Bericht über die Tage der Trauer um Genossen Enver

Enver Hoxha in Berat 1961Warum
der „Bericht über die Tage der Trauer um Genossen Enver“

 Ein paar Vorbemerkungen

Nachdem
Arbeit Zukunft in der vorletzten Nummer eine Würdigung Enver
Hoxhas aus Anlass des 20. Jahrestages seines Todes am 11. April 1985,
veröffentlicht hatten, stellte uns ein  Freund unserer Zeitung einen Text zur
Verfügung, den er Anfang Mai 1985 in Tirana über die „Tage der Trauer um
Genossen Enver“ geschrieben hatte. Der Autor hat die dramatischen Tage damals
erlebt und seine Eindrücke niedergeschrieben, auch, um wie er selbst sagt,
damals mit seinen Gefühlen fertig zu werden. Wir veröffentlichen diesen
Bericht, an einigen Stellen auf Wunsch des Autors leicht gekürzt. An den
gekürzten Stellen schien es ihm unangemessen persönlich und sentimental. Die
aufgewühlten Gefühle kommen unserer Meinung nach auch so nicht zu kurz.

Der
Bericht ist ein zeitgeschichtliches Dokument. Wir veröffentlichen ihn, um
Geschichte, die heute verschwiegen wird, wieder ins Bewusstsein und in die
Diskussion zu rücken.

Ramiz
Alia war zum Zeitpunkt von Enver Hoxhas Tod Staatsoberhaupt Albaniens. Dass er
in dem Bericht der historischen Wahrheit entsprechend erwähnt ist, schmälert
nicht unsere Kritik an seiner Haltung beim Sturz des Sozialismus in Albanien.
Er hat in unsren Augen das Werk Envers verraten.

Sozialismus
in einem kleinen Land

Enver
Hoxha, der Marxist-Leninist, wurde von den Herrschenden der kapitalistischen
Länder stets als Stalinist, als Diktator geschmäht. Für uns ist das
Klassenkampfpropaganda der Mächtigen gegen die Armen, aber wir weichen der
Problematik nicht aus. Es geht hier nicht um Enver Hoxha als Person!

Das
sozialistische Albanien selbst bezeichnete sich als Staat der Diktatur des
Proletariats, also der Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen und
den Genossenschaftsbauern. An seiner Spitze stand Enver Hoxha, in früheren Jahren
an der Spitze der Partei der Arbeit Albaniens (PAA) und der Regierung, in
späteren ohne direktes Staatsamt. Doch wir stellen die Frage klar und
marxistisch: Wie anders als notfalls auch mit diktatorischen Mitteln soll es für
die arbeitenden Klassen möglich sein, gesellschaftlichen Fortschritt gegen die Ausbeuter
und die reaktionären Kräfte durchzusetzen? Deren Wirken in Albanien können wir seit
über einem Jahrzehnt, und auf dem ganzen Balkan seit Jahrzehnten studieren.

Die
Sozialistische Volksrepublik Albanien, geprägt von Enver Hoxha, schaffte

  • die
    Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen,
  • gebührenfreie
    Kinderkrippen, Kindergärten und Schulbildung für alle bis ins letzte Dorf,
  • gebührenfreie
    Gesundheitsfürsorge für alle,
  • gesetzlich
    gesicherten Urlaub
  • ein stark
    eingeschränktes Lohngefälle
  • das Recht auf
    Arbeit, Arbeit für alle.

Unser
Berichterstatter, der übrigens nicht als einziger Ausländer in Tirana
gearbeitet hat, hat dies selbst erlebt und war, da mit Familie mit Kindern vor
Ort, auch persönlich betroffen. Sein älteres Kind war täglich zuerst in einer
Kinderkrippe, später im Kindergarten. Die Kinder anderer ausländischerer
Beschäftigter wurden in Tirana eingeschult und haben dort zusammen mit albanischen
Kindern Lesen und Schreiben gelernt.

In
der Sozialistischen Volksrepublik Albanien befand sich die Industrie in
Staatseigentum. Was es dort an industriellen wie auch landwirtschaftlichen
Kapitalien gab, war nur zu geringem Teil enteignet worden, auch wenn es
enteignete Ländereien und Betriebe gab. Denn 1944 gab es fast nichts zu enteignen
außer etlichen Großgrundbesitzern. Der größte Teil der Reichtümer wurde im
Sozialismus geschaffen. Land wurde urbar gemacht, bäuerliche Genossenschaften
neu aufgebaut, Industrien vom Staat errichtet. Bildungs- und Gesundheitswesen
wurden weitestgehend neu geschaffen. In einem heute unvorstellbaren Umfang
waren die Menschen im sozialistischen Albanien mit gesellschaftlicher Arbeit
und Produktion beschäftigt, waren in Lohn und Brot. Das Land war bis ins letzte
Dorf elektrifiziert…

Es
ist ein historischer Witz, wenn nach dem Zusammenbruch des sozialistischen
Systems 1991 in Albanien von Reprivatisierung gesprochen wurde. Größtenteils
wurde privatisiert, was genossenschaftlich, gesellschaftlich geschaffen worden
war. Zu einem erheblichen Teil sind diese gesellschaftlichen Gründungen und
Errungenschaften heute zerstört.

Wie
vor dem Zweiten Weltkrieg ist Albanien heute wieder ein Exporteur von
Arbeitskräften, von Menschen, die in der Emigration Lohn und Brot suchen, da in
Albanien Elend herrscht. Aber im Unterschied zu damals sind die Chancen der
Emigranten heute noch schlechter, da bekanntlich selbst die großen
kapitalistischen Länder in großem Stil Arbeitskraft einsparen und
Millionenheere an Arbeitslosen aufweisen.

Der
Kampf um den gesellschaftlichen Fortschritt in Albanien

Albanien
führte unter Führung von Enver Hoxha einen Kampf gegen die Religion wie auch
gegen die mittelalterlichen Bräuche und Sitten, die noch große Teile des Landes
beherrschten. Enver Hoxha führte die PAA auf diesen Weg. Dass christliche
Kirchen und islamischen Kräfte, die damals in Albanien tätig waren, ebenso wie
die Herrschenden heute, sich mit einer solchen Politik niemals abfinden,
versteht sich von selbst.

