Klartext reden!

Zur Strategiekonferenz „Für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik“ / 25.-26.1.20

In Frankfurt am Main findet am 25. und 26. Januar 2020 die Strategiekonferenz „Für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik statt, zu der zahlreiche Organisationen und Initiativen der Gewerkschaftslinken Deutschlands einladen, darunter auch Didf und die Redaktion von Yeni Hayat/Neues Leben, denen Arbeit Zukunft solidarisch verbunden ist.

Genossen von Arbeit Zukunft werden kritisch und solidarisch teilnehmen, und wir rufen unsere Leser/innen auf, das auch zu tun. Einige Gedanken zu der Konferenz.

Die Lage der Arbeiterklasse ist bedrohlich!

Wie die Veranstalter richtig schrieben: Die Gewerkschaftstage von Ver.di und IGM haben bestätigt: Angesichts der dringenden Herausforderungen versagen die offiziellen Gewerkschaftsapparate erneut. Sie verharren auf dem Kurs von Standortpolitik und Konfliktvermeidung, auf der Zusammenarbeit mit dem Kapital. Die IGM hilft durch ihre Beschlüsse wie auch durch ihre Unterschrift unter Leiharbeitstarifverträge dem Kapital faktisch bei seiner Prekarisierungspolitik gegen die Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte. Widerstand gegen den Klimawandel, wenigstens Ansätze zu einer Solidarität mit der Jugendbewegung FFF, Gegenwehr gegen den rabiaten Umbau der Industrie auf Kosten der Kolleg/innen etwa in der Automobilindustrie werden nur vereinzelt in wenigen Geschäftsstellen und Betrieben sichtbar, ganz zu schweigen von einem Kampf für eine andere Gesellschaft. Die Gewerkschaftslinke als Veranstalter der Konferenz muss erkennen: Die offiziellen Gewerkschaftsführungen stehen fest auf dem Boden des Kapitalismus. Deshalb müssen Kritik am Kapitalismus und die Diskussion über den Neuanlauf zum Sozialismus Bestandteil aller Diskussionen dort sein. Ein konsequenter betrieblicher, überbetrieblicher wie auch grenzen-überschreitender Kampf für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist unerlässlich, braucht aber auch die gesellschaftsverändernde, revolutionäre Perspektive!

Wie ist die aktuelle Lage?

Die aktuelle Lage ist geprägt von Rationalisierungsoffensiven durch die breite Digitalisierungsanstrengungen im Industrie- und Dienstleistungssektor unter dem Motto „Industrie 4.0“, durch Umbau der Auto-Industrie auf so genannte E-Mobilität, verbunden mit der rücksichtslosen Verlagerung „konventioneller“ Jobs in Länder mit geringerem Lohnniveau, durch den eklatanten, kriminellen Betrug vor allem der deutschen Automobil-Chefetagen um den Dieselskandal, durch die erneut aufbrechende Wirtschaftskrise – all das steht auf der Tagesordnung des Kapitals und bedroht Millionen Arbeitsplätze.

Auch die wachsende Kriegsgefahr muss zum Thema werden.

Mit der zunehmenden Kriegsgefahr lauert eine weiter ernste Bedrohung für die Lebenslage der arbeitenden Menschen. Die sich ständig verschärfende imperialistische Konkurrenz des Monopolkapitals und der dieses stützenden Staaten wird Auswirkungen für alle arbeitenden Menschen haben. Immer schärfer Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten USA und China, Russland der EU! Hier gehört die BRD führend als eigenständige Macht mit dazu! Merkel und AKK fordern offen die 2 % vom BIP für die Aufrüstung! Das bedeutet Ausbau der Kriegsproduktion, Vorbereitung der Industrie auf den massenhafte Bau von Waffensystemen, zunehmende Unterdrückung im Betrieb und noch mehr lügenhafte Propaganda um Arbeitsplätze: „Rüstung sichert Arbeitsplätze, Rüstungsgegner gefährden Arbeitsplätze!“ – ein ideales Schlachtfeld für Rechtsradikale und Faschisten in Betrieb und Gewerkschaft. Dieses Thema, der Kampf um den Frieden, fehlt fast ganz auf der Tagesordnung der Strategiekonferenz, sollte aber aufgenommen werden, zumal die Arbeitsgruppe (AG 7) die Bedrohung durch Rechtsradikale im Betrieb thematisiert.

