Generalstreik ist die griechische Antwort auf EU-Spardiktat

Am 24. Februar folgten die griechischen Werktätigen dem Aufruf zum Generalstreik der zwei Gewerkschaftsverbände GSEE und PAME. Der Flug- und Zugverkehr kam völlig zum Erliegen, Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Allein in Athen demonstrierten 50.000 Menschen. Eine Kernforderung ist: „Die Reichen sollen zahlen!“

In beispielloser Weise hat die EU Griechenland ein Sparprogramm diktiert, das faktisch die nationale Souveränität Griechenlands beseitigt. Vor dem Hintergrund des Schuldenberges, der wohl in diesem Jahr auf über 300 Milliarden Euro anwachsen wird, werden die Griechen gezwungen ihre derzeitige Neuverschuldung von 12,7 Prozent in 2009 auf 8,7 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung  in diesem Jahr zu drücken. Spätestens im Jahr 2012 soll die EU-Defizitobergrenze von drei Prozent erreicht werden.
Erreicht werden soll dieses Ziel mit den seltsam vertrauten Maßnahmen, wie Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst. Gewerkschaften sprechen von zwanzig Prozent. Fast ein Viertel aller Erwerbstätigen, das sind eine Million Griechen, arbeiten beim Staat. Ministerien-Etats sollen um zehn Prozent gekürzt werden, ein Einstellungsstopp für Beamte wurde verhängt  und neben vielen anderen Maßnahmen ist „natürlich“ die Heraufsetzung der Mehrwertsteuer und des Rentenalters geplant.
Um die Durchführung des drastischen Sparprogramms zu kontrollieren wird erstmals ein Mitgliedsstaat der EU unter strikte Aufsicht gestellt. Zur Überwachung kündigte der griechische Finanzminister Papaconstaninou zum 1. Januar 2011 Gesetze an, die praktisch Bargeld verbieten. So werden alle Zahlungen über 1.500 Euro in bar untersagt. Rechnungen und Finanztransaktionen dürfen nur noch elektronisch durchgeführt werden. Die Griechen müssen schon ab dem 1. Januar 2010 alle Kassenbelege aufheben. Mit ihnen müssen sie gegenüber dem Finanzamt mindestens 30% des Jahreseinkommens nachweisen. Wer das nicht kann wird mit einer Strafsteuer von 10% auf die Differenz veranschlagt.
Auch Firmen werden zur Abwicklung ihrer Zahlungen über Bankkonten gezwungen. Die Banken wiederum verpflichten sich, Finanztransaktionen in Echtzeit den Behörden zugänglich zu machen.
Es wird eigens ein Netzwerk und eine Datenbank aufgebaut, welche alle Lohn- und Gehaltszahlungen, Arbeitslosengelder und andere Unterstützungen speichert. Begründet werden diese orwellschen Maßnahmen mit der schlechten Steuermoral der Griechen und der weit verbreiteten Korruption. So wurden Fälle dokumentiert, in denen gut verdienende Ärzte lediglich einige hundert Euro Verdienst im Monat angaben. Wie groß der Schwarzhandel zu sein scheint, kann man vielleicht daran ermessen, dass Griechenland diesen damals zusammen mit der Prostitution  der offiziellen Wirtschaftsleistung hinzugezählt hat. So erweiterten sie ihr Bruttosozialprodukt  um 25% und konnten dadurch die Beitrittsbedingungen zur Währungsunion erschummeln.
In den bürgerlichen Medien wird derzeit gerne das Bild verbreitet, dass die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt hätten und eben deshalb jetzt den Gürtel enger schnallen müssen. Aber haben die Griechen wirklich in Saus und Braus gelebt?
Die Arbeitslosenquote liegt auch in Griechenland deutlich über 10%. Das Institut INE/GSEE hat ermittelt, dass 53,8% aller Beschäftigten unter 1.000 Euro verdienen. Allein die Tatsache, dass mehr als 30-mal mehr Griechen in Deutschland leben, als Deutsche in Griechenland zeigt, dass die griechischen Werktätigen wahrlich nicht unter luxuriösen Bedingungen leben. So ist der pro Kopf Anteil am Bruttoinlandsprodukt  in Deutschland auch fast um 50% größer.