Seit
der Gründung der KP Albaniens (später PAA) am 8.November 1941 in Tirana, seit
Beginn des antifaschistischen nationalen Befreiungskampfes gegen die
italienischen und deutschen Faschisten im zweiten Weltkrieg setzten die
albanischen Kommunisten und Enver Hoxha auf die Jugend und zogen auch die Mädchen
zu allen Aufgaben des Kampfes heran. Logischerweise musste die Partei seit
ihren Anfängen einen konsequenten Kampf um die Gleichberechtigung der Mädchen
und Frauen führen. Und sie tat es, Enver Hoxha immer vorne dran. Kampf gegen
Mädchenhandel, gegen die frühe Zwangsverlobung, ja Zwangsverheiratung der
Mädchen (teilweise bereits im Baby-Alter!!) waren wichtige Stichworte der
ersten Jahre der Volksrepublik Albanien. Die erste albanische Oper „Mrika“, in
den 50ger Jahren von Cesk Zadeja geschaffen, handelt davon, wie während einer
Jugendaktion zum Bau eines Großkraftwerkes die Titelheldin ihre schon „in der
Wiege“ versprochene Verlobung mit einem anderen Mann gegen den Druck ihrer
Familie zerbricht und einen kommunistischen Jungen heiratet.

Genauso
wurde die Blutrache („hakmarrja“), die zahllose Familien, vor allem im
Norden Albaniens, in barbarischer Feindschaft gegeneinander stellte, unterdrückt
und unter schwere Strafandrohung gestellt. Auch dies griff in dramatischer Weise
in Sitten, Gebräuche und familiäre, clan-mäßige Machtverhältnisse ein.
Aber eine ärmliche Landwirtschaft, die nur unter den Bedingungen einer
kollektiven, genossenschaftlichen Wirtschaft eine Aufbauchance hatte, konnte
unter der Herrschaft dieser mittelalterlichen Sitten und Gebräuche nicht
aufgebaut werden. Das galt um so mehr in den wenigen Städten, wo entschlossen
an den Aufbau einer Industrie gegangen wurde.

Enver
Hoxha und die PAA setzten auf die Massenmobilisierung der Jugend. Und das war
nur unter dem Kampf gegen die Reaktion möglich. Lernen, Studium, Debatte,
Arbeit, Sport, freiwillige Aktionen zum Aufbau des Landes waren die Stichworte
für die Jugend. Es war undenkbar, dass da die jungen Frauen und Mädchen noch durch
reaktionäre Traditionen wie das islamische Kopftuch, die Pflicht zur
Unterordnung unter den Mann, den Vater, den Bruder, durch Unwissen,
Schulverhinderung, Zwangsverheiratung und ähnliches mehr an der Teilnahme an
diesem Aufbauwerk gehindert würden.

Im
vielfach noch rückständig-patriarchalischen Albanien der Zeit unmittelbar nach
der Befreiung, wo in manchen Regionen die Frau noch hinter dem Vieh rangiert
hatte, war eine scharfe Auseinandersetzung mit diesen Ideologien, Bräuchen und
Sitten absolut unvermeidlich. Enver Hoxha führte ihn leidenschaftlich, und er
führte ihn auch schonungslos in der PAA. Er scheute sich nicht, von den
Parteimitgliedern die glasklare Stellungnahme für den gesellschaftlichen
Fortschritt zu verlangen und prangerte schonungslos deren Opportunismus in
diesen Fragen an. Ohne diese Auseinandersetzung war ein Fortschritt in
Produktion, Wirtschaft und Gesellschaft undenkbar. Er und seine Partei haben
sich dadurch auch im Land Feinde gemacht. Der scharfe Kampf gegen den Einfluss
der Kirchen und des Islam, für einen atheistischen Staat aber entstand in dieser
Jugend und trug alle Kennzeichen von deren revolutionärem Schwung und eines jugendlichen
Doktrinarismus!

Wahrscheinlich
muss die Frage gestellt werden, ob die Linie dieses Kampfes teilweise
linksradikale Abweichungen zeitigte, denn heute haben genau diese Kräfte,
freilich mit machtvoller Unterstützung imperialistischer und reaktionärer
Kräfte, voran der Vatikan, erneut starke Positionen im Land. Wie tief also war
diese Politik bei den albanischen Bürger/innen verwurzelt!? Der Autor des
Berichtes berichtet auch, wie er auf einer Reise durch Albanien im Jahr 1990
miterlebte, wie in den letzten Monaten vor dem Sturz des albanischen
Sozialismus 1991 überall mehr oder weniger heimlich, mehr oder weniger offen
religiöse Bräuche reaktiviert wurden, und das in breitem Umfang. Enver Hoxha
freilich war damals schon 5 Jahre tot.

Der
prinzipielle Kampf gegen den Revisionismus

Enver
Hoxha nahm als einer der ersten bewusst den Kampf gegen den immer stärker
aufkommenden modernen Revisionismus auf. Tito im befreiten Jugoslawien strebte 1948
den Anschluss des eben unabhängig gewordenen Albanien an und untergrub
systematisch die unabhängige Entwicklung des Landes. Starke Kräfte innerhalb
der PAA, bis hinein in die Führung, unterstützten diese Politik. Enver Hoxha
bekämpfte sie hart und entschieden.

Dies
war kein nationalistischer Kampf, wie man ihm von titoistischer Seite vorwarf, auch
wenn er zuweilen eine nationale Form annahm.

Enver
Hoxha Nationalismus zu unterstellen, ist, sachlich betrachtet, schlicht dumm.
Der Nationalist hätte den Krieg um Kosova, die in Serbien/Jugoslawien
verbliebene Provinz mit überwiegend albanischer Bevölkerung, geführt. Das hat Enver
Hoxha nicht getan und niemals angestrebt, sondern die prinzipielle
Entscheidung
vertreten, dass diese Frage zwischen Nationen, die gemeinsam
den Befreiungskampf geführt und gemeinsam die Option einer sozialistischen
Entwicklung in Händen hielten, solidarisch und brüderlich zu lösen sei. Tito
hat diese ursprünglich gemeinsame Haltung verraten.

