Antisemitismus im deutschen Hip-Hop – ein Reizthema

Seit der diesjährigen Echo-Preisverleihung schlägt die Debatte um Antisemitismus im Hip-Hop, aber auch in der Gesellschaft im Allgemeinen, hohe Wellen. Die Rapper Kollegah und Farid Bang wurden in der Kategorie „Hip-Hop/Urban National“ ausgezeichnet. Einige andere ausgezeichnete Künstler gaben daraufhin ihre Echos zurück. Einige Stimmen fordern nun gar die Abschaffung dieses Preises. Um was geht es dabei genau?

Kollegah ist ein kanadastämmiger deutscher Rapper, der 2004 seine Karriere in der Branche begann und sich innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Rapper in Deutschland aufschwang. Seine Alben tragen beispielsweise die Titel „Zuhältertape“ (2005), „Imperator“ (2016) oder „Jung, brutal, gutaussehend 3“ (2017). Die Texte zeichnen sich durch sexistische, frauenverachtende und gewaltverherrlichende Botschaften aus. Soweit so gut/schlecht – aber eben durchaus typisch für das Genre. Weniger typisch ist hingegen schon seine soziale Herkunft: Felix Blume (so sein bürgerlicher Name) wuchs in einer beschaulichen Kleinstadt in Rheinland-Pfalz auf und begann nach dem Abitur ein Jurastudium. Mit 15 ist er zum Islam konvertiert. Bisher stammten die meisten Deutsch-Rapper eher aus der Unterschicht und thematisierten und verarbeiteten ihre schwierigen Lebensverhältnisse oft in ihren Liedern. Der Hip-Hop hat seine Ursprünge ja bekanntlich in den USA der 1970er-Jahre und war da eine in Teilen fortschrittliche, künstlerische Ausdrucksform der diskriminierten afroamerikanischen Bevölkerung. Auch viele Rapper in Deutschland, mit oder ohne Migrationshintergrund, drücken durch diese Musik, auf ihre Art, Protest gegen die sozialen Verhältnisse aus. Durch diese Rolle der Wiederspiegelung materiell armer Lebensverhältnisse, gehört zur Rap-Musik freilich auch ein – freundlich ausgedrückt – „rauer“ Umgangston, der Nicht-Kenner erstmal schockiert. Gleichwohl rücken diese reflektierenden Ansätze bei einigen Künstlern – aufgrund ihres zunehmend kommerziellen Erfolgs – heute oft in den Hintergrund: Rapper wie 50cent, Sido, Bushido, sind durch ihre Musik reich geworden und vermitteln nun entsprechende Inhalte. Allenfalls wird noch am Rande mit der Herkunft „aus der Unterschicht“ kokettiert. Diese sozial-kritische Komponente fällt bei dem bürgerlichen Kollegah praktisch vollständig weg. Er kehrt den reichen Macker mit Statussymbolen hervor, nennt sich selbst „Zuhälter“ und „Boss“. Mit „Imperator“ jedoch wächst Kollegah mal darüber hinaus und macht auf Politikkenner und Geschichtslehrer. In dem Lied „Universalgenie“ bezeichnet er sich selbst als „Intellektueller mit lyrischer Gewandtheit“ – das ist er zweifellos! https://www.youtube.com/watch?v=yqhsqnNYR4k&list=RDQZXCqTe5__A&index=4

Screenshot von youtube

Hinzu kommen – und hier wird es ernsthaft problematisch – zahlreiche wirre Verschwörungstheorien zum Weltgeschehen mit strukturell antisemitischen Charakter¹. Hier fällt insbesondere der Song „Apokalypse“ aus dem Album „Imperator“ auf. https://www.youtube.com/watch?v=QZXCqTe5__A&index=1&list=RDQZXCqTe5__A

Der Track hat deutlich Überlänge und setzt sich aus mehreren „Akten“ zusammen. In Akt I entwirft er ein düsteres aber durchaus realistisches, „postapokalyptisches“ Szenario – abgesehen von dem religiösen Einschlag. Akt II bezieht sich darauf schon deutlicher auf Mythen, Verschwörung, Dämonen und Illuminaten². Im dritten Akt „Showdown“ findet sich die Aussage „Ich bin bereit zum Heldentod“. Der Begriff „Heldentod“ wurde in der Geschichte gerne von großdeutschen Chauvinisten verwendet, und verherrlicht den Tod eines Soldaten im Krieg für den Profit. Nun wird auch Bezug zu Jerusalem/Israel hergestellt. Der Sprung zu den Bankgebäuden einer westlichen Großstadt kann so

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verstanden werden, dass von dort aus das Geschehen allumfassend kontrolliert wird. Im letzten Akt, Akt IV „Eden“, heißt es: „Man sieht, wie Buddhisten, Muslime und Christen gemeinsam die zerstörten Städte wiedererrichten“. Juden kommen dabei also nicht mehr vor – wurden vernichtet? Es schafft in jedem Fall unschönen Raum für Spekulation. Zum Schluss werden Bücher „der schwarzen Aura“ verbrannt. Und spätestens jetzt sollte man hellhörig geworden sein.

