Randale in Stuttgart – Symptom eines tieferen Problems

In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni kam es in Stuttgart zu gewalttätigen Konflikten zwischen der Polizei und Gruppen von Jugendlichen. Die von bürgerlichen Medien als „Krawallnacht von Stuttgart“ bezeichneten und mit den 1. Mai Protesten in Berlin verglichenen Straßenschlachten brachten einen Aufschrei mit sich. Horst Seehofer (CSU) forderte harte Strafen, um zukünftig solche Krawalle gar nicht erst zuzulassen. Die Wut der Jugendlichen hat jedoch tiefere Gründe, die nicht einmal halb so viel Aufschrei verursachen.

Die Randale in der Stuttgarter Innenstadt sind nicht als bewusster politischer Protest zu verstehen. Am Schlossplatz, wo sich regelmäßig junge Leute aufhalten, trinken und Party machen, kam es am Samstagabend zu Kontrollen durch die Polizei. Auch die Corona-Maßnahmen, die das Feiern in Clubs zur Zeit unmöglich machen, waren ein Grund für die große Masse an Menschen auf der Straße. Die Drogenkontrolle eines 17-Jährigen soll angeblich Auslöser für die Krawalle gewesen sein. Im weiteren Verlauf lieferten sich junge Menschen Straßenschlachten mit der Polizei, die hoffnungslos unterlegen war und die Situation erst nach Stunden unter Kontrolle bekam. Auf Videos sind schwere Angriffe gegen Beamte zu sehen, aber auch die Zerstörung von Geschäften und Banken. Die Ursache dieser großen Wut der Jugendlichen ist jedoch nicht allein in der Kontrolle an diesem Abend zu sehen – die scheint nur der Auslöser für die Entladung dieser Wut gewesen zu sein.

Wenn man sich genauer anschaut, wie die Lebensrealität von Jugendlichen in deutschen Großstädten aussieht, erkennt man schnell eine große Perspektivlosigkeit. Fehlende Berufsaussichten, ein zu kleines Angebot an Freizeitaktivitäten und sinnvollen Tätigkeiten, ein Ausbildungssystem, welches allein auf die Fabrizierung von Arbeitskräften ausgelegt ist und eine Kultur voller Werbung und Protz, die die Jugend immer wieder zu Konsum antreibt, sind Normalität. Armut und damit einhergehende Kriminalität, Drogenkonsum und übermäßiges Trinken sowie sinnloser Zeitvertreib sind nur die Konsequenzen aus einem System, welches junge Menschen ohne Perspektive allein lässt. Wenn man sich dazu ins Gedächtnis ruft, dass besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund übermäßig oft schlechte Erfahrungen mit der Polizei machen, die sie aus rassistischen Gründern kontrolliert und rigorose Maßnahmen durchsetzt, dann scheint die Wut auf die Polizei nicht verwunderlich.

Die spontane Gewalt und gefährlichen Ausschreitungen gegenüber der Polizei sind damit nicht zu entschuldigen. Protest gegen dieses System ist angebracht – exzessive Gewaltausbrüche und unkontrollierte Wut sind jedoch nie das richtige Mittel. Trotzdem müssen die Konsequenzen aus den Krawallen in Stuttgart sowie der BlackLivesMatter-Bewegung andere sein als eine höhere Bestrafung zur Abschreckung. Die Polizei ist ein System, welches viel zu oft rassistisch und menschenfeindlich vorgeht. Sie zeigt die Klassengewalt, die durch dieses System ausgeübt wird, in ihrer gröbsten Form – und darüber muss man sich nicht wundern. Was wir brauchen ist eine Gesellschaft, in der Perspektivlosigkeit und Armut nicht auf der Tagesordnung stehen. Eine Gesellschaft, in der junge Menschen nicht jeden Tag um ihre Zukunft bangen müssen, sondern ihre Fähigkeiten ausbilden können, unabhängig von Profitzwang und Ausbeutung. In der Rassismus kein gängiges Mittel zur Spaltung und Aufhetzung ist, sondern in der jeder, unabhängig von Herkunft oder Aussehen, seinen Platz finden kann. In der Jugendliche nicht zu exzessivem Drogenkonsum und Kriminalität verleitet werden. In der keine Polizei nötig ist, die eine ausbeutende Ordnung verteidigt und auf die große Masse unten immer weiter eintritt.

Die Jugend ist am meisten von all den Problemen betroffen, die dieses System mit sich bringt. Wir müssen uns organisieren und geschlossen dagegen vorgehen – jedoch nicht mit spontaner Gewalt, die unserer Wut freien Lauf lässt. Wir müssen uns bilden und verstehen, was uns unten hält und wie wir dagegen vorgehen, uns nicht spalten lassen, sondern solidarisch sein.