Buchbesprechung: Sehr fragwürdige Würdigung Thomas Müntzers!

Zu: „Dran! Dran! Dran! – Thomas Müntzer, der Bauernkrieg und die Entblößung des falschen Glaubens“, herausgegeben von Karsten Krampitz und Albert Scharenberg

Gehts heute wirklich um richtigen oder falschen Glauben – die Frage, die der Titel des Buches aufwirft? Oder doch darum, welche ideologischen Formeln sich ganz materielle Klasseninteressen einer feudalen Gesellschaft als Ummantelung suchen in Zeiten, wo es noch kaum Wissenschaft, kaum Materialismus, kaum ein klares Bewusstsein von Welt und Gesellschaft gab, aber härtesten Klassenkampf?

Wofür dieses Buch? Schnell stellt sich diese Frage, wenn wir „Dran! Dran! Dran! “ lesen.

Eine breitgestreute Sammlung von Texten unterschiedlichster Autoren und einer Autorin, die wohl im weitesten Sinn „links“ zu verorten sind, darunter von kirchlichen Autoren, dem gestrandeten Linkspartei-Promi Bodo Ramelow, der sich über eine „gottlose Gesellschaft“ Sorgen macht und reformistische Illusionen in eine Wiederbelebung der vom Adel vor Jahrhunderten zerstörten Almende ausbreitet. (S. 95)

Die eher kirchlich geprägten Beiträge gehören nicht selten zu den lebendigeren, auch wenn ihre Begrenztheit nicht zu übersehen ist. „Thomas Müntzer – jenseits von Verleumdung und Legende“ von Ulrike Strerath-Bold (ab S. 85), einer Publizistin, Historikerin und Müntzer-Biographin, ist lesenswert, empathisch, lebendig. Der Verfasserin scheint eines „…sicher: Müntzer war und ist und bleibt (!) eine Ermutigung (!) und Zumutung zugleich, für alle, die heute auf der Grundlage ihres christlichen Glaubens eine gerechte, friedliche Welt gestalten wollen“ – eine starke Aussage, nachdem sie so viel Hass gegen Müntzer, zahllose Entstellungen, Denunziationen und Verfälschung, auch durch die „Lutheraner“, gegen Müntzer aufgedeckt hat.

Oder (S. 79) die „Predigt von Jugendpfarrer Timo Versemann – Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld“ – christlicher Antikapitalismus unter vorsichtiger Berufung auf Aussagen Thomas Müntzers. Politisch aufgeweckten Jugendlichen will er keine offiziöse Pfaffensicht auf Müntzer andrehen.

Ein kurioses Fundstück ist der Aufsatz von Hugo Ball(1886 – 1927), einem Mitbegründer der Dada-Bewegung: „Gebt dem Volke, was des Volkes ist“ (S. 105): „Zu Hause wie im Ausland hat man nie gebührende Aufmerksamkeit der Tatsache geschenkt, dass es einmal eine deutsche Revolution gegeben hat. Die großen Bauernaufstände 1524/25, deren Niedermetzelung ein peinliches Kapitel für die offizielle Geschichtsschreibung … und für die lutheranische im besonderen ist, waren der Ausbruch einer zugleich religiösen und politischen Bewegung die sich von der Normandie über Jütland, Thüringen, Franken, bis nach Ungarn erstreckte“. In deutschen Schulbüchern sei wenig darüber finden. Diese Bauernaufstände aber „waren eine der mächtigsten und blutigsten Rebellionen gegen Adel und Geistlichkeit, die Europa erlebte… Der deutsche Geschichtsunterricht hilft sich über seine politische Charakterlosigkeit … hinweg“ mit Entstellungen und toter Statistik. „Zur Begeisterung liegt ja … weder Anlass noch eine Direktive vor…“ höhnt Ball. Er begeistert sich am revolutionären „Magister Thomas“:

Nie hat ein … reinerer Geist eine Revolution geleitet. Lassen wir uns von einer jahrhundertelangen Lutherpropaganda den Blick nicht mehr trüben! … An der Spitze der Nation stand beim ersten Eintreten deutschen Geistes in die Geschichte der Neuzeit ein Mann, der Prophet und Heiliger, Philosoph und Revolutionär in einem war.“ Der sich „in die weltlichen Händel warf, als die offiziellen Vertreter des Volkes versagten … aber mit unerbittlicher Energie...“ Leider – es deutet sich im Zitat schon an – driftet Dadaist Ball immer wieder ins Nationale ab. Mit kritischem, antinationalem Verstand zu lesen!

