Norwegen: Die Sozialdemokratie verstärkt ihren Zugriff

Am 14. ‚September wurden in Norwegen Parlamentswahlen abgehalten. Seit 2005 war die Regierung eine so genannte rot-grüne Koalition zwischen der traditionellen Sozialdemokratischen Norwegischen Arbeitspartei und als Juniorpartner der Sozialistischen Linkspartei (kleinbürgerlich, reformistisch links) und der Zentrumspartei (kleinbürgerliche ländliche Partei).

Da keine wirkliche Alternative zu den bürgerlichen parlamentarischen Blöcken zu finden war und eine zentrale Aufgabe darin bestand die Fortschrittspartei1 aus der Regierung raus zu halten, resultierte die allgemeine Stimmung in einem Aufwind für die Arbeitspartei. Das ist vollkommen logisch: Warum sollte man für kleinere sozialdemokratische Parteien wie die Sozialistische Linkspartei2 oder die Roten3 stimmen, wenn es bereits eine große gibt?

Die Wahlen verschleiern die wachsende Frustration der Öffentlichkeit. Trotz einer Medienoffensive, dass jede einzelne Stimme entscheidend im Kampf zwischen beiden „Blöcken“ sei, gingen 25% nicht zum Wahllokal. Das ist die niedrigste Wahlteilnahme seit 1927. Darüber hinaus nutzte eine noch unbekannte Zahl von Wahlenthaltern die Möglichkeit, einen leeren Stimmzettel abzugeben.

Wie erwartet gewann die Fortschrittspartei 23% der Stimmen. Fremdenfeindlichkeit und populistische Forderungen an die Politiker waren erfolgreich. Von einem fortschrittlichen Standpunkt aus aber hätte der Ausgang schlimmer sein können, wenn man die Meinungsumfragen während der Sommermonate betrachtet. Trotzdem erhielten die offen rechts gerichteten Parteien (Fortschrittspartei und Höyre – die Konservativen) 40% Unterstützung.

Auch wenn wir noch keine Hintergrundzahlen haben, um das Stimmverhalten von verschiedenen Klassen und sozialen Schichten zu differenzieren, kann man mit einiger Gewissheit sagen, dass ein großer Teil der Arbeiterklasse sich hinter der Arbeitspartei sammelte, um die Fortschrittspartei aus der Regierung zu halten. Die Arbeitspartei hat ihren Stimmenanteil insgesamt erhöht. Das ist der gut geölten Kampagnenmaschinerie der Arbeitspartei und der Unterstützung durch die Gewerkschaften und deren Apparat zu verdanken. Hinzu kam eine ausgefeilte Wahlkampfstrategie, in der der Premierminister Stoltenberg als der Architekt einer rot-grünen Einheit dargestellt wurde und kaum als Vorsitzender der Arbeitspartei. Mit über 35% der Stimmen kann die Arbeitspartei zufrieden sein. Es ist ein eindrucksvoller Erfolg für eine Partei, die einen großen Teil ihrer Versprechungen der Soria Moria Erklärung (Regierungsplattform) von 2005 nicht erfüllt und vergessen hat.

Die Rechnung für diesen Erfolg der großen sozialdemokratischen Partei musste die Sozialistische Linkspartei bezahlen. In einigen Wahlbezirken wurde sie fast halbiert. Das ist nicht nur Ergebnis einer taktischen Stimmabgabe, sondern ebenso ein Protest gegen den völligen Verrat dieser Partei z. B. in der Frage der NATO, der norwegischen Kriegsbeteiligung in Afghanistan und bei Fragen des Umweltschutzes. Diese beiden wichtigen Fragen – der imperialistische NATO-Krieg in Afghanistan gegen das afghanische Volk und der Kampf für die Umwelt – gingen in den Debatten der konkurrierenden Kandidaten für den Posten des Premierministers und um die Frage der Koalitionsmöglichkeiten unter. Das nützte den dominierenden Parteien sehr: der Arbeitspartei, den Konservativen und der Fortschrittspartei.

Parteien, die sich mehr oder weniger bemühten, den Kampf gegen die Armut, gegen die rassistische Immigrationspolitik und für die Umwelt auf die Tagesordnung zu setzen, wurden ernsthaft abgestraft. Das trifft für die (liberalen) linken und christlichen Parteien wie für die Sozialistische Linkspartei und die Roten zu. Die „Linke“ (bürgerlich-liberale Linkspartei) wurde zu einer Minipartei reduziert und Lars Sponheim (Kopf der „Linken“) verlor seinen Parlamentssitz. Eigentlich können wir gar nichts Positives über diese anti-gewerkschaftliche liberale Partei sagen. Aber im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nahm Sponheim eine feste und klare Haltung, besonders gegenüber der Fortschrittspartei ein. Er warnte lautstark vor der „braunen“ Wende (Zitat von Sponheim) in der norwegischen Politik, die von beiden großen Blöcken betrieben wird. Wenn man diesen klaren Standpunkt von Sponheim betrachtet, wo er sogar die Sozialistische Linkspartei und die Roten hinter sich ließ, muss ihm und liberalen Partei gedankt werden. Unklar ist, ob diese Offenheit zu dem Stimmenverlust führte oder die Gründe woanders liegen.

