EU-Haushalt: Massiver Streit in der EU 27!

La Forge, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF), März 2020

Seit Januar ist Großbritannien nicht mehr in der EU. Boris Johnson, der britische Premier, hat die letzten Parlamentswahlen haushoch gewonnen, indem er versprach, den Brexit umgehend in die Tat umzusetzen.

Er gibt häufig Erklärungen ab, wie wenig Zugeständnisse er bereit sei, gegenüber der EU zu machen. Besonders weigert er sich, die europäischen Forderungen nach Einhaltung der sozialen, steuerrechtlichen, umweltpolitischen Normen, der Normen der staatlichen Unterstützung usw. zu unterschreiben. Und er macht sich stark, ein „Freihandels“-Abkommen, das sehr günstig für Großbritannien wäre, zu erzielen. Er wirft die Fortschritte beim Handels- und Wirtschaftsabkommen mit der Trump-Regierung in die Waagschale, die ihn lauthals ermutigt hat, die EU zu verlassen. Aber sein wichtigster Trumpf ist das Ausspielen der inneren Widersprüche der EU, um die „Verhandlungsfähigkeit“ der von Michel Barnier 1) geführten Verhandlungskommission der EU zu schwächen. Darin können ihn erst recht die Zwistigkeiten, die sich am 20. und 21. Februar in Brüssel um den Haushaltsentwurf gezeigt haben, bestärken.

Die Präsidentin der europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Präsident des europäischen Rats, Charles Michel, ehemaliger belgischer Regierungschef, stellten den Haushaltsentwurf der EU-27 für den Zeitraum 20 21 – 2027 über rund 1,1 Billionen Euro vor. Der Entwurf rechnet schon den Fehlbetrag von 75 Milliarden mit ein, der dem ausfallenden britischen EU-Beitrag entspricht. Er sieht „Einschnitte“ bei den großen Posten vor, besonders bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und dem „Kohäsionsfonds“2) , die zusammen allein 60% des EU-Haushalts ausmachen.

Keine Einigkeit über Gemeinsame Agrarpolitik

Die GAP stellte in der EU-28 im Zeitraum 2014-2020 einen Haushaltstitel von 410 Milliarden dar, einen Betrag, den der Haushaltsentwurf auf 329 Milliarden zusammenstreicht. „Undenkbar“, wettert Macron und fügt hinzu, dass „die GAP nicht unter dem Brexit leiden darf“. Er hatte offenbar den Besuch im Kopf, den er am 22. Februar 2020 der Internationalen Landwirtschaftsmesse3) abstatten musste, bzw. an den lebhaften Empfang, den diese Senkung der GAP-Mittel unweigerlich in den Reihen der Großbauern, die einen großen Teil davon einheimsen, hervorruft. Aber auch bei den Bauern der andren EU-Länder ist die Wut sehr groß, wie aktuell bei den Oliven-, Obst- und Gemüseproduzenten in Spanien, die im gesamten Süden des Landes massiv demonstrieren. Auch sie leiden unter dem Diktat des Großhandels, der immer niedrige Einkaufspreise diktiert und die Produzenten innerhalb und auch außerhalb der EU in Konkurrenz setzt, insbesondere bei Obst und Gemüse.

Macron hat Mühe, seine europäischen Verbündeten von der Notwendigkeit zu überzeugen, den europäischen Subventionen für die Landwirtschaft weiterhin Vorrang einzuräumen. Deutschland, die Niederlande und die nordischen EU-Mitgliedsländer wollen den Agrarhaushalt (von dem sie kaum profitieren) verringern zu Gunsten neuer Technologien, der Forschung, der Raumfahrt usw., in Bereichen, in denen die französischen Monopole gleichfalls gut vertreten und an denen sie sehr interessiert sind.

Den Kohäsionsfonds kürzen?

Der Kohäsionsfonds, der für die ärmsten Regionen bestimmt ist, betrifft vor allem die osteuropäischen und südeuropäischen Staaten. Es handelt sich um Finanzhilfen, die dafür vorgesehen sind, die Ökonomien dieser Länder auf die neoliberalen EU-Standards zu bringen im Gegenzug für die Öffnung von deren Märkten für die Produkte der anderen EU-Staaten, vor allem der mächtigsten, in diesem Fall Deutschland und Frankreich. Die „Schocktherapie“, die den Arbeitern und der Bevölkerung dieser Länder als Eintrittskarte in die EU verpasst wurde, rief enorme soziale Schäden hervor, welche der Kohäsionsfonds abmildern soll. Die Jugend wandert massenhaft in die großen EU-Staaten ab, die von ausgebildeten, billigeren Arbeitskräften profitieren, die nicht sesshaft werden wollen. Das führt zu Knappheit an Arbeitskräften in den Herkunftsländern. Anders ausgedrückt, die Regierungen dieser Länder wollen keine Senkung des Kohäsionsfonds.

Während man darauf wartet, einen Kompromiss für den Haushalt zu finden, lancierte von der Leyen ein großes Projekt: die Gründung großer europäischer Verarbeiter „nicht personenbezogener Daten“ als Konkurrenz zu den Gafa (Google, Apple,Facebook; Amazon) und „eingebunden in die Werte der EU“. Wenn es sich um die Werte der freien und unverfälschten Konkurrenz handeln sollte, werden die Monopole diesen Markt nahezu unkontrolliert in mächtige Profitquellen verwandeln können. Schon hat die Kommission darauf verzichtet, die „digitale Gesichtserkennung“ auszuschließen.

Anmerkungen:

1) Michel Barnier: Beauftragtee der EU-Kommission für die Verhandlungen über den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs

2) Der Kohäsionsfonds der Europäischen Union finanziert Projekte, durch welche die Umwelt und die Integration in die transeuropäischen Verkehrsnetze gefördert werden sollen. Er soll eine Konvergenz der europäischen Wirtschaftskraft shaffen und dadurch die europäische Währungsintegration unterstützen.

3) Der „Salon international de l’agriculture“ (internationale Landwirtschaftsmesse) ist eine jährlich in Paris stattfindende Landwirtschaftsmesse, 2020 vom 22. Feb. bis 01. März 2020 .

(Eigene Übersetzung aus La Forge, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs, März 2020)