Nützliches gibt es auch: Einen Zeitplan zum Leben Müntzers und etliche wörtliche Passagen von ihm selbst (Texte für heutige Leser modernisiert). Vor allem: Friedrich Engels starke historische Würdigung Müntzers (S. 131 -135) aus „Der Deutsche Bauernkrieg“. Mehr Einzelheiten hier sprengen den Rahmen des Artikels, denn der Grundeinwand muss nun auf den Tisch!

Antikommunismus!

Leider ist „Dran Dran Dran“ nicht frei von üblen Rempeleien gegen Marx und Engels, erst recht nicht von antikommunistischen Entstellungen. Höhepunkt: Das Interview des Mitherausgebers Krampitz mit der Englisch-Australischen Historikerin und Oxford-Professorin Lyndal Roper (ab S.49, 11 Seiten lang!), mit der „Star-Historikerin“ des Jahres 2025 (500 Jahre Bauernkrieg), zu ihrem Bauernkriegsbuch: „Für die Freiheit“. Sie selbst und ihr Werk passen bestens in die offiziell-bundesdeutsche Linie zu 500 Jahre Bauernkrieg, das die Revolution leugnet und den Krieg zu einer großen Protestdemo verzwergen will! Implizit enthält diese Linie manch Drohung gegen alle, die bis heute und für heute solidarisch zur revolutionären Gewalt im Bauernaufstands stehen. Thomas Müntzer, Jäcklein Rohrbach, Magarete Rennerin, Melchior Nonnenmacher, Hans Wunder u. a. – ihr Werk soll verschwinden unter Entstellungen wie „Bis zur Weinsberger Bluttat sei alles friedlich und gewaltfrei verlaufen“ und ähnliches mehr. Auch Roper verbreitet hier Verfälschungen! Z. B.: Müntzer sei „nur ein Prediger unter vielen“ gewesen, was anderen Aussagen des Buchs Hohn spricht. Was hat sie hier zu suchen? Manche ihrer Äußerungen lassen an ihrer Qualifikation zweifeln. Krampitz Frage „Das Wort von der Freiheit hat die Bauern elektrisiert?“ beantwortet Roper: „Freiheit bedeutete für die Bauern in erster Linie, dass sie nicht mehr Leibeigene sein wollten. Aber es war mehr…“

Eine nur scheinbar unauffällige Antwort! Bei Ihr wie auch bei der ganzen bürgerlichen Sicht zum Bauernkrieg zeigt sich: Die Leibeigenschaft, zentrale, brutale gesellschaftliche Institution, auf der der ganze Feudalismus basiert, wird verfälscht in eine ärgerliche Nebenerscheinung, einen Mangel an Mitbestimmung und ähnliches mehr! Eben nicht, wie Engels sie charakterisiert:

Die Bauernschinderei durch den Adel wurde mit jedem Jahre weiter ausgebildet. Die Leibeigenen wurden bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen, die Hörigen mit neuen Abgaben … unter allerlei Vorwänden und Namen belegt. Die Fronden, Zinsen, Gülten, Laudemien, Sterbfallabgaben, Schutzgelder usw. wurden … willkürlich erhöht. Die Justiz wurde verweigert und verschachert …“  (Der deutsche Bauernkrieg, MEW Bd. 7, S. 333/334). Engels unterstreicht, dass Leibeigene Leibherren gehörten, die über sie frei bestimmen konnten und auch auf dem „Recht der ersten Nacht“. Selbst ein Adliger, der mit dem Aufstand sympathisierte, hatte, so Engels, „wie jeder privilegierte Stand… nicht die geringste Lust, seine Vorrechte, seine ganze exzeptionelle Stellung und den größten Teil seiner Einkommensquellen freiwillig aufzugeben.“ (Ebenda, S. 375) Engels beweist kompetent die zentrale Rolle der Leibeigenschaft in feudalen Gesellschaften.