Diese
Sicht steht unseres Erachtens in vollem Einklang mit dem Marxismus. Hellsichtig
erkannte Enver Hoxha, dass seine Partei, die den Menschen trotz dem Sieg im
Befreiungskampf Unvorstellbares abzuverlangen hatte, dies nur gestützt auf die
Kräfte innerhalb dieser Gesellschaft würde leisten können. Der
„Fortschritt“ durfte nicht von Außen kommen, er musste tief im Land, in
der zu transformierenden Gesellschaft, tief unter den Menschen das
Landes verankert werden. Musste die PAA schon Zumutungen im Klassenkampf
abverlangen, so durften diese nicht als Bevormundungen von außen daherkommen,
sondern konnten nur gelingen gestützt auf das mühsam im Befreiungskrieg
erkämpfte Vertrauen der Kommunisten des Landes sowie auf ihre Autorität.

Es
war der erste Schlag des Revisionismus, diese konkrete, materialistische Sicht
der Aufgaben der Kommunisten niedergemacht und als Rückfall in den
Nationalismus diffamiert zu haben. Noch heute sind diese Fragen ungeklärt und
tobten sich in Ex- sowie Restjugoslawien unter zum Teil barbarischen
Bedingungen aus. Es muss allen zu denken geben, dass Stalin Enver Hoxha in
seiner Haltung unterstützte. Hatte Stalin nicht doch gewusst, dass man den
Sozialismus einem Land nicht von außen aufzwingen kann?

Welthistorisch
wurde der Kampf der PAA und Enver-Hoxhas dann auf den internationalen
Konferenzen der marxistisch-leninistischen Parteien in Moskau 1957 und 1960. Im
November 1960 schleuderte Enver Hoxha Chruschtschow in offensten Worten die
ganze prinzipielle Kritik an der politisch-ideologischen Linie der KPdSU und
ihrer Gefolgschaft ins Gesicht. Er protestierte zudem gegen die nahezu
kolonialistische Haltung Moskaus gegenüber der Wirtschaft und dem Staat
Albaniens, die unter dem Deckmantel der internationalen Arbeitsteilung die
Selbständigkeit unterminierte und in die totale Abhängigkeit zu führen drohte.

Jahrelang
hatten PAA und Enver Hoxha intern um die Einheit auf korrekten Positionen gerungen.
Nun war der Bruch unter den Parteien offensichtlich und nicht mehr zu kitten!
Er wurde weltweit zur Sensation!

Immer
stärker in den Vordergrund trat für Marxisten-Leninisten dank Enver Hoxhas
Kampf die Frage nach dem Klassencharakter der sich kommunistisch nennenden Parteien:
Herrschaft der Arbeiterklasse, auch im Bündnis mit den werktätigen
Kleinbauernschaft, oder wessen Herrschaft eigentlich? Enver Hoxha beschuldigte
die versammelten Chefs der revisionistischen Parteien, Anführer einer neuen
bürokratischen, sozialimperialistrischen Ausbeuterklasse zu sein, die unter den
Bedingungen des fortbestehenden Kapitalismus und Imperialismus nur eine neue
Kapitalistenklasse sein konnte, neu in der Form, rückständig im Inhalt.

Enver Hoxha mit einer Jugendlichen in MatiDie
PAA und Enver Hoxha bewiesen in dieser Situation eine ungewöhnliche Reife und
atemberaubenden Mut. Sie informierten das Volk in öffentlichen Versammlungen über
die besorgniserregende Lage und mobilisierten die Menschen massenhaft zum
Widerstand.

Mit
ihrer Anwesenheit auf dem albanischen Flottenstützpunkt Vlora standen sowjetische
Militärs direkt im Land. Die sowjetische Flotte patrouillierte im Mittelmeer.
Chruschtschow hatte sich mit Tito versöhnt, und sowjetische oder von der
Sowjetunion kommandierbare Truppen standen in Rumänien und Bulgarien in großer
Nähe. Zwischen ihnen und Albanien lag nur Titos Jugoslawien. Dass Chruschtschow
nicht zögern würde, notfalls Gewalt anzuwenden, war bereits bewiesen.

Nur
das sofortige entschiedenste Auftreten der bewaffneten Kräfte Albaniens und des
Volkes gegen die sowjetische Drohung führte in einem wochenlangen Nervenkrieg
dazu, dass die Sowjetunion, ohne einen Schuss abzugeben, sich aus Albanien
zurückzog. Eine für die Geschichte Albaniens überhaupt nicht zu unterschätzende
Leistung!

Die
dann beginnende Zusammenarbeit mit Maos China endete in einer ähnlichen
Situation und wurde 1978 ebenfalls beendet. Dass China einst als
imperialistische Großmacht um die Vorherrschaft auf der Welt ringen würde, was
heute jeder Klarsichtige sieht – Enver Hoxha hat es bereits in den 70er Jahren
des letzten Jahrhunderts geschrieben.

Wir
dürfen uns über den prinzipiellen Charakter des Kampfes gegen den Revisionismus
und seine tiefe gesellschaftliche Bedeutung nicht hinwegtäuschen: Vielfältig
waren und sind seine Themen und Formen. Im Kern geht es darum: Stehen die
Arbeiter/innen und die Werktätigen hinter dieser Partei und hinter diesem Staat,
haben sie den entscheidenden Einfluss, haben die materialistische und
dialektische Wissenschaft, Theorie, Ökonomie und Politik die führende Rolle,
oder machen sich auf Kosten der Arbeiter/innen und Werktätigen innerhalb der
Partei und des Staates Machthaber im Großen wie im Kleinen breit und setzen an
die Stelle des lebendigen Marxismus-Leninismus Worthülsen und dröhnende
Phrasen, die die einfachen Menschen schnell als solche durchschauen.

Was
unser Bericht beschreibt, lässt ahnen, für welche Umwälzungen Enver Hoxha
gestanden hat und welche Autorität er im albanischen Volk genoss.