Unglücklicherweise fiel der Tag der Preisverleihung auch noch auf den 12. April, den Holocaustgedenktag in Israel. Die sich anschließende Kritik bezieht sich vor allem auf diese Aussagen:

  1. Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“
  2. Mache wieder mal ’nen Holocaust, komm‘ an mit dem Molotow“
  3. Deutscher Rap sieht homo aus, ’ne Modenschau von Yoloclowns, Schluss mit den Faxen – Hurensohn-Holocaust.“

Die erste Zeile wird von dem anderen Rapper Farid Bang vorgetragen. Sie ist aus dem Lied „0815“ (ein passender Titel!), welches zur erweiterten Version des neuesten Albums „Jung, brutal, gutaussehend 3“ gehört. Farid Bang ist marokkanischer Abstammung und hat auf die Kritik der Holocaustüberlebenden Esther Bejarano reagiert: „Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass meine Zeile ‚Mein Körper definierter als vom Auschwitzinsassen‘ Sie persönlich verletzt hat. […] Sehen Sie mir meine Unreflektiertheit nach.“ Wäre es nur“ diese Line, könnte der kritische Hörer strenggenommen nicht auf Antisemitismus schließen. In Auschwitz-Birkenau wurden auch Sinti und Roma sowie politische Gefangene ermordet. Verhöhnt werden damit alle. Da es sich bei der großen Mehrheit aber um Juden gehandelt hat, ist die Aussage geeignet, insbesondere antisemitische Denkmuster zu bedienen. Gehen wir diesem Hinweis nach und untersuchen weitere Lieder des Künstlers. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (online) schreibt: „Diese Zeile ist nicht die einzige problematische Stelle des Albums. Dort herrscht ein Sexismus vor, es gibt auch stellenweise rassistische Zeilen über syrische Flüchtlinge. Dazu kommt das überaus fragwürdige Männerbild, das beide Künstler über 17 Songs hinweg – und auf all ihren anderen Alben – zelebrieren.“ Hört man sich die anderen Lieder an, so bestätigt sich dieses Bild. „0815“ fällt auch durch Textstellen wie „Dieser Syrer vergewaltigt dein Mädel, bitch […] und ich ficke deine Flüchtlingsschlampe“ auf. Zeile 2 findet sich in „Gamechanger“ von Kollegah und Farid Bang. Der Part wird so schnell gerappt, dass man sie fast überhört. Ein schlüssiger Zusammenhang besteht nicht. Die dritte Zeile stammt aus einem Track von einem Rapper namens PA Sports. Kollegah hat hier nur eine Gastrolle. Das Lied heißt „HS.HC“ und ist ein Diss-Track gegen den jüdischen (!) Rapper Spongebozz.

Die Liste ließe sich weiterführen – gehen wir noch auf ein sehr deutliches Beispiel ein: Das Lied heißt „Sanduhr“ und ist von Kollegah und Favorite. Es fallen die Zeilen „Motivierter als ein Deutscher beim Militär lad ich die Clips in die Uzis […] Ich warn dich per Gunschuss, ich laber nicht lang, guck germanische Kampfkunst, kanadische Hanfzucht zum runterkomm […] Ich hab nichts zu verlieren, boom, gesunder Dschihadismus […] Ich leih dir Geld, doch nie ohne einen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz“. Man höre selbst: https://www.youtube.com/watch?v=feM1iVHOZD4 .

Screenshot: Auch bei einer ganz speziellen Sorte von Fans beliebt: youtube-Nutzer „MAKE GERMANY GREAT AGAIN“ mit schwarz-weiß-roter Flagge.

Für weitere Hintergrundinformationen zu dem Thema, kann die WDR-Dokumentation Die dunkle Seite des deutschen Rap empfohlen werden.

Alles nur eine Frage der künstlerischen Freiheit?

