Im Rahmen der diesjährigen Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung fand am zweiten Konferenztag noch vor Beginn des Programms ein Vernetzungstreffen der Initiative „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“ statt. Das Treffen war am Vorabend mithilfe von Flyern beworben wurden.
Etwa 90 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter folgten dem Aufruf. Die Teilnehmer bildeten einen breiten Querschnitt aus verschiedenen Branchen, Regionen und Altersgruppen. Das Treffen begann zunächst mit einer kurzen Einordnung der aktuellen politischen Lage mit einem besonderen Augenmerk auf den „friedens“politischen Kurs der DGB-Gewerkschaften in den letzten Jahren, sowie über die Wichtigkeit der engen Verbundenheit zwischen Gewerkschafts- und Friedensbewegung. Anschließend folgte ein interessanter Austausch über Erfahrungen der Anwesenden rund um innergewerkschaftliche, friedenpolitische Debatten und Aktionen. Unter den Anwesenden bestand Einigkeit darin, dass es sich beim Aufrüstungskurs der deutschen Regierung – der alten sowie der neuen – nicht um Bemühung um die „Verteidigungsfähigkeit“ Deutschlands, sondern um Vorbereitungen zur aggressiven, militärischen Einmischung Deutschlands handelt. Ebenfalls herrschte Konsens in der Auffassung, dass die Gewerkschaftsführungen des DGBs diesen Staatskurs bis dato völlig kritiklos mittragen, was vor allem durch die sozialdemokratische Vereinnahmung der DGB-Gewerkschaften zu erklären ist, sowie, dass sich diese Aufrüstung gegen die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter richtet. Im Austausch wurde deutlich, dass es bereits verschiedenste Beispiele für Auseinandersetzung um einen klaren Friedenskurs gibt, dass diese in der Regel allerdings lokal und vereinzelt sind und auch nur äußerst selten in den gemeinsamen Erfahrungsschatz der Friedenbewegung übergehen. Auch aus diesem Grund war das Vernetzungstreffen außerordentlich wichtig, da es zum einen die Kollektivierung dieser Erfahrungen ermöglichte und zum anderen klar machte, dass es an der gewerkschaftlichen Basis ein breites und flächendeckendes Bedürfnis nach klaren, friedenspolitischen Standpunkten der Gewerkschaften gibt. Mit dieser Einsicht endet das Vernetzungstreffen mit dem Aufruf, in den Orten und Städten Plattformen, Arbeitskreise und Komitees zu gründen, die sowohl als Träger weiterer Aktionen als auch als Anlaufstelle für friedensbewegte Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter fungieren können. Solche örtliche Strukturen könnten mittels der Initiative auch ein Netzwerk bilden, welches einen kontinuierlichen Transfer von Informationen, Material und Erfahrungen rund um die friedenspolitischen Debatten in den Gewerkschaften ermöglichen kann. Die Initiative wird zur Unterstützung dieser örtlichen Basisarbeit in der kommenden Zeit Materialien wie Präsentationen und Flugblätter herausgeben, auf die nach Bedarf zurückgegriffen werden kann.
Bereits jetzt stehen auf der Website der Initiative (https://gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/) ein Argumentationspapier, Flyer sowie Unterschriftenlisten für die Petition „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!“ zur Verfügung, um die herum sich die Initiative im Herbst 2023 gründete und die aktuell bereits 6358 Unterschriften zählt.