Offener
Hass und Ablehnung bestimmen heute die öffentlichen Äußerungen der Herrschenden
über das sozialistische Albanien, über die Partei der Arbeit Albaniens wie auch
über Enver Hoxha. Von ihnen kann eben eine Verteidigung, geschweige denn ein
Verständnis für Enver Hoxhas Politik nicht erwartet werden. Das ist unsere
Aufgabe als Marxisten. Es ist selbst dann unsere Pflicht und Aufgabe, wenn die
historisch kritische Untersuchung Fehler und Mängel im ökonomischen,
politischen und theoretischen Kampf der PAA und Enver Hoxhas feststellte. Sein
revolutionäres Lebenswerk wird dadurch nicht geschmälert.

Ein
Urteil über das schließliche Ende des Sozialismus auch in Albanien kann ohnehin
nicht ohne die Untersuchung der Politik Ramiz Alias und der PAA-Politik nach
Envers Tod erfolgen.

Envers
Wirken ist Verpflichtung für alle Revolutionäre und Kommunisten.

ft

Und nun der Bericht:

Bericht über die Tage der Trauer um Genossen
Enver

(geschrieben
April 1985)

Am 11. April 1985 fahre ich in
den Verlag zur Arbeit (1). Alles ist wie immer. Kurz nach
9:00 Uhr geht der Kollege, mit dem ich das Büro teile, ein Deutsch-Übersetzer,
hinaus. Ich denke mir nichts dabei, das kommt öfter vor. Aber nach etwa 20
Minuten kommt er zurück, bleibt einen Augenblick neben meinem Tisch stehen,
dann sagt er: „Ich muss dir etwas sagen. Wir hatten eine Versammlung, und ich
muss dir mitteilen, dass … heute der Genosse Enver gestorben ist. Um 12:00
Uhr kommt ein offizielles Kommunique heraus, bis dahin soll normal
weitergearbeitet werden“. Dann sitzt er mir gegenüber, Tränen in den Augen, mir
geht es nicht anders.

Ein klarer Gedanke ist kaum möglich. Niemandem, der in
Tirana lebt, der Augen und Ohren hat, konnte die Zuneigung, ja Liebe, den
tiefen Respekt zahlloser Albaner für Enver Hoxha übersehen. Wer sich die
Stationen seines Lebens auch nur grob vergegenwärtigt, muss zugeben, wie tief
Enver Hoxha mit dem ganzen heutigen Albanien verbunden, wie sehr er dessen
Symbol ist…

Mein
Kollege hat außerhalb zu tun, ich bin allein im Zimmer. Ich schreibe einen
Brief an einen Genossen zu Hause. Oft muss ich aus dem Fenster schauen. Eine
verschleierte Sonne liegt über den Dächern der Druckerei, der angrenzenden
Häuser, der Stadt, auf dem Dajti (3). Auf dem Hof der
Druckerei, wo vor einiger Zeit noch die albanischen Kolleginnen und Kollegen
neben dem frisch umgegrabenen Beet bei der Frühstückspause saßen, wo sonst
ungemeine Geschäftigkeit herrscht, ist Stille eingekehrt. Nur aus der Setzerei
dringt leise gleichmäßiges Rattern der Maschinen. Der Straßenlärm, der sonst
auch auf die Rückseite des Gebäudes dringt, ist fast verstummt.

12:00
Uhr: Ich gehe ins Zimmer des Chefredakteurs Eshref. Der kleine Raum ist
voll mit Menschen, Sie sitzen um den Besprechungstisch, auf dem ein Kofferradio
steht. Der Chefredakteur steht auf, ich gebe ihm die Hand. Ich sage auf
albanisch: „Genosse… ich hab keine Worte, aber auch für uns deutsche Genossen
war Enver ein großer Genosse…“ Dann kann ich nicht mehr. Ich bekomme einen
Stuhl, dann, kaum dass ich sitze, beginnt im Radio, laut und langsam
gesprochen, die Verlesung der offiziellen Bekanntmachung:

Genossen,
Kommunisten, Arbeiter, Genossenschaftsbauern, Intellektuelle, Frauen,
Jugendliche Albaniens, Veteranen des Krieges und Landsleute,

mit
Trauer und tiefem Schmerz machen wir Euch bekannt, dass heute, am 11. April
1985 um 2:15 Uhr das Herz des geliebten und ruhmreichen Führers der Partei und
unseres Volkes, das Herz des Genossen Enver Hoxha, des ersten Sekretärs des
Zentralkomitees der Partei der Arbeit Albaniens, des Vorsitzenden des
Generalrats der demokratischen Front Albaniens, des Oberkommandierenden der
bewaffneten Kräfte der sozialistischen Volksrepublik Albanien aufgehört hat zu
schlagen.

Von uns
getrennt wurde der Gründer unserer ruhmvollen Partei, der Führer und
Organisator unseres Nationalen Befreiungskampfes und unserer Volksrevolution,
der Architekt und Erbauer des neuen, sozialistischen Albanien. Es schloss die Augen
der heldenhafte Kommandant unserer Nationalen Befreiungsarmee, Er, der die
Demokratische Front schuf und die Fundamente de Volksmacht legte…

Es folgt
eine Würdigung, so einfach, dass ich sie mit meinen beschränkten
Albanisch-Kenntnissen gut verfolgen kann. Die Genossinnen und Genossen um mich
herum schämen sich ihrer Tränen nicht.

Es wird
eine siebentägige Nationaltrauer verkündet, Ramiz Alia tritt an die Spitze der
Kommission für die Trauerfeierlichkeiten. Vom 12. April bis 15. April um 10:00
Uhr wird Enver  Hoxha in der Halle des
Präsidiums der Volksversammlung aufgebahrt.

Schweigend
gehen wir aus dem Zimmer.

Wer
schon einmal in Tirana war, kennt die wichtigsten Gebäude, Plätze und Straßen
des Zentrums. Im Zentrum der riesige Skanderbegplatz mit dem Denkmal des
„Skënderbeu“ (4) von Odhise Paskali (5),
die Moschee (Ethem Bey) und der Uhrturm (Zaat), der große Kulturpalast mit Oper
und Nationalbibliothek, das Hochhaus des Hotels Tirana, das neue Nationalmuseum
mit seinen gewaltigen Mosaikbild auf der Vorderfront. Von hier aus zieht sich
nach Süden im Schatten prachtvoller Kiefern der „Boulevard der Gefallenen der
Nation“, etwa einen Kilometer lang bis an den Fuß der Hügel, auf denen der
„große Park“ liegt, wo auch das Hauptgebäude der Universität von Tirana liegt,
die auf Beschluss des Zentralkomitees vom 13. April den Namen Enver Hoxhas
erhalten wird.

