es empörend, wie … vielen Belegschaften, die gegenwärtig unsere
Tarifverträge und gewerkschaftlichen Grundsätze verteidigen…, in den Rücken
gefallen wird.“

Wir
begrüßen diesen einstimmigen Beschluss der Stuttgarter, dem sich die
Delegiertenkonferenz Esslingen angeschlossen hat. Wir können nur allen empörten
Kolleg/innen empfehlen, in ihren IG-Metall-Verwaltungsstellen auf die Annahme
dieser Stuttgarter Resolution zu dringen. Der Widerstand muss aus der
Gewerkschaft selbst kommen!

Wie
wichtig die bürgerliche Öffentlichkeit diesen Beschluss der Stuttgarter
IG-Metall nimmt, zeigt u.A. die Tatsache, dass er in der Stuttgarter Zeitung am
Mittwoch, dem 30.062004 als Hauptschlagzeile herauskam. In dem Artikel vergaß
der Redakteur nicht zu vermelden, dass die Bezirksleitung Baden-Württemberg der
IG-Metall tagelang versuchte, das Bekannt werden dieser Resolution zu verhindern.

 

Arbeitszeitverkürzung kostet Arbeitsplätze

 

Die
Folgen einer Arbeitszeitverlängerung sind eindeutig. Sie wird Arbeitsplätze
kosten! Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Das
ist auch der Zweck der Übung! Alle zurzeit in der Öffentlichkeit verbreiteten
Theorien der bürgerlichen Volkswirtschafts-Ideologen basieren auf zwei rein
ideologischen Annahmen:

Dass
ein Konjunkturaufschwung Arbeitplätze schaffen werde.

Dass
die Arbeitszeitverlängerung einen Aufschwung der Konjunktur hervorrufen werde.

Kein
Wort davon, dass praktisch überall eine Offensive zur Produktivitätssteigerung
läuft, deren Hauptmittel die Einsparung von Arbeitsplätzen ist. Schon heute
können alle ausgeschlafenen Kolleg/innen, die ihren Betrieb gut kennen, jene
Arbeitsplätze und Mitarbeiter benennen, die bei einer Arbeitszeitverlängerung
auf die Abschussliste geraten würden. Es wird nicht mehr Arbeitsplätze geben,
im besten Fall würden sie sich in etwa halten. Für ggf. notwendige Zuwächse ist
das Kapital bestrebt, prekäre Arbeitskräfte wie Leiharbeiter/innen anzuheuern.
Aber für Schröder, von Pierer und Co sind das ja die Arbeitsplätze der Zukunft.

Kein
Wort davon, dass die deutsche Volkswirtschaft Exportweltmeister ist, also
offensichtlich keine Probleme hat, im weltweiten Wettbewerb mitzuhalten. Dass
die Binnenwirtschaft daran krankt, dass die Kolleg/innen, die noch Arbeit
haben, in realistischer Zukunftseinschätzung nur die nötigsten Ausgaben machen,
und dass Millionen Arbeitslose vor dem Absturz in die nackte Armut stehen.

Es
ist bemerkenswert, dass am 30.06.2004 ein Arbeitgeber diese Wahrheit öffentlich
aussprach. In der Stuttgart Zeitung wird Uwe Bühler, der Geschäftführer der
Firma Hinderer in Stuttgart, zitiert mit den Worten: „Es wäre nur konsequent,
wenn ich dann“ (im Falle einer Arbeitszeitverlängerung – die Red.) „zwei von 25
Leuten entlassen würde. Das sagt außer der IG Metall nur keiner“! Ein
interessantes Eingeständnis!

Es
bleibt nichts anderes übrig, als dass möglichst viele Kollegen innerhalb der
Gewerkschaft Front gegen die Kapitulationspolitik der Vorstände machen.
Zugleich muss der Kampf gegen das Kapital verstärkt werden.

Die
Lage ist alles andere als einfach. Gegen die massiven Erpressungen des Kapitals
ist nur ein Mittel wirksam: Der Streik, und zwar nicht der Streik gerade eben
des betroffenen Betriebes, sondern ein Massenstreik. Doch was ist nötig, um
diesen vorzubereiten?

Wir
haben es hier eben nicht mit der Kostenkalkulation einzelner Betriebe zu tun,
sondern mit einer gesamtgesellschaftlichen Frage: Die Klasse der
Kapitalbesitzer, der Banken und der Börse präsentiert der arbeitende Klasse die
Rechnung!

Diese
aber zeigt sich zersplittert. Die Situation ist nicht ungünstig für das
Kapital.

Somit
stellt sich die Aufgabe, eine stärkere Einheit aller Arbeiterinnen und
Arbeiter, aller Angestellten und Arbeitslosen herzustellen.

In
jedem Betrieb, in jeder Belegschaft sollte darum gekämpft werden, dass der
Protest gegen Arbeitszeitverlängerung eine Mehrheit unter den Kolleg/innen
findet. Vertrauenskörper und ihre Leitungen sollten Beschlüsse herbeiführen,
die Positionen wie die der Stuttgarter Verwaltungsstelle unterstützen. Wir
müssen unter uns klären, dass wir bereit sind, in den Kampf zu gehen und die
Arbeit niederzulegen.

Der
Stuttgarter Beschluss der Delegiertenkonferenz oder ein ähnlicher Aufruf
sollten bundesweit von allen fortschrittlichen und kämpferischen Kolleg/innen
zur Auffangposition gemacht werden. Alle sollten sich auf diese Position
stellen, unabhängig davon, dass man eventuell viel weitergehendere
Vorstellungen hat.

Wir
brauchen die nächsten bundesweiten Aktionen! Nach über einer halben Million am
3.4. müssen 1 oder gar 2 Millionen auf die Straße. Diesmal müssen die Betriebe mitmachen.
Wir brauchen Aktionen in den Betrieben!

Wir
brauchen die öffentliche Debatte über die Arbeitszeit, über die Produktivität,
über die Stellung der arbeitenden Menschen in der kapitalistischen
Gesellschaft, über die Ausbeutung, über Alternativen. Wir müssen über den
Sozialismus diskutieren!

Viele
Kolleg/innen, gerade die Fortschrittlichen, die kämpferischen, die kritischen,
die besten haben noch eine Scheu, das Wort von der Defensive in den Mund zu
nehmen. Aber wir sind in die Defensive geraten. Das Kapital ist in der
Offensive!

Defensive
heiß aber nicht, dass man nicht kämpfen kann. Dieser Kampf hat jedoch andere
Gesetze als in der Offensive. Die verstreuten, oft unsicheren „Truppen“ müssen
gesammelt, neu organisiert und wieder in den Kampf um die Arbeitszeit, die
Löhne und um eine Alternative geführt werden.

Wir
sind keine Pessimisten! Die gesellschaftliche Realität zeigt, dass überall der
Aufbruch, ja der Aufstand diskutiert und geprobt wird. Diese anwachsende
Bewegung äußert sich unter Anderem in der nach wie vor vorhandenen
Kampfbereitschaft vieler Kolleg/innen, in der Wut des Porsche-Protestes, in der
demonstrativen Einstimmigkeit der Stuttgarter Delegierten. Wir werden aktiv an
der Stärkung dieser Bewegung mitwirken.