Aber laut Roper war es „mehr“. Vielmehr hänge es „auch mit der Vorstellung von der Eucharistie (christlich-rituell: das so genannte Abendmal in der Kirche – die Red.) zusammen. Denn Luther hatte argumentiert, dass in der Kommunion (anderes Wort für denselben Ritus – die Red.) … die Laien nicht nur das Brot, sondern auch den Wein bekommen sollten, der (bis dahin – die Red.) nur für den Klerus bestimmt war… ich glaube, solche theologischen Hintergründe spielten ein sehr große Rolle.“ Das lassen die Herausgeber einfach so durch. Roper verdreht Ursache und Wirkung. Gerade weil die Bauern die Abschaffung der Leibeigenschaft als existenziell sahen (Artikel 3 von Memmingen!), taugten in der nun auf Deutsch verfügbaren Bibel all die Utopien von gesellschaftlicher Gleichheit bestens dazu, zu Symbolen für den bereits aufkommenden Umsturz zu werden, in diesem Fall des Kampfes gegen den Klerus.

Ihren elenden Rempler gegen Marx, er haben die Bauern mit „Kartoffelsäcken“ gleichgesetzt, erwähnen wir nur – immerhin zitieren die Herausgeber die Marxsche Originalquelle (Der achtzehnte Brumaire des Napoleon Bonaparte), so dass Leser sich selbst ein Bild bezüglich dieser Pöbelei machen können. Und in dem Stil geht es weiter, die Herausgeber lassen Roper gewähren. Schließlich geht’s ans Eingemachte: „Müntzer im Marxismus!

Krampitz fragt, warum sie in „Für die Freiheit“ schreibe; „Der Unwille, theoretisch zu erfassen, wie sich Bauern an den Revolutionen beteiligten, war einer der großen Fehler des Marxismus“. Der klassische Marxismus sei unfähig gewesen, sich eine revolutionäre Bauernschaft vorzustellen… (Daher Marx „Kartoffelsack“). Roper darauf: Gerade auch, wenn man Engels´ Darstellung des Bauernkriegs lese, zeige sich: „Marx und Engels müssen sich irgendwie damit abfinden, dass es die Bauern waren, die gegen die bestehende Ordnung gekämpft haben und nicht die frühbürgerliche Klasse.“ Das ist mit Verlaub (an die Herausgeber und an Roper) barer Unsinn! Kennen sie überhaupt, was vor allem Engels schreibt. (Obwohl Roper sich auf angeblich eigene Engels-Lektüre beruft!) Roper: „Aber man kann es (?) eigentlich nicht als frühbürgerliche Revolution bezeichnen...“, so Roper. Engels nutzt kein einziges Mal den Begriff frühbürgerliche Revolution, obwohl ihm das immer wieder angedichtet wird, auch hier! Er hat sich auf die Analyse der ihm bekannten Tatsachen konzentriert. Er hat nicht, wie (nicht nur!) Roper ihm unterstellt, sein angebliches Konzept einer „frühbürgerlichen Revolution“ über den Bauernkrieg darübergestülpt, sondern sein (noch vorsichtiges!) theoretisches Konzept erst aus dialektischer Tatsachenanalyse abgeleitet. Seitenlang bei Engels, faktenbasiert, die sorgfältige Analyse der komplexen Klassenverhältnisse im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts! Aber Engels müsste sich ja angeblich abfinden… Dazu Engels (nur eine Aussage von vielen):