Ganz
nahe bei der Universität liegt auf der rechten Seite des Boulevards das Gebäude
des Präsidiums der Volksversammlung. Am 12. April steht die Menschenschlange
derer, die Enver Hoxha die letzte Ehre erweisen wollen, schon um 9:00 Uhr von
dort den gesamten Boulevard hinauf bis auf den Skanderbegplatz, wo sie in einer
großen Schleife steht, zieht sich dann zwischen Moschee und Kulturpalast in die
große Straße neben letzterem hinein, steht um den ganzen Kulturpalast herum, um
dann zwischen diesem und dem Hotel Tirana wieder auf den Skanderbegplatz zu
kommen. Vor dem Hotel am Beginn des Stalin-Boulevards stehen zahllose Menschen,
um sich noch in diese Schlange einzureihen. So geht es drei Tage lang von 8:00
bis 19:00 Uhr. Es müssen zehntausende, wenn nicht hunderttausende gewesen sein,
die an dem Leichnam des Genossen Enver Hoxhas vorbeizogen, still und gefasst,
hemmungslos weinend, oder mit erhobener Faust.

Das
Fernsehen zeigte es. Es zeigte Jugendliche, Soldaten, Arbeiter, Bauern, Frauen
und Männer. Es zeigte alte Albanerinnen und Albaner, in traditionellen
Trachten, mit dem Plish, der traditionellen Kopfbedeckung der Männer. Sie
hielten am offenen Sarg an, sprachen Enver an, redeten ihn als Sohn an,
brachten mit gefühlvollen Stimmen in eigentümlichem Singsang Volksverse für ihn
vor.

Viele
Menschen hat das Fernsehen so, wie sie aus der Halle kamen, interviewt. So sah
man manche, die dort unter Tränen über den Toten sprachen, manche berichteten
Erlebnisse, persönliche Begebenheiten mit ihm im Nationalen Befreiungskampf,
bei Besuchen in Kooperativen, in Fabriken. Immer wieder waren auch bekannte
Persönlichkeiten darunter, Maler, Schriftsteller, Wissenschaftler. Es schien
aber keineswegs aufdringlich, was da geschah, vielmehr schien eine Art
kollektives Bild zu entstehen.

Das
Fernsehen zeigte auch, wie Nexhmije Hoxha, begleitet von ihren Kindern und den
Schwestern Enver Hoxhas sowie von Ramiz Alia an den
Beerdigung Enver Hoxha 1985offenen Sarg trat. Sie
schien mit ihrem Lebensgenossen zu sprechen. Im Empfangssaal des Präsidiums der
Volksversammlung hat Nexhmije Hoxha zahllose Trauerbesucher empfangen, ihr zur
Seite immer Mitglieder des Zentralkomitees, des Politbüros, Angehörige. Uralte
Frauen, bei denen Enver während des Befreiungskampfes Unterschlupf und Wohnung
gefunden hatte, die die Front unterstützt, die Kopf und Kragen riskiert hatten,
Mann, Söhne, Töchter oder alle und alles durch die Faschisten verloren haben,
in schwarzer Volkstracht gekleidet, sitzen bei der Witwe. Eine sitzt mit
Nexhmije Hand in Hand, wieder erklingt, halb gesungen, halb ausdrucksvoll
gesprochen, eine dieser Volksstrophen, fast zärtlich, aber auch von der Rauheit
und der Widerborstigkeit der albanischen Sprache und des albanischen Volkes
geprägt. Den Text konnte ich nicht ausfindig machen. Stellvertretend für diese
Verse eine Gedicht eines Albaners aus dem Süden des Landes, den ich in Zëri
i Poppullit,
dem Zentralorgan der Partei der Arbeit Albaniens fand:
 

Dita e prillit
njëmbëdhjetë

Qielli e toka ç´u
nxi

Lajmi i zi për
Shqipërinë

Ka vdekur Enveri

Enveri kreu i
partisë

S´e besojmë, na vjen
çudi

Nreu prijs i
Shqipërisë

Të të shohë populli
me sy.

 

Monat April, am elften Tage

Himmel und Erde, wie schwer

Schwarze Nachricht für ganz Albanien

Gestorben ist Enver

Enver, Haupt der Partei!

Ganz unglaublich, wie greift´s uns an

Steh doch auf, Anführer Albaniens

Dass das Volk dich sehen kann.

Nexhmije
antwortet der alten Frau: „Du hast doch 
Enver immer als deinen Sohn betrachtet.“

Wenn in
Albanien jemand stirbt, ist es Brauch, dass alle Freunde, Verwandten, Bekannten
den Hinterbliebenen, der Witwe oder dem Witwer oder den Kindern Beistand
leisten, indem sie abwechselnd, nacheinander oder gemeinsam bei ihnen sitzen,
sich über den Verstorbenen unterhalten. Bei Envers Tod schien es, als sei dieser
Brauch ausgeweitet worden auf die Ebene der ganzen Gesellschaft.

Samstag,
13. April, morgens 8:00 Uhr Anruf bei uns im Hause. Der albanische Genosse, der
für die Belange der ausländischen Mitarbeiter zuständig ist, sagt uns: Um 9:30
Uhr Treffen vor dem Radio; auch wir sollen Gelegenheit haben, Enver Hoxha die
letzte Ehre zu erweisen. Alle ausländischen Genossinnen und Genossen finden sich
ein. Vom Radio zum Haus des Präsidiums der Volksversammlung ist es nicht weit.
Der Boulevard ist abgesperrt. Außer der Menschensäule, die sich vom
Skanderbegplatz heranwälzt, kein Auto, kein Bus…

Wir
werden unmittelbar vor dem Eingang zum Gebäude in die Schlange eingegliedert,
uns bleibt stundenlanges Stehen und Gehen erspart.

