Türkei: Schritt für Schritt vorwärts zu einer Diktatur

Erdogan: Der kleine Diktator mit großen Ambitionen

Der fehlgeschlagene Militärputsch vom 15. Juli, inszeniert von der so genannten Gülen-Bewegung, einer pro-amerikanischen islamistischen Organisation, die 10 Jahre lang die Macht mit der AKP teilte, bezeichnete der türkische Präsident Tayip Erdoğan als „Geschenk Gottes“.
Auf die Zerschlagung des Putsches folgte rasch die Ausrufung des Ausnahmezustandes (OHAL). OHAL ermächtigte die Regierung, administrative und politische Entscheidungen zu treffen und Gesetze zu erlassen, ohne dass diese juristisch geprüft oder parlamentarisch angenommen werden müssen.
Unter der Führung des Präsidenten Erdoğan erließ die AKP-Regierung permanent Notstandsverordnungen (KHK). Dies führte zur Suspendierung und Entlassung von zehntausenden Militär- und Polizeioffizieren, Richtern, Staatsanwälten und Beamten. Rund 40.000 Menschen, darunter Akademiker und Lehrer wurden inhaftiert. Die Zahl der inhaftierten Journalisten stieg auf die Rekordzahl von 140.
Inzwischen wurden 37.000 mit der Begründung, dass es nicht genug Platz in den Gefängnissen gebe, entlassen. Obwohl die Regierung anfangs behauptete, dass Entlassungen und Inhaftierungen nur bei den Putschisten der Gülen-Bewegung vorgenommen würden, wurde rasch klar, dass diese sich auch gegen Demokraten und Sozialisten richteten. Allein durch eine Verordnung wurden mehr als 10.000 Lehrer, alle Mitglieder der Eğitim-Sen (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft), entlassen. Die große Mehrheit von ihnen waren Demokraten, Sozialisten und Unterstützer der kurdischen nationalen Bewegung.
Nach dem Putschversuch wurden Rechte und Freiheiten, die in der türkischen politischen Demokratie traditionell schwach ausgeprägt sind, zunehmend ausgeschaltet. Die bürgerlichen Gesetze sind blockiert und werden durch tyrannische Erlasse der Exekutive, der Regierung ersetzt. Durch die Beseitigung der Gesetze durch den Ausnahmezustand, das Regieren durch Notstandsverordnungen und die Unterwerfung der Justiz unter die Exekutive durch Sondergerichte sowie die Einsetzung neuer Richter und Staatsanwälte, versuchen Erdoğan und die AKP eine faschistische Diktatur mit einem Mann und einer Partei zu errichten.
Die Regierung erliess Dekrete, die gegen die Verfassung verstoßen und illegal sind. Nach dem Gesetz hätte sie nur solche verabschieden dürfen, die verfassungsgemäß sind und mit dem Anlass für die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Zusammenhang stehen. Mithilfe dieser Verordnungen, die auf die Kritiker der AKP zielen, werden Demonstrationen verboten sowie oppositionelle Zeitungen, Zeitschriften, Radiostationen und Fernsehkanäle geschlossen und ihr Eigentum und ihre Ausrüstung beschlagnahmt.
Die von der HDP regierten Ortschaften, der drittgrößten Partei im Parlament mit 40 Abgeordneten sowie Repräsentant der krudischen demokratischen Bewegung, wurden von der Polizei überfallen und über 20 Bürgermeister verhaftet. Verwalter wurden ohne Wahlen eingesetzt.
Schließlich wurden 10 Abgeordnete der HDP, darunter die Co-Vorsitzenden ins Gefängnis geworfen. Zur gleichen Zeit wurden 10 Mitglieder der Geschäftsleitung der Zeitung Cumhuriyet, gegründet vor 93 Jahren mit der Errichtung der türkischen Republik und in den letzten Jahren mit der Sozialdemokratie verbunden, ebenfalls inhaftiert.
Publikationen, die die revolutionäre Linie der Arbeiterklasse vertreten wie Hayatın Sesi TV, Evrensel Kültür (ein Kultur und Kunstmagazin), Özgürlük Dünyası
(eine theoretische Zeitschrift), Tiroj (zweisprachiges kurdisch-türkisches Kulturmagazin) wurden mit den Fernsehstationen und Publikationen von der Regierung geschlossen.
Verfassungswidrig, ohne seit mehr als zwei Jahren seine Verbindungen mit der AKP zu beenden und alle Exekutivmacht in seinen Händen konzentrierend, versucht der de facto Präsident Erdoğan die Verfassung entsprechend der zuvor aufgezeigten Lage zu ändern und ein Präsidialsystem zu erzwingen.