Kritische Anmerkungen zu zentralen Punkten im Programm der Strategiekonferenz.

Das vorliegende Programm der Konferenz ist angesichts der geschilderten Lage relativ begrenzt und „bescheiden“:

Was tun in Zeiten von Wirtschaftskrise, Prekarisierung, Arbeitshetze, Massentlassungen und Umweltzerstörung? Gerade in Zeiten der drohenden Zerstörung der Welt durch die kapitalistische Produktionsweise, gegen deren Auswirkungen seit Monaten tausende auf die Straße gehen, ist eine starke Linke in den Gewerkschaften nötiger denn je.“ So heißte es in der Themenstellung für das Eingangsreferat der Konferenz.

Es verwundert, dass die Themen, die in der Industrie alle bewegen, hier nicht zentral beim Namen genannt werden: „Industrie 4.0“, die aktuell schon auf der Schleuder stehenden hunderttausenden Jobs in und um die Autoindustrie, der Dieselbetrug . Sie werden merkwürdig verschämt in dieser jahrzehntelang wiederholten Aufzählung versteckt. diese ist zwar richtig, aber abgehoben!

Wieso droht die Zerstörung der Welt durch die kapitalistische Produktionsweise, wenn sie doch schon voll in Gange ist? Australische Wälder brennen, Urwälder in Brasilien brennen, ja, sie werden aktiv für den Profit unter Schutz des faschistischen Präsidenten angezündet. Der Anstieg der Meere ist Tatsache. Wollen wir der Arbeiterklasse die Wahrheit verschweigen? Die antikapitalistischen Teile der Jugendbewegung FFF werden diese „allgemeine Analyse“ wenig attraktiv, wenig anziehend für eine Zusammenarbeit finden. Aber die Konferenz will in AG 6 das Thema aufgreifen. Sie sollte radikaler sein und die zur Tatsache gewordene Zerstörung der Umwelt durch die kapitalistische Produktionsweise und die imperialistischen Krisen Kriege als Ausgangspunkt nehmen. Sie kann Kolleg/innen, die um Job und Lebensunterhalt zittern aber auch nicht überzeugen, wenn sie die unvermeidliche Umverteilung der Arbeit nicht zum Thema macht.

Unentschlossenheit und Aktionsunfähigkeit

Die Themen der 7 geplanten Arbeitsgruppen (AG) der Konferenz, die in zwei Runden (Samstag ab 14:00 Uhr und ab 17:00 Uhr) stattfinden sollen, so dass alle an wenigstens 2 AGs teilnehmen können, gehen grundsätzliche in Ordnung:

  1. Der Kampf für einen neuen „Normalarbeitstag“ – Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich!
  2. Mehr Demokratie in Arbeitskämpfen und Gewerkschaften
  3. Gewerkschaftliche Kämpfe politisch führen!
  4. Prekarisierung bekämpfen statt „gestalten“!
  5. Internationale Solidarität statt internationaler Konkurrenz!
  6. Gewerkschaften und Klimaschutzbewegung zusammenbringen!
  7. Umgang mit Rassisten und Faschisten im Betrieb

Aber in der heutigen Situation der Gewerkschaftslinken fallen immer wieder ihre Unentschlossenheit und Aktionsunfähigkeit ins Auge. Ziemlich Ratlos stellen die Veranstalter/innen nach Jahren immer wieder die selben Fragen: „Wie können wir ein Gegengewicht gegen die aktuelle Politik der Gewerkschaftsführungen in dieser Frage aufbauen und die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den Gewerkschaften wieder nach vorn bringen?…Wie können gesellschaftliche Bündnisse geschmiedet werden zur Unterstützung von Arbeitskämpfen? Welche Forderungen könnten wir als Gewerkschaftslinke aufstellen und wie können wir selbst dazu beitragen?…Wie können prekarisierte Schichten integriert statt ausgegrenzt und diskriminiert werden?