Die absehbare Neuverschuldung Griechenlands in diesem Jahr in Höhe von 50 Milliarden Euro ist nicht ausschließlich auf ein Haushaltsdefizit zurückzuführen, sondern ist zu einem großen Teil für die Zinsen vorheriger Anleihen. Und diese Anleihen haben eine Ursache in der negativen Leistungsbilanz Griechenlands, das bedeutet dass Griechenland mehr Waren und Dienstleistungen einführt als ausführt. So erklärte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker „Eine Währungszone kann auf Dauer nicht bestehen, wenn die Unterschiede in den Leistungsbilanzen der Volkswirtschaften übergroß werden“. Die negative Leistungsbilanz Griechenlands ist aber nur das logische Gegenstück zur positiven Leistungsbilanz des deutschen Imperialismus, denn als Absatzgebiet für deutsche Produkte war Griechenland stets willkommen.  Griechenland hat nur einen kleinen industriellen Sektor, der lediglich 20% am Bruttosozialprodukt ausmacht. Im Gegensatz zu Griechenland sanken die Lohnstückkosten seit Einführung des Euro in Deutschland um 14%. Von diesen Bedingungen hat die deutsche Industrie profitiert, aber noch mehr haben das die Banken.
Für das internationale Finanzkapital sind die Schulden der Länder bisher eine schier unerschöpfliche Einnahmequelle. Deutsche Banken haben Forderungen in Höhe von 32 Milliarden Euro an Griechenland. Das erklärt, warum gerade die Bundesregierung die treibende Kraft hinter den beschlossenen Maßnahmen gegen Griechenland ist. So wird auch verständlich, dass sich der Protest der Griechen nicht nur gegen die EU richtet, sondern auch konkret gegen Deutschland.
Die Situation Griechenlands ist aber in Europa kein Einzelfall. Auch andere Länder sind hoffnungslos überschuldet. Portugal hat ein Haushaltsdefizit von 8% des Bruttoinlandsprodukts, Irland in Höhe von 12,5% und Spanien in Höhe von 11,2%. Weshalb man diese Länder in Wirtschaftskreisen auch abfällig nach ihren Anfangsbuchstaben als „PIGS“-Staaten bezeichnet. Im Englischen heißt“ Pigs“  „Schweine“.
Die deutschen Banken pressen aber über Zinszahlungen nicht nur die Werktätigen Griechenlands aus, denn das Spiel funktioniert weltweit. Gegenüber Portugal werden 29 Milliarden gefordert, von Irland 174 Mrd., von Spanien 165 Mrd. und von dem nächsten Kandidat der „PIGS“-Staaten Italien sind es 122 Mrd. Euro.
Die deutsche Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin warnte das Finanzministerium vor den Auswirkungen eines Staatsbankrotts Griechenlands für deutsche Banken. In dem Papier heißt es: „Das Hauptrisiko für den deutschen Finanzsektor besteht in den kollektiven Schwierigkeiten der PIGS-Staaten. Griechenland könnte hierfür möglicherweise der Auslöser sein“. Immerhin handelt es sich in der Summe um 522 Milliarden Euro, das sind gut 20 Prozent der gesamten Auslandsforderungen deutscher Banken. Es ist leicht nachvollziehbar, dass deutsche Banken es nicht verkraften würden, auch nur die Hälfte der Forderungen abzuschreiben. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, wer in so einem Fall zur Kasse gebeten würde. So werden die Banken wieder versuchen, ihre Bilanzen mit Hilfe des Staates und natürlich letztendlich auf dem Rücken der Werktätigen zu sanieren.
