Die „Sicherheit“ in Europa wird zwischen den USA und Russland verhandelt

Aus La Forge 01/2022, Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF)

Unsere Genossen der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF) haben sich in einem ausführlichen Artikel anlässlich des Gesprächs zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin am 10. Jan. in Brüssel und dem NATO-Russland-Gipfel am 12. Jan. mit der Konfrontation NATO-Russland befasst. Wir bringen Auszüge daraus:

Mehrere Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten waren von Fragen der Sicherheit auf dem Kontinent, also auch von der Ukraine-Frage, hauptsächlich betroffen und baten darum, bei den Gesprächen zwischen Biden und Putin nicht übergangen zu werden. Sie mussten sich damit begnügen, nacheinander von der Biden-Administration konsultiert zu werden – zumindest was die führenden Politiker Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Großbritanniens betrifft – und im Rahmen der NATO sich zu einem Gespräch in Riga (der Hauptstadt Lettlands) zwischen ihren Außenministern und Stoltenberg, dem Generalsekretär dieser in den Händen des US-Imperialismus befindlichen Allianz, zu treffen. Stoltenberg, der seinem Image als Kriegstreiber und bedingungsloser Befürworter einer Stärkung der NATO treu blieb, erklärte, man müsse sich auf jeden Fall „auf das Schlimmste“ vorbereiten, nämlich auf einen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Diese Position bestärkte die Führer der osteuropäischen Staaten, die von Grund auf antirussisch eingestellt sind, aber andere wollten „die Wogen glätten“, indem sie darauf hinwiesen, dass man zwar gegenüber Russland Härte zeigen müsse, die Ukraine aber nicht zur NATO gehöre; sie deuteten an, dass die USA nicht bereit seien, sich in einen frontalen bewaffneten Konflikt mit Russland über die Ukraine zu begeben. Dies ist insbesondere die Position Macrons und des deutschen Bundeskanzlers, der ebenso wenig eine Konfrontation mit Russland will, auch wenn die grünen Minister seiner Koalition (insbesondere seine Außenministerin) vermehrt dazu aufrufen, eine „harte Linie“ gegenüber Putin einzunehmen.

Putin forderte eindeutig bilaterale Gespräche mit Biden und lehnte die Idee eines Gesprächs mit anderen ab, „die nichts bringen und zu nichts Konkretem führen würden“.

Putins „rote Linien“.

Man muss bis 1990 zurückgehen, als die US-Führer mit Gorbatschow diskutierten, der die Liquidierung der bereits in fortgeschrittenem Verfall befindlichen UdSSR eingeleitet hatte. Gorbatschow und seine Bewunderer, auch Russen, sagten, die US-Führung habe versprochen, dass die NATO nicht weiter nach Osten ausgedehnt werde. Der Wahrheitsgehalt dieses Versprechens ist zweitrangig angesichts der Tatsache, dass der US-Imperialismus seinen Vorteil schnell nutzen wollte: Die NATO hat sich tatsächlich nach Osten ausgedehnt und die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts in aufeinanderfolgenden Wellen einen nach dem anderen aufgenommen (1). Diese Beitritte bilden einen militärischen Gürtel, der immer näher an die Grenzen Russlands heranrückt. Der Putsch von 2014, der das bestehende Regime in Kiew stürzte – ein Putsch, der von den USA und den Regierungen der EU-Staaten unterstützt wurde, die hofften, die Ukraine schnell in die EU und die NATO integrieren zu können – rief eine starke Reaktion der russischen Führung hervor, die darin zu Recht eine weitere Bedrohung durch die USA und ihr militärisches Instrument, die NATO, sah. Die Übernahme der Krim durch Russland im Februar/März 2014 (2) führte zu einer Reihe von wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen seitens der westlichen Staaten. Seitdem kam es immer wieder zu Zusammenstößen und militärischen Provokationen, insbesondere im Schwarzen Meer, durch britische, französische und US-amerikanische Streitkräfte.