Darüber hinaus macht die Erdoğan geführte Regierung weitere Schritte, wo sie auf einer Außenpolitik des Expansionismus und des religiösen Krieges in enger Verbindung mit islamistischen Terrorgruppen beharrt. In den letzten fünf Jahren hat sie radikal-islamistische Verbrechergruppen und deren Organisationen in Syrien unterstützt, um das Assad-Regime zu stürzen. In einem neuen Anlauf führte die Türkei am Ende des Sommers in Nordsyrien eine Militäroperation durch, um einige tausend islamistische Terroristen zu unterstützen. Diese Intervention fand unter dem Vorwand des Kampfes gegen den IS statt, hatte aber die syrischen Kurden als Hauptziel. Die Türkei kontrolliert und besetzt gemeinsam mit islamistischen Verbrecherbanden ein Gebiet von 2.000 Quadratkilometern. Es erstreckt sich von den Ufern des Euphrat bis zum kurdischen Kanton Afrin, einschließlich Städten und Ortschaften wie Jarablus. Gegenwärtig macht die Regierung Propaganda für die Eroberung von al-Bab. Aber es steckt ein Stachel in diesen Operationen der Türkei: Die Unterstützung der USA für die demokratischen syrischen Kräfte, deren Rückgrat die YPG ist, bei der Operation zur Befreiung der „Hauptstadt“ des IS, Raqqa, und die Unterstützung Russlands für das Assad-Regime bei dem Versuch der Eroberung von al-Bab, das strategische Bedeutung als Tor nach Aleppo hat.
Während die AKP-Regierung die PYD-YPG in Syrien bekämpft, befindet sie sich aufgrund ihrer militärischen Präsenz in der irakischen Stadt Bashiqa ebenso mit der irakischen Regierung in einem Konflikt. Der Irak fordert den Rückzug der türkischen Truppen. Die türkische Luftwaffe bombardiert regelmäßig den Nordirak mit der Behauptung, sie greife Camps der PKK an.
In den letzten Jahren hat sich die Syrien- und Irakpolitik der Türkei stark verändert. Ebenso kühlten die Beziehungen zu den USA und der EU ab, weil die Türkei glaubt, dass diese den Putschversuch vom 15. Juli unterstützt haben.
Gemäß dem Abkommen mit der Türkei, um die Migration aus Syrien, Irak und Afghanistan zu stoppen, muss die EU drei Milliarden Euro zahlen und türkischen Staatsbürgern die visafreie Einreise gewähren; aber beide Seiten hielten ihre Versprechen nicht, sodass die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU gespannt sind. Die AKP-Regierung verkündet, dass sie noch zwei Monate warten will, bevor sie die Vereinbarungen aufkündigt und ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft wegen der Kritik an der Türkei durchführen wird. Die, indem sie die Verhaftung von Journalisten anführt, hat begonnen, darüber zu diskutieren, die Gespräche über die türkische Mitgliedschaft zu stoppen.
Seit ihrer Gründung hat die Türkei starke ökonomische, Handels- und Finanzverbindungen zum Westen und sehr starke militärische Beziehungen mit den USA. Daher ist es unzweifelhaft für die Türkei als NATO-Mitglied sehr hart, ihre „Ausrichtung“ und ihren „Boss“ zu wechseln. Nichtsdestotrotz hat Präsident Erdoğan bei einem kürzlichen Pakistan-Besuch zur Frage einer Mitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geäußert: „Warum nicht? Es kann der Türkei helfen, sich besser zu fühlen.“
Zusätzlich zu der Politik und den Maßnahmen der AKP-Regierung entwickelt sich die türkische Wirtschaft ebenso in die falsche Richtung. Die Wachstumsrate ist in den letzten vier Jahren gefallen. Das Defizit und die Arbeitslosigkeit steigen. Nach offiziellen Zahlen liegt die Arbeitslosigkeit bei 11%, real sind die Zahlen aber höher. Der Wert des Dollars stieg in den vergangenen Tagen gegenüber der türkischen Lira um 10%, sodass die türkische Lira abgewertet wurde und 10% ihres Wertes verlor. Die Regierung hat die Zinsen gesenkt und den verfügbaren Kredit erhöht, um zu versuchen, die Wirtschaft anzukurbeln. Aber Stagnation herrscht in allen Bereichen – insbesondere beim Bau und im Textilsektor. Eine kapitalistische Krise kündigt sich an, die nicht nur auf den Finanzsektor begrenzt ist und auch nicht notwendigerweise dort anfängt. Sie ist der düstere Schatten der AKP.
Trotz aller Verbote und polizeilicher Unterdrückung werden Streiks an den Arbeitsplätzen fortgeführt. Die Macht der Exekutive steigt ständig, aber Studenten demonstrieren gegen den Beschluss, dass Universitätsrektoren vom Präsidenten ernannt werden. Rechtsanwälte und Intellektuelle demonstrieren und verurteilen die Inhaftierung ihrer Kollegen. Die Opposition gegen die AKP bemüht sich, neue Bündnisse zu schmieden. Die Einheit für Demokratie mit ihren Strömungen aus den demokratischen, sozialistischen, sozialdemokratischen und kurdisch-nationalen Bewegungen, einschließlich unserer Partei, unternehmen weitere Schritte, um eine Serie von Kundgebungen zu organisieren.
Neue Zeitschriften werden an Stelle der vorherigen veröffentlicht.
Liegt die Zukunft der Türkei in einer faschistischen Diktatur, die von einem Mann geführt wird? Oder wird der Kampf für Demokratie und Freiheit sich ausdehnen und stärken, um neue Erfolge zu erzielen? Das wird vom Umfang des Kampfes und dem Niveau der Organisierung abhängen. Und natürlich werden internationale Unterstützung und Solidarität einen großen Beitrag zum Ergebnis beitragen.

Partei der Arbeit Türkei (EMEP)
Internationales Büro