Wie ernst die Situation ist, belegt auch die Aussage von Albert Edwards, Chefstratege bei der Société Générale: „Der Crash des Euro ist unvermeidlich, jede Hilfe für Griechenland wird dieses Ereignis nur hinauszögern.“
So gibt es Überlegungen Griechenland aus der EU auszuschließen, allerdings muss  Griechenland, aufgrund seiner schlechten Bonität, schon jetzt seinen Kapitalbedarf international mit Zinsen von 6,5% bezahlen, das ist doppelt so hoch wie Deutschland. Ohne den bedingten Schutz des Euro wären die Zinsen die man Griechenland abverlangen würde noch höher, weshalb Griechenland kein Interesse am Ausscheiden aus der EU hat. Würde man Griechenland fallen lassen, gäbe es ja noch genügend andere Kandidaten mit gleichen Problemen, was letztendlich dazu führen würde, dass die EU alle südlichen Länder für ihren gemeinsamen Währungsraum verlieren würde. Damit wäre der Euro als Konkurrenz zum Dollar gescheitert.
Tatsächlich hat der Euro gegenüber dem Dollar im Verlauf der letzten Wochen deutlich an Wert verloren. Dabei stand zuvor der Dollar im negativen Rampenlicht, denn die Verschuldung der USA ist im Vergleich zur EU viel dramatischer. Kann es sein, dass die USA einen Währungskrieg gegen den Euro führen?
Auffallend ist, dass es US-amerikanische Ratingagenturen waren, die wie die Agentur Fitch schon im Dezember das Rating von Griechenland von „A-„ auf „BBB+“ zurückstuften. So begann die Flucht aus griechischen Staatsanleihen und in der Folge stieg der Zinssatz, den Griechenland zu zahlen hat. Zur Erinnerung: Das sind die gleichen Ratingagenturen, die die riskanten US-Immobilienpapiere mit „AAA“ bewerteten und so Milliardenverluste den europäischen Banken unterschoben, die bekanntlich zur Finanzkrise führten.
 Auch Banken und Hedge-Fonds verkaufen weiter Kreditversicherungen für die Staatsschulden. Es sind die berüchtigten CDS (Credit Default Swaps), die Warren Buffett so treffend als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat. In der Situation, in der die Länder ihre Kreditwürdigkeit verlieren, werden die Banken Bargeld als Sicherheit für die Derivate nachlegen müssen, doch das haben sie nicht.
Der griechische Finanzminister Papaconstaninou erklärte in einem Interview auch sehr deutlich:
 „Aber das Problem ist größer als Griechenland. Dies ist ein Angriff auf die Eurozone. Im Moment spielen Hedgefonds und Spekulanten mit der schwächsten Stelle Europas. (…)Was die Zinsen für Griechenland im Moment in die Höhe treibt, sind nicht langfristig investierende deutsche Rentenkassen, sondern ein paar Hedgefonds. Die wetten gegen den Euro im Allgemeinen und Griechenland im Besonderen. Sind wir die Einzigen mit einem hohen Defizit von 13 oder 14 Prozent? England hat es, Irland …“
Auch Spaniens Präsident José Luis Rodríguez Zapatero hat bereits mehrfach angedeutet, dass die Angriffe aus der britischen und amerikanischen Presse eine Offensive gegen den Euro ist. Hier soll sogar der spanische Geheimdienst CNI ermitteln, welche Rolle Investoren und Medien spielen.
Verdi Chef Bsirske stellt dazu richtig fest:
„Erst kaufen die Staaten die Zocker frei und treiben dafür ihre Schulden in die Höhe. Jetzt spekulieren die Freigekauften gegen die Staaten. Statt die wüsten Spekulationen mit den gefährlichen Finanzinstrumenten wirksam zu unterbinden, verwendet die EU-Kommission deren Treiben als Brechstange, um drakonische, letztlich aber wirkungslose Maßnahmen zur Stabilisierung der Staatsfinanzen durchzusetzen. (…) Rauf mit dem Rentenalter, runter mit Löhnen und Gehältern, Kürzungen im Gesundheitswesen – mit einer solchen Schockstrategie würgt man die Konjunktur ab und versucht, die Auswirkungen von Krise und Spekulation den Beschäftigten und sozial Schwachen dauerhaft aufzubürden.

JT