Vor seinem Treffen mit Biden zog Putin zwei „rote Linien“: Einerseits die Forderung nach Garantien seitens der USA, dass es keine weitere Expansion der NATO in Richtung der russischen Grenzen geben würde, mit einer kategorischen Ablehnung eines NATO-Beitritts der Ukraine. Zum anderen die Beendigung der Stationierung von US-Waffen in NATO-Ländern, die Russland direkt bedrohen, insbesondere die neuesten Waffen wie hyperschnelle Raketen, die Moskau in wenigen Minuten erreichen können. Indem er diese Forderungen schwarz auf weiß festhält und sie vor dem Treffen mit Biden bekannt gibt, ergreift Putin die Initiative. Aber er weiß sehr wohl, dass sie in ihrer jetzigen Form von Biden nicht akzeptiert werden können, zumal Biden zwei Fragen berücksichtigen muss: seine „internen“ politischen Schwierigkeiten, ohne ausreichend gesicherte Mehrheit, mit einem virulenten Rand der Republikanischen Partei, der nur von Rache träumt, und die Nachwirkungen der Art und Weise, wie die US-Soldaten Afghanistan verlassen haben, sowie die Unzufriedenheit der Regierungen der NATO-Mitgliedstaaten, die vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Dieser letzte Punkt erklärt, warum Stoltenberg gegenüber Russland eine so „martialische“ Rede hält: Es geht darum, den Verbündeten zu versichern, dass die USA in der NATO in Europa nach wie vor stark engagiert sind. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass Putin die Reihen der NATO-Mitglieder in gewisser Weise „wieder zusammengeschweißt“ hat.

Aber der US-Imperialismus fordert weiterhin von den Führern der europäischen NATO-Staaten, ihre „Verteidigung“ zu verstärken. Diese Forderung stammt von Obama, und alle Präsidenten haben sie auf „ihre Art“ übernommen. Diese Forderung beinhaltet den Kauf von US-Militärgütern, insbesondere des Kampfflugzeugs F-35, um die Interoperabilität der Armeen der NATO-Mitgliedstaaten und darüber hinaus zu stärken (wie die Schweiz oder Finnland, die nicht der NATO angehören, aber angekündigt haben, die F-35 kaufen zu wollen). Diese Zunahme der Spannungen zwischen den USA und Russland sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden und sie wird voraussichtlich andauern und sich weiter entwickeln. Es ist bereits die Rede von Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung, von „Vergeltungsmaßnahmen“, die einen erhöhten wirtschaftlichen und politischen Druck bedeuten. Diese Zunahme der Spannungen betrifft die imperialistischen Mächte der EU, insbesondere Deutschland, Frankreich, Italien und nicht zuletzt Großbritannien und die kapitalistischen Staaten, insbesondere die osteuropäischen Staaten und alle NATO-Mitglieder oder „assoziierten“ Staaten.

Sie beunruhigt zu Recht die Arbeiter und die Völker sowie die fortschrittlichen Organisationen und diejenigen, die sich für Frieden, Solidarität und sozialen Fortschritt einsetzen.

Welche Positionen sind zu vertreten?

Wie wir 2019 in unserem Dokument „Für einen revolutionären Bruch mit dem System“ analysiert haben – und das gilt auch heute noch -, stehen weder Russland noch die USA oder andere imperialistische Großmächte kurz davor, einen Krieg untereinander auszulösen, ein Krieg, der sofort eine internationale oder gar globale Dimension hätte. Aber es ist klar, dass sie sich mit groß angelegten Manövern, kalkulierten Provokationen, mehr oder weniger stabilen politisch-militärischen Bündnissen, lokalen Konflikten und Destabilisierungsmanövern, die sich auf politische und soziale Unruhen stützen können, auf einen solchen Krieg vorbereiten. In diesem Bereich hat der US-Imperialismus auf allen Kontinenten eine lange Erfahrung.

Die erste politische und ideologische Barriere, die es zu errichten gilt, ist die Weigerung, sich im Schlepptau einer imperialistischen Macht gegen eine andere zu stellen, und die kategorische Ablehnung, „seinen“ Imperialismus gegen die anderen zu unterstützen. Es geht auch darum, die ideologische Offensive abzulehnen und zu bekämpfen, die darin besteht, ein Volk zu kriminalisieren und es mit den Staatsführern gleichzusetzen.

Das bedeutet auch, die Militärbündnisse zu verurteilen, an denen „unser“ Imperialismus beteiligt ist, angefangen bei der NATO. Die Forderung nach dem Austritt Frankreichs aus der NATO muss an der Spitze der Kämpfe gegen die imperialistischen Kriegstreiber stehen.

Anmerkungen:

1) 1999: Polen, Tshechien; 2004-2007: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Stowakei, Slowenien; 2009: Albanien, Kroatien; 2017: Montenegro; 2020: Nord-Mazedonien; Bosnien und Georgien haben offiziell ihren Beitrtt beantragt.

2) Ein Referendum im März bestätigte offiziell die Angliederung der Krim an Russland.“