In dieser Reihe nehmen wir uns einfach klingende Fragen vor und schauen, wie die marxistischen Klassiker sie beantworten – Leseempfehlungen inklusive.
Der Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus scheint erstmal einfach erklärt – so führt sogar MrWissen2go, einer der bekanntesten Youtube-Videoproduzenten, in seinem Video zu dieser Frage aus: Der Sozialismus ist die Vorstufe zum Kommunismus, in der zwar noch keine klassenlose Gesellschaft erreicht ist, aber die Produktionsmittel Gemeineigentum sind. Gar nicht so weit weg von dem, was auch Marx, Engels und Lenin schreiben. Marx nennt den Sozialismus sogar die „erste Phase“ des Kommunismus – so eng hängen beide Gesellschaftsformen für ihn miteinander zusammen. Doch was genau zeichnet den Sozialismus dann aus und warum braucht man so eine „erste Phase“ überhaupt?
Die meisten kennen das einfache Ziel der Kommunisten, die das Privateigentum an Produktionsmitteln aufheben wollen. Aus diesem Privateigentum an Produktionsmitteln, also der Tatsache, dass die Rohstoffe, Fabriken und das Kapital einigen wenigen gehören, die für ihren eigenen Profit und nicht die gesellschaftlichen Bedürfnisse produzieren, ergeben sich zahlreiche Widersprüche unserer heutigen Gesellschaft: Die Umwelt wird aufgrund des endlosen Wachstumszwangs zerstört, die Menschen werden ausgebeutet und ihr Lohn muss für den Profit immer weiter sinken und in der Konkurrenz um Profite bekriegen sich die Staaten gegenseitig. In seinen ökonomischen Schriften legt Karl Marx dar, wie genau sich diese Probleme aus der Tatsache ergeben, dass die Produktionsmittel Privateigentum der Kapitalisten sind, während ja eigentlich vor allem die Arbeiter Produkte produzieren und auch auf die Produkte ihrer Arbeit angewiesen sind. Die Klassengesellschaft, die sich aus diesem Eigentumsverhältnis ergibt, zu überwinden hat die Arbeiterklasse im letzten Jahrhundert in verschiedenen Anläufen versucht. Dabei war neben den politischen Veränderungen, die mit einer proletarischen Revolution einhergehen, nämlich dass ein Staat der Arbeiter statt einem Staat der Kapitalisten errichtet wird, vor allem die ökonomische Entwicklung entscheidend: Die Produktionsmittel sollten vergesellschaftet werden und somit den Kapitalisten die Möglichkeit genommen werden, andere auszubeuten.
Doch kann man so einfach von heute auf morgen eine klassenlose Gesellschaft errichten? Nein – so lautet zumindest die Erfahrung der Arbeiterbewegung. So hob Lenin in seinem Werk „Staat und Revolution“ die Aussage von Marx hervor, dass die neue Gesellschaft noch zahlreiche „Muttermale“ der alten Gesellschaft trägt. Der Grundsatz des Kommunismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ dürfte schließlich schwer umzusetzen sein, wenn die Menschen noch gewohnt sind, dass jeder nach Leistung und nicht nach Bedürfnissen entlohnt wird und somit noch das alte Gerechtigkeitsempfinden herrscht, das nicht berücksichtigt, dass die Menschen ungleiche Voraussetzungen haben. (Wäre es nicht viel gerechter, an ungleiche Menschen auch ungleiche Maßstäbe anzusetzen? Schließlich kann nicht jeder gleich viel leisten.) Bei näherer Betrachtung gibt es zahlreiche solcher Muttermale, die sich erst abbauen werden, wenn die neue Gesellschaft zur Normalität wird.
Doch die Erfahrungen des Sozialismus in der Sowjetunion zeigen auch, dass der Weg vom Sozialismus zum Kommunismus kein Automatismus ist – schließlich konnte der angeblich sozialistische Staat ab 1989 ohne Probleme sein Gesicht wechseln und zum Kapitalismus übergehen. Dieser schmerzlose Wechsel muss Zweifel aufkommen lassen, wie richtig denn der Weg war, auf dem die Sowjetunion bis dahin war? Und hier kommt die Frage wieder ins Spiel, was Sozialismus und Kommunismus denn eigentlich sind. Denn viele werden auf die Frage, was Sozialismus denn eigentlich ausmache, einfach antworten: Eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind. Doch wir sehen in der Geschichte, wie viel mehr hinter der Definition von Marx eigentlich steckt – denn der Sozialismus zeichnet sich dadurch aus, dass er sich zum Kommunismus hin entwickelt und die Muttermale der alten Gesellschaft abbaut. Indem man den Sozialismus als vom Kommunismus unabhängig allein dadurch definiert, dass die Produktionsmittel Gemeineigentum sind, verfällt man in starre Definitionen, die einen kaum erkennen lassen, wie es denn dazu kommen konnte, dass der Sozialismus in der Sowjetunion scheiterte – und auch kaum die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen lassen, wie denn wirklich eine neue Gesellschaft aufgebaut werden kann, die auf das Ziel der klassenlosen Gesellschaft hinarbeitet.
Leseempfehlungen:
Karl Marx und Friedrich Engels – Kritik des Gothaer Programms
Wladimir Iljitsch Lenin – Staat und Revolution