Wir
gehen hinein. Sehr leise Musik aus der Eroika von Beethoven. Da liegt er, im
offenen Sarg, eine imponierende Gestalt noch im Tod. Wir ballen die Faust zum
Gruß, wir gehen langsam vorbei…

Was für
ein Genosse!


italienische Faschisten besetzen das Land 
  Organisierung der albanischen
Kommunisten in der Partei    Schaffung der Nationalen Befreiungsarmee,
Sieg über die Italiener    die deutsche faschistische Bestie fällt in
das Land, Mord Terror, noch brutaler, als unter den italienischen
Faschisten    Borova, ein albanisches Lidiçe    
die albanische KP an der Spitze der Front, an der Spitze des Volkes
mobilisiert ununterbrochen, schafft die Einheit. Auch die deutschen Faschisten
werden besiegt    29. November 1944! Doch damit nicht genug:
ein völlig neuer Staat entsteht im Kampf. Nach dem Sieg führt die kommunistische
Partei das Land    sozialistischer Aufbau   
Kampf auf Leben und Tod gegen die Titoisten   
Kampf gegen den Chruschtschow – Revisionismus   
gegen den chinesischen Revisionismus 
  neue Verfassung   
Verbot, Kredite vom Ausland zu nehmen 

Kollektivierung
der Landwirtschaft, ein Werk von zwei Jahrzehnten, Industrie, Stahl  …, kein Punkt, an dem dieser Genosse nicht
maßgeblich die albanische Politik leitete 

Doch das
ist noch immer nicht der ganze Enver, um den wir trauern. Da ist noch etwas,
etwas, was es laut der bürgerlichen Propaganda gar nicht geben soll: Da
befiehlt Genosse Enver Hoxha als Oberbefehlshaber der albanischen
Partisanenarmee einigen Divisionen, in Verfolgung der Nazi-Faschisten nach
Jugoslawien hinein zu gehen. So werden u. a. große Teile des albanisch
bewohnten Kosova befreit, Seite an Seite mit den jugoslawischen Partisanen.
Doch obwohl so mancher Kosovare heute der albanischen Führung vorwerfen mag,
man hätte Kosova, heute Ort nationaler Unterdrückung seitens Jugoslawien gegen
die Albaner, in jener Stunde mit Albanien vereinigen sollen, gibt im Vertrauen
auf Zusagen der jugoslawischen Führung, bei Gelegenheit das Problem Kosova
kameradschaftlich lösen zu wollen, Genosse Enver Hoxha den Befehl, dass sich
alle albanischen Kämpfer auf albanisches Gebiet zurückziehen. Bismarck oder
Leute seines Kalibers hätten es wohl Dummheit genannt. Ich nenne es eine
konsequent internationalistische Haltung, die die Befreiung der arbeitenden
Menschen höher stellt als die Nation.

Was
prägte noch so sehr das Bild Enver Hoxhas in meinem Kopf?
Unvergessen,
wie seine Rede vor seinen Wählern in Tirana 1973 meinen Weg zur Partei
mitbestimmte, meinen Weg zum Kommunismus. Unvergessen, wie ich im Radio – Radio
Tirana – 1976 die Eröffnung des VII. Parteitages der PAA verfolgte, wie Enver
von der Tribüne des Parteitages erstmals in aller Deutlichkeit jene “Theorie
der drei Welten“ angriff und damit allen Marxisten-Leninisten auf der Welt
half, sich vom chinesischen Revisionismus zu lösen.

Und
dann: Immer wieder Enver, der Tribun, der Anwalt der einfachen Menschen, der
Arbeiter, der Genossenschaftsbauern: Unvergessen dieser Bericht an den II.
Parteitag der PAA… Das hat mein Verständnis der Diktatur des Proletariats
mitgeprägt: “…Es gibt keinen Zweifel, daß die Partei sich sehr um die
Probleme der Staatsmacht kümmert und sich dafür einsetzt, dass alles möglichst
tadellos funktioniert. Die Partei lehrt ihre Mitglieder und das ganze Volk die
besten, die aktivsten und der Sache des Volkes ergebensten Menschen in die
Machtorgane zu wählen. Sie hält sie besonders dazu an, bei den Wählern die
Freiheit der Rede und der Kritik unbedingt zu beachten. Was diese Dinge angeht,
gibt es nämlich Kommunisten, die die Linie der Partei entstellen. Das ist ein
schwerer Fehler, der auch schwer bestraft werden muss. … Ich möchte hier nur
das Dorf Tërbaçi erwähnen. Einige führende Genossen der Partei in Vlora
schlugen in diesem Dorf ein schlechtes Element als Hilfsrichter vor, einen
Menschen, der von den Wählern nicht akzeptiert wurde. Diese Kommunisten blieben
jedoch bei ihrer Meinung und zwangen jenen dem Dorf auf. In Tërbaçi lehnte man
ihn zu Recht ab. Diese Kommunisten bestanden erneut darauf, so dass die Wähler
sich weigerten, ihre Stimme abzugeben. Es kam zu der Ungeheuerlichkeit, daß
ihnen dieser Hilfsrichter einfach aufgezwungen wurde. Die meisten Wähler
blieben der Wahl fern. Doch was am schlimmsten war, die leitenden Genossen der
Partei und der Staatsorgane verheimlichten dieses Ereignis beinahe anderthalb
Jahre lang. Es ist klar, wer so handelt, hat weder in der Partei noch in den
Staatsorganen Platz, sondern gehört ins Gefängnis, wo er auch landete. Solche
Handlungen, die durch die Gesetze und durch die Partei geahndet werden, sind
feindliche Akte und dienen dazu, die Partei in den Augen der Massen zu
verunglimpfen und beim Volk die Ansicht zu schaffen, daß ‚die Gesetze und
Direktiven der Partei über freie Wahlen nur Demagogie‘ seien…“ (Enver
Hoxha, AW, Bd I I , S. 255f . ).. .