Diese Fragen sind so bekannt wie berechtigt. Sie werden schon lange gestellt? Wäre es nicht Zeit sie zum Diskussionsanreiz einmal thesenartig zu beantworten? Und damit einen Schritt in die gemeinsame Aktion zu wagen?

An zwei Beispielen wollen wir das deutlich machen.

Zentral: Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung – 30 Stundenwoche bei vollem Entgelt- und Personalausgleich für alle!

Gleich für die erste AG wird das Thema, durchaus richtig, umrissen: „Die Gewerkschaftsführungen haben das Thema wieder aufgegriffen, aber den Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung (AZV) bei vollem Entgelt- und Personalausgleich aufgegeben, zugunsten einer AZV, die von den Beschäftigten selbst bezahlt wird.“ Das deckt sich weitgehend auch mit unserer Kritik an den Praktiken der Gewerkschaftsführungen. Aktuelles Beispiel Bosch: Entwickler, Ingenieure, Vertriebler mit 40-Stundenverträgen – sicherlich sehr qualifiziert und gut bezahlt – haben ihre Arbeitszeit per Betriebsvereinbarung zurückzufahren – beileibe nicht auf die 35 Stundenwoche, sondern auf 36 Stunden (!!), aber auf eigene Kosten!“ Oder die individuellen Kürzungsmöglichkeiten in den Tarifverträgen der IG Metall, die ebenfalls die Betroffenen zahlen, indem sie auf Sonderzahlungen verzichten – Nein, das ist nicht gemeint! Sondern die oben bereits zitierte Frage, wie wir ein Gegengewicht gegen die Gewerkschaftsführungen in dieser Frage aufbauen und die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den Gewerkschaften wieder nach vorn bringen? Wie oft noch?

Eine Gegenmacht in dieser Frage wird es nicht geben

  1. ohne systematische, umfassende, jeden möglichen Anlass, jeden stattfinden Abwehrkampf, alle Proteststreiks und -demos bedrohter Kolleg/innen, jede Betriebsversammlung, jede Vertrauensbeutesitzung nutzende Verbreitung, Propagierung, Agitierung dieser zentralen Forderung. Kein Flyer mehr aus dem Kreise der Gewerkschaftslinken bundesweit ohne diese Forderung! Arbeit-Zukunft macht es bereits weitgehend, aber wir wollen nicht allein bleiben!
  2. ohne eine Konkretisierung dieser Forderung. Wenn es im Titel der AG 1 „Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich!“ heißt, dann ist das vielleicht wortradikal, aber unkonkret. Wir brauchen die 30-Stundenwoche – Forderung, Kolleginnen und Kollegen wollen wissen, wofür wir sind. Wir haben auch kein grundsätzliches Problem mit der – sagen wir – 28 Stundenwoche. Aber unter den hiesigen Verhältnissen ist selbst der Kampf um eine 30-Stundenwoche ausgesprochen anspruchsvoll und „sportlich“. Die älteren mögen den jüngeren ihre Erfahrungen mit dem 35-Stundenwochen-Kampf, der mehr als ein Jahrzehnt dauerte, weitergeben.
  3. Zur Konkretisierung gehört auch, dass diese Forderung nicht irgendwie betrieblich, sondern für alle gelten muss. Eine Erfahrung des 35-Stundenwoche-Kampfes ist auch, dass sie so weit irgend möglich für alle gleich gelten muss. Der so historische wie problematische „Leberkompromiss“, der die 35 Stunden schrittweise einführte, überließ es im Gegenzug den Betrieben, dass jeder selbst diese regeln durfte (Kapitalseite) bzw. musste (Gewerkschaften, Betriebsräte, Belegschaften), der Anfang des Niedergangs für die 35 Stunden!*

Die 30 Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich muss für alle in der ganzen Branche, in allen Branchen, gesellschaftsweit durchgesetzt werden. Gewerkschaften brauchen das politische Mandat. Hier muss es greifbar werden. Diese Forderung ist ein entscheidender Beitrag auch zur Politisierung des gewerkschaftlichen Kampfes, wie sie von der AG 3 gefordert wird. Denn sie verlangt nicht weniger als eine Einschränkung der vielgerühmten „Gestaltungsfreiheit“ des Kapitals. Dieses wird Zeter-Mordio schreien, würde es endlich eine wenigstens spürbare „Gegenmacht“ zu diesem Thema geben.