Die Roten präsentierten sich in der Wahl als die neue sozialistische Linke (wie in den 70ern), nur noch reformistischer und glückloser. Als logische Folgerung ihrer Umwandlung zu Reformisten erklärten sie, die so genannte „rot-grüne“ Regierung zu unterstützen und machten sich selbst zu Geiseln der Sozialdemokratie. Die Roten nannten nur ein „Ultimatum“ für die Unterstützung von Stoltenberg, die Verteidigung der Renten der Arbeitsunfähigen und Behinderten (die die Bourgeoisie kürzen möchte wie bei anderen Sozialleistungen bereits geschehen). Irgendjemand muss geglaubt haben, dass dieser „taktische Geniestreich“ den Roten Unterstützung von Seiten des Gewerkschaftsbundes LO einbringen würde. Das passierte natürlich nicht. Und wenn überhaupt irgendjemand hätte akzeptieren können, dass sich die Roten auf eine einzige „ultimative“ Forderung zur Unterstützung der Regierung beschränken, dann hätte diese einzige Forderung zumindest im sofortigen Rückzug der rund 650 norwegischen Söldner aus Afghanistan bestehen müssen.

In einer Situation wo die Sozialistische Linkspartei nach vier Jahren Regierungsbeteiligung ihr Gesicht vollkommen verloren hat und durch eine wahrhaft revolutionäre Alternative hätte geschlagen werden können, haben sich die Roten eifrig bemüht, parlamentarisches “Gewicht” zu erhalten und Distanz zu den unaussprechlichen sozialistischen und kommunistischen Idealen zu halten. Auf diese Weise haben es die Roten geschafft, sich ganz schön ins Abseits zu katapultieren.

Beim jetzt stattfindenden Wundenlecken, nachdem die “historische Chance” verdampft ist, obwohl man sorgfältig so böse Unworte wie Klassenkampf, Sozialismus oder Revolution während des Wahlkampfes vermied, ist nun die Zeit gekommen, sich die Köpfe einzuschlagen. Revolutionäre, die noch in den Roten verblieben sind, weil sie hofften, dass ein Wahlerfolg dem linken Flügel Auftrieb geben und eine Korrektur des Rechtskurses ermöglichen würde, sollten die Realitäten ins Auge fassen: Der Rumpf des roten Schiffes ist von sozialdemokratischen Termiten zerfressen, das Steuerruder ist in Schiffbruchposition und die Segeln wurden vom „rot-grünen“ Hurrikan in Stückchen zerrissen.

Anmerkungen:

1. Diese Partei ist alles andere als “fortschrittlich”. Sie ist neo-liberal, von den USA inspiriert und zionistisch. Sie wurde offen mit europäischen Parteien wie Front National in Frankreich oder der Dänischen Volkspartei verglichen. Es ist eine populistische und extrem opportunistische Partei, die sogar frühere Parolen der „alten“ Sozialdemokratie benutzt. Die rassistische Karte wurde in den letzten Jahren nicht mehr so stark ausgespielt, um die Partei für mögliche konservative Koalitionspartner akzeptabler zu machen. Gegenwärtig spricht sich die Fortschrittspartei für mehr Staatsausgaben aus und dass davon zuerst „ethnische Norweger“ profitieren sollen.

2. Die Sozialistische Linkspartei ist eine Abspaltung der alten Arbeitspartei von 1960. Sie basierte auf dem Widerstand gegen die NATO und die nukleare Bewaffnung. Seit 2005 befindet sich die Partei zum ersten Mal in einer Regierungskoalition mit der Arbeitspartei und dem Zentrum. Die Vorsitzende der Sozialistischen Linkspartei ist seit 2005 Finanzminsterin.

3. Die Roten sind ein Zusammenschluss der früheren Roten Wahlallianz und der Kommunistischen Arbeiterpartei (AKP), die sich 2007 selbst auflöste. Sie hat sich in den letzten zwei Jahren beständig Richtung Reformismus verformt.

Einleitung und Anmerkungen
sind von der norwegischen
Organisation Revolusjon.