Am Abend
melden wir in Radio Tirana, dass das Zentralkomitee der Partei der Arbeit
Albaniens einstimmig Ramiz Alia zum Ersten Sekretär, zum Nachfolger des
EnverHoxhas bestimmt hat. Der Sonntag, 14. April, verläuft still. Den ganzen
Tag aber strömen tausende und abertausende zu Envers Sarg. Im ganzen Land
finden Massenkundgebungen statt, auf denen weitere Menschen ihre Trauer zum
Ausdruck bringen, immer stärker aber wird überall betont, daß die Trauer, der
Schmerz in Kraft verwandelt werden müsse, in Kraft bei der Verteidigung der
Errungenschaften, bei der Verteidigung des Sozialismus und der Volksmacht, in Kraft
bei dem Kampf für eine bessere Zukunft…

15.
April. Der Himmel über Tirana ist dunkel verhangen, gegen 9.00 Uhr fängt es an
zu regnen. Alle beim Radio und beim Verlagswesen beschäftigten Ausländer
versammeln sich gegen 8:00 Uhr beim Radio. Zusammen mit einem albanischen
Genossen gehen wir dann bei beginnendem Regen zum Skanderbegplatz, der um 9.15
Uhr schon randvoll mit Menschen ist. Auch der Boulevard, der Weg vom Präsidium
der Volksversammlung zum Platz ist auf beiden Seiten voller Menschen. Genauso
die Rruga Labinoti, die vom Zentrum zum Friedhof der Gefallenen der Nation
führt. Um 9:30 Uhr bekommen wir auf den Stufen des Kulturpalastes, in der
Straße vom Skanderbegplatz zum Partisan-Kino, genau gegenüber der Moschee
Plätze zugewiesen.Genau am Fuß des Skanderbeg-Denkmals ist die Tribüne für die
Partei- und Staatsführung und die Gäste aufgebaut. Sie ist ganz und gar rot
ausgeschlagen. Der Platz birst vor Menschen. Vor der Tribüne, in etlichen
Metern Abstand stehen Abordnungen der Veteranen, der Massenorganisationen, der
Pioniere, die zwei Tage zuvor den Namen „Envers Pioniere“ verliehen
bekommen haben. Regen.

Um 10.00
Uhr wird der Sarg Enver Hoxhas geschlossen, mit der albanischen Fahne bedeckt
und vor dem Präsidium der Volksversammlung auf eine Lafette gebettet.

Vor dem
Sarg nehmen drei Ehrenkompanien von Heer, Luftwaffe und Marine Aufstellung
sowie die Schüler und Studenten, die die zahllosen Kränze tragen. Hinter dem
Sarg das Zentralkomitee und die Trauergäste aus dem ganzen Land und die wenigen
aus dem Ausland. Am 13. April hatte die Komission für die
Beisetzungsfeierlichkeiten bekanntgegeben,dass das Ausland um Verständnis dafür
gebeten werde, dass zu der Beisetzung keine Staatsdelegationen erwünscht seien.
So waren nur einige enge Freunde des Landes und Enver Hoxhas sowie einige
Delegationen von Bruderparteien und Freundschaftsgesellschaften anwesend.
Gleich hinter dem Sarg Ramiz Alia mit Genossin Nexhmije Hoxha und der Familie
sowie die Mitglieder des Politbüros. Die Spitze des Zuges nimmt eine Militärkapelle
ein. Jene Trauermusik, die sie während der ganzen Zeremonie bis hin zur
Beisetzung spielte, machte starken Eindruck auf mich. Ein herber, fast
kunstloser Trauermarsch, langsam mit herben Harmonien, gelegentlich
unterbrochen von einem fast zärtlichen, melodiösen Zwischenspiel. Die Soldaten
gingen im Gleichschritt, doch leise, kam mal eine Reihe aus dem Lot, es war so
gleichgültig Auch die Soldaten hatten ein Recht, ihre Trauer auszudrücken.

Angesichts
des zum Skanderbegplatz ziehenden Trauerzuges holen die im Regen wartenden
Menschen die Schirme ein. Um 11.00 Uhr steht die Lafette mit dem Sarg vor der
Rednertribüne unterhalb des Skanderbegdenkmals. Ramiz Alia steht am Mikrofon,
neben ihm Nexhmije Hoxha und die Familie. Ramiz Alia hält eine schlichte,
anrührende Rede. In unserer Nähe weinen viele Menschen.

„Genossen
und Genossinnen, Brüder und Schwestern,Wir trennen uns nun von dem größten
Mann, den bis heute das albanische Land hervorgebracht hat, von dem Gründer des
neuen Albanien, von unserem teuren Führer, von unserem geliebten Genossen,
Bruder und Lehrer Enver Hoxha. Auf diesem Platz, auf dem wir zum letzten
Treffen mit Ihm versammelt sind, führte er vor 44 Jahren die große
antifaschistische Demonstration an und rief das Volk auf zum Aufstand gegen die
Besatzer und die Verräter. Und seit jenem Tag, und bis sein Leben verlosch,
stand er an der Spitze der Partei und des Volkes als der legendäre Anführer des
Nationalen Befreiungskampfes und als heldenhafter Führer des sozialistischen
Aufbaus.

Das
Leben und Werk des Genossen Enver Hoxha ist die lebendige Geschichte des
albanischen Volkes in diesen letzten 50 Jahren…“

Nach der
Rede formiert sich der Trauerzug wieder. Gegen 12.00 Uhr setzt er sich zwischen
Moschee und Kulturpalast hindurch in Richtung des Partizan-Denkmals und der
Rruga Labinoti in Bewegung. Viele Menschen grüßen Enver zum letzten Mal mit der
geballten Faust. Auch wir. Als der Sarg unter den Klängen der Trauermusik den
Platz verläßt, da geschieht etwas Unerwartetes: Zuerst nur wenige, dann
zunehmend wie ein Lauffeuer über den ganzen Platz, tausende, abertausende von
Stimmen der Jugendlichen, der Pioniere, auch immer mehr Erwachsene –
Sprechchöre: “
Parti – Enver – Jemi gati kurdohere!!” – “Partei
– Enver – wir sind jederzeit bereit !
!” – Ohrenbetäubend,
kampferfüllt, beinahe wild , um nach einigen Minuten wieder der Stille zu
weichen, die nur von der über Lautsprecher zu hörenden Musik unterbrochen wird.