Natürlich sollte man versuchen, zwischen der Künstlerfigur und seiner Musik einerseits und der dahinterstehenden Person andererseits, zu unterscheiden. Nun gut. In folgender Sequenz wird eine Angestellte eines Fast-Food-Restaurants von den Protagonisten klar herabwürdigend behandelt https://www.youtube.com/watch?v=YJE-qGpNxSY

Darüber hinaus bestreitet Kollegah im Rahmen eines Interviews die Evolutionstheorie https://www.youtube.com/watch?v=aW-nHy5r0QE

Auf der anderen Seite gibt es da die Dokumentation (2016) mit ihm, welche eindrucksvoll das Elend der Palästinenser schildert und er sich solidarisch als „Anpacker“ zeigt: https://www.youtube.com/watch?v=AOqNrC_ILIM

Und: Am Ende des Films (01:14:40) sagt Kollegah, dass er kein Antisemit sei und anderen helfen will, „ohne Unterschied von Rasse, Hautfarbe oder whatever“. Subjektiv mag er das glauben.

Fazit: Kollegah ist eine widersprüchliche Figur. Mag er auch eine korrekte Haltung in der Palästina-Frage einnehmen, sollte man aber „antideutschen“ Ideologen³ doch nicht auf den Leim gehen und solche zweifelhaften Figuren in Schutz nehmen. Daher ist es begrüßenswert, wenn nun einige die Echo-Verleihung als solche kritisieren: Sie ist eine rein kommerzielle Veranstaltung, die sich nur an Verkaufszahlen orientiert und nicht auf den Inhalt schaut. Ebenso ist das dahinterstehende Label BMG verantwortlich zu machen. Denn unabhängig vom typischen Gangster-Rap-Slang und Habitus, vertritt Kollegah eine Mischung aus verschwörungstheoretischen, unwissenschaftlichen und strukturell antisemitischen bis offen antisemitischen Ideologien. Er sieht sich subjektiv vor allem als Entertainer, der sich darüber hinaus, aus seiner religiösen Überzeugung heraus, sozial engagieren will – ohne Unterschied der Rasse oder Religion. Er will kritisch sein und hinterfragt berechtigterweise die herrschende Medienlandschaft. Wie nicht selten andere auch, gerät er dabei jedoch in die Falle einer regressiven Systemkritik. Objektiv bedient er antisemitische Ressentiments und jongliert leichtsinnig mit Worten, die verletzen und schädliche Folgen haben können. Denn seine Musik ist unter Jugendlichen massenhaft verbreitet. Daraus ergibt sich eine gewisse Verantwortung, auch wenn wir nicht unterstellen, dass alle seine Hörer die Inhalte für bare Münze nehmen. Hip-Hop – auch „Gangster-Rap“ – kann man mögen oder auch nicht. Wir wollen das hier nicht kulturpolitisch sanktionieren, auch wenn es im Hip-Hop fortschrittliche und „linke“ Künstler gibt, die als Alternative empfohlen werden könnten. Das ist für den einzelnen Hörer aber nur bedingt vergleichbar, handelt es sich doch um eine andere Gattung. Klar ist aber, dass wir rassistische und antisemitische Inhalte nicht tolerieren.

A.N.

Fußnoten [Es empfiehlt sich, insbesondere die langen Fußnoten 1 und 3 noch einmal am Ende des Textes in Ruhe zu lesen]

¹Die Antisemitismusforschung versteht unter strukturellem Antisemitismus Ideologien, die nicht offen judenfeindlich sind, aber Argumentationsmuster aufweisen, die dem klassischen Antisemitismus ähneln und in diesen umschlagen können. Hintergrund ist beispielsweise die These von der historischen Entwicklung vom (religiös motivierten) Antijudaismus zum (ökonomisch motivierten) Antisemitismus. Im Mittelalter wurden die Juden von der nun herrschenden christlichen Religion zunächst diskriminiert und dann verfolgt. Juden durften keine öffentlichen Ämter bekleiden und weder Ackerbau betreiben noch ein Handwerk ausüben. Ihnen blieben nur der Handel und das den Christen verbotene Zinsgeschäft. Daher das Bild von den „raffgierigen“ Juden, das später die National“sozialisten“ aufgegriffen haben. Werden nun beispielsweise einige wenige Kaufmannsfamilien, Banker oder das Zinssystem allein, für alle Übel auf der Welt verantwortlich gemacht, so argumentiere man eben strukturell antisemitisch, weil ja tatsächlich Juden dort Einfluss hatten oder haben (Rothschilds usw.). Diese Theorie kann man durchaus diskutieren und muss sie nicht gleich als antideutsch verwerfen, was leider auch wieder einige tun würden. Karl Marx ordnete, in „Zur Judenfrage“ (1843), den Antisemitismus in die gesellschaftliche Entwicklung ein und deckte materialistisch und dialektisch dessen Rolle im Kapitalismus auf. [Wir werden daraus jetzt keinen (Halb-)Satz zitieren, der dann missverstanden werden könnte. Wir empfehlen, den Aufsatz komplett zu lesen.] Daraus geht hervor, dass die Emanzipation vom Kapitalismus nur durch den Klassenkampf erfolgen kann. Für den Antisemitismus gilt – wie im übrigen für jede andere rassistische und faschistische Ideologie auch – dass er ein ideologisches Instrument zur Ablenkung vom Klassenkampf darstellt. Selbst manche Menschen die sich als „links“ verstehen, begehen den Fehler, die Zirkulationssphäre und Produktionssphäre des Kapitals metaphysisch voneinander abzugrenzen und konzentrieren ihre Kritik einseitig auf die Zirkulation (z.B. Silvio Gesell, Freigeldtheorie). Aber auch vulgärmarxistische Gruppen neigen oft zu verkürzter Kapitalismuskritik. Zweifellos nutzt die Bourgeoise die berechtigte Kritik daran, als Einfallstor zur Delegitimierung der antikapitalistischen Bewegung. So ist es kein Zufall, dass die EU 2002 eine Studie in Auftrag gab, antisemitische Stereotype unter Globalisierungskritikern auszumachen. Und da kommen nun auch die sog. „Antideutschen“ ins Spiel (vgl. Fußnote 3).