Wie wichtig solche fortschrittlichen politischen Offensiven ausgehend von der gewerkschaftlichen Basis sind und wie nötig eine breite Debatte innerhalb der ganzen Gewerkschaften – insbesondere in den betrieblichen Basiseinheiten – ist, zeigt sich in den letzten Wochen an dem sich weiter in verschärfenden, „staatstragenden“ Kurs der Gewerkschaftsführungen. Eine bahnbrechende Zäsur stellte bereits die Stellungnahme des DGBs zum Ostermarsch dieses Jahr dar. Bereits in der Überschrift tituliert man hier in staatstreuer Manier: „[…] Verteidigungsfähigkeit erhöhen […]“. Dass der DGB sich heute in solch eine Liebedienerei gegenüber dem deutschen Imperialismus versteigt, gleicht blanker Schizophrenie. Denn in den Satzungen der Mitgliedsgewerkschaften sind bis heute ausdrücklich antimilitaristische Standpunkte festgehalten, die solchen Aufrüstungsparolen grundsätzlich widersprechen. Beispielsweise heißt es in der Satzung der IG Metall unter Paragraph 2 dazu: „Sie […] setzt sich für […] die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung und den Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit ein.“ Und weiter als eines ihrer grundlegende Ziele: „Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen“. Dass auch die IG-Metall-Führung diese Satzung längst mit Füßen tritt, wenn sie für die staatliche Rettung bzw. Übernahme oder Subventionierung von Rüstungskonzernen eintritt (Meyer-Konzern oder TKMS), wenn sie die Überführung ziviler Produktion in Rüstungsproduktion unterstützt (wie im Fall von Waggonbau Görlitz oder dem VW-Werk in Osnabrück) oder mit dem Arbeitgeberverband der Rüstungsindustrie und dem Wirtschaftsforum der SPD an der nationalen Verteidigungsstrategie feilt (Positionspapier „Souveränität und Resilienz sichern“), macht die Lage der Friedensbewegung in Deutschland nur umso brenzlicher und unterstreicht die Dringlichkeit einer friedenspolitischen Offensive eindrücklich.
Einen weiteren Tiefpunkt erreichte der DGB anlässlich des 1. Mais in Lübeck, wo folgende Positionierung veröffentlicht wurde:
„Aus gegebenem Anlass weisen wir darauf hin, dass wir nur Infostände auf unserem Maifest begrüßen, die sich mit unseren Werten und Positionen identifizieren.
Genannt seien hier insbesondere die Stichpunkte:
a) Uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – wir erkennen W. Putin als alleinigen Aggressor
b) Bekenntnis zu Europa und zur NATO-Mitgliedschaft
c) Bekenntnis zur Richtigkeit des Sondervermögens, um in die Zukunft zu investieren
d) Existenzrecht Israels und Solidarität mit den zivilen Opfern der kriegerischen Auseinandersetzung im Gaza-Streifen
e) Hände weg vom Recht auf Asyl
f) Bekenntnis zu den aktuellen, gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen
g) Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität
Wir freuen uns auf eure Rückmeldung und stehen für weitere Rücksprache sehr gern zur Verfügung!“
Es wird klar: Zwischen deutscher Staatsräson und dem politischen Kurs der DGB-Spitze verschwimmen die Grenzen mittlerweile fast gänzlich. Jedoch handelt es sich bei diesen Positionen nicht um den Standpunkt der 5,7 Millionen Gewerkschaftsmitglieder im DGB. Es sind Positionen, die den Gewerkschaften von oben übergestülpt werden, gegen die jedoch bisweilen kaum organisierter Widerstand stattfindet. Der Kriegskurs des deutschen Imperialismus verschärft sich von Tag zu Tag und versteigt sich längst in Höhen, die noch vor wenigen Jahren kaum vorzustellen gewesen wären. Aufrüstung im Wert von 800 Milliarden Euro und die „Wiederbewaffnung Europas“ fordert Ursula von der Leyen als deutsche Repräsentantin auf EU-Ebene. „Wieder“bewaffnung? „Wieder“ wie wann? Der deutsche Imperialismus macht keinen Hehl aus seinen Absichten. Umso dramatischer die Tatsache, dass dieser Kurs derzeit bei völliger Rückendeckung der DGB-Gewerkschaften gefahren werden kann. Darum braucht es jetzt klare und organisierte Bemühungen aus der gewerkschaftlichen Basis, um die friedenspolitischen Traditionen und Standpunkte der Gewerkschaften zurückzuerobern und Politik im tatsächlichen Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter zu machen. Die Initiative „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“ ist ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung und bietet eine wertvolle Unterstützung für die noch zerstreuten kämpferischen Teile der Gewerkschaftsbasis.