Wegen
der zahllosen Menge, die auf dem Friedhof wartet, können wir dort nicht hin.
Auch müssen die Radiogenossen die Sendung machen. Die Rede von Ramiz Alia wird
gesendet werden. Wir, die wir nicht für die Sendung gebraucht werden, sehen die
Beisetzung des Genossen Enver im Haus des Radios über einen
Farb-Fernsehapparat.

Um 12.50
Uhr kommt der Trauerzug, der ab der Lanabrücke in Autos und Busse umstieg, auf
dem Friedhof an, Tausende Menschen standen auch an diesem letzten Weg. Auf dem
Friedhof stehen die Ehrenkompagnien nebeneinander auf dem Platz vor dem Denkmal
„Mutter Albanien“, vor dem offenen Grab neben der berühmten Statue.
Offiziere, begleitet von Mitgliedern des Politbüros, tragen den Sarg langsam
vor das Grab. Die Ehrenkompanien senken ihre Fahnen. Nur kurz wird der Sarg auf
ein Podest mit den Seilen für das Absenken ins Grab abgesetzt. Unter den
Klängen der Trauermusik wird er dann ohne weitere Zeremonie ins Grab gesenkt.
In langsamer Folge dröhnen dumpf 21 Salven Salut, irgendwoher von den
umliegenden Hügeln. Über den Sarg kommt eine Steinplatte, dann werfen
Mitglieder der Familie und des Politbüros eigenhändig Erde darüber, den
Abschluß bildet eine schlichte Platte aus rotem Marmor mit dem Namen Envers und
den Lebensdaten.

Am noch
offenen Grab hatte Nexhmije Hoxha letzte Worte an ihren Genossen und Mann
gerichtet, wieder in jenem halb singenden,halb klagenden Ton, der den Schmerz
so stark ausdrückt. Neben ihr steht Ramiz Alia,. er hebt die geballte Faust und
leistet den Schwur, kaum fähig, die Tränen zurückzuhalten, im Geist der
unsterblichen Lehren des Genossen Enver Hoxha für ein unabhängiges, blühendes,
rotes Albanien zu kämpfen. Dann erklingt die Nationalhymne.

Die
Ehrenkompanien formieren sich zum Abmarsch, die Kapelle tritt an ihre Spitze.
Mit einem feurigen, kämpferischen Marsch paradieren sie in energischem
Gleichschritt an der Partei- und Staatsführung vorbei, die mit geballter Faus
grüßt, und marschieren vom Friedhof ab. Damit ist die Trauerzeremonie beendet.

Die
albanischen Kollegen und Genossen, die mit uns die Beisetzung nur am
Fernsehschirm haben verfolgen können, erheben sich still. Kaum einer, der nicht
geweint hat. Auch wir müssen mit unseren Gefühlen fertig werden. Ein großer
Genosse und Mensch wurde von uns getrennt.

Bis zum
Donnerstag, dem 18. April herrscht noch Nationaltrauer. Doch es wird überall
gearbeitet, das Leben kehrt mächtig zurück, es wird wieder gelacht, wenn auch
gedämpft. In den Tagen nach der Beisetzung, nur langsam abebbend, bis zum
heutigen ersten Mai zieht ein endloser Strom von Menschen, teils sind es ganze
Belegschaften oder Abteilungskollektive, teils Schulklassen, Gruppen der
Massenorganisationen oder ganz einfach Familien, zum Grab auf dem Friedhof,
ganz hier in der Nähe, wo wir wohnen. Das Kollektiv des Verlages “8. Nentori”,
wo ich arbeite, begibt sich am Donnerstag, dem18. April gegen Mittag gemeinsam
dorthin. Ich werde eingeladen mitzukommen. Zahllose Menschen sind dort. Viele
küssen unter Tränen die Grabplatte, die von einem Meer von Kränzen und
Blumensträußen umgeben ist.

Vieles
konnte ich nicht berichten. Nicht davon, wie es ein Land schafft, eine Woche
lang im Fernsehen und Rundfunk in wirklicher Würde nur ein einziges Thema zu
behandeln, von den aus diesem Anlaß gesendeten zahllosen Filmdokumenten.

Nicht
von der Trauerversammlung im Verlag, zu der ich eingeladen wurde, nicht davon,
wie diese Tage uns mit dem albanischen Volk verbunden haben.

Die
letzte Bermerkung gilt dem Ersten Mai. Dieses Jahr fand hier keine große
Mai-Demonstration oder -Manifestation statt wie sonst. Aber überall in den
Betrieben gab es Maifeiern-und Kundgebungen, die im Zeichen von Initiativen aus
der Arbeiterklasse standen, Initiativen mit dem Ziel, den Plan überzuerfüllen,
immer besser zu arbeiten, die Rolle der Arbeiterklasse im Leben des Landes zu
stärken, die Diktatur des Proletariats zu festigen.

Dennoch
stand der erste Mai im Zeichen eines großen Ereignisses. Die Pioniere, die
Kinder- und Schülerorganisation der PAA feierte auf dem Skanderbegplatz mit
Abertausenden Kindern die Verleihung des Namens „Envers Pioniere“ .
Das war eine äußerst lebendige, vitale und optimistische Veranstaltung, die ins
ganze Land über Fernsehen direkt übertragen wurde…

Tirana
1. Mai 1985

Anmerkungen:

1.           
Ich arbeitete1984 bis 1987 im Verlag “Tet
Nëntori”(Achter November) in Tirana, der hauptsächlich politische Literatur der
VRA Albanien verlegte. Der Name des Verlageshauses bezieht sich auf das
Gründungsdatum der KP Albaniens, der späteren Partei der Arbeit Albaniens
(PAA), den 8. 11.1941. Ich bearbeitete dort deutschsprachige Texte, um sie in
druckreifes Deutsch zu bringen, später auch Übersetzungsarbeiten.

2.           
Dajti:albanisch für Teufel, Name des
“Hausbergs von Tirana, 1490 Meter hoch.

3.           
Skënderbeu: die albanische Lautung des unter
dem Namen Skanderbeg international bekannten albanischen Nationalhelden. “ë”
wird hier so ähnlich wie ein kurzes “ö”, das “e” und das “u” werden getrennt
ausgesprochen.

4.