Atomkraft: Die Wahl des Staates der französischen Oligarchie

Aus La Forge 01/2022, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF)

In der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar hat die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten einen Entwurf für die Zertifizierung von Atom- und Gaskraftwerken zur Stellungnahme übermittelt. Nach der von der Kommission vorgeschlagenen neuen Taxonomie würden Kernkraftwerke zu den „grünen Energien“ gehören, da sie durch den Verzicht auf CO2-Emissionen zum Kampf gegen die globale Erwärmung beitragen, während Gas als „Übergangsenergie“ bezeichnet würde, da es weniger umweltschädlich als Kohle ist und es einigen Staaten ermöglichen würde, weniger CO2 zu produzieren. Die endgültige Entscheidung soll bis Ende Januar fallen.

Seit mehreren Monaten und insbesondere seit der COP 26 betreiben die französischen Politiker aggressive Lobbyarbeit bei den europäischen Entscheidungsträgern, um dieses Ergebnis zu erreichen. An der Spitze einer Koalition aus 12 Ländern, darunter Finnland und Polen, standen sie bisher einer anderen, von Deutschland angeführten Koalition gegenüber, die sich dagegen wehrt, dass die Kernenergie Teil der grünen Energien wird, vor allem wegen der Abfallfrage. In dieser Hinsicht gibt es starke Widersprüche mit der neuen Koalition, die Deutschland seit den letzten Wahlen regiert, und insbesondere mit den Grünen, die Teil dieser Koalition sind.

Worauf der Kompromiss hinauslaufen wird – denn es sieht ganz danach aus, dass es auf einen Kompromiss hinausläuft – ist noch nicht klar, aber es ist sicher, dass Macron mit der Übernahme der französischen EU-Ratspräsidentschaft das Ergebnis beeinflussen will.

Warum ist diese neue Taxonomie für die französische Führung so wichtig?

Die Antwort gibt uns die Aussage von Cécile Arbouille, Generaldirektorin von GIFEN, des Verbands der französischen Atomindustrie :

Jede Aktivität, die (in diese Taxonomie – Anm. d. Red.) aufgenommen wird, kann von öffentlichen und privaten Geldern mit günstigeren Zinssätzen profitieren, was die Kosten für Investitionen in den Bau neuer Reaktoren und die Verbesserung bestehender Kraftwerke entsprechend senken wird.“ Tatsächlich würde diese Einstufung es öffentlichen und privaten Investoren ermöglichen, vom großen europäischen grünen Investitionsplan zu profitieren, den jeder Staat auf der Grundlage von dekarbonisierten Projekten in Anspruch nehmen kann.

Da Macron bereits im Alleingang über die Wiederbelebung der Kernenergie entschieden hat (siehe unsere früheren Ausgaben), ist die Frage der Investitionen ein entscheidender Faktor, wenn man bedenkt, wie hoch EDF, der Hauptauftragnehmer für die Kernenergie in Frankreich, verschuldet ist und welche mehr als beträchtlichen Summen die Investitionen in diesem Sektor erfordern.

Unsere Führungskräfte hoffen auch, dass diese neue Rangliste der Atomkraft das Image der Branche, das durch die Unfälle in Tschernobyl und Fukushima in der Öffentlichkeit etwas getrübt ist, wieder aufpolieren wird. Zu einem Zeitpunkt, an dem in Italien die Frage der Kernenergie wieder auf den Tisch kommt und andere Länder, die in Europa und anderswo stark von der Kohle abhängig sind, vor den durch die Energiewende gestellten Entscheidungen stehen, will EDF dieses neue „Markenimage“ nutzen, um sein „Know-how“ zu verkaufen, insbesondere im Bereich der „Mini-Atomkraftwerke“.

Mehrere Kraftwerke abgeschaltet

Der französische Imperialismus, der auf mehreren Gebieten in Schwierigkeiten steckt, versucht, die aktuelle Situation der Energieerzeugung (die eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen erforderlich macht) zu nutzen, um seine Stellung als Atommacht zu fördern. Am 15. Dezember wurde bekannt, dass die beiden Reaktoren des Kraftwerks Chooz in den Ardennen für mehrere Wochen abgeschaltet werden sollen. Die Entscheidung wurde als „Vorsichtsmaßnahme“ getroffen, wie der Konzern Electricité de France (EDF) bekannt gab. Er zog es vor, so zu handeln, nachdem Probleme in einem anderen Kraftwerk mit derselben Technologie, in Civaux (Vienne), festgestellt worden waren, dessen zwei Reaktoren mindestens bis März oder April 2022 abgeschaltet bleiben müssen. Das Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit (IRSN) erwähnt „Defekte in der Nähe der Schweißnähte einiger Rohrbögen“, die nach der zehnjährigen Kontrolluntersuchung an einem der Reaktoren aufgedeckt wurden. Das Institut erklärt, dass „Kontrollmaßnahmen an den anderen in Betrieb befindlichen Reaktoren erforderlich sein könnten“. Hat EDF diesen Kontrollen vorgegriffen oder haben die Enthüllungen des Whistleblowers, über die wir in unserer Dezemberausgabe berichtet haben, den Konzern zur Vorsicht veranlasst?

Derzeit sind 14 der 56 Reaktoren abgeschaltet, darunter die vier größten, Civaux und Chooz, während Flamanville noch immer nicht in Betrieb ist.

Anmerkung der AZ-Redaktion:

Der veröffentlichte Vorschlag der Europäischen Kommission zur Taxonomie ist ein Greenwashing überholter und gefährlicher Technologien. Er erhält die längst gescheiterte Atomtechnologie (Tschernobyl, Fukushima!) weiter am Leben und verleitet dazu, noch länger auf fossiles Gas (Erdgas) zu setzen.

Dieser „Kompromiss“ zwischen Frankreich und Deutschland und ihrer jeweiligen Anhängerschaft zeichnete sich bereits in der alten Bundesregierung ab, wurde aber von der Regierung der Ampel-Koalition fortgesetzt. Die Ampel-Parteien strichen nach Recherchen von „Euractiv“ kurz vor der Unterzeichnung einen entscheidenden Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Die deutsche Regierung wird sich gegen die Einbeziehung von Atomkraft und Gas als nachhaltige Technologien einsetzen.“ Damit hatte Olaf Scholz freie Hand, sich auf EU-Ebene für die Aufnahme von Gas in die Taxonomie einzusetzen und dafür im Deal mit Frankreich Atomenergie zu akzeptieren. Gegen diese Entscheidung der Bundesregierung bildet sich bereits Widerstand: die Fridays for Future-Bewegung wird in ihrem nächsten Streik am 14. Januar gegen das Greenwashing von Gas und Atom durch die Taxonomie protestieren.

S.N.