Wir werden deshalb auf der Konferenz für einen klaren Beschluss eintreten:

30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle!

Als unsere gemeinsame Forderung, bei der sich die Gewerkschaftslinken nicht mehr auseinander dividieren lassen!

Wer keine Verbindlichkeit will, kann keine Gegenmacht werden!

Mehr Demokratie ins Arbeitskämpfen und Gewerkschaften?

Ein auch für uns wichtiges Thema! Die AG 2 soll ihm nachgehen, hier ihre Aufgabenstellung im Konferenzprogramm : „Was können wir aus Erfahrungen lernen und wie können wir diese verallgemeinern? Von der Aufstellung der Tarifforderungen über die Streiktaktik bis zur Annahme eines Verhandlungsergebnisses – fast überall machen Kolleg/innen die Erfahrung, dass ihre Kämpfe nicht in ihren eigenen Händen liegen...“

Jupp Wolters berühmte Karikatur aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts „Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor…“ macht das Problem deutlich, auch wenn die Kollegen da noch sehr konservativ angezogen waren und das Thema von Wolter stark auf die Mitbestimmung eingeschränkt wurde.

Denn die Themenstellung der AG 2 ist auch eingeschränkt: In den kapitalistischen Betrieben herrscht keine Freiheit, je kleiner bzw. je geringer organisiert er ist, desto weniger! Die Wirkungsmöglichkeiten vieler kämpferischer Kolleg/innen im Betrieb und in der Gewerkschaft sind oft überschaubar. Wer eine Gegenmacht aufbauen will, muss deshalb auch vor dem Betriebs als Kraft sichtbar werden, da es im Betrieb nicht immer geht. Je kleiner bzw. je geringer organisiert, desto schwieriger ist es.

Ohne Information und Auseinandersetzung keine Demokratie unter Kolleg/innen. Deshalb muss die Gewerkschaftslinke ihre wichtigsten Standpunkte auch vorm Betrieb vertreten. Flyer verteilen, vorm Werkstor sein, extern abgehaltene Betriebsversammlungen ausnutzen. Selbstverständlich gehört dazu auch eine Netz-Präsenz, aber für die gewerkschaftliche Tätigkeit ist ein Platz vorm Betrieb privilegiert! Die in den Betrieb strömenden Kolleg/innen sind genau hier für ihre eigenen Interessen sensibilisiert. Und zu den angesprochenen Fragenkomplexen sollten so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich über den Standpunkt der Gewerkschaftslinken im Bild sein.

Selbstverständlich müssen wir in den Betrieben kämpfen. Selbstverständlich treten wir für die Organisierung in den Gewerkschaften ein. Dabei werben wir für unserer klassenkämpferischen Standpunkte. Aber der „Kampf vor dem Betrieb“ kann und muss Unterstützung und Stärkung sein für die klassenkämpferische Kolleginnen drinnen.

Tragen wir „alle 7 Themenkomplexe“ mit möglichster Einigkeit und Solidarität in unsere Betriebe, unter die Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen möglichst alle kämpferischen Menschen, nicht nur die, die heute schon in der Gewerkschaft organisiert sind.

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Anmerkung der Redaktion:

* Leberkompromiss: Georg (Schorsch) Leber (SPD), ehemaliger IG Bau-Chef, mehrere Ministerämter unter den SPD-Kanzlern und „Verteidigungs“minister unter Kanzler Schmidt (bis 1978), bis 1983 Bundestagsvizepräsident, fädelte 1984 als Schlichter nach wochenlangen Massenstreiks den Abschluss des 35-Stunden-Wochen-Kampfes ein. Mit der Überlassung der Regelungsbefugnis für sie 35-Stundenwoche an den Einzelbetrieb, bzw. an die Einzelunternehmen zerfiel die Gewerkschaftseinheit in diese Frage sofort dramatisch, was es dem Kapital ermöglicht hat, die Arbeitszeitverkürzung breit zu untergraben und zu kompensieren, was alle kritischen Kolleg/innen jederzeit in ihrer betrieblichen Realität feststellen können.