²Der Illuminatenordnen (lat.: illuminati, die Erleuchteten) war eine kleine, kurzlebige Organisation, die 1776 vom Hochschullehrer Adam Weißhaupt in Ingolstadt gegründet worden war. Um sie ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien, nach denen der Orden bis heute im Geheimen fortbestehe und entscheidende Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik besetze. Tatsache hingegen ist, dass Adam Weißhaupt ein für seine Zeit fortschrittlicher, bürgerlich-liberaler Philosoph war, der in Widerspruch zum Absolutismus und der katholischen Kirche geriet. Der Orden setzte sich für die Ideen der Aufklärung ein und wollte den Einfluss der Kirche zurückdrängen. 1785 wurde der Orden von der feudalen bayerischen Obrigkeit verboten und in die Illegalität gedrängt. Daher der Zauber um die „Geheimgesellschaft“. 1790 mussten sie ihre Tätigkeiten einstellen.

³Die sog. „Antideutschen“, die sich selbst gerne auch als „Wertkritiker“ bezeichnen, bilden eine reaktionäre, sozialchauvinistische und -imperialistische Strömung und Ideologie in der antifaschistischen Bewegung in Deutschland. Sie vulgarisieren wiederum die These vom strukturellen Antisemitismus und behaupten, auch Lenins Analyse des Finanzkapitals/Imperialismus wäre dort einzuordnen. Die Kommunisten /Marxisten-Leninisten haben niemals nur einzelne Personen verantwortlich gemacht, geschweige denn die physische Vernichtung der Kapitalisten gefordert, sondern deren Entmachtung und Auflösung als Klasse. Der einzelne Unternehmer mag durchaus ein netter Mensch sein, aber seine Rolle im kapitalistischen Produktionsprozess ist das Problem, die darin besteht, sich den Mehrwert anzueignen. Wir fordern mit dem Sozialismus die Aneignung des Mehrwerts durch die Arbeiterklasse selbst. Die Kapitalisten, die hinsichtlich ihrer Religion, Rasse oder Nationalität genauso verschieden sind wie die Arbeiterklasse, werden nach der Revolution lediglich selbst arbeiten müssen, gemäß dem sozialistischen Prinzip „Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“. Das eigentlich wesentliche Merkmal der „Antideutschen“ ist ja ihre bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel und den USA. Auch die deutsche Regierung ist solidarisch mit Israel und verurteilt gerne heuchlerisch den Antisemitismus. Heuchlerisch u. a. deshalb, weil es andererseits möglich ist, dass große Konzerne wie BMG (Bertelsmann Music Group), Musiker mit offen antisemitischen Werken aus Profitinteresse hochpushen dürfen. Das Verständnis der Bundesregierung und der Zionisten vom Antisemitismus, deckt sich keineswegs mit dem unsrigen. So hat kürzlich die staatliche GIZ acht Mitarbeitern gekündigt, die sich auf Facebook mit den Worten „Ich hasse Israel“ oder „Nein, Israel hat nicht jedes Recht auf Selbstverteidigung“ geäußert hatten (ZEIT ONLINE, 18. April 2018). Mit „Antisemitismus“ meint man hier offensichtlich die Abneigung und Kritik an der Politik des Staates Israel! Aber es ist auch eine Schande, dass kürzlich in Berlin wieder ein Jude tätlich angegriffen wurde! Und es ist dieses Gesellschaftssystem, welches solche Auswüchse systematisch reproduziert.