Die Zähigkeit und Ausdauer, mit der die oberdeutschen Bauern von 1493 an dreißig Jahre lang konspirierten, mit der sie alle aus ihrer ländlich-zerstreuten Lebensweise hervorgehenden Hindernisse einer größeren, zentralisierten Verbindung überwanden und nach unzähligen Sprengungen, Niederlagen, Hinrichtungen der Führer immer von neuem wieder konspirierten, bis endlich die Gelegenheit zum Aufstand in Masse kam – diese Hartnäckigkeit ist wirklich bewundernswert.“

Haben Roper bzw. Krampitz Engels gelesen? Engels und Marx – sie taten das Gegenteil von dem, was ihnen von bürgerlichen Schreibern stets unterstellt wird. Sie stülpten keine vorgefertigten Konzepte über die realen Klassenkämpfe, um alles Unpassende passend zu machen. Nein, sie extrahierten ihre Theorien aus der genauen Analyse der Tatsachen.

Und dann kommt Stalin dran! Krampitz fragt Ropers nach der Story, 1949 habe „die SED Müntzers Handschriften Stalin zum 70.Geburtstag geschenkt“. Roper aber tappt recht professionell nicht direkt in die Falle. Sie antwortet nur „pflichtgemäß“: „Unglaublich. Ja, entsetzlich. Vielleicht kommen sie eines Tages wieder zurück. Ich glaube aber nicht.“ So muss Krampitz selber ran! Er sagt (im Interview!): „Wenn Stalin die Texte gelesen und verstanden hätte (sic!) hätte er das Geschenk umgehend zurückgegeben. Aber Müntzer ist ja nicht gelesen worden, auch nicht in der DDR...“ Dieses Geschenk an Stalin hat stattgefunden, und erscheint uns heute in der Tat nachprüfenswürdig! Aber veranstaltet hat das Ganze nicht „die SED“, sondern die Dresdner Landesregierung 1949.

Mit keinem Wort dagegen wird die Frage geprüft, ob denn die Sowjetunion nicht wenigstens sachlich-wissenschaftlich mit den Handschriften verfuhr. Von Krampitz wird unterstellt, dass Stalin Müntzer noch nicht mal verstanden hätte. Wie passt das zusammen mit dem, was in dem unter Anteilnahme Stalins entstandenen und 1954 veröffentlichten sowjetischen Lehrbuch der Politischen Ökonomie steht: „Deutschland wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts von einem Bauernkrieg erfasst, der von den unteren Schichten der Stadtbevölkerung unterstützt wurde. An der Spitze der Aufständischen stand Thomas Müntzer. Die Bauern forderten die Beseitigung der Willkür- und Gewaltherrschaft des Adels.“ (Band 1, S. 70) Die Passage erwähnt auch antifeudale Bauernaufstände in aller Welt einschließlich China! In Moskau war Deutschland nicht der Nabel der Welt. Trotzdem hier gewürdigt: Thomas Müntzer! Stalin hätte das alles nicht gelesen geschweige denn verstanden?

Antikommunismus ist ein schlechter Wegweiser, und er ist dazu angetan, die Lektüre dieses Buchs zu vergällen. Eine fragwürdige Publikation! Sie hilft dabei, zu verdunkeln, was noch heute aus Müntzer Martyrium folgt: Thomas Müntzer bleibt eine Herausforderung für alle revolutionären Menschen. Ausbeuterische Klassengesellschaften treiben weltweit Revolution und revolutionäre Gewalt hervor. Die Besten, auch Müntzer, kleideten ihre revolutionären Ansichten in das ihnen am tauglichsten erscheinende ideologische Material, das sie in ihrer Zeit vorfanden. Wir brauchen das heute so nicht mehr – angesichts des theoretischen Schatzes auf Basis von Marxismus und Leninismus. Aber wir brauchen die Revolution mit allem, was diese benötigt – auch mit revolutionärer Gewalt! – wie Müntzer und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter

 

Bibliographisch: Karsten Krampitz / Albert Scharenberg (Hrsg.)  „Dran! Dran! Dran! – Thomas Müntzer, der Bauernkrieg und die Entblößung des falschen Glaubens“, Aschaffenburg 2025 (Alibri-Verlag) 164 Seiten. ISBN: 978-3-8656-427-0